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Full text of "Homerische studien [microform] .."

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MASTER 


NEGA  TI 


NO 


9 


81 


8 


MICROFILMED  1993 
COLUMBIA  UNIVERSITY  LIBRARIES/NEW  YORK 


as  part  of  the  .  „ 

»Foundations  of  Western  Civilization  Preservation  Project 


Funded  by  the    „^  ^„ ... , .  ^ttttcc 
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Columbia  University  Library 


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Under  certain  oonditions  specified  ,n  »he  law,  libraries jnd 

woulc  involve  violation  of  the  Copyright  law. 


AUTHOR: 


CHNER,  WILH 


LM 


TITLE: 


HOMERISCHE 
STUDIEN... 

SCHWERIN 

DA  TE : 

71 


COLUMBIA  UNIVEKSITY  LIBRARIES 
PRESERVATION  DEPARTMENT 

BIBLIOGRAPHIC  MICROFORM  TARGET 


Original  Material  as  Tilined  -  Existing  Bibliographie  Record 


Master  Negative  it 


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Büchner,  V/ilholn 

...      llomeriijcho   Studien   •..    von  V;.    Bücliner 
Schwerin,    Darenüprun^,    1071-72. 
2  pts.    in   1   v/,    C7v  cn. 


Restrictions  on  Use: 


At  head  of  title:  Jahresbericht  über  das  Gyn^ 
nasiuni  Fridericianum  ... 

Contents ;~Abh.  I.  Die  Ebene  von  Troia  und  ihre 
bedeutung  für  den   Troianischcn  krieg.—  Abh.  II. 
Die  sagen  von  Ilion  und  ihre  Verbreitung  nach 
lonien.  Homer  und  "^  Kreophylos. 


TECHNICAL  MICROFORM  DATA 


REDUCTION     RATIO: 


FILM     SIZE: ^_ 

IMAGE  PLACEMENT:    lA  ^IA     IB     IIB 

DAfE     FILMED: ,  __S:J±V    INITIALS ._ 

HLMEDDY:    RESEARCH  PUBLICATIONS.  INC  VVOODBRIDGE.  CT 


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301/587-8202 


Centimeter 

12         3        4! 

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BY   nPPLIED   IMfiGE,     INC. 


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JAHKESBEßlCHT 

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ÜBER    DAS 


GYMNASIUM  FEIDEBIOIANÜM 

VON   OSTERN    I87((   BIS    EBENDAHIN    1871 

) 

WOMIT 

ZUE  ÖFFENTLICHEN  PRÜFUNG  SÄMMTLICHER  GÜSSEN 

WELCHE  AM   30.  UND  31.  MÄItZ   GEHALTEN  "WERDEN  SOLL 

GEHORSAMST   EINLADET  \ 

Dr.  wniHiiijf  itami  ■ 


DIRECTOK. 


INHALT; 


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,    T..„  ,    »i-UTUNG  FÜR  DKN  TROJANISCHEN  KRIEG.     Vok  W  BÜCHNER 

vTTSlBEx''^  "™''^^"*'  FKIDERICUNU  J    SChScHRICHTEN. 


Schwerin.     1871. 

GEDRUCKT   IN    DER    HOFBÜCHDRUCKEREI    VON   DR.  P.  W.  BXRENSPrIjG. 


Anordnung  der  Prüfung. 

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Donnerstag,  den  30.  März,  um  8  Uhr : 
Gesang  aller  Classen.     Morgengebet. 

Quarta  B.  SV*— 9  Uhr. 

Religion  Lehrer  Kummet. 

Griechisch  Lehrer  Rummel. 

Quarta  A.  9—  iO  Uhr. 

Lateinisch  Dr.  Schiller. 

Griechisch  Lehrer  Bamberger. 

Ober -Prima  10  ^  4  — 11  Uhr. 

Geschichte  Oberlehrer  Briinzlow. 

Unter-Prima  11  —  12  Uhr. 


Freitag,  den  31.  März: 

Ober -Tertia  8^/4  —  9  Uhr. 

Caesar  Dr.  Schmidt. 

Mathematik  Lehrer  Brauns. 


Horaz 
Matheuiati 

Dr. 

k                               Dr. 

Meyer. 
Bastian. 

Ober-Seeunda  3  - 

-  4  Uhr. 

Cicero 
Plutarch 

Dr. 
Dr. 

Late-ndorf. 
Latendorf. 

Unter- Secunda  4- 

-5  Uhr. 

Xenophon 
Geschieht« 

Dr. 
.                                Dr. 

Regel. 
Sellin. 

Caesar 
Griechisch 


Lateinisch 


Unter -Tertia  0  — 10  Uhr. 

Dr.  Sellin. 
Dr.  Sellin. 

Quinta  io»/4—  11   Uhr. 

Lehrer  Bnmberger. 

Sexta  M  —  11 3/4  Uhr. 

Lehrer  Beckmann. 


JjSite'miiivh 

Um  12  Uhr: 

Abiturienten-  Entlassung. 
Versetzung  säianillicher  Classen.     Censuren-Vertheilung. 


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T^T  Unterricht  ym  Sonjmersemester    beginnt    am  Montag   den  17.  A}>nl    uin  8  Uhr.    Die  in    das  (lymnasium  aufzu- 
neluTiA>rJen    einheimischen  Knaben    werden    am  Freitag    den  H.April  früh  um  8  Uhr,    die  auswärtigen  am  Sonnabend 
.^^^  *JMi  lö.  April,  ebenfalls  früh  umjs  Uhr  von  mir  geprüft  werden.     Das  Früfungs-Looal  i?t  im  neuen  Gvmnasiun). 

* 

( 

Director  Dr.  Büchner. 


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Obwohl  die  Homerische  Frage  von  dem  Augenbhck  an,   wo  sie   zuerst  angeregt  wurde,   bis 
zum   lieutigen   Tage   mit   Aufbietung   des   höchsten   Scharfsinns  behandelt  worden  ist,  so   darf*man 
dennoch  beliaupten,  dass  ihre  Lösung  weiter  denn  je  von  ihrem  Ziele  entfernt  ist.    Zwar  gab  es  bei 
dem  Erscheinen  der  Wolfschen  Prolegomencn  nicht  wenige  i\Iänner,  welche  sich  zu  den  Behauptungen 
des  genialen  Forsclici-s  niclit  allein  sehr  zurückhaltend  verhielten,  sondern  sie  sogar  für  so  vollständig 
verfehlt    erachteten,   dass   sie   das  Fehlsamc   in   ihnen   mit  Leichtigkeit  nachweisen   zu   können   ver- 
meinten.    Allein  die  dabei  sich  ihnen  darbietenden  Schwierigkeiten  und  die  geringen  Resultate,  welche 
sie  den  Prolegomencn  gegenüber  erzielten,   indem  Alles  zuletzt  lediglich  auf  ein  Glauben  und  Nicht- 
glauben  liinauslief,   liatten  gerade  den   entgegengesetzten  Erfolg  von   dem,   welchen  man   beabsichtigt 
hatte;   und  so   kam  es,   dass  in   den   ersten  Decennien   dieses  Jahrhunderts  mit  Ausnahme   weniger, 
leider  nur  mit  den  \Yaffen   poetischer  (jefühle  in  die  Schranken   tretender  Forscher  sich  ein  grosses 
Feldlager   derer   bildete,    welche    Wolf  unbedingt    beipflichteten   und   auf  die   Worte   des   Meisters 
schwörend    die   homerischen  Gedichte   so   zu   sagen   in  Fetzen   zerrissen.     Allein  je   allgemeiner   die 
Wolfsche  Ansicht  wurde,  und  je  eifriger  man  sie  auf  Schulen  und  Universitäten  lehrte  und  verfocht, 
um  so   mäclitiger   wirkten   die  Homerischen  Gedichte   selbst   durch  die   wunderbare  Anziehungslvraft 
ihres   Inhalts   auf  die   sich   heran  bildenden  jüngeren  Generationen;   diese   lauschten   zwar  den  be- 
redten   Worten    des   Skepticismus   mit   der    gespanntesten   Aufmerksamkeit    und    staunten   über    die 
kritische   Schärfe,   mit   welcher   die   mangelnde  Einheit   in   den  Homerischen  Gesängen  nachgewiesen 
wurde:   indessen  die  Leetüre   einer  einzigen  lUiapsodie  der  lUade  genügte  stets  vollständig,  um  alles 
Gehörte,  alle  ^längel  und  Zweifel  sofort  zu  vergessen  und,   unbekümmert  um  die  immerhin  vielleicht 
für  richtig  gehaltene  Wolfsche  Hypothese  mit  der  lebhaftesten  Spannung  den  Fortgang  der  F.ö|p^ung 
zu   verfolgen.     Dass   dieses  Alles   sich   ganz  von   selbst  so   machte,   dazu   liatten  Wolfs   ForsdiSgt.. 
selbst  das  Nöthige  ])cigetragen.     Sic  waren  lediglich  negativer  Natur,  aber  so  allgemein  negativ,  dass, 
da  er  nichts  Positives  gegeben  und  auch  in  einem  Zeitraum  von  fast  :}()  Jahren  seit  dem  Erscheinen 
des  Prolegomencn  niclit  das  (ieringste  weiter  zu  Tage  gefördert  hatte,  wodurch  die  Ihade  —  denn  von 
dieser   wird    zunächst   hauptsächlich    die    Pede   sein,   —   zwar   als    ein    grösserer   Liederkranz,    aber 
immerhin  als  ein  durch  die  einzelnen  Lieder  befriedigendes  Ganze   nachgewiesen  wurde,    die  jungem 
Geschlechter   sich   den  Wolfschen  Ansichten   mehr   und   mehr  entfremdeten  und  ganz  von  selbst  zur 
früher   gegoltenen  und  vor  Wolf,  von  Heyne   abgesehen,  nie  bezweifelten  Ansicht  des  Alterthums  von 
einem   Homer   und   von    einem    vorhandenen   inneren    zusammenhangenden   Gedichte   zurück- 
kehrten.    So  geschah  es,   dass  in  den   zwanziger  Jahren   dieses  Jahrhunderts,   als  Ref  noch  zu   den 
Füssen  von  Gregor  Wilhelm  Nitsch  sass,  dieser  bereits  das  Unbefriedigende  der  Wolfschen  Kritik 
dem   Zauber   gegenüber,   den   die   alte  Ansicht  nach  wie  vor  auf  die  Leser  des  Homer  übte,   in  der 
überzeugendsten  Weise  nachwies  und  den  Plan  fasste,  die  Anschauung  des  Alterthums  wiederum  zur 
Geltung  zu  bringen;   und  man  darf  behaupten,   dass  der   wackere  Mann  dieser  Aufgabe  sein  gan- 
Leben  gewidmet  und  schliesslich  in  seiner  Sa  gen  poesie  die  ganze  Fülle  seines  tiefen  Wissens  nie 


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gelegt   hat.     Sein  Vorgehen  jedoch  liess  auch  die  Gegner   nicht  müssig,   und   namenthch  war  es  der 
scharfsinnige  Lachmann,  der,  was  Wolf  versäumt  hatte  oder  zu  schaffen  nicht  im  Stande  gewesen  war, 
nachzuholen  heschloss  und  es  demnach  unternahm,  mit  einer  an  Spitzhndigkeit  gränzenden  und  damit 
jede  gesunde  Kritik  geradezu   vernichtenden  Schärfe  die  einzelnen  Lieder  in  der  Iliade  nachzuweisen 
und    somit  die   ganze  Dichtung  zu  einem   leblosen  Corollarium   zu    gestalten.     Aber  auch  Lachm'ann 
hat  seine  begeisterten  Anhänger  gefunden,  und  so  ist  es  gekommen,   dass  noch  in  diesem  Augenblick 
sich  gleichsam  zwei  Feldlager  gegenüber  stehen,  von  denen  jedes  unablässig  bemühet  ist,  den  endlichen 
Sieg  zu  gewinnen.    Im  Interesse  der  Wissenschaft  ist  es  allerdings  zu  wünschen,  dass  das  Eine  oder 
das  Andere   endhch   obsiege,   und   dazu   nach   Kräften  beizutragen,   ist   die  Pflicht  jedes   Forschers. 
Freilich  auf  den  bis  jetzt  eingeschlagenen  Wegen  wird  dies  Ziel  nicht  erreicht  werden,   weder  durch 
eine   Alles   zersetzende  und   zerstörende   Kritik,   noch   durch   die   mühevollsten   Anstrengungen    auf 
einem  Gebiete,  wo  das  Mateiial  zur  Forschimg  einerseits  ein  sehr  reichhaltiges,  anderei-seits  dagegen 
ein    vollkommen   ungenügendes  und   geradezu  unbrauchbares  ist.     üenn  wo  und  mit  welchen  Waifen 
soll   der   Streit   gekämpft  und   entschieden   werden?    wo   anders   als   in   und   mit   den   Homerischen 
Gesängen?   Und  wenn  nun  eben  diese  Gesänge  nur  aus  einer  völlig  unbestimmbaren  Zeit  auf  uns  ge- 
kommen sind,   welche  in  eine  so   undurchdringliclie   dunkle  Nacht   gehüllt  ist,   dass,   wenn  wir   eben 
von   Homer   absehen,   auch   nicht   der   schwächste   Schein   eines   weder   körperlichen   noch    geistigen 
Lebens  dieselbe  durchdringt  und  erhellt,  während  man  doch  andererseits  wiederum  durch  den  Homer, 
gleichsam   wie   durch   ein   geöffnetes   Fenster   aus   dieser   dunklen  Finsterniss   in    eine   sonnige,   vom 
buntesten  Leben   bewegte  Welt   und   auf  eine   bereits   wunderbar   vorgeschrittene  Civilisation   l)Hckt, 
welche    den    sichersten   Schluss    auf  die  zur   Zeit   der  Entstehung  jener  Gesänge    schon    wunderbar 
entwickelte  Menschheit   zulässt  und    gestattet,   so  muss  man  sagen,   dass  wir  uns  vor  einem  Problem 
betinden,   dessen  Lösung   eben   durch   nichts,   als  durch  die  Gesänge   selbst   lösbar  ist.     Wenn  daher 
die   Forschungen   des  tiefgelehrten   Welcker,   des   geistvollen   Nitsch,   des   scharfsinnigen   Senge- 
b  US  eil  imd  Anderer   immerhin  des  grössten  Dankes  werth  sind,  indem  sie  uns  einige  richtige  Blicke 
in  das  Chaos  einer   zerstörten   und  für  uns   verlorenen  Dichterwelt  thun  lassen,  so  gehört  doch  eben 
diese  W^elt  in  die  nachhomerische  Zeit  imd  beruhet,   so  weit  sich  die  Sache  erkennen  lässt,  lediglich 
auf  Homer,  und  es  wird  nie  und  nimmer  gelingen,  aus  den  zerstreuten  Ueberresten  und  Andeutungen 
eines  Arctinos,  Lesches,  der  Kyprien  u.  s.  w.  mehr  zu  enträtli^^ehi  und  zu  einem  lebensvollen  Bilde 
zu  gestalten,   als  was  die   eigne  Phantasie  der  Forscher   dazu  schafft  und  bildet.     Was  nach  Homer 
von   den   cychschen  Dichtern    auch   immer   gesagt    und    gesungen   worden  ist,   Alles,    was  wir    davon 
wissen,   ist  so  beschaffen,   dass,   wenn   man   zugicbt,   es  finde  sich  in  den  Ueberresten  noch  hie  und 
da   ein  Anklang   an  die  alte  Volkssage,   welche  im  Homer  im  vollen  Strome   dahinrauscht,   dennoch 
diese  Andeutungen   nichts   bieten,   um    die  Frage   zur   endlichen   Entscheidung   zu   bringen,   ob    die 
grossen    homerischen  p]pen  Werke   eines   einzelnen   grossen  Dichtergeistes  sind,   oder 
ob  sie  eir.er  Sängerschulc  ihre  Entstehung  verdanken  und  aus  einzelnen  Liedern  erst 
zu   einem   grossen   Ganzen,   zu  dem  der   behandelte   Sagenkreis   die  Veranlassung   bot, 
zusammengefügt   sind.     Wir   bekennen,    dass   wir,    einst   Nitsch    gegenüber   begeisterte  Anhänger 
der  Wolfschen  Theorie,   nach    4Ujährigen    aufrichtigen  Studien   der  Gedichte  so    entschiedene  (Jegner 
jener  Theorie  geworden  sind,  dass  uns  zur  Zeit  namentlich  die  Lachmannsche  Behandlung  der  Frage 
als  eine  schwere  Versündigung  gegen  jene  wunderbaren  Werke  einer  für  uns  entschwundenen  Vorwelt 

erscheint. 

In  diesem  Sinne  ist  in  den  nachstehenden  Blättern  der  Versuch  gemacht  worden,   der  Frage 

näher  zu   kommen   und   zwar  auf  einem  Wege,   der,   wie   häutig  er  auch  seit  Decennien  bis  auf  die 

°.ueste  Zeit  betreten  worden,  dennoch  ganz  andere  Ziele  veriblgte,    als  die  in  Frage  stehenden,   und 

im  völhg  resultatlos  gebheben  ist.    Denn  nicht  nach  der  völhg  unbestimmbaren  Zeit  der  Abfassung 


der  Gedichte,  hier  der  Iliade,  ist  zunächst  zu  fragen  und  auch  nicht  tou  dem  Inhalte  derselben  ist 
zuerst  zu  reden,  sondern  von  dem  Locale,  auf  welchem  die  Iliade  ihren  Verlauf  nimmt;  nur  go 
wird  es  vielleicht  mögUch  sein,  ein  an  Ueberzeugung  gränzendes  Resultat  zu  gewinnen  und 
festzustellen. 

§  1. 
Die  heutige  Ebene  von  Troia. 

Unter  den  Forschern,  welche  die  Ebene  in  ihi-en  gegenwärtigen  Verhältnissen  aus  eigner 
Anschauung  kennen  gelernt  und  beschrieben  haben,  nimmt  der  gelehrte  Forchhamraer  unbedingt  die 
erste  Stelle  ein.  Er  hatte  das  Glück  im  J.  1839,  als  die  vereinigte  Engüsche  und  Französische 
Flotte  unter  Stopford  und  Lalande  in  der  Beschika-Bai  vor  Anker  lag,  mit  dem  Englischen  Ver- 
messungsschiffe Beacon  unter  dem  Befehl  des  Capitain  Graves  aus  dem  Piraeus  eben  daliin  abgehen 
zu  können,  um  in  Gemeinschaft  mit  dem  letztgenannten,  der  die  Aufgabe  sich  gestellt  hatte, 
ausser  dem  Meer  und  der  Küstenlinic  auch  die  Ebene  selbst  genau  vermessen  und  eine  Karte  davon 
entwerfen  zu  lassen,  dieselbe  Ebene  mit  besonderer  Rücksicht  auf  Homer  zu  durchforschen  und  die 
gefundenen  Resultate  als  eine  erklärende  Beigabe  zu  der  beabsichtigten  Karte  zu  veröffentlichen; 
letztere  ist  vorzugsweise  nach  den  Vermessungen  der  Ebene  durch  den  Lieutenant,  damahgen  Mate, 
Spratt  von  ebendemselben  entworfen  und  der  gelehrten  Welt  unter  dem  Namen  der  Sprattschen 
Karte  wohlbekannt.  Forchhanmier  versichert,  dass  in  der  Ebene  „jeder  Pfad,  jedes  Flussbett,  die 
Ufer  jedes  Flusses  vom  Anfang  bis  zur  Mündung,  jeder  sonst  merkwürdige  Punkt"  von  ihm  betreten 
und  untersucht  worden  sei;  und  wenn  er  hinzufügt,  dass  die  genannte  Karte  mit  solcher  Genauigkeit 
ausgctiihrt  worden  sei,  wie  kein  anderes  Land  des  classischen  Altertliums  eine  älmhclie  aufzuweisen 
habe,  so  dürfen  wir,  denen  leider  das  Glück  nicht  zu  theil  geworden  ist,  die  Ebene  von  Troia  aus 
eigner  Anschauung  zu  kennen,  uns  dennocli  glücklich  schätzen  auf  die  Zuverlässigkeit  derselben  hin 
die  eingehendsten  wissenschafthchen  Untersuchungen  unternehmen  zu  können.  Auch  Forchhammer 
hat  solche  seinem  angegebenen  Zwecke  gemäss  vorgenommen:  allein  während  er  von  der  durchaus 
richtigen  Voraussetzung  ausging,  dass  die  Ebene  seit  der  Urzeit  keinerlei  locale  Veränderungen 
erlitten  habe,  hat  er  bedauerlichst  hieraus  sofort  den  nicht  zu  rechtfertigenden  weiteren  Schluss 
gezogen,  dass  Alles,  was  Homer  uns  melde,  auch  heute  noch  in  der  Ebene  sich  nachweisen  lassen 
müsse;  kurz,  er  hat  den  Homer  in  der  Hand,  die  Ebene  durchstöbert  und  durchsucht  und  ist 
dadurch  zu  Resultaten  gekonnnen,  die  zwar  in  der  gelehrten  Welt  gerechtes  Aufsehen  erregt,  aber 
mit  Ausnahme  derer,  denen  topographische  Studien  vorstehender  Art  ganz  fern  liegen,  nirgends 
Billigung  gefunden  haben.  Am  schärfsten  ist  ihm  der  Athenäische  Professor  Ulrichs  entgegengetreten 
der  eigens  zu  dem  Zwecke  dieselbe  Ebene  durchreist  ist  und  alle  Punkte  genau  untersucht  hat,  um 
die  Irrthihner  in  Forchhannners  Behauptungen  nachzuweisen.  Freihch  ist  es  auch  diesem,  eben  weil 
er  in  demselben  Grundirrthume  befangen,  von  derselben  falschen  Prämisse  ausgegangen,  um  nichts 
besser  gelungen,  positive  Ergebnisse  zu  finden  und  genügend  zu  begründen;  er  widerlegt  Forch- 
hannner  und  verliert  sich  dabei  in  ein  völliges  Labyrinth  von  falschen  Bestimmungen.  Folgen  wii- 
jedoch  zunächst  Forchhannuer  und  versuchen  wir,  uns  ein  einfaches  und  getreues  Bild  der  Ebene, 
wie  sie  heutiges  Tages  beschaffen  ist,  zu  entwerfen. 

Wenn  man  am  Hellespont,  kurz  vor  dessen  Einmündung  in  das  Aegäische  Meer,  in  der  Mitte 
zwischen  den  Vorgebirgen  Rhoeteum  (östlich)  und  Sigeum  (westhch)  seinen  Standpunkt  nimmt  und 
von  hier  aus,  den  Rücken  nach  Norden  gekehrt,  die  Bhcke  nach  Süd-Süd-Ost  richtet,  so  erhebt  sich 
vor  dem  Beschauer  stolz  und  prächtig  das  Idagebirge,  dessen  höchster  Gipfel,  die  alte  Ida,  der 
heutige  Kasdag,  sich  über  7000  Fuss  hoch  über  dem  Meere  emporthünnt   und  in   seinen   höchsten 


\ 


Schluchten  ewigen  Schnee  hirgt.  Von  ihm  senken  sich  nach  Norden  zu  ganz  aUmälig  seine  Vorhorge 
herab  und  bilden  zuletzt  unfern  vom  Hellespont  einen  Höhenkranz,  welcher  in  Hufeisenlonn  eine 
Ebene  umschhesst,  die  sich  zwischen  den  genannten  Vorgebirgen  öffnet  und  sich  gleichsam  in  das 
Meer  liinab  verliert.  Von  jenem  Höhenkranze  jedoch  zieht  sich  von  Osten  her  ein  bei  seinem 
Auslaufen  etwas  breiterer,  nach  und  nach  jedoch  raelu-  si)itz  zulaufender  Höhenrücken  nach  Westen 
zu  in  die  Ebene  hinein  und  theilt  diese  in  eine  Doppelebene  oder  gleichsam  in  zwei  Thalnudden, 
die  erst  imfern  vom  Hellespont  sich  in  eine  einzige  Ebene  vereinigen;  das  Ganze  von  jenem  Höhen- 
krauze  umschlossene  Local  ist  die  berühmte  Ebene  von  Troia. 

Bhckt  man  vom   obigen  Standpunkte  aus  noch  mehr   südhch   über  den  Höhenkranz   liinweg, 
so   dehnt  sich   von   demselben  bis  zum  Fusse  des  Gebirges  eine  zweite,   etwas  höher  gelegene  Ebene 
aus.    Diess  ist  das  alte  Cebrenia,  die  heutige  Ebene  von  Bairamitsch;  man  kann  letztere  lughch  eine 
Bergebene,  jene  eine  Thalebene  nennen,   was  zu   wissen  wichtig  ist,   weil  die  Wasserverhiiltnisse 
der  Troischen   Ebene   dadurch    liedingt   werden.      Es   stri»men   nämlich    rings  von   den   umliegenden 
Höhen  eine  Anzahl  von  Bächen  in  dieselbe  hinab;   den  bei  weitem   grössten  ZuHuss  aber  bringt  der 
Mendere,  welcher,  ein  ächter  Bergstrom,  auf  dem  Idngebirge  selbst  entspringt,  dann  die  Ebene  von 
Bairamitsch  durchfliesst,  sich  weiter  durch  jenen  Höhenkranz  in  einer  4(10  Fuss  tiefen  Felsenschlucht, 
seinen  Weg  bahnt  und,  nachdem  er  die  Troische  Ebene  in  ihrer  ganzen  Länge  durchströmt,  endlich 
durch  das  Thor  der  Ebene  rechts  vom  Beschauer  in  den  Hellespont  einmündet.    An  seiner  Mündung 
hat  dieser  Strom  im  Laufe   von  Jahrtausenden  durch  Xiederschläge  eine  nicht  unbeträchtliche  Masse 
Landes  abgesetzt,  dessen  Ausdehnung  sich  schon  dadurch  ganz  von  selbst  ergiebt,   dass  der  Fluss  in 
einem   zwar  breiten,   aber  nur  1 V«  Fuss   tiefen  Bette   sich   über   eine   spitz  in   den  Hellespont  weit 
hineinreichende  Landzunge  hinzieht;  letztere  ist  durchweg  angeschwemmtes  Geröll  und  Sand.     Nimmt 
man   hinzu,   dass  sich  in  der  Ebene  noch   heutigen  Tages  eine  grosse  Anzahl  von  Lachen    vortindet, 
von  denen  einige  von  bedeutender  Tiefe  dicht  am  Rande  des  Hellespont  liegen,  ohne  jedoch  in  denselben 
abzufliessen,   indem   vielmehr  in    die   grösste    derselben  der  Hellespont  selbst   ununterbrochen  hinein- 
strömt,   so    ergiebt    sich    mit  völliger   Gewissheit,    dass,    da   noch   heut   das   Niveau   der   Ebene    im 
Allgemeinen  mit  dem  des  Hellespont  gleich  ist,  an  einzelnen  Punkten  sogar  noch  viel  niedriger  liegt,  es 
eine   Zeit    gegeben    haben   muss,    in  welcher   die  ganze   Ebene   in   Folge   der    zusammenströmenden 
Bergwasser   eine    grosse,  der  Cultur   viUlig   unzugängliche  Niederung  gebildet  hat,  die  im  Winter  und 
FrühHng  als  See,  im  heissen  Sommer  dagegen  als  ein  grosser  von  einzelnen  trockenen  Stellen  unter- 
brochener Sumpf  sich  darstellte.     Wir   unterlassen  es  hier  schon  die  Beweise   dafür  aus  den  ältesten 
Ueberlieferungen   beizubringen,   da  die  Richtigkeit  des  Gesagten   sich   aus   den   localen  Verhältnissen 
ganz  von  selbst  auf  das  Ueberzeugendste  ergiebt. 

Betrachten   wir  weiter  die  Eljene,   wie  sie  noch   heutigen  Tages   beschaffen    ist,   und   wählen 
•wir  dazu   einen  anderen  Standpunkt,  nämlich  den  nicht  unbedeutenden  Hügel,  genannt  Üjek-Tepe, 
-welcher   (Lr  Mihiduug    des  Mendere   gerade   südlich    gegenübt;r    liegt.      Wenn  wir  von    hier  aus  den 
Bhck   nach  Norden    über   die   ganze   prächtige  Ebene,    die   zu    unsern  Füssen  sich  ausdehnt,    dahin- 
schweifen   lassen,    so  tritt   zunächst   rechts  vom  Beschauer  der  Mendere  durch  das  genaimte  Felsen- 
thor in  die  Ebene  ein  und  nimmt  unmittelbar  bei  seinem  Eintreten  den  Kimar-Su,  einen  von  (Men 
her  am  Rande  des  Höhenkranzes  herabrauschenden,  zu  Zeiten  sehr  wilden  Bergbach  auf,  und  strömt 
mit   ihm  vereint   zwischen   hohen  Ufern  in  einem  breiten,   mit   Sand   und  Kies   angefüllten  Bette  in 
ununterbrochenem  Laufe   dem  Meere   zu;   sein  Bett   fiillt   er   nur  im  Frühhng  zur  Zeit  der  Schnee- 
schmelze,  so  wie  nach   plötzlichen   starken  Regengüssen   ganz  aus   und  tritt  dann   nicht  selten  über 
seine  hohen  Ufer,  während  er  im  Hochsommer  als  ein  winziger  seichter  Bach  in  einem  breiten  sandigen 
Bette  sich   hinwindet  und  nur  mühsam  den  Hellespont  erreicht.     Bemerkenswerth  aber  ist,^  dass  der 
Mendere  mit   keinem  Gewässer   der   rechts  an   ihn   stossenden  Ebene  in   irgend   welcher  Verbindung 


steht.  Dasselbe  gilt  auch  von  der  linken  Seite,  wofern  man  hier  von  einem  ganz  unwesenthchen 
Punkt  absieht,  von  welchem  sofort  unten  die  Rede  sein  wird.  Hieraus  nun  ergeben  sich  ganz  von 
selbst  die  beiden  Flusssysteme  der  West-  und  Osthälfte  der  Troischen  l^bene.  Betrachten  wir  jene, 
die  W^estseite  zuerst,  so  finden  wir  Folgendes. 

Etwas  östlich  von  dem  obengenannten  Ujek-Tepe  erhebt  sich  eine  Anhöhe,  genannt  Baalih, 
um  deren  steil  abfallenden  östliclien  Fuss  sich  der  Mendere  durch  die  Felsenschlucht  in  die  Troische 
Ebene  liinabdrängt;  unter  dieser  Anliöhe  liegt  in  nordwesthcher  Richtung  das  heutige  Dorf  Bunar- 
baschi  (d.  h.  die  vierzig  Augen),  und  neben  denselben  sprudeln  eine  Anzahl  stark  Üiessender  Quellen 
aus  dem  kalkhaltigen  l)oden  hervor,  die  eine  solche  Menge  W^assers  Hefern,  dass  solches,  wenn 
keine  Vorrichtungen  getroffen  wären,  die  ganze  Niederung  links  am  Mendere  noch  heutigen  Tages 
in  einen  grossen  Sumpf  verwandeln  würde.  Allein  nachdem  die  bedeutendste  der  Quellen  in  einem 
ummauerten  Bassin  aufgefangen  worden,  ergiesst  sich  ihr  Abfluss  nebst  den  übrigen  Quellen  in  einen 
nördlich  gelegenen  tiefen  seeartigen  Teich,  durch  welchen  das  Wasser  in  fortgesetzten  Strudeln 
hindurchwirbelt;  aus  diesem  Teiche  werden  die  Gewässer  in  einem,  an  dem  nördhchen  Rande  des 
vielerwähnten  Höhenkranzes  sich  hinziehenden  Baches  in  westlicher  Richtung  weiter  geleitet, 
durchbrechen  dann  eine  Senkung  jenes  Kranzes  und  ergiessen  sich  unfern  vom  Aegäischen  Meere 
nochmals  in  einen  tiefen  Sumpf,  aus  welchem  ein  tiefer  Canal  sie  in  das  Meer  abführt;  der  Bach 
selbst  tiiesst  unaufhörlich  stark  und  ki-äftig,  ist  überall  3  Fuss  tief  und  wird  selbst  mit  Kähnen 
befahren;  seine  Wassermenge  ist  so  bedeutend  und  sein  Gefäll  von  jenem  Hölienzuge  an  so  stark, 
dass  er  unfern  davon  eine  dem  Sultan  gehörende  Mühle  von  7  Gängen  treibt,  auf  welcher  das  Korn 
aus  der  ganzen  Umgegend  und  sel])st  von  den  benacliljarten  Insehi  vermählen  wird.  Wir  enthalten 
uns  über  diesen  Bach  vorerst  noch  jeder  weiteren  Bemerkung  und  weisen  im  Allgemeinen  nur  darauf 
hin,  dass  durch  denselben  die  ganze  hnke  Seite  des  Mendere  vor  dauernder  Versumpfung  geschützt 
wird,  indem  diese  imr  den  momentanen  Ueberschwemmungen  des  Elendere  unterliegt,  die  jedoch 
alsbald  von  dem  Strome  wieder  aufgenommen  und  a])geleitet  werden  Und  zwar  beweisen  dies  o-anz 
augenscheinlich  die  von  dem  erwähnten  durch  die  Bunarbaschi  -  Quellen  gebildeten  Teiche  sich 
nördhch  liinaufziehenden  Winterbetten,  welche  in  einen  mit  Rohr  und  Binsen  bewachsenen  Sumpf, 
genannt  Li s gar  auslaufen,  der  sich  am  östlichen  Fusse  des  am  Sigeisclien  Vorgebirge  endenden 
Höhenzuges  befindet;  beides,  Winter])etten  und  Sumpf,  sind  im  Hochsommer  stets  vollkommen 
trocken,  und  wird  diess,  abgesehen  vom  Einfluss  der  heissen  Jahreszeit,  hauptsächlich  durch  ein  aus 
dem  Lisgar  abfliessendes  Rinnsal  bewirkt,  welches  noch  weiter  nördhcli  in  den  Mendere  einmündet; 
es  dient  also  nur  als  Abzugsgraben,  und  ist  mit  Sicherheit  anzunehmen,  dass  es  im  Sommer  zugleich 
mit  dem  Lisgar  versiegt,  wie  auch,  dass  es,  am  Fusse  der  Anhöhe  sich  hinschlängelnd,  mit  den 
Ufern  des  Elendere  in  gleichem  Niveau,  also  mindestens  8  Fuss  über  dem  gewölmhchen  Wasser- 
sjiiegel  des  Flusses  liegt,  so  dass  gewöhnhche  Sommerregen,  welche  den  Mendere  jilötzlich  um  einige 
F'uss  steigen  lassen,  dennoch  den  Lisgar  und  die  dabei  liegende  Ebene  durch  jenen  Abzugsbacli 
nicht  erreichen;  nur  wenn  der  Mendere  selbst  seine  Ufer  überflutliet,  tritt  auch  die  ganze  linke 
Ebene  unter  Wasser,  und  diess  zieht  sich  dann  durch  jenen  Bach  in  das  Flussbett  zurück.  Hieraus 
erhellt,  dass,  wie  schon  oben  ])eliauptet  wurde,  dieser  Abzugsgraben  nur  für  die  momentane,  nicht 
für  die  dauernde  Entwässerung  der  linken  Mendere  -  Ebene  von  Bedeutung  ist;  der  wirkliche  Ent- 
wässern ngs-Canal  der  ganzen  linken  Seite  ist  einzig  und  allein  der  Bunarbaschi-Su.  Ganz  dasselbe 
Entwässerungssystem  tritt  in  gleicher,  ja  vielleicht  in  noch  schärferer  Weise  auf  der  rechten  Seite 
des  Elendere  zu  Tage. 

Auf  dieser  Seite  nämlich  findet  sich  ausser  dem  erwähnten  Kimar-Su  auch  nicht  ein 
einziges  Gewässer,  welches  mit  dem  Mendere  in  Verbindung  steht;  vielmehr  nehmen  alle  Bäche,  die 
von  Osten  her  in  die   rechte  Mendere  -  Ebene  hinabströmen,    ihren   endhchen  Ausweg  in  den  Helles- 


pont  selbst.  Begiuuen  wir  uuten  südlich  mit  dem  Winkel,  den  der  Kimar-Su  mit  dem  Meudere 
bildet,  so  befindet  sich  hier  ein  stehender,  nie  versiegender  tiefer  Sumpf,  genannt  Djudan  oder 
Judaen;  er  vnrd  theils  durch  das  von  den  Höhen  abfliessende  Regenwasser,  theils  durch  unterirdische 
Zuflüsse  genährt  und  schwillt,  wenn  der  Meudere  übertritt,  zu  einem  ganz  gewaltigen  See  an.  Seine 
Gewässer  jedoch  haben  mit  dem  Ihiuptfiuss  selbst  nichts  zu  tliun;  sie  werden  vielmehr  durch  den 
Kalifatli-Osmak  1)  nach  Norden  zu  abgeleitet.  Dieser,  ein  sehr  tiefes  Rinnsal  mit  hohen  steilen 
L'fern,  nimmt  nicht  alkuweit  von  seinem  Ausflusse  aus  dem  Djudan  noch  einen  zweiten  Osmak  auf, 
welcher  ebenfalls  aus  dem  Djudan  ausströmt,  sich  dann  ziemlicli  parallel  mit  dem  ersteren,  an  dem 
Südrande  des  schon  oben  erwähnten,  in  die  Troische  P^bene  von  Osten  her  hineinschiessenden  llöhen- 
nickens  hinzieht  und  nahe  an  der  Spitze  desselben  mit  jenem  zusanunenfällt;  der  ei*stgenannte  heisst 
von  dem  benachbarten  Dorfe  Kalifatli  der  Kai ifatli- Osmak,  dieser  ist  neuerdings  nach  dem  benach- 
barten Pascha -Tepc  (d.  i.  Hügel)  Pascha-Tepe -Osmak  genannt  worden.  Nach  ihrer  Vereinigung 
wird  der  Kalifatli-Osmak  durch  den  genannten  Bergrücken  etwas  nach  Westen  gedrängt,  jedoch  um  so- 
fort, nachdem  er  den  Fuss  desselben  erreicht  hat,  die  nördhche  Richtung  wieder  einzunelimen  und  in 
das  Dümbrek-Thal,  d.  i.  die  zwischen  jenem  Höhenrücken  (südlich)  und  den  Rhöteischen  Berghöhen 
(nördlich)  liegende  'riialmulde  hinabzugleiten  und  sich  sodann  mit  dein  Dünibrek- Bache,  der  jene 
Mulde  von  Osten  her  durchströmt,  zu  vereinigen:  indessen  dauert  diese  Vereinigung  nur  eine  kurze 
Strecke  hindurch;  denn  i)lötzhch  biegt  aus  dem  gemeinsamen  Strome  ein  Arm  wiedernm  scharf  nach 
Norden,  also  in  derselben  Richtung  des  Kalifatli-Osmak  ab,  um  sich  mit  seinen  stets  fliessendeji,  also 
auch  im  Hochsommer  nie  versiegenden  Wassern  durch  eine  tiefe  Hafenbucht,  genannt  Karanlik- 
Liman  (d.  i.  der  dunkle  Hafen)  in  den  Hellespont  zu  ergiessen,  während  ein  zweiter  Arm  ganz 
die  frühere  Richtung  des  Dümbrek  verfolgend,  in  nordwestlicher  Richtung  dein  Mendere  zueilt, 
jedoch  ohne  sich  mit  diesem  zu  vereinigen,  vielmehr  theilt  er  sich  unfern  von  dessen  Mündung  in 
mehrere  stagnirende  Arme,  die  sich  dann,  ohne  den  Hellespont  zu  erreichen,  in  Sümpfe  und  tiefe 
Lachen  verüeren. 

Hiemit  ist  das  Wasser  -  System  auf  der  rechten  Seite  des  Mendere  möglichst  kurz  dargelegt, 
und  ganz  absichthch  haben  wir  uns  jeder  desonderen  Schlussfolgerung  bis  dahin  enthalten ;  der  Beschauer, 
gleichviel  ob  er  seinen  Standpunkt  auf  dem  oben  beregten  Ujek-Tepe,  oder  auch  auf  der  Höhe  Baalih 
einnimmt,  vdrd  bei  ruhiger  Betrachtung  der  zu  seinen  Füssen  sich  ausdehnenden  Ebene  finden,  dass  hier 
keine  durch  die  Natur  selbst  geschatt'enen  Verhältnisse  vorliegen,  sondern  dass  ein  genau  zusammen- 
hangendes, von  einem  bestimmten  Punkte  ausgehendes  und  nacli  und  nach  die  ganze  Ebene 
umfassendes  künstliches  Entw  ässerungssystem  durchgeführt  ist;  dies  nachzuweisen,  ist  die  Aufgabe 
der  nachstehenden  Blätter. 

§  -2. 
Die  künstliehe  Entwässerung  der  Troisehen  Eheue. 

Plato  stellt  in  seinen  Büchern  über  die  Gesetze  (HI,  p.  70  sqq.  nach  der  Uebers.  von  Hier. 
Müller)  die  Ansicht  auf,  dass  in  den  einzelnen  zwischen  den  grossen  Iu*düberschweinmungen  der 
Urzeit  liegenden  Intervallen  sich  verschiedene  Culturstufen  des  wiedererstandenen  Menschengeschlechts 
nachweisen  lassen.  Er  findet  deren  im  Ganzen  drei,  nämlich  die  erste,  wenn  die  Menschen,  durch 
die  Flutlien  selten  geworden,  auf  den  höchsten  Gebirgen,  wo  sie  Zuflucht  gefunden,  hausen;  die 
zweite,  wenn  sie,  sich  vermehrend,  in  die  trocken  gewordeneu  Bergabhänge  niedersteigen,  und  die 
dritte,  wenn  sie  in  den   der  Cultur  zurückgegebenen   Ebenen   sich   niederlassen.     Der  Philosoph 

*)  Osmak,  d.  i.  Abzugsgraben. 


il 


begründet  seine  Ansicht  aus  Homer  und  führt  fiir  die  erste  Stufe  die  allein  hausenden  und  über 
die  Ihrigen  nach  freier  Willkür  gebietenden  Cyclopen  an;  cf.  Od.  IX,  112,  sqq. 

Dort  ist  weder  Gesetz,  noch  Rathsversammlung  des  Volkes, 
Sondern  all'  umwohnen  die  Felsenhöhn'  der  Gebirge 
Rings  in  gewölbten  Grotten,  und  jeglicher  richtet  nach  Willkür 
Weiber  und  Kinder  allein,  und  Niemand  achtet  des  Andern. 

Für  die  zweite  und  dritte  Stufe  entnimmt  er  die  Beweise  aus  den  Verhältnissen  des  alten  Ilion  und 
bezieht  sich  ebenlälLs  auf  den  Dichter;  die  zweite  nämlich  ist  ihm  die  Zeit  unter  Dardanos,  als 
Zeus,  des  Dardanos  Erzeuger,  Dardania  gründete  (cf.  Ihad.  XX,  21 G),  und 

noch  nicht  stand  Ilios  heilige  Veste 
In  der  Ebene  Gefild,  bewohnt  von  redenden  Menschen, 
Sondern  am  Abhang  wohnten  sie  noch  des  quelligen  Ida. 

Die  dritte  endlich  ist  das  Zeitalter  des  Ilos,  des  Erbauers  von  Ilion,  dessen  Grabmal  in  der  Ebene 
gezeigt  wurde;  cf.  II.  XI,  1G6,  sqq. 

Ist  es  nun,  namentlich  was  die  beiden  letzten  Stufen  anbetrifft,  durchaus  nicht  nötliig,  mit 
Plato  an  grosse  voraufgegangene  E^eberschwemmungen  zu  denken  und  in  ihnen  die  Veranlassung  zu  dem 
thatsäclilichen  Verhältniss  zu  finden,  so  ist  letzteres  nichtsdestoweniger  vollkommen  richtig;  die  Troische 
Ebene  war  eine  uranfongs  unbewolmbare  und  darum  unl)ewohnte  Niederung,  während  südlich  von 
ihr  die  Hochebene  von  Bairamitsch  und  östlich  die  von  Dardania  längst  ihre  Bewohner  hatten:  diess 
ergiebt  sich  aus  der  physischen  Beschafienheit  der  Gegend  mit  solcher  Gewissheit,  dass  es  keines 
weiteren  Beweises  bedarf.  Erst  mit  dem  weiteren  Vorrücken  der  Bewohner  in  die  Niederung  muss 
auch  die  Trockenlegung  und  E^rbarmachung  der  Ebene  ihren  Anfang  genommen  haben  und  diess 
geschah  sofort  nach  der  Erbauung  des  alten  Ilion. 

Die  Versumpfung  der  Ebene  selbst  wurde  nun  allerdings  hauptsächlich  durch  die  rings  von 
allen  Hr>hen  hinabfliessenden  Bäche  und  Flüsse  hervorgebracht;  indessen  würden  alle  diese  Gewässer 
mittelst  des  dnrch  die  tiefere  Thalmulde  fliessenden  Hauptstromes  sofort  in  das  Meer  abgeführt  worden 
sein,  wenn  nicht  P^inflüsse,  welche  bei  dem  Einmünden  grosser  Stnime,  besonders  aber  reissender 
Bergwasser  in  das  Meer,  einzutreten  pflegen,  sich  auch  hier  geltend  gemacht  hätten  und  dem  Abfluss 
des  Wassers  hemmend  entgegen  getreten  wären.  Ein  Blick  auf  die  heutige  Mündung  des  Mendere 
genügt,  um  die  Ueberzcugnug  zu  gewinnen,  dass  die  seit  unvordenklichen  Zeiten  stattgefundenen 
Niederschläge  die  ganze  Bucht  zwischen  dem  Sigeischen  und  Rhöteischen  Vorgebirge  mit  Sand  und 
Geröll  ausgefüllt  haben;  diess  beweist,  ganz  abgesehen  von  schon  im  Alterthum  gemachten  Wahr- 
nehmungen (cf.  Herod.  H,  c.  10.  Strab.  XIII,  paL*;.  lo:{.  loO.  Tauchn.),  das  noch  heutigen  Tages 
nöi'dlich  vom  Sigeum  aus  dem  Dünensaiide  aufragende  ursprüngliclie  Meeresufer,  ferner  die  spitz  in 
das  Meer  hinausgeschobene  Landzunge,  über  die  der  Mendere  sein  seichtes  Gewässer  im  breiten 
Bette  dahinströmen  lässt,  sodann  die  vielen  Sümpfe  und  Lachen  am  deltaartig  gestalteten  Rande  der 
Bucht,  und  endlich  der  von  Salztheilen  durch  und  durch  geschwängerte  Strand  selbst.  Der  letztere 
Umstand  ist  von  entscheidender  Wichtigkeit.  Denn  es  kann  daraus,  wie  es  an  vielen  andern  Punkten 
der  Erde,  z.  B.  in  der  heutigen  Gegend  nördhch  von  Odessa  zulässig  ist,  nicht  gefolgert  werden, 
dass  einst  das  Meer  selbst  über  den  Strand  hinweggegangen  sei  und  ihn  bedeckt  habe,  weil  dann 
die  ganze  Troische  P^bene  überfluthet  sein  und  sich  dieselbe  Erscheinung  bis  an  die  Vorberge  des 
Idii  hin  darbieten  würde,  was  eben  nicht  der  Fall  ist,  wohl  aber,  dass,  da  das  Salz  gegenwärtig  die  Bucht 
eine  volle  Viertelmeile  landeinwärts,   aber  eben  nicht  weiter,   durchdringt,   das  Meer  selbst  einstmals 


^ 


ebenso  weit  gebrandet  hat  und  erst  nach  und  nach  im  Laufe  der  Jahrtausende  in  Folge  der 
Versandung  der  Bucht  eine  ganze  Viertelraeile  von  derselben  zurückgewichen  ist  und  also  den 
Salzgehalt ''im  Sande  zurückgelassen  hat.  Indessen  ist  damit  eine  zeitweise  Uebertluthung  des 
Strandes  durch  Sturmfluthen  nicht  gänzlich  ausgeschlossen;  es  muss  eine  Zeit  gegeben  haben,  in 
welcher  noch  vor  der  Bildung  des  Dünendammes,  theils  nach  dessen  alhnähger  Entstehung  das 
Meerwasser  auch  in  die  Niederung  selbst  durch  Sturmfluthen  eingedrungen  ist,  und  es  müssen  dadurch 
unfehlbar  jene  todtbringenden  Miasmen  in  der  ganzen  Ebene  entstanden  sein,  welche  wir  noch 
heutigen  Tages  in  den  Toscanischen  Marcmmen,  in  den  Pomptinischen  Sümpfen  und  in  den 
Morästen  oberhalb  Bonas  in  Nordafrica  vorfinden;  denn  in  die  Niederungen  eindringendes  Meerwasser 
erzeugt' alldort  stagnirend  tödtliche  Fieberluft.  Wenn  sich  nun  hievon  keine  Spur  in  der  Ebene  seit  Jahr- 
tausenden nachweisen  lässt,  so  folgt  hieraus,  dass  der  die  Natur  überall  bezwingende  Mensch  auch 
hier  nach  vielleicht  langem  und  schwerem  Hingen  alle  Hindernisse  überwunden  und  die  Ebene  selbst 
in  eine  völlig  gesunde  und  blühende  Oase  verwandelt  hat. 

Hier  tritt   nun   die  Frage   Aon   sell)st   an  uns   heran,   von    welchem  Punkte   aus   die    ersten 
Bewohner   in   die    Ebene    eingetreten   sind;    dass   diess   weder   von    Westen   noch    von    Norden   aus 
geschehen,  liegt  des  Meeres  wegen  klar  zu  Tage;  weniger  entschieden  dürfte  die  Piichtung  von  Süden 
aus,  also  dem  Mendere    entlang,    zurückzuweisen  sein;   indessen  ein  Blick  auf  die  Karte    genügt,    um 
das  Eindringen  von  Osten  her  als  allein  richtig  anzuerkennen,  weil  es  durchaus  unglaublich  ist,  dass 
die    ei-sten  Völkerzüge   von  Süden  her   über  das   hohe  und   steil    in   den  Adramytteischen  Busen  ab- 
fallende Idagebirge  in  die  Hochebene  von  Bairamitsch  und  so  weiter  nach  Norden  zu  herabgestiegen 
sind;  ^-ielmehr  kann  auch  die  ebengenannte  Ebene  ihre  ersten  Ansiedler  nur  von  Osten  her  erhalten 
haben,  indem  diese  sich  um  den    hufeisenförmigen  Höhenzug  der  Idäischen  Vorberge    herumschoben; 
der  Hauptstoss  dagegen  muss  unl)edingt  auf  jenem  oft  genannten  Bergrücken  erfolgt  sein,  welcher  sich 
m  Form  ehies  spitzwhddigen  Dreiecks  mitten  in  die  Troische  Ebene  von  Osten  her  hineinschiebt  nnd  diese 
in  das  Mendere-Thal  und  Dümbrek-Thal  theilt;  die  westliche  Spitze  jenes  Dreiecks  ist  die  Stelle,  wo 
nach  allen  alten  Angaben  Neu-Ilion  lag  und  noch  heutigen  Tages  in  seinen  Pvesten  gefunden  wird. 
Wir   unterlassen  es,   aus   dieser  Betrachtung   vorerst   weitere  Folgerungen  zu   ziehen:    indess 
können   wir   nicht   umhin,    schon   hier   auf  die    wunderbare    Uebereinstinmmng   hinzuweisen,    welche 
zwischen  jenem  inmitten  einer  ungesunden  Niederung  gelegenen  Punkte  und  dem  ewigen  11  om  hervor- 
tritt.    Auch   dieses    war   auf  dem    nur   durch   eine   schmale  Landzunge   mit   den   östlich   gelegenen 
Esquihen  verbundenen  M.  Palat in us  gegründet  und  war  rings  von  Morästen  umgeben,  welche  durch 
die  von  den  Höhen  herabrauschenden  Gewässer,  mehr  aber  noch   durch  die  bei  starken  Sturmfluthen 
mittelst  der  Tiber  bis  zur  Stadt  aufgestaueten  IMcereswogen  gebildet  wurden  und  hier  in  Folge  des  Meer- 
wassers jene  tödtlichcn  ]\Iiasmen  aushauchten,  von  denen  die  Bömischen  Schriftsteller  nicht  genug  zu  sagen 
wissen,  während  die  Höhen  selbst,  da  die  böse  Luft  durch  ihre  Schwere  tief  über  dem  Boden  zu  ruhen 
pflegt,' den  gesundesten  Aufenthalt  boten,  wesshalb  Cicero  (de  rep.  II,  c.  6)  mit  Hecht  sagen  konnte, 
Bomulus   habe  in   weiser  Einsicht  die  Stadt   inmitten   einer  pestathmenden  Gegend  dennoch  an    voU- 
konnnen    gesunder  Stelle    erbaut.     Und   wie    der  Palatinus   uranfänghch   durch    seine  Umgebung   ein 
Zufluchtsort  für  ein  gewaltthätiges   cyclopenstarkes  Gesindel   war.   welches   erst   im  Laufe   der  Jahre 
durch  Bauten,   die   noch    heute   das  Staunen   der  Nachwelt   erregen,    die   ungesunde  Stätte    in    einen 
wohnUchen  Aufenthalt  verwandelte,  so  haben  auch  die  ersten  Bewohner  jener  genannten  Höhenspitze 

um  vorerst  weiteren  Vermuthungen  unsererseits  nicht  Piauni  zu  geben,  —  die  Troische  Sumpfebene 

in   eine   gesunde   blühende   Landschaft   umgeschafien   und   zwar   durch   Trockenlegung   mittelst 
Abzugscanäle  und  durch  Regulirung  des  Hauptstromes. 

Diess  ergiebt  sich  ganz  bestimmt  zunächst  aus  einer  eingehenden  Betrachtung  des  Kahfatli-Osmak, 
welcher   sich   unmittelbar   am   westüchen  Fusse   der  oft   erwähnten  Höhenspitze  hinzieht   und   somit 


_     y    

von  den  ersten  Bewohnern  derselben  vornehmhch  in  Betracht  gezogen  werden  musste.  Dieser  Osmak 
hat  nach  Forchhammer  p.  11  „ein  tiefes,  sehr  scharf  begränztes  Bett  vom  Djudan  bis  an  seine 
Mündung.  Im  August  füllt  das  Wasser  des  Djudan  den  Osmak  nur  etwa  bis  eine  Viertelmeile 
vom  See.  Weiter  abwärts  ist  das  Bett  desselben  an  vielen  Stellen  trocken  und  am  Boden  mit 
Binsen  und  Gesträuch  bewachsen,  an  andern  findet  sich  stehendes  Wasser.  Der  obere  Theil  des 
Osmak  ist  kenntlich  an  Bäumen  und  Gebüsch,  welche  am  Ufer  entlang  das  Bett  begränzen.  In  der 
untern  Ebene  entdeckt  num  ihn  oft  erst,  wenn  man  unmittelbar  an  dem  Rand  des  steil  abgeschnittenen 
Ufers  steht.'*  Nach  dieser  sein*  deuthchen  Beschreibung  unterliegt  es  keinem  Zweifel,  dass,  da  der 
Djudan  gleichsam  ein  Sammelteich  ist,  der  nur  momentan  zu  einem  grossen  See  anschwillt,  die  aus 
ihm  nach  eingetretener  Ueberfüllung  wiederabfliessenden  Gewässer  ganz  gleichmässig  sich  dorthin,  wo 
sie  das  nöthige  Gefäll  finden,  zurückziehen  und,  sobald  dieses  aufhört,  in  ihrem  Becken  ruhig  stehen 
bleiben  und  somit  ganz  ausser  Stande  sind,  ein  so  tiefes  und  scharfbegränztes  Rinnsal,  wie 
das  des  Osmak  ist,  von  selbst  zu  bilden.  Diess  kann  nur  durch  Menschenhand  geschehen  sein,  und 
der  Kalifatli-Osmak  ist  nichts  weiter,  als  ein  tiefer  Graben,  angelegt  um  den  überfüllten  Djudan 
nach  Norden  zu  vorerst  in  das  Dümbrek-Thal  abzuleiten.  Hier  vereinigt  er  sich  mit  dem  jenes 
Thal  durchfliessenden  Dümbrek  -  Tschai  oder  Dürabrek-Su  und  zwar  an  dem  Punkte,  wo  er  plötzhch 
nach  Westen  umbiegt,  so  dass  genau  genommen  der  Osmak  von  dem  weiter  westlich  dahinströmenden 
Dümbrek-Su  aufgenommen  wird,  bis  plötzlich  ein  künstlicher  Canal  ihn  wieder  nach  Norden  ablenkt 
und  ihn,  nachdem  er  noch  einen  am  Südrande  des  Rhöteischen  Hügelrückens  hinfliessenden  Bach, 
welchen  Forchh.  p.  12  den  In-Tepe-Osmak  nennt,  aufgenommen,  in  einem  breiten,  zu  beiden  Seiten 
von  hohen  und  steilen  Ufern  eingefassten  Bette  dem  Hellespont  zuführt;  jenes  Bett  bildet  an 
der  Mündung  die  vorerwähnte  hafenähnliche  Bucht,  genannt  der  dunkle  Hafen,  Karanlik- 
Liman.  Dieser  Osmak  hat  in  seinem  nördlichen  Tlieile  zu  allen  Zeiten  fliessendes  Wasser  und  ist 
ausser  dem  Mendere  das  einzige  Gewässer,  welches  sich  in  den  Hellespont  ergiesst.  Der  eben  erwähnte, 
den  Kalifatli  -  Osmak  wieder  aufnehmende  Canal  und  die  weiteren  hohen  und  steilen  Ufer  beweisen, 
dass  dieser  ganze  nördliche  Theil  des  Osmak  auf  künstlichem  Wege  beschafft  worden  ist,  aus  dessen 
stets  fliessendem  Wasser  sich  zugleich  ergiebt,  dass  der  ganze  Osmak  von  Djudan  bis  zum  Meere 
eigentlich  aus  zwei  Strecken  besteht,  von  denen  die  südliche  den  Djudan  ins  Dümbrek-Thal  zum 
Dümbrek-Su,  und  die  zweite  nördliche  die  Djudan-  und  Dümbrek-Gewässer  gleichsam  vereint  in  den 
Hellespont  zu  führen  hat;  was  davon  nicht  durch  die  zweite  Strecke  abgeführt  wird,  fliesst,  wie  oben 
§.  1  angegeben  ist,  westlich  langsam  weiter,  wird  stagnirend  und  verliert  sich  in  Sümpfe  und  Lachen. 
Hiemit  war  die  Entwässerung  der  rechten  Seite  des  Mendere  und  zugleich  des  Dümbrek- 
Thales  geregelt;  der  Karanlik-Liman  war  der  Seehafen  der  Troischen  Ebene.  Allein  von  Erfolg 
konnte  diese  Arbeit  so  lange  nicht  begleitet  sein,  als  die  Regulirung  des  Mendere  selbst  noch  nicht  statt- 
gefunden, da  dieser  durch  seine  Ueberschwemmungen  die  Versumpfung  vorzugsweise  herbeiführte. 
Wenden  wir  uns  also  zu  ihm,  so  finden  wir,  dass  er  nach  seinem  Austritt  aus  der  Felsenschlucht  bei 
Baahh  sofort  von  8  — 12  Fuss  hohen  und  steilen  Ufern  eingefasst  und  in  ihnen  bis  zu  seiner 
Mündung  in  den  Hellespont  fortgeleitet  wird.  Bedenkt  man  nun,  dass  der  Mendere  ein  vom  hohen 
Gebirge  nach  verhältnissmässig  kurzem  Laufe  herabrauschender  wilder  Bergstrom  ist,  der  auch  in 
der  P^bene  nicht  sofort  seine  Wildheit  verliert,  so  ist  es  zwar  möghch,  dass  er  in  dem  Erdboden 
sich  tiefe  Rinnsale  wühlte,  aber  ganz  unmöglich  ist  es,  dass  er  zu  beiden  Seiten  8 — 12  Fuss  holie 
Mauern,  die  nach  der  Ebene  wieder  abschüssig  abfallen,  auibauete.  Im  Gegentheil,  sie  beweisen,  dass  der  Fluss 
ebenfalls  nur  durch  Menschenhand  eingedeicht  und  ihm  dadurch  ein  gleichsam  künstlich 
gegrabenes  Rinnsal  angewiesen  worden  ist;  und  erst  damit  war  die  Entwässerung  der  Ebene  rechts 
vom  Strome  vollendet.  Dieser  floss  nunmelir  in  gewöhnhchen  Zeiten  bald  als  seichtes  Bächlein,  bald  als 
voller   „wirbelnder"  Fluss  dahin,   ohne    über   seine  Ufer  zu   treten,   und  nur  zur  Zeit  der  Winter- 


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Wasser  oder  auch  ungewöhnlicher  Stuizregen  trat  er  aus  und  überschwemmte  die  anhegenden  Gefilde. 
Letzteres  ist  bis  zum  heutigen  Tage  offensichtlich  ein  wahrer  Segen  für  die  Ebene  selbst  geworden; 
der  wilde  Bergstrom  führt  ausser  Geröll  und  Bergsand  auch  aus  der  fruchtbaren  Hochebene  von 
Bairamitsch  eine  grosse  Masse  aufgelösten  Lehms  mit  sich,  der  das  Wasser  schmutziggelb  färbt,  und 
während  jener  durch  seine  Schwere  im  Flussbette  zurückbleibt  und  also  dasselbe  bis  heute  um 
mehrere  Fuss  erhöhet  hat,  ist  die  ganze  Niederung  nach  und  nach  durch  die  lehmigen  Niederschläge 
in  den  fettesten  Lehmboden  verwandelt  worden;  die  Cultur  hat  Zutritt  erhalten  und  vor  ihr  sind, 
wie  überaU,  wo  der  fleissige  Mensch  den  Boden  bebauet,  die  uranHinglichen  Miasmen  völhg  geschwunden 
und  haben  einer  sehr  gesunden  Luft  Platz  gemacht,  so  dass  nur  der  salzdurchdrungene  Nordrand 
—  vielleicht  aus  guten  Gründen  —  öde  und  unfruchtbar  geblieben  ist. 

Endhch  ist  die  hnke  Seite  des  Mendere  mit  wenigen  Worten  nochmals  zu  berühren,  über  deren 
heutige  Beschaffenheit   bereits  im  vorigen  §.  das  Notlüge   beigebracht  worden  ist;   sie  selbst  aber  ist 
von  solcher  Wichtigkeit  im  Einzelnen,   dass,   wenn  über  die  Zulässigkeit   des  Obigen  noch  irgend  ein 
Zweifel   obwalten   könnte,   die  aus  ihr  sich   ergebenden  Resultate  die  Richtigkeit  des  Ganzen  bis  zur 
völhgen  E\idenz  erhärten  würden.   Es  ist  in  ^.  l  des  Sumpfes  Lisgar  gedacht  worden,  der  nach  Emdeichung 
des  Mendere  sowohl  dessen  Gewässer  bei  den    eintretenden  Ueberschwemmungen  desselben,   als  auch 
die    stets    Messenden    des    Bunarbaschi  -  Su    aufnehmen   musste.      Um    sie   abzuleiten    und   die  Ebene 
trocken  zu  legen,  ist  von  ihm  aus  ein  lUO  Fuss  tiefer  am  südhchen  Fusse  des  heutigen  St.  Demetrius- 
Hügel  (Hagios-Demetrios-Tepe)  sich  hinziehender  Graben  mitten  durch  den  am  Aegäischen  Meere 
hinlaufenden  Höhenzug  gegraben  und  hie  und  da  sogar  durch  hartes  Gestein  gesprengt  worden,  den 
die   Umwohner   noch  heut  Chandaki   nennen.     Ob  dieser  zur  Zeit   seiner  Anlegung   bei  den  höher 
stehenden  Fluthen  der  Ebene  vielleicht  einigen  Nutzen  gewährt  habe,   ist  zweifelhaft,  doch  immerhin 
möghch;    allein    um    seinen    eigentlichen   Zweck    zu    erfüllen,    nänüich    die    hnke    Seite    am   Mendere 
völhg   trocken  zu    legen,   ist  er   offenbar  nicht    ausreichend   gewesen,  weil,    wenn  man  ihn,   wie  doch 
nöthig  war,  wegen   des  tief   gelegenen  Lisgar  unter  dem  Niveau  der  Ebene  hätte  anlegen  wollen,   er 
den    Gewässern    derselben    dennoch    keinen    AbHuss,    sondern    vielmehr    den    mächtigen    Wogen   des 
Aegäischen   Meeres   ein  Hineinströmen    in    die    Ebene    selbst    gewährt   haben    würde.     Daher   ist   er 
gewiss   schon  in   uralter  Zeit   wieder   aufgegeben   worden   und   seine  Sohle  hat  sich   nach  und   nach 
durch  Schutt  und  Erde  um   lö  Fuss    erhöhet.     Vollständig   dagegen    wurde  der   beabsichtigte  Zweck 
erreicht  durch  die  Anlegung  eines  neuen  Canals,  der  unbedingt  nur  nach  jenem  gegraben  sein  kann; 
die  Gewässer  der  Bunarbaschi -Quellen  nämlich,  die  sich  vorher  in  die  hnke  Ebene  ergossen,  wurden 
durch  einen  hoch  am  Nordrande  des  oft  genannten  Höhenzuges  in  vielfachen  Krümnumgen  hinlaufenden 
Graben    zuerst    in    eine    Einsenkung   jenes  Höhenzuges   hineingeleitet,    in    welcher    Forchhammer   ein 
zweites    Thor    der    Ebene    gefunden    hat,    sodann    westlieh    dem    Aegiiischen    Meere   zugeführt,    und 
hiedurch    endlich    die    Ebene    selbst    entwässert.      Dass    dieser   Graben    ebenso   wie   der   obige   ein 
künstliches  Werk  ist,  beweist  der  Umstand,  dass  er  in  der  gedachten  Einsenkung  mitten  durch  den 
Felsen   hindurchgehauen   ist.     Forthin   trat   dieser  Bach   nur  bei    aussergewöhnhchen  Witterungs- 
verhältnissen   über   seine  Ufer;    das  Wasser  sammelt«  sich  dann  im  Lisgar  und  fioss  von  hier  wieder 

in  den  Mendere  ab. 

Aus  dem  Gegebenen  geht  unwiderleglich  hervor,  dass  nur  Menschenkräfte  die  primitive 
Sumpfebene  der  Cultur  zugänglich  gemacht  und  zu  gesunden  Wohnsitzen  umge- 
schaffen haben.  Indessen  was  in  aller  Welt  hat  die  ersten  Bewohner  jener  Gegend  bestimmen 
können,  gerade  eine  ungesunde  nur  wenige  Quadratmeilen  umfassende  Niederung  mit  Aufbietung 
ungewöhnlicher  Mühen  und  Arbeiten  in  ein  fruchtbares  Gefilde  zu  verwandeln,  da  doch  anderweitig 
an  culturfähigem  Boden  nirgends  Mangel  war?  Die  Frage  beantwortet  sich  von  selbst;  im  ganzen 
Alterthum   sind   erste  Niederlassungen  nur  an  solchen  Orten  gegründet   worden,   welche   den   neuen 


Ansiedlern  ausreichenden  Schutz  des  Lebens  und  des  Eigenthums  gegen  äussere  Feinde 
gewährten;  verband  sich  damit  eine  culturfihige  Landschaft,  so  ent^N-ickelte  sich  nach  und  nach 
durch  Ackerbau  und  Viehzucht  eine  friedliche  Bevölkerung;  wo  nicht,  musste  der  Lebensunterhalt 
aul  andere  Weise  erworben  werden  und  fremdes  Eigenthum  galt  als  vogelfrei.  Also  sind  fast  alle 
grössern  Städte  des  Alterthums  entstanden,  thoils  inmitten  fruchtbarer  Fluren  am  Fusse  unzugäng- 
licher Anhöhen,  wie  Theben,  Argos  und  Athen,  theils  in  schwer  erreichbaren  Schlupfwinkeln,  wie 
Rom  und  —  die  Stadt  in  der  Troischen  Ebene.  Die  Wahl  der  letzteren  beweist  deutlicher  als  alles 
Andere,  dass  keineswegs  eine  fleissige  Landbevölkerung  sich  die  Niederung  zum  Wohnsitz  gewählt 
hat,  sondern  dass  persönliche  Sicherheit  die  Triebfeder  dazu  gewesen  ist;  dieselbe  Rücksicht  aber 
musste,  nachdem  um  der  Miasmen  willen  die  Ebene  trocken  gelegt  war,  auch  noch  fernerhin 
obwalten,  und  hiedurch  findet  ein  Punkt  in  der  Ebene,  der  sämmtlichen  Forschern  mit  Ausnahme 
des  Alles  beobachtenden  Forchhammer  entgangen  oder  als  ganz  unwesentUch  bei  Seite  geschoben 
ist,  eine  befriedigende  Erklärung  und  erweist  sich  zugleich  von  hervorragender  Wichtigkeit.  Un- 
mittelbar nach  seinem  Hervorbrechen  aus  der  Felsenschlucht  bei  Baahh  nimmt  der  Mendere  von  Osten 
her  den  Kimar-Su  auf,  wodurch  in  der  rechts  gelegenen  Ebene  ein  nach  Nordost  geöffneter  Winkel 
gebildet  wird;  in  diesem  Winkel  befindet  sich  in  etwas  nördUcher  Richtung  bei  einem  kleinen  Gehölz, 
Baaluk  genannt,  ein  Sumpf,  in  welchem  zwei  alte  Canalbetten,  das  eine  vom  Kimar-Su,  das  andere  vom 
Mendere  ausgehend  einmünden.  Beide  haben  heute  keinen  weiteren  Zweck;  allein  der  Augenschein 
lehrt,  dass  sie  vormals  von  grosser  Bedeutung  gewesen  sein  müssen.  Sie  haben  nämüch 
dazu  gedient,  die  trocken  gelegte  rechte  Ebene  jeden  Augenblick  bei  jeder  her- 
annahenden Gefahr  wieder  unter  Wasser  zu  setzen,  wozu  einerseits  die  Oeffnung  jener 
Canäle  in  die  Niederung  und  die  Abdämmung  des  Mendere  etwas  nördlich  von  denselben,  anderer- 
seits die  Verstopfung  des  Kalifatli  -  Osmak  unmittelbar  nach  seinem  Ausfluss  aus  dem  Dümbrek-Su 
genügten,  um  in  ganz  kurzer  Zeit  die  ganze  rechte  Seite  am  Mendere  in  einen  See  zu  verwandeln; 
dadurch  war  die  auf  dem  westlichen  Ausläufer  des  mittleren  Bergrückens  gelegene  Stadt  auf  drei 
Seiten  vollständig  geschützt  und  hatte  nur  noch  nöthig  sich  gegen  von  Osten  kommende  Angriffe 
zu  vertheidigen ;  ein  Abfluss  der  Gewässer  war  nicht  möglich,  da  die  Eindeichung  des  Mendere  jede 
Aufnahme  derselben  in  das  Strombett  hinderte,  und  die  aus  dem  Dümbrek-Su  weiterfliessenden 
Wasser  nach  Verstopfung  des  Kalifxth  -  Osmak  das  Meer  nicht  erreichten,  sondern  in  ihren  Sümpfen 
stehen  bheben.  — 

Sämmtliche  hier  vorgetragenen  Resultate  ergeben  sich  mit  untrüglicher  Gewissheit  aus  einer 
unbefangenen  Betrachtung  der  Ebene  und  ihrer  Wasserverhältntsse,  wie  sie  noch  heutigen  Tages 
beschaffen  sind;  diese  allein  haben  volle  und  unbedingte  Beweiskraft  und  lassen  alle  geschriebenen 
Zeugnisse  völlig  zurück;  den  Hauptbeweis  aber  hefern  sie  dafür,  dass  die  ganze  Troische  Ebene, 
mit  Ausnahme  der  etwas  weiter  in  den  Hellespont  vorgeschobenen  Mendere-Mündung, 
von  dem  Tage  an,  wo  das  ganze  Stromsystem  vollendet  w^ar,  bis  zum  gegenwärtigen 
Augenblick  ganz  unverändert  dieselbe  geblieben  ist.  Nach  diesem  Satze  müssen  alle 
Angaben  der  Schriftsteller,  also  auch  die  des  Homer  beurtheilt  werden;  entweder  finden  sie 
ihre  Bestätigung  oder  sie  sind,  falls  sie  abweichen,  unbedingt  zu  verwerfen. 

§.  3. 
Die  Namen  der  Flüsse  im  Altertlium. 

Wir  haben  es  in  dem  Voraufgehenden  mit  Vorbedacht  vermieden,  irgend  ein  Gewässer  der 
Ebene  mit  einem   andern  Namen  zu  benennen,   als  den  es  noch  heutigen  Tages  führt;    es  war  diess 


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nothwendig,  um  nicht  störend  in  den  ruhigen  Gang  der  Untersuchung  einzugreifen     Zunächst  steh     un 
so  viel  fest   dass,  wenn  der  Dichter  der  Iliade  das  Local  aus  persönlicher  Anschauung  gekannt  und 
demgemäs;  treu   wiedergegeben  hat,   sich  das   heutige  Flusssystem  bei  ihm   muss  nachweisen  lassen; 
wo  nicht.  da.s  er  entweder  die  Gegend  mit  eignen  Augen  niemals  gesehen,  oder  dass  er  den  Ort 
der  Handlung,  der  aus  dem  Volksmunde  ihm  aus  einer  Urzeit  zustromenden  Sage  gemäss   sich  nach 
ner  Phantasie   zurechtgelegt  hat,  ohne  sich  um  die  Gegenwart  irgendwne  zu   bek»m-nen>   - 
dass  wenn  in  Hauptsachen  hie  und  da  Uebereinstimmung  herrscht,  d.ess  mehr  /u  all  als  Absicht  ist. 
Der  Hauptfluss  der  Ebene,   der  Mendere  ist  bis  auf  die  neueste  Zeit  für  identisch  mit  dem 
alten  Scamander  gehalten  worden  und  kein  Zeugniss  des  Alterthums  von  Demetmis  aus  Skepsis  a^ 
der  persönlich  die  Ebene  durchforscht  und  in  2(.  Büchern  sehr  eingehend  beschrieben  hat   giebt  eine 
davon  abweichende  Kunde.    Erst  Forchhamn.er  hat  nach  dem  Vorgange  von  Lechevalier  alle  Angaben 
der  Schriftsteller   verworfen   und   in   dem  Mendere  den   homerischen  Simois   wieder   gefunden;  und 
auf  seine   Auetoritat   hin   hat   auf    neueren  Karten   der    .alten   Welt    der   Scamander   dem   Simois 
weichen  müssen.     Wir  unterlassen  es.  jene  Angaben,   welche   bereits  ITlnchs  m  seiner  Schritt    Leber 
die  Lage   Troias"   ^cf  Rhein.  Mus.,   HI.  .Jahrg..   p.  578   s.,q.^   sorgfaltig  zusammengestellt   hat    hier 
„mständhch   zu   wiederholen,   können   aber   nicht  umbin,   die   Behauptung   Lechevahers   und  Forch- 
hammers   für  einen  Act  der  Willkür  zu   erklären,   der  in  der  Kritik  alter  \  erhiiltnisse   kaum  seines 
Gleichen   haben  dürfte.     Schon  der  heutige  Name  Mendere.  wel.lur  völlig   identisch  mit  Scam.ander 
ist,   hätte  dagegen   warnen   sollen.     Denn  Mendere   ist   eben   nichts   anderes,   als  die  türkische  Um- 
formung des   alten  Namens,   die   nach  Weglassnng  der  ersten  Silbe   gerade   eben  so   entstanden  ist, 
wie  aus  Constantinopolis  im  Munde  der  Türken  Stambul  sich  bildete.     Nimmt  man  hinzu,  dass, 
als  die  Türkischen  Eroberer  sich  vor  so  und  so  viel  .Tahrhunaerten    zuerst  in   oener  Gegend   sesshaft 
machten,   sie   eben  den  Namen  Mendere   nicht   neu  mit   sich   gebracht,   sondern  ihn  im  Volksmunde 
als  Scamander  vorgefunden   haben,   so   ergiebt  sich  mit  Sicherheit,   dass   der   Huss   den   letzteren 
Namen  von   der  Urzeit   an   geführt  hat.     Ebenso   hat  ihn  auch  Homer   genannt:   er  beschreibt   den 
Scamander  ..Is   den   Hauptüuss   der   Ebene   und   lässt   ihn   von   den  Höhen    des   Ida   hera  .kommen 
aiiad    XII    V    M);   eben    daselbst    aber   hat    auch    der   Mendere    seine   Quelle.     \on  Wichtigkeit  ist 
feriier  eine  weitere  Bemerkung  des  Dichters,  dass  die  Götter  den  Strom  Xanthos  nannten,   bei  .len 
Menschen  jedoch  heisse  er  Scamandros  .cf.  lUad.  XX.  741   Wenn  nun  jenes  eben  nichts  Anderes  besagt, 
als  dass  derFluss,  wenn  er  bei  Anschwellungen  mit  seinen  schmutziggelben  Wogen  wild  emherrauscht, 
an    und    für    sich    ein    Werk    der    Götter    sei.    da    der    unsterbliche   Zeus    selbst    ihn    geschaffen 
(cf  Ihad   XXI    •>),  so  liegt   hierin   die  ganz   bestimmte  .\ndeutung.   dass  an  ihm.   wie  er  m  die  Er- 
scheinung tritt."Menschenhände  betheiligt  gewesen  sind.   Und  so  ist  es  in  der  Th.at.   Wir  ennnem 
an   den  Kampf   des  Achilles    mit  Asteropaeus:    hier    zeichnet  uns  der  Dichter  den  btrom   mit   seinen 
hohen   ulmenbewachsenen  Ufern  illiad.  XXI.  18),  welche  nach  der  Ebene  zu  so  abschüssig  abtallen, 
dass  der   Speer,    welchen   Achilles    über    seinen    vom    Flusse    her    auf   ihn   losstürmenden   (,egner 
,ibid    144)   hinwegschleudert,   bis  zur  Hälfte  in   das   hohe  (Ilia.l.  ib.  17U  Ufer  selbst  eindringt   und 
von  letzterem,  der  nach  Abwerfung  der  eignen  beiden  Speere  (ib.  164  s,,q.)  waffenlos  geworden    mit 
Aufbietung  aller  Kraft  nicht  herausgezogen  werden  kann,  ein  Hergang,  welcher  nur  bei  einem  durch 
Eindeichung  erhöheten  Ufer  möglich,  auf  ebenem  Boden  dagegen  völlig  undenkbar  ist.  Und 
so  und  nicht  anders  linden  wir  den  Hauptstrom  der  Ebene  noch  heute  wieder.   Aus  dieser  nachgewiesenen 
Beschaffenheit   der  Ufer    kann  erst  ein    richtiges  Verständniss   der   bekannten  Stromschlacht    wie  sie 
im   -21.    B.   der   Ihade   geschildert  wird,   gewonnen  werden.     Der   wikltobende    Achi  les  setz     nach 
Tödtung  des  Asteropaeus   den  Kampf  gegen  die  Troer  am  Flusse   fort  (Iliad.  ^M;  2''^i  ""''   ^«'^^ 
mit  solcher  Heftigkeit,  dass  endüch  der  Stromgott  selbst,  in  Gestalt  eines  Mannes  (ib.  213).  aus  dem 
Strudel  seine  warnende  Stimme  gegen  ihn  erhebt:   umsonst,   Achilles  hört  nicht  auf  zu  morden  und 


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springt  zum  zweiten  Male  vom  steilen  Uferrand  mitten  in  den  Fluss  liinein.  Da  erhebt  sich  dieser 
mit  solcher  Gewalt,  dass  der  Held,  um  sich  vom  Tode  durch  Ertrinken  zu  erretten,  einen  Ulmbaum 
erfasst,  ihn  vom  Ufer  in  den  Strom  reisst  und  sich  so  eine  Brücke  bauet,  auf  welcher  er  das  höhere 
Ufer  gewinnen  und  den  tobenden  Wogen  entrinnend  sich  in  das  Blachfeld  flüchten  kann  (ib.  24(J  sqq.). 
Inzwischen  aber  hat  der  mit  den  Wurzeln  herausgerissene  Baum  das  ganze  Ufer  auseinander  gespalten, 
und  durch  diese  Oeffnung  ergiesst  sich  nunmehr  der  Strom  mit  voller  Gewalt  in  die  Ebene.  Die 
Sache  ist  an  und  fiir  sich  klar  und  deutlich;  allein  noch  einleuchtender  wird  sie  dem  Leser  durch  das 
herrliche  Gleichniss  vom  rieselnden  Manne,  der  an  einem  abschüssigen  Orte  aus  einem  Rinnsal 
die  hemmenden  Steine  entfernt  und  dadurch  den  Lauf  des  herabfliessenden  Wassers  so  beschleunigt, 
dass  es  dem  Hieseler  selbst  weit  vorauseilt.  Wer  sieht  nicht,  dass  der  Dichter  den  Fluss  zum 
Schirmer  und  Beschützer  nicht  etwa  nur  der  einzelnen  Troer  macht,  die  er  in  seinen  Fluthen  und 
unter  seinen  steilen  Abhängen  hülfreich  birgt,  sondern  dass  er  durch  die  Ueberschwemmung  der 
Ebene  auch  den  Schutz  der  Stadt  selbst  übernimmt  und  dem  Toben  des  Achilles  Halt  gebietet? 
dass  er  also  die  einfache  Thatsache,  die  Ebene  aus  dem  Mendere  und  Kimar  -  Su  (cf.  §.  2)  unter 
Weisser  zu  setzen,  in  poetischer  Erzählung  durch  den  Achilles  selbst  sich  vollziehen  lässt?  Aber 
auch  die  Schwäche  jenes  Ueberschwemmungssystems  wird  im  Verlauf  der  Erzählung  klar  veran- 
schauhcht.  Die  an  und  für  sich  ganz  unbegreifliche  Darstellung,  dass  die  Wasser  wo  gen  durch 
Feuer  in  die  Enge  getrieben  und  gebändigt  werden,  flndet  sofort  ihre  richtige  Erklärung 
dadurch,  dass  die  Feuergluthen  der  Sonne  die  Ebene  nicht  bloss  trocknen,  sondern  Alles,  was  in  ihr  ist, 
verdorren  und  vei-sengen,  die  Flüsse  selbst  aber  in  winzige  Wlisserlein  verwandeln;  und  wenn  hier 
die  „Strahlen  des  Helios"  nicht  erwähnt  werden,  so  ist  nicht  zu  vergessen,  dass  die  beiden  Götter, 
der  Flussgott  und  der  Feuergott  poetisch  in  persönlichem  Kampfe  begriff'en,  einander  gegenüber- 
gestellt werden.  Im  glühenden  Hochsommer  aber  mochte  es  wohl  einer  längern  Zeit  bedürfen,  um 
die  Ebene  ganz  zu  ITillen,  und  bei  plötzlichen  Ueberfällen  gewiss  mit  zweifelhaftem  Erfolg.  P^nen 
solchen  Zeitpunkt  denkt  sich  der  Dichter  und  stellt  ihn  als  das  Ergebniss  der  Macht  des  Hephaestus 
dar,  der  mit  seinem  Feuer  die  ganze  Ebene  gleichsam  in  Flammen  setzt;  cf.  ibid.  343  sqq. 

Aus  dem  Obigen  geht  hervor,  dass  Homer  uns  den  Xanthos  -  Scamander  gerade  so  schildert, 
wie  wir  ihn  noch  heutigen  Tages  in  dem  Mendere  vor  ims  sehen.  Um  so  aufteilender  ist  es,  dass 
derselbe  Homer  dem  Scamander,  den  er  doch  vom  Ida  herabkommen  lässt,  an  einer  andern  Stelle 
noch  2  besondere  Quellen  unfern  der  alten  Stadt  Ilion,  und  zwar  eine  heisse  und  eine  kalte  beigelegt 
hat:  cf.  Iliad.  XX 11,  147  s(i<j.  Die  Sache  ist  wirklich  in  so  hohem  Grade  befremdlich,  dass  hieraus 
sogar  die  bestimmtesten  Folgerungen  gegen  die  Einheit  der  Iliade  überhaupt  haben  ent- 
nommen werden  können.  Doch  lassen  wir  das  vorerst  und  fragen  wir  lieber,  ob  sich  in  der  Ebene 
in  Wirklichkeit  zwei  derartige  Quellen  vorflnden,  auf  welche  die  nachstehenden  Worte  Homers 
sich  m(')glicherweise  beziehen  lassen: 

Und  sie  erreichten  die  zwo  schönsprudelnde  Quellen,  woher  sich 

Beide  Bach'  ergiessen  des  wirbel vollen  Scamandros; 

Eine  rinnt  beständig  mit  warmer  Fluth,  und  umher  ihr 

Wallt  aufsteigender  Dampf,  wie  der  Rauch  des  brennenden  Feuers; 

Aber  die  andere  fliesst  im  Sommer  auch  kalt  wie  der  Hagel 

Oder  des  Winters  Schnee,  und  gefrorene  Schollen  des  Eises. 

Das  ganze  Alterthum  hat  trotz  der  eifrigsten  Untersuchung  und  des  heftigsten  Kampfes  über  die 
Stätte,  wo  einst  Ilion  gelegen,  ob  dort  wo  heut  unbestritten  Neu-Ilion  nachgewiesen  wird,  oder  ob 
eine  Meile  östhch  davon,  wo  vormals  noch  Spuren  vom  Dorfe  der  Ilienser  vorhanden  waren,  die 
Quellen  nirgends  auffinden  können,   und  diess  insonderheit  hat   zu   der   Annahme    beigetragen,    dass 


14    

Überall  die  Gegend  seit  Homer  die  wesentlichstenVcrlinderungenerlittenhabo  und  eine  ganz  andere 
geworden  sei.    Wir  haben  das  Unhaltbare  derselben  schon  oben  angedeutet,  werden  aber  später  noch 
einmal   darauf  wieder   zurückkommen.     Indessen   was  das   ganze  Alterthum  trotz  jahrelanger  Unter- 
suchungen  an  Ort   und  Stelle,   z.  B.  des  Demetrius   von  Skepsis,   nicht  zu   entdecken   vermocht,   das 
glaubt   die   neuere  Kritik   an   das  Licht   gezogen  zu   haben,   und  seit  Lechevalier  und  Forchhammer 
gilt  es  fast  als  ausgemacht,  dass  jene  Homerischen  Quellen  in  denen  von  Bunarbaschi  aufgefunden 
sind,  und  dass  das  a  1 1  e  1 1  i  o  n  s  e  l  b  s  t  a  u  f  d  e  r  h  e  u t  i  g  e  n  A  n  h  ö  h  e  v  o  n  B  a  a  l  i  h  westlich  am  Scamander,  dort 
wo  er  durch  die  Felsenschlucht  bricht,  gelegen  hat.  Aber  ist  dem  also,  so  müssen  die  heutigen  Bunarbaschi- 
QuellenauchinWirklichkeitdieQuellen  des  von  uns  oben  geschilderten  alten  Xanthos-Scamand  er, 
des  heutigen  Mendere  sein,  und  das  eben  sind  sie  nicht,  und  alle  Ausflüchte  oder  Erklärungen,  sie 
auch  nur  zu  Nebenquellen  desselben  zu   machen,   sind  eben  nichts  als  eitel  Täuschungen.     Immerhin 
mö^en  die  Bunarbaschi  -  Quellen  vor  Anlegung  des  Bunarbaschi  -  Su  ihre  Gewässer   dem  in  der  Tiefe 
vorüberrauschenden    Xanthos  -  Scamander    wenigstens    theilweise    zugefülirt    haben,    allein    als    die 
Urquellen  desselben,  der  von  ihnen  aus  seinen  Anfang  nahm,  können  sie  nie  gegolten  haben,  eben 
weil  der  Strom  nur  aus  einer  Quelle  auf  dem  Ida  entsprang.    Wenn  nun  der  Dichter,  der  den 
Xanthos  -  Scamander   wirklich   vom   Ida   herabkommen    lässt,    dennoch   den   Scamander   an   unserer 
Stelle  aus   zwei  Quellen   entspringen  lässt,   so  folgt  daraus  mit    unumstösslicher  Gewissheit,   dass   er 
neben  dem   grossen  Xanthos  -  Scamander  noch  ein  anderes  Gewässer  mit  dem  Namen  Scamander 
gekannt  und" genannt  hat,  und  diess  kann  in  der  That  kein  anderes  sein,   als  der  heutige  Bunar- 
baschi-Su.     Hiemit  gelangen  wir  allerdings  zu  demselben  Resultate,  welches  bereits  Lechevalier  und 
nach  ihm  Forchhammer  aufgestellt  haben;  allein  gegen  die  weiteren  Folgerungen,  dass  denmach  der 
heutigeMenderederalteSimoissei,  unddass  das  altellionaufderjetzigenHöhe vonBaalih 
gelegen  habe,  müssen  wir  uns  vorerst  ganz  bestimmt  verwahren.    Prüfen  wir  daher  die  Sache  weiter 
und  überlassen  wir  das  Endurtheil  dem  kundigen  Leser. 

Zunächst  steht  so  viel  fest,  dass  im  ganzen  Alterthum  sich  der  heftige  Streit,  w  o  T  r  o  i  a  g  e  s  t  a  n  d  e  n , 
nurum  die  zwei  Punkte,  obaufderStellevonNeu-Ilionoder  auf  der  des  Dorfes  derllienser,  ge- 
drehet hat,  denn  obwohl  die  genannten  Quellen  des  Bunarbaschi-Su,  die  Höhe  Baahh  und  vor  allen  Dingen 
die  Bau-Ueberreste  auf  derselben,   die  doch  in   alter  Zeit  noch  viel   frischer  und   darum   sichtbarer 
gewesen  sein  müssen,  als  jetzt,  allen  alten  Forschern  zugänglich  gewesen  sind,  so  ist  es  doch  Niemand 
einjrefallen,  die  alte  Stadt  in  jenem  äussersten  Süd- Winkel  der  Ebene  zu  suchen.   Selbst  Strabo,  der 
in  seiner  eingehenden  Beschreibung  des  Locals  die  homerischen  Quellen  ganz  unzweifelhaft  mit  denen 
von  Bunarbaschi   zusammenstellt,   ist  weit   entfernt  aus  dieser  Identificirung  den  Schluss,   auf  den  er 
doch    ebenso,   wie  Lechevalier  und  Forchhammer,   hätte   kommen   müssen,   über   die  Lage   des   alten 
Hion  auf  Baalih  zu   ziehen;   im  Gegentheil,  er   erklärt   vielmehr   trotz  der  Maueriiberreste  auf  jener 
Höhe,  welche,  da  sie  noch  heute  sichtbar  sind,  auch  ihm  bekannt  sein  mussten,  ganz  ])estimmt,  dass 
sich  überall  keine  Spurvon  der  alten  Stadt  erhalten  habe  (cf.Strab.  XIII,  p.lOi)  ed.  Tauclm.).  Den- 
noch aber  giebt  er  in  dem  Urtheil  über  jene  Quellen  einen  Fingerzeig,  welcher  zu  demselben  Resultate  führt, 
welches  wir  oben  aus  Homer  gefunden.     Nachdem  er  (ib.  p.  113)  auf  die  Auctorität  des  Demetrius  hin 
erwähnt  hat,   dass  der  Scamander   von   einer  Anhöhe   des   Ida,   genannt   Kotylos,   herabfliosse   und 
zwar   nur   aus   einer  Quelle,   fährt   er   fort,   dass   der   Dichter   damit   durchaus   nicht    im    Einklang 
stehe,   indem  er   ausdrücklich  zwei  Quellen  des  Scamander  und  zwar  eine    heisse    und   eine    kalte 
erwähne;     denn    weder     finde     sich    jetzt     an     diesem     Orte     eine     warme     Quelle,     noch     sei 
des    Scamandros    Quelle    hier,    sondern    oben    in    dem    Gebirge,    und    zwar    eine,    nicht    zwei. 
Die     warme     Quelle    also     scheine     verschwunden     zu     sein,     die     kalte     hingegen,    durch     unter- 
irdischen Abfluss  dem  Scamander  entfliessend,  an  dieser  Stelle  Frieder  hervorzubrechen;  oder  aber 
auch  dieses  W^asser  heisse  eine  Quelle  des  Scamandros,  weil  es  ihm  nahe  sei,  cf.  ib.  p.  114. 
Die  Worte   „in  dem  Gebirge"  (iv   t(^   oqsi)   stehen  im    schärfsten  Gegensatz  zu  den  Angaben  „an 


/  'i 


15    

diesem  Orte"  und  hier;  ferner  zu  „an  dieser  Stelle"  und  „auch  dieses  Wasser".  Folglich 
hat  der  Geograph  mit  den  letzteren  Bezeichnungen  auf  einen  ganz  bestimmten  Ort  in  oder  an  der 
Ebene  hingewiesen,  und  dieser  kann  nach  seinen  Worten  kein  anderer  als  der  von  Homer  durch 
die  zwei  Quellen  bezeichnete  sein,  während  es  in  Strabos  Vorstellung  die  Quellen  bei  Bunarbaschi 
sind,  in  der  Nähe  des  Scamander;  und  dennoch  hat  er  die  Consequenz,  die  er  nothwendig 
ziehen  musste,  nicht  gezogen  und  die  Höhe  über  den  Bunarbaschi-Quellen  nicht  als  alte  Burg  von 
Ihon  angegeben,  offenbar  weil  alle  in  der  Iliade  geschilderten  Ereignisse  mit  dieser  Localität 
unvereinbar  sin  d.  Indessen  geht  aus  der  ziemhch  unklaren  und  verworrenen  Auseinandersetzung  Strabos 
doch  so  viel  hervor,  dass,  da  seine  Worte  xaTa  SiaSvoiv  vnexQaov  ausdrückhch  bezeugen,  dass  die  in 
Rede  stehende  Quelle  mit  dem  grossen  Scamander,  dem  Mendere,  in  keinem  sichtbaren  Zusammen- 
hang stand,  er  dennoch  aber  für  dieselbe  wegen  der  Nähe  des  Scamander  auch  den  Namen 
Quelle  des  Scamander  vermuthet,  er  zu  Aveiterer  Folge  auch  den  aus  ihr  abfliessenden  Bach 
Scamander  genannt  haben  muss;  beide  aber,  Quelle  und  Bach,  können  nur  die  heutigen  Bunar- 
baschi -  Q  u  e  1 1  e  n  u  n  d  d  e  r  B  u  n  a  r  b  a  s  c  h  i  -  S  u  s  e  i  n.  Diese  aus  Homer  und  Strabo  gewonnenen  Resul- 
tate, dass  der  Bunarbaschi-Su  auch  im  Alterthum  Scamander  genannt  worden  sei,  werden  durch  ein  voll- 
gültiges Zeugniss  des  Plinius  N.  H.  V,  c.  30  ausdrückhch  bestätigt.  Irren  wir  nicht,  so  hat  Forchhammer 
allein  das  Verdienst,  diess  aus  Phnius  nachgewiesen  zu  haben,  und  es  ist  niu'  zu  bedauern,  dass  er 
daraus  unrichtige  Consequenzen  gezogen  hat.  Denn  statt  die  Sache  einfach  so  zu  nehmen,  wie  sie  ist, 
nämhch  dass  neben  dem  Xanthos-Scamander  auch  der  heutige  Bunarbaschi-Su  einstmals  denselben 
Namen  Scamander  geführt  habe,  hat  er  nur  den  letzteren  als  solchen  gelten  lassen,  und  demnach 
das  ganze  Namensverhältniss  der  Flüsse  in  der  Ebene  trotz  aller  dagegen  sprechenden  Bedenken 
völhg  durcheinander  geworfen;  denn  der  heutige  Mendere  ist  nicht  der  alte  Simois.  Kehren 
wir  zu  Plinius  zurück,  so  zählt  dieser,  von  Süden  nach  Norden  fortschreitend,  die  OertHchkeiten  also  auf: 
Oppidum  Nee,  Scamander  amnis  navigabilis,  et  in  promontorio  quondam  Sigeum  oppidum. 
Dein  portus  Achaeorum,  in  quem  infinit  Xanthus,  Simoenti  iunctus,  stagnumque  prius  fa- 
ciens  Palae scamander.  Hier  ist  Alles  klar  und  deuthch;  der  zwischen  dem  Städtchen  Nee  und  dem 
Sigeischen  Vorgebirge  erwähnte  Scamander  kann  nur  der  Bunarbaschi-Su  sein,  der  in  der  Beschika- 
Bai  ins  Aegäische  Meer  fällt:  auf  diesen  überall  mindestens  3  Fuss  tiefen  und  8  —  9  Fuss  breiten, 
künstlich  eingelegten  Bach,  welcher  zu  jeder  Jahreszeit  mit  vollem  W'asser  strömt  und  bis  zu  seinen 
Quellen  mit  Kähnen  befahren  wird,  passt  ganz  allein,  wie  Forchhammer  richtig  gesehen  hat,  das 
Beiwort  navigabilis,  nicht  aber  auf  den  Xanthus-Scamander,  welcher  mit  Ausnahme  der  momentanen 
Ueberschweunnungen,  durchaus  unbefahrbar  ist  und  zu  allen  Jahreszeiten  die  Horazische  Bezeichnung 
parvus,  d.  h.  flach  und  seicht,  verdient;  cf.  Epod.  XIII,  14.  Somit  darf  als  festes  und  sicheres 
Resultat  der  bisherigen  L^ntersuchung  angesehen  werden,  dass  im  Alterthum,  und  zwar  schon  zur 
Zeit  des  Homer,  der  Name  Scamander  nicht  bloss  dem  grösseren  Xanthus  beigelegt 
worden  ist,  sondern  dass  auch  der  jetzige  Bunarbaschi-Su  denselben  geführt  hat. 
Wenden  wir  uns  nun  weiter  zur  östhchen  Seite  der  Ebene.  Hier  treten  uns  zwei  Rinnsale,  der 
Kalifatli-Osmak  und  der  Dümbrek-Su  zu  näherer  Betrachtung  entgegen. 

Der  Kalifatli-Osmak  ist  von  beiden  Bächen  derjenige,  welcher  unserer  früheren  Er- 
örterung zufolge  allein  das  Meer  erreicht;  er  mündet  in  den  Karanlik-Liman.  Fragen  wir,  wie  er 
im  Alterthum  geheissen,  so  finden  wir  die  einzige  Auskunft  in  der  oben  angeführten  Stelle  des 
Phnius,  der  neben  dem  Xanthus  auch  den  Palaescamander  neimt.  Woher  der  Pohvhistor  seine 
Notiz  entnommen,  ist  uns  ebensowenig  bekannt,  als  die  Quelle,  aus  welcher  er  den  Namen  Sca- 
mander für  den  Bunarbaschi-Su  geschöpft  hat.  Dass  er  aber  Beides  nicht  ersonnen,  sondern  auf 
bestimmte  Zeugnisse  hin  notirt  hat,  muss  als  ausgemacht  gelten.  Auch  Forchhammer  hat  bereits 
den  Palaescamander  zu  bestimmen  gesucht,  und  es  erscheint  angemessen,  hier  die  Ansicht  desselben 


lü  

wörtHch   niitzutheilen.     „Auch    Plinius   wusste,   sagt   er   in   seiner  Beschreibung   der   Ebene   von 
Troia    p.  20,    dass    der    Scamander    sich    ins    Aegäische   Meer,   also   durch   den   Canal 
ergoss.     Von   Süden    nach   Norden   die   Küste   umschiffend    nennt   er    zuerst,  den   Sca- 
mander,   einen    schiffbaren    Bach,    dann    das    Sigeische    Vorgebirge    mit    der    Stadt 
Gleiches   Namens,    dann   den   Hafen  der   Achäer,   in   welchen   der   Xanthos   fallt,   mit 
dem    Simois     verbunden     und     vorher     einen    Sumpf    bildend     der     alte     Scamander 
iPalaescamanderj.     Dass   Scamandros   und  Xanthos   derselbe  Fluss   sind,   weiss  jeder 
Leser  des  Homer.     Es   muss   aber   ein  Grund   sein   für   den   doppelten    Namen.     Schon 
die  einfache  Kunde  von  dem  jetzigen  Verhältniss  würde    genügen,   die  Sache  klar  zu 
machen.     Durch   die   angeführten   SteHen   und   besonders   durch   die   des    Minius   ist 
nun  Alles  ins  hellste  Licht  gesetzt.    Der  Scamander  als  der  Fluss  mit  dem  gegrabeueii 
Bett  fällt  ins  Meer  südlich  vom  Sigeum,   der  Scamander-Xanthus  der  gewaltige  Fluss 
mit  dem  gelben  Wasser,   von  dem  er  den  Namen  hat,   vereinigt  sich   mit  dem  Simoeis 
(Mendere)    und    ergiesst    sich    in    den    Hellespont    nördlich    vom    Sigeion.      Derselbe 
Xanthos   bildet   ehe   er   in    den  Simoeis   fällt   einen  Sumpf,    den    Lisgar,    und    ist    der 
ursprüngliche  alte  Scamander,   der  Palaescamander.     Die  Sache  ist  so    einleuchtend, 
dass    die    Frage    hoffentlich    nun    ein    für    alle    Mal    erledigt   ist."      Die    Philologen    sind 
wunderUche  Leute;    Forchhammer   glaubt   die  Frage   ein  für  alle  Mal   abgethan   zu   haben,  und  die 
vorhegende  Abhandlung  behauptet  das  Gegentheil.    Wir  legen  kein  Gewicht  darauf,  wie  der  tiefgelehrte 
Forscher  sich  hat  entschliessen  können,  dem  aus  dem  Lisgar  in  den  Mendere  führenden  Abzugs-Bach 
das  homerische  Beiwort  des  „gewaltigen"  beizulegen;  wemi  auch  zur  Zeit  der  Ueberschwemmungen 
derselbe  immerhin  reissend  genug  mag  gewesen  sein.    Allein,  wemi  er  aus  den  ^\  orten  des  Plinius  den 
Beweis  dafür  entnimmt,  dass  der  in  den  Hafen  der  Achäer,  also  in  den  Hellespont  einmündende 
Xanthos  kein  anderer  als  der  aus  dem  Lisgar  in  den  Mendere  abfliessende  Bach  sei  und  dass,  da 
Homer    den    Xanthos    auch    Scamander    nenne,    demselben    Bache    der    Name    Xanthos  -  Scamander 
zukomme,  und  dass  dieser  der  Palaescamander  des  Plinius  sei,  so  widerspricht  diess  jeder  ruhigen 
Kritik  so   sehr,   dass  wir  uns   eine   eingehende  Widerlegung   versagen    müssen.     Oder   wird   wirklich 
iemand    die   Donau    an    ihrem    Ausflusse    ins    schwarze    Meer   Inn,    oder   die    Elbe   bei    Hamburg 
Moldau  nennen?  Hätte  Plinius  geschrieben:  in  quem  infinit  Simois  Xantho  iunctus  stagnum.iue 
prius  facienti  Palaescamandro,  so  wiü'de  Forchhammer  seine  Behauptung,  der  Mendere  sei  der 
Simois  zwar  gerechtfertigt  haben,    aber  auch  so  bheben  die  Worte  stagnumque  etc.  noch  zweifelhaft 
und    darum    bedenklich,    weil    aus    dieser    Zusammenstellung    die    Identität    des    Xanthus    und    des 
Scamander  oder  vielmehr  des  Palaescamander  noch  immer  nicht  folgte.     Die  Worte  des  Plinius,   wie 
sie'  jetzt  lauten,   besagen  nichts  Anderes,    als  dass  der  mit  dem  Simois   vereinigte  Xanthus  in 
den    Hellespont    mündet   und    ebenso    der    Palaescamander,    der    früher    eine  Lache 
bildet.    Nun  aber  giebt  es  nur  zwei  solcher  Mündungen  im  Portus  Achaeorum,  d.  i.  m  der  Bucht 
zwischen   dem  Sigeum   und  Rhoeteum,  nämlich    die  des  Mendere   westlich,   unfern  vom  Sigeum,    und 
die  des  KaHfatU  -  Osmak   am  Rhoeteum   in   den  Karanlik  -  Liman ;   ist  nun  jene   unbestritten   die  des 
Xanthus-Scamander,  so  kann  diese  nur  die  des  Palaescamander  sein.    Die  Richtigkeit  dieses 
Resultates  ergiebt  sich  mit  Evidenz  aus  den  Worten  stagnumiiue  prius  faciens,  welche  eben  nicht  die 
Ergänzung  gestatten   „bevor  er  in  das  Meer   sich   ergiesst",   weil    eine  solche  Mundung  mit 
vorheri-er  Sumpfbildung  überall  in  der  Bucht  nicht  vorhanden  ist  und  wegen  der  noch 
heute  sichtbaren  Strandverhältnisse  selbst  in  einer  Urzeit  niemals  vorhanden  gewesen 
sein  kann;  im  Gegentheil,  jene  Worte  bezeichnen  schlagend  den  wahren  Sachverhalt:  der  Kahfatli-Osmak 
bildet  früher  den  Sumpf  Djudan  (cf.  §.  2),  fliesst  aus  ihm  nach  dem  Dümbrek-Thal  und  stnmit  nach 
zeitweiliger  Vereinigung  mit  dem  Dümbrek,  gefüllt  mit  den  Gewässern  desselben  in  stets  ftiessendem  Strome 


\ 


17    

mittelst  eines  gegrabenen  Bettes  ins  Meer.  Hiemit  haben  wir  noch  einen  dritten  Scamander  in  der 
Ebene  nachgewiesen;  indessen,  bevor  wir  hierauf  genauer  eingehen  und  weitere  Folgerungen  ziehen, 
ist  noch  der  schwierigste  aller  Flüsse,  der  Dümbrek  selbst  einer  näheren  Betrachtung  zu  unter- 
ziehen. 

Der  Dümbrek-Su  durchfliesst  von  Osten  nach  Westen  die  Thalmulde,  die  durch  den  Rhötei- 
schen  Ihihenzug  nördhch,  und  durch  den  in  die  Ebene  von  Osten  hineinschiessenden  Bergrücken 
südhch  gebildet  wird;  nördhch  über  der  Westspitze  des  letzteren  wird  er  zu  einem  Sumpfe,  aus 
welchem  ausfliessend  er  nach  kurzem  Laufe  in  den  KalifatU  -  Osmak  fällt  und,  während  letzterer 
dui-ch  einen  Canal  nordwärts  weiter  geleitet  wird,  seinen  trägen  Lauf  nordwestUch  fortsetzt  und  sich 
zuletzt,  ohne  das  Meer  zu  erreichen,  durch  verschiedene  Arme  in  tiefe  Sümpfe  und  Lachen  verhert. 
Schon  der  Umstand,  dass  in  der  ganzen  Ebene  sich  kein  Bach  weiter  befindet,  der  für  den  alten 
homerischen  Simois  gelten  könnte,  würde  vollkommen  hinreichen,  diesen  in  dem  heutigen  Dümbrek-Su 
zu  suchen.  Allein  alle  nur  irgend  glaubwürchgen  Zeugnisse  des  Alterthums  bestätigen,  dass  der  in 
der  genannten  Thalmulde  fliessende  Bach  der  Simois  ist.  Bis  zur  Evidenz  ergiebt  sich  diess  aus 
der  Beschreibung  des  Demctrius  von  Skepsis,  der  in  seiner  Jugend  die  Stadt  Neu-Ilion  und  die 
umliegende  Gegend  selbst  besucht  (cf.  Strab.  XIH,  p.  100)  und  als  ein  eingeborener  Mann  (Strab. 
ibid.   p.  in  o'g  av  iyiwQiog  ccvriQ)  mit  Genauigkeit   beschrieben  hat. 

Mit  seiner  Beschreibung  stmimt  nach  der  Versicherung  von  Augenzeugen  fcf.  Ulrichs  1.  1.)  die 
ganze  Ebene  noch  heutigen  Tages  vollständig  überein  und  es  ist  wirkhch  eiteles  Gerede,  wenn,  sobald, 
vorgefasste  Ansichten  in  dem  Locale  die  gewünschte  Bestätigung  nicht  finden,  sofort  von  einer  eingetre- 
tenen Veränderung  desselben  gesprochen  wird.  Jeder  erkennt  noch  heute  auf  den  ersten  BUck  die  oben 
geschilderte  Thalebene,  liier  to  ^i^oüölov  nediov  genannt,  durch  welche  der  Simois  sich  hin- 
windet. Diess  kann  also  nur  der  heutige  Dümbrek  sein.  Ferner  liegt  im  östlichsten  Winkel  der 
grösseren  Tlialnuilde  eine  kleine  sehr  schöne  Eigene,  an  deren  Rande  jetzt  das  Türkische  Dorl 
Dumbrck-Kioi  liegt;  der  letztere  Name  führt  ganz  von  selbst  auf  die  alte  von  Strabo  (a.  a.  0.  p.  107) 
genannte  und  schon  von  Homer  erwähnte  Ebene  Thymbra,  durch  welche  nach  demselben 
Geographen  a.  a.  0.  „der  Bach  Thymbrios  strömt,  welcher  sich  in  der  Gegend  des 
Heiligthums  des  Thym])räischcn  Apollon  in  den  Scamander  ergiesst."  Hätte  nun  Strabo 
berichtet,  dass  dieser  Tliymbrios  sich  in  den  Simois  ergösse,  so  würde  man  auf  einen  von  letzterem 
vei^chiedenen  Bach  schlicssen  dürfen;  und  in  der  That  zeigt  die  Sprattsche  Karte  ein  wenig  östUch 
von  Duinl)rek-Kioi  die  Mündung  eines  kleinen  Rinnsals,  welches  von  Süden  herabkommend  alldort 
mit  dem  grösseren  (iewässcr  sich  verbindet.  Allein,  da  Straho  den  Tliymbrios  in  den  Scamander 
sich  crgiessen  lässt,  so  folgt  unwiderleglich,  dass  der  Thymbrios  und  der  in  den  Scamander 
mündende  Simois  ein  und  derselbe  Fluss  sind,  und  dass  demnach  jenes  kleine  nach  der  Thymbräischen 
Ebene  genannte  Rinnsal  seinen  Namen  auch  auf  den  Simois  übertragen  liat.  So  weit  ist  Alles 
in  der  Ordnung;  allein  wo  war  der  Mündungspunkt  des  Simois  -  Thymbrios  in  den  Scamander? 
Strabo  setzt  ihn  in  die  Nähe  des  Tempels  des  Thymbräischen  Apollon;  Demetrios  a.  a.  0.  bezeichnet 
diesen  Punkt  näher  mit  ^uxqcv  l).t7igoaOev  toxj  vvv  ^IlloVy  also  etwas  nördhch  über  der  äussersten 
Westspitzc  des  vielgenannten  mittleren  Bergrückens,  wo  Neu-Ilion  noch  jetzt  vorhanden  ist.  Wie 
aber  kam  der  grosse  Xanthos  -  Scamander  liieher?  Es  vereinigen  sich  gerade  an  der  bezeich- 
neten Stelle  nur  der  Kalifath-Osmak  mit  dem  Dümbrek-Su,  woraus  sich  ergiebt,  dass  der  von  uns  aus 
Plinius  als  Palaescamander  nachgewiesene  Kahfatli-Osmak  auch  hier  von  dem  Geographen  Scamander 
genannt  wird.  Mit  diesem  Ergebnisse  schwinden  mit  einem  ^lalc  alle  jene  Dunkelheiten  und 
Verworrenheiten  in  den  Angaben  der  Alten  über  die  Topographie  der  Ebene,  und  bis  daliin  völhg 
Unbegreifliches   findet  seine  Aufhellung,     Zunächst  wird  die  Meldung  Strabo's   verständlich,    wenn  er 

3 


dadurch  ihre  vollstaiKlige  Aullieiiimg:    er  üenciiieL  nanmyi  v^i.^ 
toc  vlv  'lUov  GVfißällnvai,  tlr   M  to  liystov  txöidcmai  y-al  ri 


IS    

p  103  sagt:  ov^mfüoyreg  yaQ  oze  ^.^iöeis  xai  6  ^.a^iurögo,  iv  rc^  rrecJjV,  ^oUi^^  .aiarfiifovztg 
aiv  looaxoroi  Tijv  naQaXiav  xal  ivifUv  avo^ia  xal  XifivoOakaiiag  xai  ^^  ^OiOL<Ji.  Diess  alles 
passt  nicht  auf  den  wilden  Bergstrom  Xanthus-Scamander,  der  weder  Sümpfe  noch  Lachen  an  semer 
Mündung  aufweist,  am  wenigsten  aber  ein  TvipXov  aicfia,  und  ein  Bhck  auf  die  Karte  zeigt,  dass  er 
seit  derzeit  seiner  uralten  Eindeichung  derartiges  nicht  beNvirkt  haben  kann,  sondern  dass  er  seinen 
Sand  und  sein  GeröU  in  die  Tiefe  des  Hellespont  hineingeschüttet  und  so  seme  Mundung  allmahg 
weit  in  denselben  hinausgeschoben  hat.  Dagegen  passt  die  obige  Beschreibung  ganz  genau  auf  den 
mit  dem  KahtatU  -  Scamander  vereinigten  Simois-Thymbrios:  beide  fallen  nürdhch  iiber  Neu-Ilion 
zusammen  und  nachdem  sie  nach  kurzem  Zusammentliessen  einen  Haupttheil  ilirer  Gewässer  nutteist 
des  Canals  des  eii^entücheu  Talaescainander  in  den  Karanlik  -  Liman  abgegeben,  en-eichen  sie  mit 
dem  Reste  keineswegs  den  Hellespont,  sondern  bilden  vorher  blinde  Mündungen  und  Sümpfe,  von 
denen  die  heutige  grosse  Lagune,  in  die  der  Hellespont  zeitweise  einströmt,  die  ajo^iaXi^vi]  oder  die 
liuvo^äUxTa  ist.  Ferner  findet  die  bis  jetzt  ganz  unverständhche  Darstellung  des  Demetnus 
dadurch  ihre  vollständige  Aufhellung:    er  berichtet  nämlich  (cf.  Strab.  p.   106),  also:   Oi  de  Ttora^wt 

6   ÖS  T([i   'Pniiei(i),  /ntxnov  F/tiTCQoaO^ev 
71010X01  ri]v  ^TO/iiaXi/iivr^v  xa?.ov/idvr^v. 
Hier   ist    erstlich   vollkommen    falsch,   dass'  der  Xanthus  -  Scamander  mit  dem  Simois   zusammen   die 
OTOficcXi^ivr^    gebildet   habe;     diess   thaten   die   Wasserreste    des   vereinigten   Simois  -  Palaescamander. 
Ferner   ist' es   ganz   unraiighch   und   darum    geradezu    widersinnig,    dass   Xanthus-Scamander    und 
Simois   in   divergirender   Richtung   fliessend,  jener   nach   dem  Sigeum   und  dieser  nach  dem 
Rhoeteum  zu,  ein  wenig  nördlich  über  Neu-Ihon  zutammengefallen  seien.     Diess  passt  vielmehr  nur  auf 
die  in  Rede  stehenden  Flüsse,  vorausgesetzt,  dass  man  o  fdv  auf  Simois,  o  de  auf  Scamander  richtig 
bezieht,    gerade  wie    bei    Strabo   XHI,  p.  81:  Klelr.v   -    ovvayaytlv  if]v   aiQauov  xata  rov  avxov 
vodvo,      xa&'   ov    xal    nev&Uos'   dlla   zdv  fiev   tov    nevi>i?.ov    oroXoy   (pitrrat    .TeQaiw^tvra,    — 
toxTOvl   de  X,  T    L     Folghch   kam   der   Simois-Thymbrios   seiner    ursprünghchen   Richtung   folgend 
immer   näher   und  näher  dem  Sigeum,    der  Kalifath  -  Scamander  dagegen  dem  Rhoeteum  und  so 
mussten  sie  sich   kreuzend   nördUch  über  Neu  -  Ilion  zusammentallen.     Endlich  findet  hiedurch  sogar 
die  bekannte  Stelle  des  Homer  11.  V,  v.  774,  verghchen  mit  II.  XXI,    WS  sc^.  ihre  vollständige  Er- 
ledigung.     Sie    hat   bis    in    die    neueste   Zeit  vielen  WirrwaiT    angerichtet,    indem  sie    eben    als    ein 
uni^stösslicher   Beweis    dafür   angesehen   worden   ist,   dass   das   Local   der  Ebene   sich   seit  Homer 
völüg  verändert  habe,  denn  Scamander  und  Simois  fielen  jetzt  nicht  mehr  zusammen.     Allein  das- 
selbe ist  auch  zur  Zeit  Homers  nicht  geschehen:  denn  ein  Strom,  der  bereits  sein  Wasser  mit  dem  eines 
andern  wirkHch   vereinigt  hat  und  mit  diesem  zusammen  dahinrauscht,   kann    unmöglich  also  redend 
eingeführt    werden  (IL  XXI,   30S):    Auf  denn,    mein    Bruder,   wir   beide   zusammen    wollen 
die"  Kraft  des  Mannes  hemmen.     So  spricht  man  nur  zum  Fernstehenden.     Hieraus  ergiebt  sich 
erstens,    dass  der  Dichter  II.  V,   744  nicht  den   grossen  Xanthus-Scamander,   sondern  den  Kahfatli- 
Scamander  gemeint,  oder  dass  er  beide  unbewusst  mit   einander   verwechselt  hat,  und  zweitens,    dass 
er  XXI,  308  sqq.  allerdings  den  tiefstrudelnden  Xanthus-Scamander  im  Sinne  hat,  ihn  aber  dennoch 
wieder  'mit  jenem   vertauscht:    denn    das   Nächstfolgende    zeigt   uns   klar   und    deutlich,    dass    hier 
eben   nur   vom   Kalifatli  -  Scamander   die   Rede   ist,   der   tief  in  der   Limnothalatta,   (denn   das   ist 
vetc&i   Ufm^g)   die   Wafi'en    des   Achilles,   mit   Schlamm  und  Morast  überschüttet,   bergen    und    den 
Helden  selbst  so  tief  in  die  Lagune   versenken  will,   dass   die  Achäer  dessen  Gebeine  nimmer  wieder 

finden  sollen. 

Nach  dem  Gesagten  unterhegt  es  keinem  Zweifel,  dass  jede  Annahme  einer  Umgestaltung 
des  Locals  unbegründet  und  letzteres  vielmehr  von  den  Zeiten  Homers  bis  heute  ein  und  dasselbe 
gebüeben   ist,   ferner   dass   der  Dichter   mit   dem  Namen  Scamander   um  so   willkürlicher   verfahren 

l 


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—  1»  — 

konnte  und  musste,  je   entschiedener  aus  der   bisherigen  Untersuchung  sich   ergiebt,   dass  der  Name 
^xc'fi/avdnog   ursprünglich  nicht  der  Eigenname   eines   einzelnen  Flusses,   sondern   die   allge- 
meine Bezeichnung  eines  künstlich  angelegten  Entwässerungsgrabens  war,  deren  es  in  der  Troischen 
Ebene     ebensoviele     gab,     wie     wir     noch     heutigen     Tages     ebendaselbst     in     den     sogenannten 
Osmaks,  das  sind  fliessende  Wasserbäche,  \Niederfinden ;  cf.  Forchh.  p.  10.     Würde  es  aber  nicht 
noch   heute   leicht  geschehen   können,   dass   Jemand,   der   Bedeutung   des  Wortes  Osmak   unkundig, 
dasselbe   für   den    Eigennamen    irgend    eines   Baches   der   Ebene    hielte?    Gerade   so   ist   es   Homer 
ergangen;    nachdem   der   Xanthus   im    Munde    der   Leute   der   Eindeichung    wegen   jenen   Beinamen 
führte,   hat    schon   der  Dichter   ihn   für   einen  Eigennamen    genommen   und   also    behandelt  und  vor 
dem  grösseren  Strome  und  dessen  Benennung  ist  das  Wort  Scamandros  für  die  übrigen  Gräben  nach 
und  nach  verbhchen,   ohne  dass  es  ganz   verschwand;   daher   die  Verwechslungen.    Endlich,  und  das 
ist   die  Hauptsache   für   diese  Vertauschungen,   ist  es  dem  Dichter  niemals  darum  zu  thun   gewesen, 
eine   genaue  Topographie  der  Ebene  zu   geben;   er  liat  \-ielmehr,   ein   fernlebender  Sänger,   der  die 
Ebene   selbst   niemals   mit   eignen  Augen   gesehen   hat  (s.  unten),   seine  Aufgabe  nur  darin 
gefunden,   die   lebendig   strömende  und  bei   seinen  Stammesgenossen  mit  Yorhebe  gepflegte  Sage  mit 
voller  Begeisterung   aufzunohmen   und   ihr   unter   strenger  Festhaltung  des  Inhalts  die   künstlerische 
Form  zu  geben.     Dass  aber  jenes  Wort  Scamander   wirkUch  nichts  weiter   bedeutet  hat,   als  einen 
durch  Menschenhand  aufgeworfenen  Graben,  das  beweist  zuerst  die  Etymologie  selbst  Gx6f.i/na  ccvSoog, 
Graben  des  Mannes,  und  weiter  wird  es  bestätigt  durch  das  alte  SchoHon  bei  Eustath.     II.  1197, 
54    ed.   Rom.,   „der   Scamandros   habe   seinen   Namen   daher,   weil   er   von   dem   Manne, 
nämlich  Heracles   gegraben   sei;   cf.  Forchh.  p.  26.     Hier   ist  nun   nicht  zu  sagen,   wie   es   in 
hundert    andern  Fällen   vollkommen   richtig  ist,   dass  aus  dem  Namen   erst  die  Sage  sich   entwickelt 
habe,   wie  z.  B.  aus   dem  der  Burg  zu  Karthago,   Bursa,   das  griechische  BvQoa  (Haut  oder  Fell), 
und   weiter   die    bekannte  Sage  von  der  Gründung  der  Stadt   durch  die  Dido    hervorging,   oder,   um 
selbst  neuerer  Fälle  zu  gedenken,  wie  aus  dem  Ludovicus  Salius,  aus  dem  Geschlecht  der  Salier,  der 
vieluntersuchte  Sprung   desselben   vom  Felsen   zu  Giebichenstein   bei  Halle   a.  S.   entstanden  ist;   im 
Gegentheil,  festgegebene  und  noch  heute  nachweisbare  Verhältnisse  sind  mit  jenem  Worte  bezeichnet 
worden,   nämhch    die   künsthch   angelegten,   also   durch   Menschenhand   geschaffenen  Entwässeruugs- 
Gräben  der  Ebene,  und  wie  wir  noch  heute  jede   derartige  Anlage  ganz  allgemein  „Canal"  nennen, 
so  die  Griechen  ^xäinavdQog,    Hiedurch  finden  auch  die  ^xaiiävÖQioi  (tnal  des  Sophocles  (cf.  Aj.  v.  4 1 8) 
ihre  Aufhellung,   und  erst,   als   das  Wort  zu    einem  Eigennamen   geworden  war,   trat  die  Frage  auf, 
wer    der    grabende    Mann    gewesen,    womit   die  weitere  Sagenbildung    begann,    welche  in    dem 
Manne  den  Heracles  wiederfand. 

Die  durch  die  bisherige  Untersuchung  festgestellten  Resultate  lassen  sich  nun  kurz  so 
zusammenfassen.  Die  Troische  Ebene  war  in  der  Urzeit  vor  Beginn  der  Cultur  ein  grosser  Sumpf, 
dessen  Gewässer  zeitweilig  bis  an  den  Fuss  der  umliegenden  Höhen  reichten,  in  der  heissen  Jahres- 
zeit dagegen  sich  verkleinerten  und  stellenweise  sogar  austrockneten.  Durch  das  in  Folge  von 
Sturinflnthen  vom  Hellespont  her  eintretende  Meerwasser  entwickelten  sich  aus  dem  Sumpfe  todt- 
bringende  Miasmen,  die  erst  durch  die  eintretende  Cultur  beseitigt  wurden.  Letztere  begann  in  dem 
Augenblick,  als  die  ersten  Ansiedler  sich  in  die  Ebene  hineinwagten  und  die  Entwässerung  derselben 
in  Angrift"  nahmen  und  zwar  zunächst  durch  die  Eindeichung  des  Hauptflusses  Xanthus,  welcher 
von  nun  an  wegen  Aufwerfung  der  künstlichen  Ufer,  die  gleichsam  einen  breiten  und  tiefen  Graben 
einfassten,  im  Munde  der  Menschen  Scamandros  beibenannt  wurde.  Sodann  wurde  die  östUche 
Seite  des  Xanthus  durch  Ausgrabung  des  Kalifatli-Scamander  (Palaescamander),  welcher  die  Gewässer 
des  südösthchen  Winkels  nach  dem  Simois  -  Thale  abführte,  in  ihrem  südlichen  Theile,  und  ebenso 
das  Simois-Thal  selbst  durch  künstliche  Fortsetzung  des  Scamander  in  den  Karanlik-Liman  des  Hellespont 

3* 


20 

trocken  gelegt,  während  die  nicht  abführbaren  Wasser  in  ihren  tiefgewühlten  Betten  sich  als 
Simois-Scamander  bis  in  die  Nähe  des  Hellespont  zogen  und  hier  Sümpfe  bildeten.  Dann  wurde  die 
westhche  Seite  am  Xanthos  zunächst  durch  den  über  100  Fuss  tiefen,  nütten  durch  den  westlichen 
Höhenzug  gegrabenen  Canal  in  Angriff  genommen,  der,  falls  er  im  Gebrauch  gebheben,  ebentalls 
den  Namen  Scamander  geführt  haben  würde;  er  erwies  sich  als  unnütz  wegen  der  unablässig  in  die 
Ebene  hinabströmenden  Bunarbaschi  -  Quellen,  und  so  wurden  diese  durch  einen  zweiten  Canal,  den 
Bunarbaschi- Scamander  direct  ins  Aegäische  Meer  geleitet.  Die  nach  grossen  Ueberschwemmungen 
zurückbleibenden  Sumpfwasser  flössen  durch  einen  kleinen  Abzugsgraben,  wohl  auch  Scamander 
genannt,  in  den  Xanthos.  EndHch  war  das  ganze  Entwässerungssystem  so  beschaffen,  dass  die  ganze 
östhche '  Seite  am  Xanthus  durch  Ableitung  desselben,  sowie  des  Kiraar-Su,  der  wohl  der  alte 
Andrios  ist,  unter  Wasser  gesetzt  werden  konnte,  um  den  Bewohnern  der  Ebene  sichern  Schutz 
gegen  auswärtige  Feinde  und  deren  Angriffe  zu  gewähren.  Wo  aber  lag  nun  die  alte  Stadt  dieser 
ersten  Bewohner? 


Cap.  IV. 
Die  Lage  des  alten  llion. 

Die  Behauptung  der  Neu-Ihenser,   dass  ihre  Stadt  die  Stelle  des  alten  Troia    einnehme,   ist 
wohl   in   der   ältesten   Zeit   niemals   in   Zweifel   gezogen   worden;    sie    beduri'te   keines    besonderen 
Beweises,  da  die  Tradition  genügte.     Erst  als  man  anfing,  das  Ansehen  des  Homer  mit  heranzuziehen 
und  die  Lage  Neu-Ilions  nüt   dessen  Angaben  zu  vergleichen,  und  als  man  in  ihm  Vieles  zu  finden 
glaubte,  was  jener  Behauptung  entschieden  widersprach,  entwickelte  sich  schon  im  Alterthum  neben  jener 
Tulgären  nach  und  nach  eine  sogenannte  gelehrte  Meinung,  und  die  Frage,  wo  llion  gelegen,  wurde 
zum  Gegenstande  eingehender  Untersuchungen.     Doch  hat  die  letztere  Meinung  wenigstens  im  Alter- 
thum nie  einen  festen  Boden   gefunden;   \ielmehr  hat  die   traditionelle  Ansicht   bei  Griechen  und 
Römern   stets   die   Oberhand  behalten.     Zunächst  war  es   Alexander   von  ^Lacedonien,   welcher   bei 
seiner  Vorliebe  für  Homer  und  wegen  der  Verehrung  des  Helden  Achilles  alle  seine  Sympathien  den 
Nachkommen  der  Stadt  zuwandte,   in  deren  Nähe  die   grossen  in  der  Iliade  geschilderten  Schlachten 
geschlagen   worden   waren.     Demnach   ging   er   nach   seinem   Siege  am    Granicus   nach    Neu -llion, 
sclimückte  den   dortigen  Tempel    mit  Weihgeschenken,   legte   dem  Orte  den  Namen   einer  Stadt  bei 
und    befahl  sie  mit    ansehnlichen  Bauten   wieder   herzustellen;    zugleich    erklärte  er  sie  fiir   frei  und 
gab   ihr  Immunität   von  Lasten   und  Abgaben.     Auch   scliickte  er   später  nach   der  Zertrümmerung 
des  Perserreichs  ein   wohlwollendes  Schreiben  an   ihre  Bewohner,   in  welchem  er  versprach,  sich  der 
Stiidt    und    ihrer    ferneren    Entwickelung    mit    Vorliebe    annehmen    zu     wollen;    cf.    Strab.    XIII, 
p.    99    sqq.       In    noch    ausgedehnterem    Maasse    sorgte    der    Dictator    C.    Juhus    Caesar    für    die 
Stadt,    indem    er    ihr    nicht    allein    reichen    Landbesitz    verheb,    sondern    ihr    auch    die    Freiheit 
üess    und    iliren    Bewohnern    das    Privilegium    der    Entfreiung    von   Abgaben    und    Lasten    aufrecht 
erhielt:    cf.    Strabo    a.    a.    0.    p.    102.     Als   Beweggründe    dieses   Wohlwollens    führt   Strabo   ganz 
ausdrückhch  an,  weil  die  Römer  den  Aeneas  für  ihren  Ahnherrn  [aQxrjtrr^s)  gehalten,  Caesar  selbst 
aber  sein  Geschlecht  vom  Julus,  dem  angebUchen  Sohne  des  Aeneas,  abgeleitet  hätte.     Der  weiteren 
Ausführung   dieser  Verhältnisse   bedarf  es   nicht;    es  geht   aus   dem  Gegebenen  zur  Genüge   hervor, 
dass  die  Zeit  Alexanders  und  in   höherem  Grade  noch  die  Römische  Welt  unter  Caesar  der   uralten 
Tradition  der  Neu-Ihenser  voUständigen  Glauben    geschenkt    hat.     Wem  aber   nicht   unbekannt  ist, 
von  wie  tiefer  Bedeutung   derartige  Traditionen  für  die  Erkennung  und  für  das  Verständniss  uralter 


m 


- —  «1 

Verhältnisse  sind,  so  wie  auch,  dass  es  bei  weitem  leichter  ist,  statt  ihren  Kern  aufzufinden,  sie 
jfort  ins  Reich  der  Fabel  zu  verweisen,  der  wird  es  nur  tief  beklagen  können,  dass  die  gelehrte 
Forschung,  wenn  auch  ohne  jeghches  Verständniss  des  Homer,  sich  der  Sache  bemächtigt  hat.  Strabo 
a.  a.  O.  fasst  die  gelehrte  Ansicht  aller  seiner  Vorgänger  zusammen  und  erklärt  sich  kurz  und 
bündig  gegen  die  Tradition  mit  den  Worten:  cti  d^  oix  ivrai&a  lÖQvxai  zo  TiaXaiov  'iXiov  xad"* 
O/iiTjifOv  axonoiaiv,  ix  iiov  loiwvde  Tsx/naiQovraL  Mit  diesem  Satze,  dass  die  Frage  nur  unter 
Führung  des  Dichters  erledigt  werden  könne,  hatte  die  gelehrte  Ansicht  festen  Boden  gewonnen; 
den  Homer  in  der  Hand  durchstöberte  man  die  ganze  Troische  Ebene,  und  wo  die  Wirklichkeit 
mit  den  Angaben  der  Iliade  unvereinbar  erschien,  wurde  ohne  Umstände,  da  der  Dichter  sich  nicht 
irren  könne,  zu  Ungunsten  der  Tradition  entschieden  und  behauptet,  dass  die  Ebene  eine  totale 
Veränderung  erlitten  habe,  oder  aber,  dass  die  alte  Stadt  an  einer  ganz  anderen  Stelle 
als  an  der  von  Neu-Ilion  zu  suchen  sei.  Diess  Princip,  nur  den  Dichter  als  Führer  zu 
nehmen  und  ihm  unbedingt  zu  folgen,  ist  bis  zum  heutigen  Tage  das  geltende  gebUeben  und  hat 
den  ganzen  Wirrwarr  der  Ansichten  hervorgerufen,  die  leicht  noch  bedeutend  vermehrt  w^erden 
könnten,  weil  jeder  Forscher  sich  für  berechtigt  halten  darf.  Allem  Gegebenen  gegenüber  sein 
eignes  Dafürlialten  auf  den  Thron  zu  setzen;  an  Scheingründen  und  Gegengründen  pflegt  es  nicht 
zu  fehlen,  eben  weil  bei  Homer  eine  positive  Basis  fehlt.  So  ist  Bunarbaschi  zu  der  Elire 
gekommen,  die  Area  der  alten  Stadt  zu  sein,  so  unlängst  das  im  Südostwinkel  der  Scamandrischen 
rechten  Ebene  gelegene  Atzik  -  Kioi  (vergl.  Ulrichs  in  der  erwähnten  Schrift).  Dabei  aber  hat  man 
gänzHcli  ausser  Acht  gela«;sen,  dass  die  gelehrte  Ansicht  der  festen  Tradition  gegenüber  im 
Laufe  von  Jahrhunderten,  von  Alexander  bis  auf  Caesar,  also  weder  in  der  Griechischen  noch  in 
der  Römischen  Welt  irgend  festen  Boden  hat  gewinnen  können,  und  erst  die  neueste  Zeit,  die  eben 
von  der  Bedeutung  jener  Tradition  keine  Vorstellung  mehr  hat  noch  haben  kann,  hat  mit  kühlem 
Verstände  die  gelelule  Ansicht  wieder  zur  Geltung  zu  bringen  versucht.  Indessen  fragen  wir  nach  den 
Gründen,  worauf  sie  sich  stützt,  so  sind  es  seit  dem  Alterthum  immer  dieselben  gebheben,  weshalb  es 
unbehaghch  und  unerquickhch  wird,  selbige  stets  von  Neuem  vorzutragen,  und  zwar  um  so  mehr 
als  es  Gründe  sind,  aus  denen  bei  genauerer  Betrachtung  auch  nicht  ein  Schein  der  Wahrlieit 
entnommen  werden  kann.  Denn  allen  Lesern  des  Homer  gegenüber  behaupten  wir  mit  vollem  Bewusst- 
sein  der  Wahrheit,  dass  es  in  der  ganzen  Iliade  auch  nicht  einen  einzigen  Punkt  giebt, 
der  topographisch  als  feste  und  unbestrittene  Basis  dienen  könnte,  um  von  ihm  aus  die  Entscheidung 
der  Frage,  wo  einst  das  alte  llion  gelegen,  nur  annähernd  anzubahnen.  Alles  schwebt  bei  Homer 
in  der  Luft  und  von  der  vielgerühmten  Oljjectivität  des  Dichters  findet  sich  in  topographischer 
Bezielnuig  bei  ihm  auch  nicht  die  leiseste  Spur. 

Welches  sind  nun  die  (Jründe  der  gelehrten  Ansicht?  Wenn  man  das  Schiffslager  (vccioraS'fiog) 
als  zwischem  dem  Sigeischon  Vorgebirge  und  der  Mündung  des  Xanthus  -  Scamander  belegen 
annimmt,  so  beträgt  dessen  Entfernung  von  Neu-Ilion  20  Stadien  (»/s  Meile);  setzt  man  es  zwischen 
jene  Mündung  und  das  Rhöteische  Akroterion  am  sogenannten  Portus  Achaeorum,  so  beträgt  sie  nur 
12  Stadien  (^etwas  über  V«  Meile);  nimmt  man  nun  hinzu,  dass  wenigstens  die  Hälfte  der  letzteren 
Uferstrecke  angeschwemmtes  Land  ist,  so  verringert  sich  der  Abstand  des  Lagers  von  Neu-Ihon  bis  auf 
nur  6  Stadien  (etwas  über  V»  ^leile  oder  Viertelstunde  Weges);  da  nun  aber  Homer  den  Polydamas 
(Ihad.  XVIII,  2r)6)  sagen  lässt  txog  ö'  and  leixeög  ei^ev,  oder  den  Odysseus  (Od.  XIV,  469)  Air^v  yaq 
vrjtLv  ixag  /;>l^o.u€v,  so  folge,  sagt  man,  aus  dem  )dr^v  txdg,  dass  (he  alte  Stadt  sehr  weit,  also 
mindestens  doch  weiter,  als  Neu-Ihon  vom  Meere  gelegen,  letzteres  also  das  alte  Troia  nicht  sein  ^ 
könne,  cf.  Strabo  a.  a.  0.  p.  108  sqq.  Die  Würdigung  dieses  Grundes  überlassen  wir  dem  Leser 
imd  bemerken  nur,  dass  der  relative  Ausdruck  txag  oder  yHr^v  txog  gar  keinen  Maasstab  für  die 
Entfernung  der  Stadt  vom  Meere   abgiebt.     Nicht  anders  verhält  es  sich  mit  den   übrigen  Gründen, 


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wie   z    B.  dass,   weiiii   man   von   dem   heutigen   Neu-Ilion   eine   gerade   Linie   nach  Osten   bis  zum 
jetzigen  Kara-ghün,   der   alten    Kallicokme   ziehe,   so   liege   auf  dieser,    30   Stadien   (V  Meilen   vi     ,i 
Neu-Ilion    entfernt,    auf   dem    mittleren  Bergrücken    das    Dorf    der    Ilienser,    und    von    da    au.   I 
10  Stadien  (V*  Meile)  weiter  die  Kallicolone.     Nun   aber  sagt  Homer  Iliad.  XX,   51  sqq.,   dass  Ares 
am   grossen   Schlachtentage   die   Troer   augefeuert   habe    bald   von   der   h(ichsten    Iblhe   der   Stadt, 
bald,"  am  Simois   entlang   eilend,   auf  der  Kallicolone.     Dazu  nun  mvd  bemerkt,   (cf.  Strabo  p.  107), 
dass,'  wenn   Ares  bald   von   der   Burg   (Neu-Ilions)   die   unter   derselben    kümpfenden   Troer,    bald 
von   der   KaUicolone    aus    die    ebenfalls   am   Fusse   dieser   Anhöhe   Streitenden    ermahnte,    sich    die 
Schlachtreihe   der  Troer   von   dem   einen  bis  zum   andern  Punkte  eine  Meile  weit   ausgedehnt  haben 
müsse     was   nicht   glaublich   sei:   folglich   könne  die  alte  Stadt   nicht  an    der  Stelle  von  Neu-Iüon 
gelegen   haben,   sondern   an   der  des  Dorfes   der  Ilienser.     Diess  ist   der  Sinn  der  Beweisführung 
Strabos,  die  übrigens  in  hohem  Grade  dunkel  und  verworren,   wenn   nicht  geradezu  ^^^derslnmg  ist. 
Denn  wenn  seine  Worte  TeTTceQaxotTa  de  aTctöinig  diexovar^s  rt^S  KalUxnUvr^g  and  roF-  vtv  '/A/or,  ri 
Xoiauior  im  TOfJorror    u8Ta).a/itßavao(^ai  roig  liiiovg,  i(f  oanv  i)  diaiain;  ov  dikuve;    doch    eben 
nichts    anderes    bedeuten,    als    dass    die    Schlachtordnung    der    Troer  sich   nicht    eine    Meile    weit 
zwischen  den    -enannten  Punkten    ausgedehnt  habe,   so  folgt  daraus,  dass  er  im  Vorhergehenden  mit 
den  Worten  ru^avu^g  av  d'  "^Qi^g  ccXIotb  uh  t,]v  iyxekevatv  cno  t/>  axQOTZolsiog    noiono,  allou 
ix   Tiüv   Tilraiov  Tomov   toI  t€  iLficevTog   xai    %r,g  Kal)Axo).wri;g,  fitXQi  ov   xai    tixog   xiv   //ot/m- 
noareräo^ia,   nur   an   die  Burg   der  alten   auf  der  Stelle   des  Dorfes   der  Ilienser   gelegenen   Stadt 
gedacht   und    demnach   gemeint   hat,   die  Schlacht  habe   sich    von   der  Burg   eine  i/4  Meile  weit  bis 
zur   Kallicolone    tÜghch    erstreckt   und    Ares   habe   bald   hier   bald    dort    die    Kiimpfenden    anfeuern 
können      Doch  was  wird  dann  aus  den  Worten,   mit  denen  er  den  ganzen  Beweis   einleitet:   t»";^  yaQ 
fiaxrg  tTii  reo  ^xo^iavSolf,,  nediuj  övvielovfiivr^gi  Denn  wenn  die  Schlacht  auf  der  Scamandrischen 
d.  h.'vom  Xanthus-Scamander  durchstrihnten  Ebene  (cf.  Demetrius  bei  Strabo  p.  KMi)  vor  sich  geht, 
so   muss  sie   doch,   um  bis   zum  Dorfe   der  Ilienser,   und  weiter   am  Simois   bis   zur  Kallicolone   zu 
gelan-en,   sich  vor  Neu  -  Ilion   nördlich    vorüber  in    die  Simoeisische    El)ene    hineinziehen,    muss   also 
sich  e"ntweder  viel  weiter  ausdehnen,  als  Strabo  am  Schlüsse  seines  Beweises  zugeben  will,  oder  aber 
der  obige  Eingan-  und  die  Erwähnung  der  Scamandrischen  Ebene  ist  völlig   unstatthaft  und  der 
ganze  Beweis  ''irdU   dadurch    in   sich   selbst   zusammen.      Dazu   k.nnmt,    dass  Strabo,   der  doch   den 
Dichter   genau    kennt,    wissen    musste,    wie   dieser   die  (iötter    sich   bewegen   liisst,  wie  er  z.  B.  den 
Poseidon" vom  steilen  Samos  aus  bereits  mit  dem  4.  Schritte  nach  Aegae  tührt  (Riad.  XIII,  20),  oder 
Av-ie    er    Here    den   Olympos   verlassen   und    ohne   die   Erde    mit   dem   Fusse   zu   berühren,    zu    den 
entferntesten  Orten    -elangen   liisst  (Iliad.  XIV.  22r)  sqq.):   er  musste  also  wissen,   dass  der  Mahnruf 
des  Ares,    ob    von  dieser    oder    von  jener  Höhe    erschallend,    die  Troer    erreichte,   gleichviel    wo   sie 
kämpften.      Allein    diese    ganze  in  sich    unzusammenhangende  Beweisführung  des    Geographen    zeigt 
deutlich,    dass    er    selbst   die   Troische    Ebene   gar    nicht    gesehen   und   dass   er   die    spitzHndigen 
Ausführungen  seiner  Vorgänger,  eines  Demetrius  oder  einer  Hestiaea  aus  Ale.vandria  Troas  (cf.  p.  loO) 

ohne  alle  Kritik  wiedergegeben  hat. 

L'm  nichts  besser  ist  der  von  der  Ebene  Thymbra  hergenommene  Beweis,  dass  diese  namüch 
sich  in  der  Nähe  des  Dorfes  der  Ilienser  befinde,  von  Neu-Ilion  aber  50  Stadien  (MM  Meile) 
entfernt  sei:  cf.  p.  10'.  Denn  Strabo  scheint  nicht  bedacht  zu  haben,  dass  an  der  einzigen  Stelle 
des  Homer,  wo  Thymbra  erwähnt  wird  (Ihad.  X,  430)  die  Wendung  nQog  QipßQrg  nach  ädit 
griechischer  Ausdrucksweise  nichts  anders  bedeutet,  als  die  Richtung  nach  Thymbra  zu  (Griech. 
Xtgu  Thvmbra  her),  und  dass  hieraus  iiir  die  Lage  der  alten  Stadt  nicht  das  Geringste  folgt. 
D^selbe"  ist  von  den  bei  Homer  oft  erwähnten,  aber  topographisch  völlig  unbestimmbaren  Punkten. 
dem  5:eigenhügel    (iQtve6g)    und    der  Buche    {rf7j6g    zu    sagen:    zwar   vermuthet  Strabo,   dass   sie  m 


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der  Nähe  des  Dorfes  der  IHenser  gelegen,  indessen  worauf  er  dabei  sich  stützt,  bleibt  völhg  dunkel, 
und  doch  ist  es  ganz  gewiss,  dass,  wenn  die  Punkte  sich  durch  den  Volksmund  als  in  der  Nähe 
jenes  Dorfes  befindlich  erhalten  hätten  und  den  Forschern  bekannt  geworden  wären,  es  nicht  des 
geringsten  weiteren  Beweises,  dass  das  Dorf  der  Ilienser  das  alte  Ilion  sei,  bedurft  hätte. 

Sclüimmer  noch  steht  es  mit  der  Bemerkung  des  Geographen  (cf.  p.  109),  dass,  wenn  Neu- 
Ilion  die  alte  Stadt  gewesen,  der  Späher  Polites  (cf,  Iliad,  II,  702)  ein  Thor  genannt  werden  müsse, 
wenn  er,  statt  von  der  weit  höheren  Acropolis  von  Neu-Ibon  zu  schauen,  sich  das  Grabmal  des 
Aesyetes  dazu  ausersehen  und  dadurch  sich  der  Getahr  ausgesetzt  hätte,  vorkommenden  Falles  nur 
in  der  Schnelhgkeit  seiner  Füsse  sein  Heil  zu  suchen;  denn,  setzt  er  hinzu,  Tcevte  dik^ei  OTadiovg 
6  VLV  Ö€ixvrfieiog  jor  Aioit[cov  xoifog  xata  xr^v  eig  \^le^cvdQtiav  oSov.  Wenn  irgend  eine  Stelle, 
so  beweist  diese,  dass  Strabo  die  Ebene  nie  mit  Augen  gesehen  hat.  Alexandria  Troas  lag  am 
Aegäischen  Meere,  also  westlich  von  Neu-Ilion  ^cf.  Plin.  N.  H.  V,  30),  folglich  muss  der  Weg  dahin 
von  Neu-Ilion  aus  mitten  durch  Xanthus-Scamander-Thal  führen.  Hier  aber  findet  sich  ersthch 
nirgends  der  von  Homer  genannte  xr/ußog  clxQtxarog  (Strabo  sagt  bloss  xäg^og),  und  zweitens  würde 
Pohtes,  falls  er  sich  jemals  dort  befunden,  ihn  niemals  zur  Warte  haben  wählen  können,  lediglich 
der  durch  die  Flüsse  verursachten  Hindernisse  wegen.  Wenn  nun  aber  Strabo  hierin  ganz  richtig 
einen  Grund  gegen  Neu-Ilion  gefunden  hat,  zugleich  aber  damit  seine  Ansicht  in  Betreff  des 
Dorfes  der  Ilienser  bestätigen  will,  wie  kann  er  da  den  vuv  deixvv/tievng  xov  A\a  xaq^og  damit 
zusammenreimen?  Die  Erzählung  vom  Polites  ist  eben  nichts  weiter,  als  ein  Gebilde  homerischer 
Phantasie,  entnommen  aus  der  zu  allen  Zeiten  gültigen  Erfahrung,  von  fernher  Kommendes  von 
einem  erhöheten  Standi)unkte  aus  zu  erspähen,  gerade  so  wie  bei  den  Leichenspielen  des  Patroclus, 
die  auch  nichts  weiter  als  ein  mit  der  wunderbarsten  Objectivität  ausgestattetes  Gemälde  des 
Dichters  sind,  Idomeneus  hoch  von  der  Umschau  aus  [vniQxaTog  tv  TCiQiwTijj)  nach  den  aus  weiter 
Ferne  heraneilenden  Rennwagen  ausschauet  (II.  XXIII,  451,  oder  wie  der  Wächter  in  Aeschylos 
Agamemnon  nach  dem  in  der  Feme  aufiodernden  Feuersignal, 

Endhch  folgert  Strabo  mittelst  einer  Beweisführung,  die  gerechtes  Erstaunen  erregen  muss, 
aus  dem  Umstände,  dass  die  Achäer  erst  im  10.  Jahre  des  Krieges  ihr  Lager  mit  einer 
Mauer  umgeben,  und  dass  die  Troer  ebenfalls  erst  im  10.  Jahre  auf  das  befestigte  Lager  einen 
Angriff  machen,  es  würden  jene  sich  der  Kopflosigkeit  (üjcovoiai,  diese  der  Feigheit  (dipvx^a) 
schuldig  gemacht  haben,  wenn  die  alte  Stadt  an  der  Stelle  von  Neu-Ilion,  also  in  nächster  Nähe  des 
Schiftslagers  gelegen  hätte.  Denn  folgt  daraus  wirklich  etwas  tür  die  Lage  der  Stadt?  Gewährte 
eine  um  •''4  Meilen  grössere  Entfernung  dem  Lager  der  Achäer  in  einem  Kampfe  auf  Leben  und 
Tod  wirklich  einen  ausreichenden  Schutz,  den  Troern  aber  die  Möglichkeit,  sich,  unbekümmert  um 
den  nahen  Feind,  ruhig  und  sorglos  in  der  Stadt  zu  verhalten?  Wir  meinen,  dass  jene  Entfernung 
von  gar  keinem  Belang  tiir  die  Sache  war,  und  dass  Vorwürfe  eben  so  gut  hätten  erhoben  werden 
können,  wenn  die  Stadt  wirklich  an  der  Stelle  des  Dorfes  der  Ilienser  lag,  und  dass  demzufolge  aus 
jenem  Verhalten  der  Kämpfenden  nicht  der  geringste  Schluss  auf  die  Lage  des  alten  Ilion 
gestattet  ist.  Und  dennoch  hat  das  gelehrte  Alterthum  sich  nicht  gescheuet,  durch  solche  nichts- 
sagende Spitzfindigkeiten  die  alte  Jahrhunderte  hindurch  von  Griechen  und  Römern  geglaubte  Tra- 
dition zu  verdächtigen  und  zu  zerstören.  Der  einzige  wirklich  hörbare  Grund,  welchen  man  gegen 
Neu-Ilion  aufgestellt  hat  (cf  Strab,  p.  109),  ist  der,  dass  die  alte  Stadt  um  lauf  bar  war  (cf  Iliad. 
XXII,  130  sqq.,  Neu-Ihon  es  nicht  ist.  Allein  das  weiss  jeder  Leser  des  Homer,  dass,  so  oft 
Achilles  dem  Einen  oder  dem  Andern  als  ein  dvioiaxov  xaxov  erscheint,  der  Betroffene  sofort  von 
Furcht  und  Beben  i^xgoftng)  ergriffen  wird  und  in  schleuniger  Flucht  Rettung  sucht;  und  Niemand 
fragt  wohl,  ob  und  welche  Hindernisse  dem  Fliehenden  entgegengetreten.  So  Hector  vor  Ihon; 
Ehrgefühl  und  Scham  liindern  ihn,    sich   in    die  Stadt  zu  werfen,  so  lange  es  noch  Zeit  ist;   und  als 


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er  es  will,  da  wirft  sich  Achilles  zwischen  ihn  und  die  Stadt,  und  der  Umlauf  entwickelt  sich  ganz 
Ton  selbst,  und  schwerlich  hat  der  Dichter  daran  gedacht,  dass  seine  prächtige  Darstellung,  bei 
welcher  ihn  locale  Bedenken  auch  nicht  im  Entferntesten  eingefallen  sind,  dermaleinst  zum  Gegen- 
stande kritischer  Erörterungen  werden  würde. 

Die  vorgetragenen  Gründe  jedoch   haben   nicht   allein   auf  die  Meinung  der  alten  Forscher, 
mit  Ausnahme  des  Hellanicus,  welcher  Neu-Ihon  vei-theidigte   (Strab.  p.  113»,   sondern   auch  auf  die 
Untersuchungen    der    Neuern,    v.   Eckenbrechor   ausgenommen   (cf.   Ubichs   p.  601.)   entscheidenden 
Einfluss   geübt,  und   haben  sie,   statt   zur   alten   Tradition   zurückzukehren,   dem   Reiz   nicht   wider- 
stehen können,  in  dem  Glauben,   die  Wahrheit   wo  möglich  aufzufinden,   die  gewagtesten  Hypothesen 
aufzustellen  und  mit  Aufbietung  des  höchsten  Scharfshms  zu  begründen  und  zu  vertheidigen.   So  hat  nach 
Forchhammer  das  alte  lüon  über  dem  heutigen  Bunarbaschi  unterhalb  der  Höhe  Baahh  (der  alten  Akro- 
polis),  nach  Ukichs  dagegen,   der   ebenfalls   die  Ebene  persönlich   gesehen  und  sorgsam  durchforscht 
und   sich    dadurch   im   Stande    gesehen  hat,   der   Forclihammerschen   Behauptung   mit    gewichtigen 
Gründen   (cf.   p.   582  sqq.)  entgegenzutreten,   auf  dem   im   südlichsten   Winkel   der   Scamandrisclien 
Ebene,   noch   südhch   vom    Djudan   liegenden  Hiigol,    genannt  Atzik-kioi    (offenes   Dorf)  gelegen; 
cf.  Ulr.   p.  591  sqq.     Es   ist   nicht   unsere  Absicht,   diese   Hypothesen,   die   bei   der   völligen  Unbe- 
stimmtheit  der   homerischen   Angaben   noch   leicht   um   ein  Bedeutendes   vermehrt   werden   könnten, 
eingehender  zu  Avdderlegen.    Nur  so  viel  sei   gegen  Forclihummer   bemerkt,   dass   die   von   ihm   vor- 
getragene Erklärung  betreffs  der  Bunarbaschi -Quellen,   und   der   dadurch   versuchte  Nachweis   ihrer 
Identität  mit  der  heissen  und  kalten  Quelle  des  Homer  nicht  geeignet  ist,  Ueberzeugung  hervor- 
zurufen.   Denn  wenn  er  die   homerische  Stelle   (B.  XXII,  147.)   nicht  andei-s  als  wörtlich  auftasst 
und  das  Vorhandensein  der  Quellen  in  der  Ebene  gerade  so  fordert,  wie  der  Dichter  sie  beschreibt, 
so  musser  auch  zugeben,  dass  seine  Erklärung,  wörtlich  genommen,  auf  Homer  ganz  und  gar  nicht 
passt;  eine  Quelle,   die   nur   unter   Umständen,   zu   gewissen  Zeiten,   also   momentan  Dampf 
ausströmt,  d.  h.  im  Winter,   wenn   die   Luft   sehr   kalt    und    die  Temperatur  des  Wassers  wärmer  ist, 
zu  allen  andern  Zeiten  dagegen  mit  den   übrigen  Quellen   gleiche  Temperatur   zeigt,   kann   nie   eine 
heisse  Quelle  genannt  werden;  und  eine  solche  beschreibt  uns  der  Dichter.     Aus  den  Worten  &tQH 
jiqoqUl   ehvla    yalä^j]    zu    dem    Vorhergehenden    xeifuZvi    zu   ergänzen,   ist   völlig   unstatthaft,   da 
d^eoü  nur  mit  aixvra  yal.'m  enger  Gedankenverlündung  steht,  um  anzudeuten,  dass,  da  die  Kälte  der 
Quelle  sich  im  Winter  ganz  von  selbst  vei-steht,  sie  im  Sommer   eiskalt    hervorsprudele,   während 
jene   überall  nur  mit  warmem  Wasser  Üiesse.     Ebenso  wenig  können  wir  uns  auf  eine  Widerle-ung 
der  überaus  bedenklichen  Hypothese  von  Ulrichs  einlassen;  ihr  widerspricht  das  Bild,  welches  sich  jedem 
Leser  des  Homer  ganz  von  selbst  aufdrängt  und  welches  die  Schifte  und   die  alte  Stadt  sich  gerade 
gegenüber   stellt   (cf.  Virg.   Aen.  H,    4()l)   so   grUndlicli,   dass   der  l'rheher  jener   Behauptung   wohl 
selbst  kaum  recht  ernstlich  an  ihre  Richtigkeit  geglaubt  haben  kann;  ihr  fehlen  selbst  die  Kriterien, 
durch  welche   die  Forchhammersche   Ansicht   sich   geltend    macht,   die  (,)uellen    und   der  Scamander, 
und  genau  genommen  hat  sie   nichts   weiter   für   sich,   als   dass    das   heutige  Atzik-kioi    umlaufbar 
ist.    '^Nichtsdestoweniger    ist   die    Schrift    sehr    werthvoll;    sie    enthält    eine    Fülle    gelehrter    Nach- 
weisungen und  beschreibt   einzelne  Punkte  der  Ebene  mit  grosser  Genauigkeit;   für  einzelne   Mängel 
ist   wohl    nicht    der    Verfasser,    sondern    der    entfernte    Druckort    verantwortlich.      Jedenfalls    wird 
Niemand,   der  sich  mit  der  vorliegenden  Frage   beschäftigt,   die  Abhandlung   übersehen   dürfen,   und 
fühlen  wir  uns  für  das,  was  wir  aus  ihr  gelernt,  dem  \'erfasser  zu  besonderem  Dank  verpflichtet. 

Kehren  wir  zui'ück  zu  der  Frage,  wo  die  alte  Stadt  gelegen,  so  bleibt  keine  andere  Stelle 
übrig,  als  die  dmxh  die  Tradition  bezeichnete;  steht  diese  mit  den  innern  Verhältnissen  der  Ebene 
in  vollständiger  Uebereinstimmung,  so  muss  unter  absoluter  Zurückweisung  der  gelehrten  Ansicht 
die  Sache  als  entschieden  angesehen  werden. 


Wir    haben   schon    früher    auf  die    Hufeisenform    der    Ebene    hingewiesen,   wie   sie   aus  der 
Beschreibung  des  Demetrius  von  Skepsis  (cf.  Strab.  1.  L  p.  105  sqq.)  hervorgeht  und  vde   sie   durch 
die  \ortrettliche  Sprattsche  Karte,  so  wie  auch  durch  die  Mittheilungen  von  Ulrichs  p.  589  bestätigt 
wird.      In    dieses   Hufeisen,   dessen   Rundbogen   nach   Süden,   die   Oeftnung   also   nach    Norden   zu 
zwischen  den  beiden  Spitzen   des   Sigeum  und   Rhoeteum   am   Hellespont  liegt,   zieht  sich  von  Osten 
nach  Westen  zu  der  schon    oftmals   genannte   Bergrücken    hinein,   der   fast   in   der  Mitte   der  Ebene 
endet  und  dessen  westliche  Spitze  schroft'  nach  Norden  zu  abfäUt.     Diese  Anhöhe  ist,   mit  Ausnahme 
des  Berghalses,  welcher  von  Osten  her  den  einzigen  Zugang  gewährt,  rings  von  der  Ebene  um-eben, 
die  durch  ihn  in  zwei  Theile  zerfällt,  in  die  des  heutigen  Mendere  und  in  die  des  Dümbrek,  welche  sich  dann 
nach  Norden  zu  wieder  in  eine  Ebene  vereinigen.     Versetzt  man  sich  nun  in  jene  Urzeit  zurück,  in  der 
zuerst  Ilion  in  der  Ebene  gegründet  wurde  (cf.  Hom.  Iliad.  XX,  215:  xtiaae  d^  JaQdavh;v,  insi 
oLtwg  "Ikiog  iQf  iv  neöioi  nenoliovo),  so  gab  es  in  der  ganzen  Ebene,  die  in  Folge  physischer 
Verhältnisse  einen  einzigen  grossen  Sumpf  bildete,  keinen  andern  Punkt  für  die  Anlage  einer  Stadt 
als  die  genannte  Anhöhe;  hier  liegt  noch  heute  Neu-IIion  und  hier  und   nirgend  anders  ist  die  alte 
II los  erbauet  worden. 


Wpi*  "*■" 


§..4. 


Die  ])isherige  Unters* 
einzelnen  verlorenen  Notizen 
schwer  abzugeben  ist,  jrr-, 
die    noch    heute   m»*^ 


i'v  i    deren  Werth   oun    lii,»eitL    >  il   et\d->iuliv>  v. 

tubjn,  .'H>nai,rn  dass  wir  uns  auf  dem  Boden  gegebener  Thatsaciie.\ 
.■ha»      ad   mit  Händen  greifbar   sind,   bewegen,   welche   ein   absolut 


gewisses  Ui-tbc-l  u ml   a!  -    -MC        ':.     en  und  selbst  nothwendig  machen.     Knüpfen   wir   demnach   für 
.las   Nächst  oine    Bemerkung   AI.  v.  Humboldts   an,   welche   bei    Klencke   Leben   etc.   p.   130 


einen 
I  ii\  1 
ii 


also    laiitru   „j-«.'    doi  wunderbaren  Fruchtbarkeit   der  Natur   besteht   das  Feld   der  Urbewohner   in 
,'    Uidwinkel,    das    Urbarmachen    im   Anzünden    von    Sträuchern,    und    der    Anbau    des 
der  Aussiuit  einiger  Körner   oder   im  Pflanzen   einiger  Steckreiser.     Mag  das  Nachdenken 
entfernte  Jahrhunderte  zurückgehen,  man  wird  sich  allezeit  die  Völker  in   diesen  dichten 
"^re  Naliruiig   aus   dem   Boden    ziehend   vorstellen:    weil   aber   diese    P^rde    auf  kleinem 
^e  ..    ,  last  ohne  Müiie  reichen  Ertrag  giebt,  so   muss   man   sich  diese  Völker  wiederum  auch 
-^  ANoL..sitze   (Miiein  i'lusse   entlang   öfters   änd(n-nd   denken.     Wirklich   sehen   wir   noch    heut- 
dcn  Eiiigeborneii    am  Orinoco   mit  seinen  Saatkörnern   wandern   und   seine  Pflanzungen   von 
.-      Stelle  zur  andern  übertragen,   wie   der  Araber   mit  seinem  Zelte  und  Weideplatze  thut."     Man 
bei    r'inigcr   l'e])erlegung    nicht    umhin    kömien,   der   Ansicht   Humboldts   beizupflichten;    allein 
wird   für   das   chissische  Alterthum   weitergehen    und   sagen  müssen,   dass,  abgesehen   von   der 
x-mehrung   dei-   Ansiedler,   durch   welche   unbebaueter   culturfähiger   Boden   immer  gesuchter    und 
seltener    wurde,    liaui)tsiichlich    zwei    Bedingungen    es    gewesen    sind,    welche    dem    Wandern    der 
Urbewolmer  ein  Endziel  gesetzt  haben;    sie   wurden   nämhch    dauernd   sesshaft,    wenn   sie    einen  Ort 
landen,  welcher  bei  ausreiclu^nder   Sicherheit   gegen    feindhche  Ueberfälle   ihnen   die  Mittel   zu   ihrer 
Existenz    entweder    aus    dem   Anbau    der    Landschal't,    oder   aber,    wenn    ein    fruchtbares   Gebiet 
fehlte,   aus   der   Unterwerfung   der  Umlande   gewährte;   in   beiden  Fällen   entstanden   grosse   Städte 
und   mächtige  Staaten,   allein    im   ersteren   gingen   sie   aus  dem   friedlichen  Betriebe   des  Ackerbaus 
im    letzteren    aus   dem   Gebrauche   pei-sönlicher   Kraft   {{nU^i)  bervor.     Die   auf  solche  Weise   ent- 


\ 


y 


m  

standenen  grossen  Städte  des  Alterthums  nach  diesen  Gesichtspunkten  zu  classiliciren,   ist   hier  nicht 
der   Ort;   indessen   für   unsere    Untersuchung    ergeben    sich   die    weiteren   Schlussfolgerungen   ganz 

von  selbst. 

Die  Troische  Ebene  bietet  eine  Fläche  von  mehreren  Quadratmeilen;  in  einem  Raum  von 
solcher  Ausdehnung  hat  eine  friedliebende  BeviUkerung  sich  nicht  sesshaft  gemacht,  weil  er, 
wenn  auch  genügende  persönliche  Sicherheit,  dennoch  die  nüthigen  Mittel  zu  einer  friedlichen 
Existenz  nicht  darbot;  die  Stelle,  wo  Troia  lag,  war  nur  auf  einem  Wege  von  Osten  her  zugänglich 
und  zwar  mittelst  des  Bergrückens,  der  die  Stadt  mit  der  über  eine  Meile  entfernten  dardanischen 
Ebene  verband;  in  diese  durften  friedhche  Colonen  es  der  Entfernung  wegen  nicht  wagen,  ihre 
nach  Sitte  des  Alterthums  dem  Raube  fortwährend  ausgesetzten  Herden  zu  treiben;  somit  blieb 
ihnen  nur  der  schmale  Borghals  übrig,  der  trotz  seiner  nach  Osten  zunehmenden  Verbreiterung 
dennoch  weder  die  nüthigen  Triften  noch  genügendes  Ackerland  darbot.  Man  sieht  leicht,  dass,  wer 
auch  immer  zuerst  jenen  Ort  zu  einer  Niederlassung  sich  ausersehen  haben  mag,  es  nur  kühne  und 
entschlossene  Gesellen  gewesen  sein  können,  die,  der  Kraft  ihres  Arms  vertrauend,  von  ihrem 
Schlupfwinkel  aus  die  Umlande  zur  Unterwerfung  gebracht  und  aus  den  Sclavendiensten  der  Unter- 
worfenen sich  die  Mittel  zu  ihrer  Existenz  und  Machterweiterung  geschaffen  haben.  So  ist  das  alte 
Ihon  entstanden. 

Ist  dieses  aus  gegebenen  Verhältnissen  gewonnene  Resultat  richtig,  so  muss  es  durch  die 
schrifthchen  Zeugnisse,  die  noch  vorhanden  sind,  eine  weitere  Bestätigung  erhalten.  Es  wird  also 
zunächst  nur  von  Homer  die  Rede  sein  VJnnen,  i*.icht  als  ob  wir  die  nach  ihm  sich  findenden 
Zeu'misse  tur  durchaus  vervprüU'h  J^vicen,  sondern  Wb>il  er  die  älteste  Quelle  ist.  Denn  anzunehmen, 
(L.s  erst  iiuTj  ri'ouitr  sich  die  ganze  spätere  Sagenmasse  unter  den  Händen  nachfolgender  Dichter 
durch  Erweiterung  und  Umdeutung  entwickelt  habe,  ist  völlig  unzulässig,  weil  dadurch  voraus- 
gesetzt würde,  dass  der  ganze  Sagenstrom,  wie  er  zu  Homers  Zeit,  v'o«rte,  sich  einzig  und  allein  in 
dessen  Liedern  ergossen  habe;  im  Gegentheil,  neben  dem,  was  die  IS  T^ge  der  Iliade  uns  vor- 
führen, hat  es  noch  Sage^  in  Menge  gegeben,  die  im  Munde  der  Hellenen  lebten  und  webten,  was 
deuthch  genug  aus  den  kurzen  homerischen  Andeutungen  des  Oedipus,  des  Her^xles,  der  Theseus- 
sage  etc.  erhellt.  Nur  bei«-der  völligen  Unmöglichkeit  die  Veränderungen  zu  erkei.tien,  welche  die 
Sagen  im  Munde  der  foi-mgebenden  Dichter  erfahren  haben,  ist  bei  Untersuchungen  vorliegender 
Art  stets  von  Homer  auszugehen.  Der  einzige  Weg  also,  der  in  der  Urzeit  Ihon  mit  den  Umlanden 
verband,  führte  östlich  in  die  alte  fruchtbare  Hochebene  von  Dardania,  Hieraus  folgt,  da-s  nicht 
herdenreiche  und  begüterte,  sondern  landflüchtige  Dardan  er,  die  ihr  Alles  nur  auf  ihrer  La^izen- 
spitze  trugen,  sich  in  jenen  Schlupfwinkel  gewagt  haben,  um  von  hier  aus  in  verzweifeltem  Riucren 
endlich  Herren  ihrer  früheren  Gebieter  zu  werden.  Die  Bestätigung  dessen  giebt  Homer.  Des  Ze.^s 
Sohn  Dardanus  beherrscht  die  dardanische  Ebene  und  gründet  Dardania;  sein  Volk  wohnt  an^  d^n 
Abhängen  des  Idagebirges,  denn  ein  Ihon  in  der  Ebene  giebt  es  noch  nicht;  Ihad.  XX,  215  sqq.  Ueber 
dieselben  Dardaner  gebietet  noch  des  Dardanus  Enkel  Tros  und  nennt  sie  nach  sich  Troer,  Uad 
erst  unter  dessen  2  Söhnen  —  der  3.  Ganymedes  war  zu  den  Göttern  erhoben  —  erfolgt  qie 
Trennung;  der  jüngere,  Assarakus,  verbleibt  in  Dardania,  der  ältere,  Ilus,  wird  in  Begleitung  von 
Troern  der  Gründer  Ilions  in  der  Sumpfebene;  mit  welchem  Erfolg,  zeigt  in  scharfen  Zügen  die 
ganze  Iliade.  Ilus  also,  der  Mann  der  Sumpfebene  V),  wird  Gründer  der  Stadt  und  der 
Herrschaft;  Laomedon,  sein  Sohn,  der  Volks-Fürsorger,  ordnet  und  Viefestigt  die  Macht,  und 
Priamus,  des  Hos  Enkel,  wird  Oberherr  aller  Umlande.  Wir  tragen  kein  Bedenken  es  aus- 
zusprechen,  dass   unter  Ilus  die  alte  Dardania   dahinschwand   und   dass   ihre   Bewohner   nach   Ilion 


!< 


1)  Er  nennt  die  Stadt  mich  sich  Ilios  oder  Ilion;  die  Bewohner  heiseen  Troer;  den  Namen  Ilienser  kennt  Homer  nicht. 


I 


verpflanzt  A^-urden,  während  die  Bewohner  der  Ebene  als  hörige  Dardaner  zurückbHeben  und  für 
ihre  Herren  die  Ebene  bebaueten.  Denn  nur  diess  kann  die  Stelle  der  Ilias  bedeuten:  xr/aof  öi 
JaQi)(xrirv,  inet  olmo  "lliog  iqi^  tv  neöU^  TienoUaTO,  weil  sonst  der  CausaLsatz  tnü  etc.  smnlos 
sein  würde',  während  er  völlig  klar  und  bedeutsam  wird,  wenn  der  Sinn  ist,  dass  die  früher  m 
Dardania  wohnenden  Vollbürger  späterhin  als  Troer  Bewohner  von  Ilion  geworden  smd.  \oll- 
kommen    bestätigt    wird    diess    durch    die    Verhältnisse    des    Aeneas,    von    denen    unten    die    Rede 

sein  wird.  ,       ,.   ,,  ^         i 

Des  Ilus  Sohn  Laomedon   haben   wir   den   Fürsorger   des  A  olkes   genannt,   und   er   war 

es    denn   er  erbauete  mit  Hülfe  der  Götter  die  Mauern  um  Ilion.     Homer  berichtet  emmal,   dass 

Poseidon  und  Apollon  dieselben  gemeinsam  aufgethürmt  (Hiad.  VH,  452  ^   dann   aber,   dass  Poseidon 

sie   allein    errichtet,    während   Apollon,    als  schützender   Gott,    die   Herden  s  des   Laomedon    m    den 

Schluchten   des   Ida   geweidet   habe   (cf.  Ihad.  XXI,    441  sqq.).     Beide  Angaben   widersprechen  sich 

nicht,  sondern  lassen  sich  sehr  wohl  vereinigen;    die    eine    ergänzt   die    andere.     Allem   von   welcher 

Art   waren   diese  Mauern?     Das   ganze   Alterthum   von   Homer   an   hat    darunter   emen  Steinbau 

verstanden,  so  hoch  und  breit  und  mit  so  schützenden  Thürmen  besetzt,  dass  der  alte  Priamus  hoch 

oben  auf  den  Zinnen  mit  seiner   ganzen  Umgebung   Platz   fand,   um   die   ganze  Troische  Ebene  und 

die  zum  Kampf  bereit  stehenden  beiderseitigen  Heere   zu  übp-schauen;   und   gegen   diese  Auffassung 

des  «r^off  hpnlov  ist  nichts  einzuwenden.    Aus  ihr  entsp^  die  Bezeichnungen  der  homerischen 

Stadt    uteix^og,   evTiiQyog,   d^sodjUT^Tog,   so    wie    die   '^ 

hölzern(?  Pferd  in  die  Tiefe    gestürzt   werden  sollte 

Frage  ist  es,  ob  jene  Vorstellung  des  relxog  au^' 

selbst  hat  nie  ein  sterbhches  Auge  derjenip' 

nur  im  Strome  der  alten  Sage  ist  das  V 

wendig  hervorgerufen.     Allein  kann  '^ 

haben  y      Den    erdumfassenden    P 

starrender  Felsenmassen  zu  d*^ 

gedacht,    einzelne   Felsen   übt 

geordnet    hätte,    würde    man    ei 

Fällen  müssten,  im  ei-steren  ganz  ge\  .  ^,  nocl-  ^ 

gestanden  haben   kann,   Felsen  em,. tragen. 


irkt,    d;.'    \', 
0;,  \!jrgeI'OD'>di^ 
r  Sage   \   i'k 
mu    Autih-' 
ts  Auirälh> 
älzt    ui 


ig:^" 


i-„i»ji_ 


osagt  und  gesiuij 

*•  jene  Voi-stell  ,^geu  iii  1 1 

nnerneu  Bau   ;^</,ev' 
Innern 


fie'^ 


t 'blich' 


.iL 


..tu 


.«.  A.A.X^A1.J. 


Kf\^x\A.y^  u 


Üeberreste  von  Cyclopen-Mau'''i;ii  ei> 
sich  mit  Sicherheit  voi einsetzen  W -■- 
dorfirtigje  Snuren,  noclt  n.i^L  \v;>^    l: 
t\  iiU^  'tjrei ; 
^fi-n   St*"-  -er, 


.ge  an  der  Stelle,  wo  allein  die  alte  Troia 
a  mit  der  grössten  WahrscheinUchkeit  einzelne 

i,      ,zt  sichtbar  sein,  oder  wenigstens  zur  Zeit  Homers 

vveder  heute  finden  sich  an  der  Stelle,  wo  Bion  stand. 

.gste  ist  und  weiter   unten   bewiesen   werden   soll,   Homer 

neu;   die  Annahme   aber,   dass   der  Meeresgott,   gleich  einem 

nur   kleinere   Steine   auf  einander   gepackt   habe,   die  im 


,T'. 


i^t 


.  a  gs  wieder  spurlos  hätten  beseitigt  werden  und  verschwinden  können, 

w^muerlichsten  Vorstellungen   hinneigenden  Alterthum   nicht   im   entfmitesten 

er   unbedingt   zu   verneinen.     Hieraus   folgt,   dass   die    alte   Troia   m   ^^ahrhelt 

ern  ebenso  wenig  umgeben  gewesen  ist,  wie  bei  Homer  das  Lager  der  Griechen: 

otz   der   Mauerthürme    und  Strebepfeiler   der   Mauer   dennoch   nur   ein   Spiel   der 

ntasie,   so  ist  jenes  etwas  in  Wirkhchkeit  vorhanden  Gewesenes   und   hat  nur  einer 

Deutung   unterlegen.     Die  Schutzmauern  Poseidons   waren   eben   nichts   anderes,   als 

Stadt   umgebenden   tiefen   Sümpfe   und  Moräste,    so   recht   eigentlich    ^erke 

•s   des  Schöpfers  der  Brunnen,  Bäche,  Ströme  und  Flüsse;  er  hatte  Ilion  uneinnehmbar 

S'tadt  selbst  bestand,  wie  alle  Urstädte,  sicherlich  nur  aus  Mappalien  und  Hütten,  nach 

remlg     de  Spur  einer  Niederlassung  in  kürzester  Zeit  von  selbst  verschwinden  musste. 


■ 88 

Ist    diese   Auffassung    «ler    ^Jeptunischeu    Mauern    die    richtige,    so    treten    wir    damit    in 
eine   ähnliche    Umgestaltung  der   Sage   ein,    wie   solche   tast  üherall  im   Alt^'i-thum   zur  Erscheinung 
kommt:     die    Mauern    waren    bereits    unter    Ilus,     dem    Gründer    Ilions,     vorlianden,     nilein     die 
Sage    hat  sie   nur   mit  Laomedon   in  Verbindung  gesetzt   und   unter   diesem   entstehen  lassen.     Wie 
diess   gekommen,    darüber   giebt    ihre    weitere   Oestaltun,?,    wie    wir    sie   noch   lieute    kennen,    voll- 
ständigen  Aufschluss.     „üeberschwemmungen",   heisst   es,   „übertiutheten   ilie   Ebene   um   Troia   und 
ein  Meer-Ungeheuer   raffte   Menschen   und  Thiere   von   dem  Felde   hinweg."    So   fornuiliron  Spätere 
die  Sage   (cf.  Diod.  IV,   43),   aber  schon  Homer   ist  die  Quelle   (cf.  Iliad.  XX,    147).      Die    Ueber- 
fluthungen  der  Ebene,  namenthch  durch  Nordweststünne  vom  Meere  her,  haben  wir  nicht  nöthig, 
weiter  zu   beweisen;   ebenso   wenig  kann  das   Meer- Ungeheuer   {xiJTog)   zweifelhaft  sein,  trotzdem 
dass  wohl  die  Mehrzahl  der  Forscher  es   ins  Reich   der  Fabel   verweist.     Wer   noch   heutigen  Tages 
sich    der  Mündungen    der   Strome    Borneos    nähert,    die    aus    den    noch    von    keinem    menschUehen 
Fusse    betretenen  Theilen  der  Insel  sich  ins  ^leer  ergiessen,   oder   wer   mit  Humboldt  die  Urmoräste 
am  Orinoco  besucht,    oder   mit   Sarsfield    sich    in    die   Sümpfe   am    obern    Missisippi    hineinwagt,    der 
allein    wird    sich    eine    richtige    Vorstellung    davon    machen    können,    wie    es    in    der    meilengrossen 
Troischen  Ebene,   bevor  die  Cultur   in   dieselbe   eingedrungen,   einstmals   ausgesehen  hat.     Denn  wie 
noch    heute   jene   Strommündungen    Borneos    nicht    etwa    von    einzelnen    l'ngethümon,    sondern    von 
Tausenden    von   Kaimans   und   Alligatoren   wimmeln,   welche   es   sogar   grösseren  Fahrzeugen   wegen 
der    Gefahr   von    ihnen    umgestürzt  zu  werden,    unmöghch    machon,   in    die  Mündungen   selbst    tiefer 
einzudringen,   oder    wie    dem  Aehnlii'hes   an    den   anderen    genannten  Punkten    noch  jetzt   zu  l)eob- 
achten    ist,   so   muss  die  Frage,  ob  es  in  einer  Urzeit,   bevor   der  Xanthus   durch    Niederschläge   die 
Bucht    ausgefüllt    hatte,    und    als    diese    noch    einen    tiefen    Seemorast    bildete,    in    der    Troischen 
Sumpfnie« ':  mg  eben  so  gewesen,   u.i^e dingt    bejahet  Averden.     Vollkonunen    bestätigt   wird   diess 
durch   die  alte  Sagenwelt;   wenn  nämlich  der   Nilcrocodil  zwar   in  Unteraeg}'pten  vor  der  Civilisation 
fast    gänzlich   verschwunden   ist,    dagegen    in    Oberaegypten   und   namentlich    im    weissen   Xil,   an 
dessen  Ufem   nur   wilde    Xegei-stämme   hausen,   noch   in   grosser   Menge  angetroffen  wird  ( vergl.  die 
Beobachtungen   von  John  Petherick  im  Ausl.   1S70,  Xr.  3,    p.   l   sqq.),    und    wenn    hieraus    im    Alter- 
tlium    der    Mytluis    von    der    \ndromeda,    welche    dem    Meer  -  Ungeheuer    des    Xeptun    zum    Frasse 
ausgesetzt    wird,   sich    einzig   imd    allein   hat   entwickeln   können,    so  gestattet  gewiss  die  Ueberein- 
stimniung  der  Andromeda-Sage    mit  der  von  der  Hesione  den  Schluss  auf  eine  gleiche  Ui*sache, 
üämHch    auf   das    einstige  Vorhandensein   jenes  Gethiers    auch    In    der  Troischen  Suni})fcbene.     Der 
Einwurf   al)er,    dass   an   letzterem    Orte    sich   selbst    im  AlttTthuni    keiilP  ^i'Ui"   davon  mehr  vorfinde, 
kann   mit  Recht    nicht    erhoben    werden,    weil    die    kleinen  Verhältnisse   dei'    Troischen  I^beiie    sofort 
mit    der   Entsumpfuug   ein    Verschwinden    des    (rethiers    mit    sich    bringen    nms>ten,    während    der 
ur.^eheure  Xil  in  seinen  Quellen -Verhältnissen    sich    bis    zum    heutigen  Tage    nicht   lüli'ii»  <l<'i*  Civili- 
sation, sondern  bis  vor  wenigen  Jahren  sogar  der  allgemeinen  Kenntniss    entzogen   hat  und  demnach 
die  Erscheinungen  des  Alterthums  auch  heute  noch  zu  Tage  treten  lässt. 

Aus  dem  Gesagten  nun  ergiebt  sich,  dass  die  Sage  von  der  Hesione  mit  nichten  eine  u?i* 
innern  Wahrheit  ermangelnde  Fiction  eines  Einzehien  ist,  sondern  dass  sie  aus  ganz  bestimmten 
Thatsachen,  die  im  Bewusstsein  des  Volkes  fortlebend  sich  in  die  Mythenform  gehüllt  haben,  her- 
vorgegangen ist;  dasselbe  gilt  von  unzähligen  Sagen  der  Griechischen  Vorzeit,  die,  weil  man  ihren 
Kern  nicht  mehr  kennt  oder  ihn  nicht  mehr  herausschälen  kann,  ins  Reich  der  Phantasic-(iebilde 
geworfen  werden.  Kehren  wir  zurück  zur  Sage  von  „der  Ueberschwemniung  inul  dem  Meer- 
l'^n  geh  euer",  wodurch  der  Urzustand  der  Troischen  Ebene  vollkommen  richtig  gezeichnet  wird, 
so  stand  hiemit  sofort  der  Cdaube  des  ganzen  Alterthums  in  Verbindung,  dass  beides,  Ueberflut  hung 
und  Ungeheuer,  an  Poseidon  seinen  Urheber  habe:   denn  ihn  anerkennen  aN  ihren  Herrn  nicht 


^ 


29 

allein  die  Meei-eswogen,   .sondern    auch  alle  in  ihnen  lebenden  Geschöpfe  und  freuen  sich  seiner-    cf 
liiad.  XIH,    28.     Kein  Wunder   also,    .lass,    wenn    eben  diese  Wiesen  dem  Menschen  zum  Verderben 
und    znr  \ern.chtung    gereichen,    sie    ihrem  Herrn    und  Gebieter   gehorchend  ledighch  dessen  Wollen 
auslnhren.    der    durch    si,3    dem  Menschen    für    begangenen  Frevel   Tod   und  Verderben  sendet      In 
unserem  Kalle  also  war  es  Laomedon,  der  des  Poseidon  Zorn  dm-ch  sein  Vergehen  auf  sich  -eladen- 
welcher  Frevel  desselben  aber  lag  näher,  als  dass  er  für  den  seiner  Stadt  gewordenen  Schutz    d   h 
für   die    vom  Poseidon    um    die   Stadt   gezogenen  Wasser-Mauern   sich   gegen  den  Gott  undankbar 
erwiesen?     Hier   wird  man    nun  mit  Recht  nicht  sagen  können,  dass  die  Sage  einen  Sprung  machte 
indem  sie  das  schon  unter    Ilus    Vorhandene   (ro  rAog,  d.  i.  die  schützende  Umsumpfung  der  Stadt) 
als   erst   unter  Laomedon    geworden   darstellt;    denn  wenn  dieser,    wie   sich    aus  der  Sa-e   von   ihm 
unzweilelhaft  ergiebt,    der  Entwässerer  der  Ebene  war,   so  konnte  sein  Bestreben   nui^e-en  das 
Werk    des  Poseidon,  welches   für   ihn   nicht  minder   wie  für  Ilos  geschaffen  war,   gerichtet  sein 
und  musste  nothwendiger  Weise  den  Zorn  des  Gottes,  der  statt  des  Dankes  und  des  Lohnes  nur  die 
Zerstörung   seiner   Sdnijifung   wahrnahm,   erregen.      Daher   schickte   der   (iott    vom    Meere    her   da^ 
bekannte    -.rTos,    welclies    als   Collectivbegriff  des     in   der    Strommündung   hausenden   Gethiers    zu 
lassen     ist,     um    in     der   Ebene    Menschen     und     Thiere    hinwegzuraffen    und    zu    vertilgen     nnd 
zwang    hiedurch    den    undanklmren    und    treulosen  Laomedon,    ihn    um    jeden    Preis    zu    versöjmen 
Zu    diesem    Ende   gi-iff  dieser,    gleich    wie   selbst  dem    Thier    sein    Junges  das  Liebste  ist,    zu   dem 
rheiuTsten,    was   er  besass,    und    brachte   nach    dem    Versöhnungsglauben    der    alten    Welt    (man 
vergl.    nur    I  heseus  und    den  Tribut    der  Athenäer    nach    Greta)  seine  eigene  Tochter   Hesione   dem 
Gotte    zum    Opfer   dar    und    liess   die  Arme   an   felsiger  Anhöhe,  dem  Ungeheuer   mientrinnbar,    an- 
schmieden.    Da,   m    dem    Moment  der  schrecklichen  Entscheidung,  führt  die  Sage  jene  Helden crestalt 
herbei,    deren    Aufgabe    es  eben    war,    di<^    Menschen   von    den    Ungeheuern    und 'Ungefl  amen    der 
Urwelt    zu    befreien   und    .ler  Cultur   den  Weg   zu  bahnen:    der  Bezwinger   des  Nemeischen  Löwen 
und    der  \ernichter    der  Hydra    im  Sumpfe  zu  Lerna,    Hercules,  scliifft  mit  den  Argonauten  an  den 
iroischen   (xestaden    vorüber   un.l    nimmt,     seinem    ewigen    Berufe  folgend,    nach    vorheriger    ^'erab- 
redung   mit  Laomedon    unter   ])estimmten  Bedingungen   sofort   den  Kampf  mit  dem  Meer-Ungethüm 
auf,  tudtet  es  und  befreiet  also  die  Jungfrau;  cf.  Diod.  IV,  43.     Apollod.  II.    5,  sqq.     \IIoiu  wieder- 
um ist  Laomedon  treulos:   er  hält  seine  Zusage  nicht,  dem  Hercules  die  Rosse  zu  überlassen    welche    < 
einst  sein  Vater  Ilus  für  den    Gnnymedes  vom  Zeus  empfangen,  und  giebt  so  die  Veranlassun-  zum 
Kampfe  des  Hercules  gegen  Ilion:   dieser  erobert  die  Stadt,   verwüstet  und  verödet  sie  und  ersxhlägt 
Laomedon  mit  seinem  ganzen  Haus(>:   nur  der  abwesende  Podarkes.  später  Priamus  genannt    enfo-eht 
dem  Blutbad   und  iil)ernimmt  nachher  die  Herrschaft   iihei-  Ilion.     So  die  Sage.     Es'ist  unschwer  zu 
erkennen,    was   in    ihr    auf  historischem  Boden  beruhet    und   was  nivthisdie  Ausschmückung   ist-    zu 
jenem  gehören,    wie  aus  der  natürlicli(^n   Beschaffenheit    ,1er  Ebene    noch    heute    erkennbar    ist "  die 
l  ebei-schwemmungen  und  der  meilengrosse  Sunipl".   das  in  diesem  hausende  Gewürm    die  nach  altem 
(rlauben     dadurch     n.Uhigen     Menschenopfer     und     endlich    die    Trockenlegung     der    Ebene    durch 
Ab-rabung    und    die   dadurch    bewirkte    Vertilgung    des   bösen    (Gethiers;     zu    diesem    der   Zorn   des 
lN)seidon,    nur    erklärbar   durch    einen    Frevel    des    Laomedon,     uikI    die    Beseitigung    des     Unheils 
durch  Hercules,    den    das  Griechische  Alterthum  überall  mnmU  wo  (an  Vernichtungskampf  geoen  die 
dem  Menschen  s,.hiidhchen  Wesen    und  Geschöpfe  geboten  war.     Auf  Wahi-lieit  endlich  scheinet  auch 
richtig  verstanden,  der  Rachekrieg  des  Helden  und  die  Eroberung  «ler  Stadt,  so  wie  die  Vernichtung 
des  Laomedon    und    seines    Hauses    zu    beruhen.     Denn    unter    ihm    ist    die    Ebene    entwässert    und 
zugleich    zur  Abwehr    bei   feindlichen  Invasionen  eingerichtet  worden,  um  sofort  wieder  unter  Wasser 
gesetzt    zu  werden:    gleichviel  nun.   ob    er   die  wegen   der  Miasmen    höchst  gefahrhche   Arbeit  durch 
«claven  oder  Kriegsgefangene  oder,  was  der  Sage  wegen  da?  Wahrscheinhcbste  ist,  durch  "eduno-ene 


«r-j<»<iw%-ji>i>«-- 


_ 30      

Hände  beschaffen  liess.  jedenfalls  hat  er  die  Zusage  des  bedungenen  Lohnes  nicht  gehalten  und 
hat  dadurch  nebst  den  Seinen  in  einem  Aufstand  der  Massen  den  Untergang  gefunden,  zugleich  aber 
der  Sage  auch  den  Weg  gewiesen,  wegen  dieses  Treubruchs  ihn  ebenfalls  der  Treulosigkeit  gegen 
Poseidon  zu  zeihen  und  also  sein  Andenken  für  alle  Zeiten  zu  verunglimpfen.  Die  Ausschmückung 
der  Sage  aber  durch  Heranziehung  des  Hercules  und  der  Hesione  spiegelt  sich  noch  jetzt  wieder  in 
der  Erzählung  der  heutigen  Türkischen  Landleute:  ein  Kiese  habe  den  looFuss  tiefen  Graben 
nach  dem  Aegäischen  Meere  zu  (siehe  oben  p.  10)  gegraben,  um  eine  Königstochter  zu 
gewinnen.     Cf.  Ulr.  p.  607. 

Dem    Laomedon    folgt    in    der    HeiTschaft     über    Troia    sein    Sohn  Prianms,    und    mit    ihm 
öffnet  sich  uns  eine  ganz   neue  Welt;    denn  Alles,    was  unter  ihm  in  die  Erscheinung  tritt,  ist  gross, 
ist  gewaltig    und    erhaben.    Vor  unsern  Augen  liegt  aul  einem  sanft    aus    der  Ebene  emporsteigenden 
Hügel    die    stolze«  Stadt    nnt    ihren    hoch  gethürmten    Mauern,     breit  genug,    um  den  Herrscher  mit 
seinem  ganzen  Gefolge  aufzunehmen,  und  ausreichend  stark,  um  ihm  die  vollste  Sicherheit  zu  gewähren, 
die    in    dem  Blachfeld    kämpfenden  Heere    sorglos    zu    überschauen.     Breite  Gassen  durchziehen  die 
Stadt   und    eine  Hauptstrasse   senkt    sich    hinab   zum  Skäischen  Thore,    durch   welches  die  Troischen 
Streitwagen  zugleich  mit  dem  Fussvolk  sich  auf  dem  allmälig  abfallenden  Wege  in  die  Ebene  hinab 
bewegen.     Gewaltige  Häusermassen  breiten    sich   im  Innern   der  flauem  aus;    denn  sie  bergen  nicht 
allein    die   Bewohner   der   Stadt,     sondern    auch    die    zahlreich   von   nah   und   fern   herbeigezogenen 
Bundesgenossen.     Inmitten    des   Häusermeeres    aber    hebt    sich    der    stolze    Königsbau    empor,    gross 
genug,  um  den  zahlreichen  Kindern  und  Schwiegerkindern  des  Herrschers  ein  königliches  Obdach   zu 
gewähren.      Endlich   hoch   über   der  Stadt   thürmt   sich   die  Burg   empor,    welche   den   Tempel    der 
Athene    trägt.      I'ud    über    diess    Alles    gebietet    der    herrüche    Greis    Priamus,    inmitten    der    ihn 
umtobenden    wilden  Kämpfe    ein    Bild    der    vollkommensten  Buhe.     Wer   aber   sieht  nicht,   dass  wir 
in    dieser    Schilderung    weder    eine    hellenische    Königsstadt,     noch    den    Träger    einer    hellenischen 
Königskrone  vor  uns  haben?    im  Gegentheil   dass,    was   irgend    aus  der  Ferne  des  Orients  über  die 
dortigen    mächtigen  Königssitze,    als    etwa    über    das    bis    vor    Kurzem    noch    ins  Reich    der    Fabel 
verwiesene    und    erst  kürzhch  wieder  in  seiner   vollen  Grösse   erstandene  Ninive  bis  zur  Westküste 
Kleinasiens   durch  Sage   und  Erzählung  sich  fortgepflanzt  hatte,   mit  Begeisterung  aufgenommen  und 
auf  das  nur  in  der  Sage  lebendige  Ihon    und   auf  dessen    Beherrscher   von   der    lebhaften    Phantasie 
des  Sängers  der  Iliade  übertragen  worden  ist?    Ganz  dasselbe  gilt  von  dem  Lager  der  Griechen, 
in    welchem    uns    das    volle     hellenische    Leben    entgegentritt.      Die   staffelförmige    Aufstelhmg    der 
1000  Schiffe,  so  wie  das  Local,  wo  sie  standen,    entschwindet  vollständig  unseren  Blicken;    wir  sehen 
gleichsam   nur   eine   mit    Wall   und  Graben   geschirmte   grosse   Stadt,   durchschnitten   von   so   vielen 
Wegen    und  Gassen,   dass   selbst   dem  Kundigen  Irrgänge   möglich   sind.     In   ihr   lebt  und  webt  ein 
ganzes    Volk,    welches    aus    ihrem    Innern    zu    Tausenden    herausströmt,    sei    es,     dass    es    gilt,    die 
gewaltigen  Schlachten   in   dem  Blachfelde   zu   schlagen,   oder  dass  für  allgemeine  Berathungen,  ganz 
nach   hellenischer  Sitte,   Versammlungen   stattfinden   sollen,   in    denen  die  Fürsten  die  innere  Corona 
bilden    und    der  (^berkönig   den  Vorsitz  führt.     Und    vor   dem  Walle    und  Graben   dehnt  sich  bis  in 
die  weiteste  Ferne  die  Ebene  aus,  gross  genug,  um  selbst  die  Hennwagen  den  IMicken  der  Zuschauer 
zu  entziehen.     Alle  diese  Schilderungen    haben   gewiss   in   der  Sage  selbst   ihre   erste   Veranlassung 
gefunden,  allein  so   wie  der  Dichter  sie  uns  giebt,   haben  sie  in    ihr    nicht    gelautet;    sie  haben  erst 
gleichsam  Fleisch  und  Blut  durch  die  Phantasie  des  Sängers  empfangen.    Denn  wer  sieht  nicht,  dass 
jener  nur  das  gesagt  und  gesungen  hat,  was  er  entweder  aus  eigner  Erfahrung  oder  vom  Hörensagen 
genau    kannte?    was   er  also  z.  B.  wusste    von  dem  Hinausströmen    der  Spartiaten    in    die    blumigen 
Auen  des  Eurotas  ?  oder  was  der  hellenische  Nationalstolz  schon  in  uralter  Zeit  von  den  ( Hympischen 
Festspielen  durch  alle  Griechischen  Lande  getragen  und  verl)reitet  hatte?  dass  er  ferner  hieraus  das 


31    — 

Material  entnahm,  um  die  einfachen  Andeutungen,  welche  die  Sage  ihm  bot,  falls  sie  solche  bot, 
in  acht  hellenischem  Geiste  auszuschmücken  und  dass  er  demnach  hineingriff  in  das  volle  Griechische 
Leben,  wie  es  zu  seiner  Zeit  sich  bereits  entwickelt  hatte,  und,  indem  er  in  überschwenglicher  Fülle 
und  gleichsam  in  verklärter  Form  seinen  Hörern  ganz  Bekanntes  vorführte,  gerade  dadurch  seinen 
Liedern  jenen  unbeschreiblichen  Reiz  verlieh,  durch  den  sie  ganz  von  selbst  national  geworden  sind 
und  werden  mussten,  weil  jeder  Hörer  in  ihnen  die  Anklänge  an  das  Leben  und  Weben  der  eigenen 
Heimath  wiederfimd  ?  Demnach  ist  mit  Zuversicht  zu  behaupten,  dass  die  in  der  ^iade^^eschilderten 
Ereignisse  so,  wie  der  Dichter  sie  darstellt,  sich  in  Wahrheit  vor  Ilion  niemals  vollzogen 
haben  und  dass  solches  in  der  That  nicht  möglich  Avar,  weil  für  Schilderungen  von  Ereignissen  und 
Begebenheiten,  welche  ihrer  Darstellung  zufolge  über  das  natürliche  Maass  hinausgingen,  die 
gegebenen  Verhältnisse  der  Ebene  völlig  unzureichend  waren;  weder  konnte  das  Meeresufer  vom 
Hügel  des  Achilles  an  bis  zum  Karanlik-hman,  also  an  der  Scamander-Mündung  und  an  den  tiefen 
Lagunen  vorüber,  das  vom  Dichter  gezeichnete  Griechenlager  aufnehmen,  noch  gab  es  in  der  Ebene 
irgend  eine  Höhe,  die  geräumig  genug  gewesen  wäre,  des  Priamus  stolze  Veste  in  dem  Umfang,  \\ie 
der  Dichter  sie  geschildert  zu  tragen.  Arabeskenartig  hat  er  vielmehr  das  durch  die  Sage  über- 
^]^uLi'te  Factum  des  Troerkriegs  mit  einem  Kranze  von  Liedern  und  Schilderungen  umschlungen,  die 
in  den  Herzen  der  Hörer  die  freudigsten  Gefühle  erregten,  eben  weil  sie  dem  hellenischen  Xational- 
bewusstsein  entnommen  waren.  Mit  dem  wahren  Stande  des  Troerkriegs  hatten  sie  nicht  das 
Geringste  zu  thun.  Aus  dem  Gesagten  folgt,  dass,  wenn  wir  den  Priamus  und  seine  Stadt  des 
homerischen  Farbenschmuckes  entkleiden,  er  nur  als  der  Belierrscher  einer  zwar  kleinen,  Vi  aber 
durch  ihre  natürliche  Lage  wohlbefestigten  Stadt  zurückbleibt  und  dass  sich  die  im  Eingänge  dieses 
§.  aufgeworfene  PVage  dahin  erledigen  lässt:  Raublustige  Dardaner  gründen  sich  unter 
Ilus  einen  Schlupfwinkel  in  der  Troischen  Ebene  und  unterwerfen  durch  Waffen- 
gewalt die  Umlande.  Dardania  wird  von  ihnen  zerstört  und  die  Bewohner,  bereits 
Troer  genannt,  nach  Ilion  verpflanzt.  In  derselben  W^eise  herrscht  Laomedon; 
unter  ihm  wird  die  Ebene  entwässert  und  die  Stadt  zu  einem  gesunden  Aufenthalt 
gemacht.  Eine  gleiche  Herrschaft  führt  Priamus;  allein  er  beschleunigt  durch  Aus- 
dehnung seiner  Macht  selbst   über   die  Meere  hin  seinen  und  seiner  Stadt  Untergang. 


§.  5. 
Hat  Homer  die  Stätte,  wo  Ilioii  lag,  gekannt?    die  Quellen  <ler  Iliade. 

Strabo  berichtet,  dass  Aristoteles,  der  wie  kein  Anderer  dunkele  Verhältnisse  des  Alterthuras 
durchschauete  und  erkannte,  behauptet  habe,  des  Dichters  Phantasie  habe  den  bekannten  Mauerbau 
(II.  VII,  V.  430)  ledighch  ersonnen  und  ihn  demgemäss  nadiher  wieder  spurlos  verschwinden  lassen 
(cf.  Strab.  XIII,  j).  IdS).  Der  Philosoi)h  ist  also  in  seiner  Behauptung  viel  weiter  gegangen,  als  wir 
es  gewagt  haben,  insoweit  als  wir,  schon  um  den  verschiedenen  Einwürfen  zu  begegnen,  es  zugestehen, 
dass  der  Dichter  gegebene  nackte  Andeutungen  der  Sage,  wie  z.  B.  die  Leichenspiele  des  Patroclus, 
oder  die  Befestigung  des  Lagers  durch  Wall  und  Graben,  zu  weiteren  Ausführungen  benutzt  habe. 
Demgemäss  fragt  es  sich,  ob  er  in  der  Sage  nicht  e'benfalls  einen  bestimmten  Hinweis  auf  die  Stätte, 


*)  Hieniit  vgl.  Strabo  XIII,  p.  104:  ioixt  81  o  :roff)TT^?  jxtxpa-^  azocpaiveiv  tt^v  toXiv  i^  xto  -£p\  *HpaxX^ou^ 
AOYw.  ef^iep  e^  otTjs  o^v  vnutjt  <al  avSpaci  zaupoTEpoicji-v  'iXiou  e§aXa:ia^£  tco'Xiv  Kai  cpatverat.  o  TTpiafio?  Tto  toioutw 
XoYü)  laeya?  iy.  jjLixpou  ytyo^^az  xa\  Baaüeu;  BaaiXe'wv.  wc  i'90|jL£v. 


32 

wo  Ilion  einst  gelegen,  gefunden.     Denn  war  dioss  der  Fall,  so  muss  es  als  ausgemacht  gelten,  dass 
er  in  einem  grösseren  Gedichte,    in   welchem  es  sich  vorzugsweise   um  den  Angriff  auf  die  Stadt 
und    deren   Einnahme    und   Zerstörung   handelte,   den  Ort.    wo   selbige    lag,    nicht    mit    Still- 
schweigen  übergangen   haben   kann.     Und   doch    findet   sich    hicvon   in   der  ganzen  Iliade  nicht  die 
leiseste  Andeutung,    die    einen    irgend   sichern   Anhaltspunkt    gäbe;    AUes    was   man  dafür  sowolil  im 
Ahertlium,   als   bis  in    die  neueste  Zeit  herab  geltend  gemacht  bat,   ist  viillig   unsicher    und    enthält 
nichts  weiter,  als  die  luftigsten  Hypothesen.    Dieselbe  Forderung  liinsichtlich  der  Krwähnung  der  Lage 
IHons    muss   gestellt   werden,    wenn    man  ausgelit  von  der  Voraussetzung,    dass,  wenn  auch  nicht  die 
Sage,  doch  wenigstens  die  in  der  Ebene  siclitbaren  Trünimer  der  zerstörten  Stadt  dem  Dichter  ihre  einstige 
Stätte    gezeigt    haben    müssen.       Auch    gegen    diese   Annahme    fällt    dasselbe   Schweigen    der   Iliade 
bedeutsam  in  die  Wagschale.  Wie  aber,  wenn  bereits  Homer  sich  in  dei-selben  Lage  befand,  welche  nach 
sehier  Zeit  das  ganze  Ahertlium  theike?      Wir  wissen  mit  Bestimmtheit,  dass  selbst  die  eingehendste 
Forschung  der  alten  Topographen  und  Schriftsteller  auch  nicht  die  geringste  Spur  von  Feberresten  der 
alten  Stadt,  durch  die  ihre  Lage  bestinuubar  geworden  wäre,  hat   entdeckou    kömien.     Keine  Spur 
der  alten  Stadt,    berichtet  Strabo,   hat   sich  erhalten:   ganz  natürlich;    denn   da  die  um- 
liegenden Städte  zwar  verwüstet,  aber  nicht  gänzlich  zerstört  waren,  sie  selbst  abe/'*: 
Grund    aus    vernichtet    war,    so    wurden   alle  IJausteine   zur  Wiederherstellung    jener 
hinweggeführt;    cf.  XHI,  p.   loO.    Hier  sind  nur  die  Worte   (n\Ur  d"  l/voi;  oiutiai  iT.ifoQxai'a^ 
noleiog  von  Wichtigkeit:  denn  die  Begründung  dieser  Thatsaclie  ist  von  keinem  Behnig,  da,  wie  wir 
oben   gesehen    haben,    nicht  steiuerne,    sondern    durch  Ueberfluthung    gebildete  Mauern  die 
Stadt  umgeben  haben,  und  da  letztere  keineswegs  der  palastg(>füllte  Königssitz  gewesen  ist.    zu  dem 
die  vergrössernde  Sage  und  die  Phantasie  des  Dichtei-s  sie  erlioben  hat,  sondern  ein  aus  TUitten  und 
schlichten  Häusern  bestehender  Ort.     Somit  konnten  nach  der  Zerstörung  keinerlei  Ueberreste  selbst 
in  grauer  Vorzeit  mehr  vorhanden  sein   und   —   auch  Homer  hat  keine  Spur  davon  gekannt. 
Beruhet    nun    diess   Resultat    bis   dahin    nur   auf   einfacher  Schlus>folgerung,    so    lässt   sieh  der  voll- 
ständige   Beweis    dafür    aus    dem    Dichter    selbst    lüliren.     Derselbe    erzählt    uns    im    Eingange    des 
12.  Buchs    der    Ihade,    wie    die  Achäer   wider   den  Willen    der   unsterbliche ii  Götter  das  Scliiff>lager 
mit  Mauer   und  Graben    umgeben    hätten,    wie  Beides   aber   eben    deshalb    unmittelbar   nach    Tro'ias 
Zerstörung  von  den  Göttern  spurlos  wieder  vernichtet  worden  sei:  denn  I'oseidon  und  Apollon  hätten 
sofort  nach  dem  Falle  der  Stadt  alle  vom  Ida  herabströmendeu  Flüsse  gegen  den  MaueVhau  geh^ikt 
und  so  mit  Hülfe  des  Zeus   das  Zerstörungswerk  vollln-acht    und    das  weite  (iestade  des  Meeres 
wiederum  mitCieröll  und  Sand  überschüttet  und  eben  gemacht.  Su  konnte  der  Dichter  nicht 
singen,  wenn  er  von  dem  uralten  Mauerbau   noch  irgend  die  g<'ringste  Spui-  mit  ei-enen  Augen  gesehen 
hätte;  im  Gegentheil,  er  sah  das  Gestade  gerade  eben  so  flach  und  so  eben,  wie  wir  es  noch  heute 
sehen.    Die  Annahme  aber,  dass  Homer  zuerst  aus  eigner  llrfindujig  dem  Lager  der  Griechen  das  CJestade 
zwischen  Sigeum  und  l{hoetouui  angewiesen  habe  und  also  die  A'eranlassnng  für  die  späteren  Bezeich- 
nungen des  vaiata.hios  und  des  /.////>  ^l/ßiv.v  geworden  sei,  würde  der  uralten  Sage  vom  Troischen  Kriege 
schnurstracks  entgegen  lauten:  ja  sie  würde  diese    selbst  völlig    aufheben  und  den  ganzen  Kampf  zu 
einem  selbsterfundenen  ronjanliaften  Bhantasiegebilde  de>  Dichters   umschatlen   und  umg(,'stahen.     Ist 
diess   jedoch    umnöglich,    so    folgt    mit  Evidenz,    da>s    die    Sage   dem    Dichter    die    (Jertliehkeit    des 
Schiftslagers    ganz   allgemein   am  Meere  angewiesen,    und   ilass  er  zu  seiner  Zeit  die  obigen  Bezeich- 
nungen  in  ihr  selbst  ebenso  vorgefunden  hat,  w  ie   wir  sie  noch  heute  aus  den  Zeugnissen  des  Alter- 
thums  nachzuweisen  im  Stande  sind. 

Genau  derselbe  Beweis,  wie  in  Betreff  des  Schiffslagers  und  de>  Mauerbaues,  lässt  sich 
auch  in  Betreff  der  Stadt  aus  dem  Dichter  selbst  mit  Sicherheit  entnehmen,  dass  er  nämlich  keine  Spur 
von   den    alten    Ueberresten  derselben  mit  eigenen  Augen  wahrgenommen  hat.     Anknüpfend   an   den 


Maiierbau    lässt    er  Ihad    VH,    448    den    Poseidon   sich    Zeus   gegenüber    also    beklagen:    Siehst  du 
nieht,   dass   d.e    Achaer    zum    Schutze    der   Schiffe   eine   Mauer   gebauet,   diese    mU 
einem  Graben    umzogen,   den  Göttern  aber  vorher   die   pflichtschuldigen  Hecatomben 
nicht    dargebracht    haben:^    Dieses    Werkes    Buhm    wird    dauern,    so    weit    der    Eos 
Licht   sich    verbreitet:    die    Mauer   aber,    die   ich   und    Apollon    m'eist    mühevoll    dem 
Laomedon^  erbauet,    werden   sie   Tergessen.      Worauf  der    Vater   ihn   tröstet   mit    der   Zusa-^e 
dass  auch   diess  neue  ^^erk  sofort  mit  Ilions  Falle   spurlos    von    der  Erde   verschwinden   solle      Wü^ 
fragen:   wie  konnte  der  Dichter  den  Gott  also  sprechen  lassen,   dass   nämlich  die  Menschen  die  von 
Ihm   erbauete  Mauer   vergessen    würden,    wenn   diese   zur  Zeit   des  Dichters   in  ihren  Ueberresten 
wn-khch    noch    vorhanden    war,    also    von    einem    Vergessen    derselben    nicht    im    Entferntes  rS 
Reck>    sein    konntey    Man    sieht    deutlich,    dass    der    Dichter   dem  Gotte    zur  Zeit    des  k"^^^^^ 
m  den  Mund  legt,  was  nach  dem  Kriege   wirklieh  eintreten  werde  (.^..;.>orr«n,   und  was^demt" 
zur  Zeit    des  Dichters    wirklieh    eingetreten    scun    muss,    weil   sonst   der  Aussprudi   des  Posein   en 
völlig  smiiloscr  sein  «linlc. 

Diess  aus   den,   DielUer  selbst  gewonnene    Resultat   ist   lür  die   homerisehe  Forsehung  vou 
weittragender   Bedeutnng.      Denn    erstliel,    wird   dudureh   die   vulgäre,   seit   Strabo's  Zeiten   bis    zum 
hentigeii  läge  geltende  Ansicbt.   der  zufolge  man  den  Homer  in  der  Hand  alle  von  ihm  angegebenen 
lunke    noeh    heute    ,n    der    Kbene    wiederKnden    müsse,    und,    wo    diess    nieht    mögüeh!  °u    der 
Annahme    bereehfgt   sei,    dass   die  Oberfläche    unserer   Erde   seit   Jahrtausenden    die   inerkh-chsten 
\eranderunsen  erlitten  habe,  als  eine   vollständig  irrige   bewiesen;    Hon.er  hat  eine  Zeit   geschildert 
m   der   die  (.otter    noch    leibhaftig   unter   den   Menschen    wandelten,    und   diesen   Zeitverbältnissen 
conlorm   sind   seine  Raumbestimmungen;    alle   seine  Loealangnben    sehweben    in    der  Luft    und    trot. 
der  dem  Dichter   nachgerühmten  Genauigkeit  seiner  Ortsangaben   behaupten  wir  viehnehr.   dass  sich 
be,, hm    auch    nicht    eine    einzige    Angabe    Hndet,    die   jeden    Zweifel    ausscliliesst.      Jene    vulgäre 
.Vnsuht  ist  im  Omndc  ebenso   widei^lniiig.    als  die  es  sein   würde,   wenn  jemand  nach  den  Angaben 
dos   Iiturc^gedidites  die  Reste   des  Graltempels   ant   dem  Berge  Montsalvage   heute  aufsuchen   und 
wenn  er  sie  nicht  hndet,  daran  die  abenteuerlichsten  Behauptungen  knüpfen  wollte 

Zweitens    wenn    Homer    das    Gestade    des    Hellespont    wiederum    glatt    und    eben 
also   kerne  !sj,ur  von   dem   einstigen  Schiftslager   nebst   dessen  Graben  und  Mauerbau  sah,   so   musj 
ei-   Ales   ebenso,   wie   wir    noch    heutigen    Tages   es   erblicken,   gesehen    haben,    somit   .auch    jene 
kunsthchen    Hügel,    welche   die    Sage    als    die    (Jräber   des   Achilles.    Ajax    und   Hector    bezeichnet«- 
von   .hesen    litten   die   beiden   ersten  im   Kampfe   gegen   das   zur   Vernichtung  bestimmte  Ilion   sj 
oder  so  den  Tod  gefunden,  dieser  in  der  Vertheidigung  des  Vaterlandes,  während  die  übrigen 
Helden.   ,lie  Atralen.    O.lysseus.    Diomedes  u.  A..    nach   vollbrachtem  Werke  in  die  Heimath    zurück- 
gekehrt   waren,     leberblicken    wir    nun    die    Kreignisse.    die    uns    die    Iliade    vorfuhrt,    ganz    im 
Allgemenien.    so    können   wir    „ns   der    Hinsicht   nicht   vei-schliessen .    dass   IHoii   selbst    und   dessen 
greiser  Bel.en-scher  TViamus  in  dem  gewaltig,-,.  Kampfe  eine  sehr  untergeordnete  Rolle  sj.ielen  und  in 
völliger  1  ;,ssiv,tat  verharren.    Alles  drehet  sich  „m  Angriff  und  Abwehr,  um  Achilles  und  Hector 
wcs,sliall,  der  !s,liluss  als  durchaus  beivchtigt  ei-scheint,  dass  eben  nicht  die  an  die  Zerstörung  der  Stadt' 
son.lern  d,e  an  jene  Todtenhügel  sich  knüpfenden  Sagen  dem  Dichter  den  Stoff  zu  seinem  Werke! 
geliefert   haben.     Indessen   auch   diesen  Sagenstoff  hat  der  Dichter   keineswegs   erschöpfend   benutzt- 
die  an  die  Ileldengraber  sah  anlehnende  Sage  muss  durchaus  vom  Tode  der  Helden  geredet  haben' 
und  gerade  davon   schweigt  der  Dichter  der  Iliade:   er   weiss   nichts  vom  Tode  des  Achilles    nichtl 
von   dem   des  Antilochos   noch   des  Ajax,   von   denen   uns   nur   der  Dichter  der  Odyssee   kurze  An- 
deutungen    g,cl)t.      Dahingegen,    nachdem    der    Angreifer    Achilles    sich    selbst    zur    Untliätigkeit 
vernrihclt    hat   und  vom  Schauplatz   gäiizhch   abgetreten  ist,   bildet  Hector.   der  Hort  und  Halter 


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llions,  den  eigentUchen  Mittelpunkt  des  ganzen  Gedichtes;  um  ihn  drehen  sich  fast  alle  Kämpfe  und 
höchstens  nur  Aeneas  kann  nehen  ihm  genannt  werden:  Hectors  Tapferkeit  bringt  die  Griechen  in 
die  äusserste  Noth  mid  Gefahr,  bis  endhch  Achilles,  im  Zorn  über  den  Tod  des  Patroclus,  sich 
aufrafft  und  den  Helden  unter  den  Mauern  der  von  ihm  geschirmten  Stadt  ei-schlägt:  hiemit  endet 
das  Epos.  Dioss  und  nichts  Anderes  ist  der  Kern  der  Iliade,  der  nur  durcli  die  grossartige  Fülle 
der  Handlung,  mit  welcher  der  Dichter  es  verstanden  hat,  das  einfache  Factum  der  Tödtung 
Hectoi-s  zu  umgeben,  mehr  und  mehr  verhüllt  wird.  Denn  wer  irgend  tiefer  in  den  Gang  der 
Begebenheiten  vom  ersten  Buche  an  eingedrungen  ist  und  sich  nicht  durch  \'oreingcnommenheit 
den  Blick  hat  trüben  und  durch  die  minutiöse  Behandlung  unwesentlicher  Nebendinge  hat  ver- 
dunkeln lassen,  der  wird  zugeben,  dass,  hätte  Homer  die  beiden  Helden  sofort  auf  einander 
losstürmen  lassen,  es  eine  Iliade  gar  nicht  hätte  geben  können:  der  wilde  Achilles,  der  (föttm 
nrkräftiger  Sohn,  würde  im  ersten  Anlauf  den  mindei-starken  (iegner,  gerade  wie  der  Ausgang  des  Epos 
es  erzählt,  erschlagen  haben  und  der  Anfang  des  Gedichtes  würde  auch  dessen  Ende  gewesen  sein. 
Darum  ruusste  der  eine  Gegner  vorerst  den  Schauplatz  zeitweilig  verlassen,  um  dem  andern  Raum 
zu  geben,  sich  in  seiner  ganzen  Hoheit  und  Grösse  zu  entfalten,  und  erst  als  diess  geschehen  und 
mit'^dem'  Tode  des  Patroclus  gleichsam  zum  Abschluss  gelangt  war,  ereilt  den  Sieger  sein  Ver- 
hängniss;   er   fällt    unter  den   Händen   des   ergrimmten    Gegners    und    mit    seinem    Falle    ist  Troias 

Schicksal  entschieden. 

Aus  dem  Gesagten  ergiebt  sich,  dass  die  an  den  bisher  von  der  Foi-schung  ganz  unbeachtet 
gelassenen  Todtenhügel  des  Hector  sich  anlehnende  Sage  dem  Dichter  vorzugsweise  den  Stoff 
zu  seinem  Epos  geliefert,  und  dass  die  übrigen  Grabdenkmäler,  so  wie  die  durch  den  Volksmund 
erhalteneu  Oertlichkeiten  am  Meeresstrande  (das  Schiffslager  und  der  Hafen  der  Achäer)  drni 
nui-  die  Staffa-e  zu  seinem  grossen  Trauergemälde  geboten  haben.  Denn  die  Ei-zählungen  von  dem 
Hingano  des  Achilles,  des  Ajax,  des  Antilochos,  wie  wir  sie  bei  den  Alten  lesen,  snul  nnt  mcliten 
blosse  Erfindungen  nachhomerischer  Sänger;  auch  sie  haben  seit  der  Zeit  des  Troischen  Krieges  durch 
den  Volksmund  mit  jenen  Localresten  in  Verbindung  gestanden  und  Homer  wn-d  sie  gekannt 
haben-  allein  da  der  Tod  jener  Helden  erst  nach  Hectors  Falle  eintrat,  so  mochte  der  Dichter 
von  ihnen  selbst  wohl  keinen  weitern  Gobrauch  machen  und  entnahm  daher  aus  ihnen  lur  die  Haupt- 
handlung nur  so  viel,  als  ihm  zweckdienlich  oder  nothwendig  eischien. 

Mit   diesem  Satze   treten    wir  hi  die    genauere  Beurtheilung  des  Dichters  und  semes  Werkes 
selbst  ein    müssen  aber  nochmals  auf  den  allgemein  verbreiteten  Irrthuni  hinweisen,  als  rausche  einzig 
und   allein   im   Homer   der    volle    Strom   der  alten   Volkssage,   dergestalt   dass  sie   ausser   ihm   nur 
etwa  noch  in  spärlichen  Rinnsalen   dahinffiesse,   so   dass  Alles,   was  die  cyclischen  Dichter   gesungen, 
nur    als   Er-änzung    homerischen   Andeutungen,    vermischt    mit   eignen    Ei-tindungen,    anzusehen    sei. 
Wir    behaupten   dagegen,   dass   die  Troische  Ebene   eine  Fülle  von  Sagen   gehegt   und   gepflegt  hat, 
und  dass,   wenn  die   nachhomenschen   Schi-pfungen,   nach   den   uns   erhaltenen  Spuren   zu   urtheilen, 
•illerdings    nur    als   armselige  Machwerke    zu    bezeichnen    sind,   diess    eben   nicht    Schuld    der  Sagen, 
sondern   der    ordnenden  Dichter   selbst  ist.     Ferner  muss  es  als  etwas   völlig   Unrichtiges    bezeichnet 
werden    wenn   unsere  Literarhistoriker   nach  Herders  Vorgange   lediglich   auf  Homer  hm   behaupten, 
da<8   die   alte  Volkssage   vom    Troischen    Kriege    in    ihrer   ganzen    Fülle    und    selbst   in   dem    Gange 
der   Begebenheiten   gerade   so   gelautet   habe,    wie   wir   sie   im   Homer   Hnden,   un.l   dass   somit    der 
Dichter   nur   der  Formgeber   gewesen   sei,   der   den  Stoff   nicht   anders,   als   wie    er   im  \oksnmnde 
gelautet,   in  Versen  wiedergegeben   habe.     Auf  diese  Weise   ist   man   freilich   zu  einem  Volksepos 
gekommen    und  hat  die  urälteste  Ait,   die  Geschichte  zu  überliefern,    aufgefunden;    allem  der 
Dichter  selbst  ist  dadurch  zu  einem  armseligen  Versmacher  geworden,  unwerth,  dass  sein  Name  der 
Nachwelt  überliefert  wurde.   Wir  dagegen,  statt  uns  in  das  lechgüch  aus  Unkcuntmss  der  homenscbeu 


Dichtung  und  ihres  Wesens  hervorgegangenen  Volksepos,    im  Gegensatz  zum  Kunstepos,    hinein- 
zuklügelu,  sind  vielmehr  vollkommen  überzeugt,  dass  in  der  Iliade  ein  Kunstwerk  von  solcher  Vollendung 
vorliegt,  dass   es  bis  zum  heutigen  Tage  von  keinem  andern  erreicht,  geschweige  denn  übertroffen  wird. 
Die  Sagen  also,  welche  an  den  Grabdenkmälern  der  Ebene  hafteten  und  dem  Dichter  den  Stoff 
zu  seinem  Werke  lieferten,  sind   als   die  Urquellen   der   Iliade    zu  betrachten;    sie  können  nicht 
aus  der  schaftenden  Phantasie  irgend  eines  genialen  Kopfes  entsprungen  sein,  sondern  es  muss  ihnen 
ein   ganz   bestimmtes   historisches  Factum   zu   Grunde   hegen.     Von   solchem   ausgehend  sind  sie, 
wie  unzählige  andere  im  Hellenenvolfc,    zunächst  nur  Localsagen  gewesen,   welche  kui'z,    schlicht  und 
einüich  sieh  in  märchenähnlicher  Form  und  Treue  von  Mund  zu  Mund,  von  Geschlecht  zu  Geschlecht 
forti)Hanzten,  gerade  wie  noch  heute  die  Sage  von  der  Bella  Tarpeia  im  Römischen  Volksmunde 
fortlebt.      Sicherlich    wird    der   am    Hectorhügel   stehende    wissbegierige    Wanderer    auf  seine    Frage 
nach  der  Bedeutung  des  Hügels  immer  nur  dieselbe  Antwort  erhalten  haben:  Hier  ruhet  Hector, 
des  Priamus,   Beherrschers   von  Troia,   Sohn,   der   schönen  Andromache  Gemahl   und 
des   Astyanax    Vater;     er     fiel     im    Zweikampfe     mit     dem    gewaltigen    Achilles,    der 
Göttin  Thetis  und  des  Peleus  Sohn,   dem  Helden   der  Achäer,    als    diese    mit   grosser 
Heeresmacht  über  das  Meer  gekommen  waren,   den  Frevel    des  Paris,   w^elchen   dieser 
durch  die  Entführung  der  Helena,  des  Menelaus,  Königs  von  Sparta  Weib,  begangen 
und  dadurch  Schimpf  und  Sehmach    über  ganz  Hellas   gebracht  hatte,    zu  rächen  und 
Ilion,  des  Priamus  Veste,  zu  zerstören.    Nach  Hectors  Tode  fiel  die  von  ihm  beschützte 
Stadt;    sie    wurde    <lurch  Feuer    zerstört    und    keine  Spur    von    ihr   hat    sich   erhalten. 
Aber    wird  man  fragen,    wie  ist  es  möglich  gewesen,    dass  die  von  einem  Factum  in  der  Ebene  aus- 
gehenden   und    darum    auf   einen    so    kleinen  Raum    beschränkten  Sagen   eine  so  grosse  Verbreitung 
und  Ausdehnung    nicht    allein    über    ganz  Hellas,    sondern    sogar  über  den  fernen  Westen  hin  haben 
erlangen  können,  dergestalt    dass  sie  ein  Gemeingut  des  ganzen  Hellenischen  A'olkes,  ein  nationales 
Eigenthum    geworden    sind?      Nun,    wenn   Ilion    und   dessen    Zerstörung    eben   keine    Fabel   ist.    wie 
freilii  h  neuere  Forscher,  trotzdem    dass  sie  die  historische  Existenz  der  Atriden    zugeben,  mit   grosser 
Entscliiedenheit  boliaui)ten,  so  beruhet  auch  der  Zug  der  Griechen  gegen  Troia  auf  historischem  Boden, 
ein  ICreigniss.  an  dessen  Wahrheit  kein  Grieche  je  gezweifelt  hat,  und  welches  in  Abrede  zu  nehmen 
aus  eben  diesem  Grunde,  so  lange  die  Fabel  nicht  bewiesen  ist,  keineswegs  gestattet  ist.  Hieraus 
ergiebt   sich,     da^s    die    Erinnerung    an    jenen   Zug     von  jedem   Griechischen    Stamme,    der   dabei 
betheiligt  gewesen,  in  seine  Heimath  gerade  so,  wie  er  uns  überliefert   wird,   zurückgebracht   worden 
ist  und  allhier  sich  dauernd  lebendig  erhalten  hat,  weil  die  Nachkommen  in  den  Heldenthaten  ihrer 
\äter   und    in    dem  (ilanze,   (h'r  jene  umstrahlte,   genügende  ^'eranlas^ung    fanden,   sich    selbst    noch 
einigen  Antheil  an  jenem  Ruhme  zuzuschreiben.     Indessen  wer  da  weiss,   mit   welchem  Staunen  oder 
vielmehr    Beiremden    die    Tiiucvdideischc    Zeit     zu    jenem     gemeinsamen    Zuge    sämmtlicher 
Hellenen  hinaufblickt,  und  wer  damit  die  nach  demselben  noch  vorhandene  völhge  Zerrissenheit  und 
Feindschaft    der   einzelnen    Stämme    in   Verbindung    bringt,   welche    erst    nach    jahrhundertelangen 
Wanderungen  und  Kämpfen  in  feste  staatliche  \'erhältnisse  übergingen,  der  muss  zugeben,  dass  selbst 
jene  Erinnerungen  nur  localer  Natur  gewesen  sein  können,   und  dass  sich  aus  ihnen  ein  allgemeines 
Nationaleigenthum,   wenigstens    vor  Homer,    mit    Bewusstsein    nicht    entwickelt    haben    kann:     dazu 
bedurfte   es   eiues   ganz   andern  Anstosses,   der  jedoch  nicht  in  den  uralten  Wanderungen    und    dem 
allmäligen    Bekanntwerden    der    Stämme    mit    einander    gefunden    werden   kann,     weil    durch    die 
Wanderungen  ein  völlig  feindseliges  und  getrenntes  Verhältniss  der  Stämme  nicht  aufgehoben  wurde. 
Hieraus   leuchtet    ein,   dass,   wenn   auch   an    sehr   vielen  Orten  (Griechenlands    von  IHon    und  dessen 
Zerstörung    erzählt    worden    ist,    darum    die  Sage    noch    keineswegs    als    das  volle,   reiche,    tief- 
empfundene   Leben    der    Griechen    selbst    gelten    darf,    ledigüch    weil     bis   zu    dem  Anfang    der 


5* 


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Olympiaden    und    bis   zu    den   grossen  Nationalspielen    herab,    also  bis  auf  die  Zeit,    in  welcher  der 
Sänger    der    Ilias    muthinasslich    sein    unvergleichliches   Werk   abfasste,    unter   den    Stummen    nicht 
einmal   eine    gegenseitige  Kunde   von   dem  Vorhundenseiu    der  Troischeu  Sage   sich  vorfand;    und 
selbst    wenn  diess  der  Fall  war,    so    wird  zwar  z.  B.  der  alte  Argiver  die  Thaten  des  Dioiuedes  mit 
Stolz    erzäblt,    aber    bei   seinem    uralten  Spartanerhass    den   Ruhm    des    Menclaus    nicht    anerkannt, 
geschweige    denn    mit    nationalem    Hochgefühl    gesungen    haben.     Worin    also    ist   jener  Anstoss    zu 
suchen?     Wir   müssen    auch   hier   zu    den    Urquellen,    die   wir    tÜr   die    homerische  Dichtung   nach- 
gewiesen haben,    zurückkehren    und    sagen,    dass,    wie    an    den  Troischen  Todtenhiigeln   alte  aus  der 
Urzeit  herabtünende  Sagen  hafteten,   so   auch    der  als  vavaia&^uo^  und  als  ?.ijiirv  'A/auov  erwähnte 
Ort  keineswegs  eine  leere,   inhaltlose  Bezeichnung   gewesen  sein  kann,    sondern  dass  auch  er  gleich- 
sam mit  dem  Fleisch    und  Blut    der  Sage  umkleidet    und    somit    die  Fundgrube   gewesen  sein  muss, 
aus   welcher   der  Dichter   seine  Kenntniss    von  den  Viilkern  schöpfte,   die  hier  zusammengekommen 
wai-en   von    Theseus   Stadt,   von  Aulis  Strand,    von  Phocis,   vom  Spartanerland.     Anstatt 
also  dem  Dichter  das  mühselige  Geschäft  anmuthen  zu  sein,  dass  er  die  durch  die  einzelnen  Stämme 
zerstreuten  Ei'innerungen  an  den  Zug  gegen  Ihon  gleichsam   notizenartig  erst  habe  zusammensuchen 
müssen,    behaupten    wir  vielmehr,   dass  in  der  Sage  vom  Schiffslager  nicht  bloss  ganz  allgemein  von 
der    tausendschift'igen  Flotte    und    dem    zahllosen  Griechenheere    die  Rede    war,    sondern    dass    ganz 
speciell  die  Fürsten  mit  ilnen  Völkern,    und    zwar  vorzugsweise   die  erstercn,    da  die  Jikr^^ig  genau 
genommen    in    der    ganzen  Ilias  nirgends  berücksichtigt  wird,  genannt  worden  sind,  also  Achilles,  die 
beiden  Atriden,    Odysseus,    Diomedes,    die  beiden  Ajax  und  A.     Erst    mit    dieser  Annahme  gewinnen 
wir   eine  richtige  Einsicht  nicht  allein  in  das  Wesen  der  Ihas  selbst,    sondern   ganz  besonders  in  die 
Verhältnisse,    in    denen   das  Epos,    der  Dichter    und    der  ganze    Troische  Krieg  zu  dem  gesammten 
Griechenland  späterhin  stand,  und  uralte  Räthsel  lösen  sich  auf  zu  einem  lebensfrischen  Bilde.     Die 
Localsagen  der  Troischen  Ebene     -   wir  nennen  sie  die  Quellen  der  Ilias   —  standen  allerdings  alle 
mit  einander  in  einem  stofflichen  Zusammenhang:    allein  das  Verdienst,    aus  ihnen  mit  kunstfertiger 
Hand   und  mit  tiefer  poetischer  Einsicht,    die  den  wahren  Dichtergenius  beurkundet,    ein  grosses  im 
engsten  inneren  Zusannnenhang  stehendes  poetisches  (iemälde  geschaffen  zu  haben,  welches  man  auf 
Grund  geringfügiger  Kleinigkeiten    in  Stücke    und  Fetzen  zu  zerreissen  umsonst   boFiniht  gewesen  ist, 
gebührt    dem  Dichter,    welchen    die  gesammte  (iriechenwelt  gläubig  Homer  nannte.     Den  Kern  des 
Epos    bildete,    wie    schon   gesagt,    der   Tod    des    Hector     und    die    dadurch    ennöglichte    Zi'rstörung 
Ihons:  seinen  Fall  bewirkte  der  Koryphäe  des  Griechenheeres  Achilles,  aber  erst,    nachdem  er  selbst 
den    übrigen  Helden  (durcli   die  ui,vig)  Gelegenheit  gegeben,   grosse   und    gewaltige  Thaten   zu   ver- 
richten, bedeutend  genug,  um  selbst  dem  grösseren  Helden  gegenüber  gross  dazustehen.    Auch  dieser 
Thaten    muss   die  Sage    des  Xaustathmos  Erwähnung  gethan  haben,    wenn  auch  nur  im  (ianzen  und 
Grossen,   da    die    detaillirende  Ausführung  ledigliih  das  Werk  des  Dichters  ist.     Allein  gerade  diese 
Thaten   waren   es,   welche    nach    der  Dichtung    der  Ilias,    als    die   fahrenden  Sänger  die  Thaten  der 
Vorzeit    auf   den    Inseln    und    auf  dem    Festlande,    besonders   bei   den   sich   entwickelnden    grossen 
Nationalspielen  sangen  und  verkündeten,    wie  ein  zündender  Strahl  in  die  Gemüther  der  horchenden 
Massen  einschlugen,  und  in  jedem  Hörer,  mochte  er  Athenüer  oder  Thessaler,  Argiver  oder  Spartiate 
sein,    die    alten  Klänge  der  eignen  Heimath  erkhngen  Hessen  und  die  Erinnerungen  an  die  Helden- 
thaten   der   eignen  Vorfahren   zu   neuem  Leben    erweckten.     So   erst  wurde  Homer   und    sein  Werk 
der  Erwecker,  ja  gleichsam  der  Schöpfer  eines  allgemeinen  Nationalgeiiihls,   welches  in  dem  gemein- 
samen  Zuge   gegen   Troia    zusammenfloss    und   gleichsam    gi])felte;    hier    erkannten   sich   selbst    die 
feindseligsten    Stämme     als    Glieder     einer    grossen    Nation    und    Ibtiner    wurde    der    Herold    eines 
allgemeinen.   Alles   durchdringenden   und  neubelebenden  Nationalbewusstseins;   die  Ihas  wurde  fortan 
^on    einer    fast   rehgiösen  Verehrung   getragen,  sie  wurde   ein   heiliges  Buch.     So  erklärt  es  sieb 


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ganz  von  selbst,  da-s  an  vielen  Oi-ten,  wo  die  Erinnerungen  an  die  Thaten  der  Vorzeit  sich  leben- 
diger als  anderswo  erhalten  hatten,  auch  der  <;iaube  entstand.  Homer  könne  die  damit  in  Einklang 
ateheuden  Sagen  der  Ilias  nur  vi)u  ihnen  entnonnnen  haben  und  müsse  selbst  in  ilirer  Mitte  P^iner 
der  Ihrigen  gewesen  sein;  untl  also  geschah  es,  dass  zuletzt  7  Orte  sich  um  die  Ehre  stritten,  Vaterland  des 
Dichters  zu  sein.  Am  klarsten  tritt  dies  in  Athen  hervor,  wo,  Avie  wir  jetzt  wissen,  schon  zu  Solons 
Zeiten  sich  ein  sogenanntes  Fest-Exem])lar  dei-  honierischen  (jledichte  befand,  welches  für  die 
nachherigen  Bemühungen  der  Pisistratiden  um  den  Dichter  die  Grundlage  bildete:  und  ähnhch 
dürfte    es   sich  an  anderen  Orten,    wo  die  Verehrung   des  Homer  besonders  blühte,   verhalten  haben. 

Durch  dieses  Alles  besonders  aber  durcli  die  von  Thucydides  bezeugte  Zerrissenheit  des 
alten  (Griechenlands,  in  lolge  deren  von  einem  schon  damals  vorhandenen  Xationalgefühl  noch 
keine  Rede  sein  kann,  nniss  der  Satz  als  bewiesen  erachtet  werden,  dass  letzteres  erst  um  den 
Anfang  der  01ynij)iaden  durch  den  Hinweis  der  homenschen  Gesänge  auf  eine  grosse  gemeinsame 
That  der  Vorzeit  erweckt  wordtMi  ist,  dass  diese  Erweckung  aber  nur  möglich  war  und  von  so  allgemeinen 
und  nachhaltigen  Folgen  begleitet  sein  konnte,  weil  die  Keime  dazu  in  den  alten  Erinnerungen  der 
Stämme  selbst  bereits  voi'handen  waren:  denn  kein  Volk  lässt  sich  etwas  über  seine  Altvordern  bloss 
von  aussenher  einreden,  sondern  setzt  solchen  Bestrebungen  Ijchai-rlichen  Unglauben  entoegen. 
Denmach  müssen  diese  Traditionen  in  den  Stämmen  selbst  existirt  haben  und  ihr  Zusammentreffen 
mit  der  im  Homer  niedergelegten  N.austathmos-Sage  giebt  den  Beweis,  dass  der  gemeinsame  Zug 
der  Griechen  gegen  Troia,  zu  welchem  zweifelsohne  der  Nothstand  Freund  und  Feind 
vereinigt  hatte,  ferner  die  Zerst<irung  der  Stadt  selbst  und  endlich  die  Zerstreuung 
der  aus  d(Mn  Brande  Entronnenen  eine  vollgültige  historische  Thatsache  ist. 

Um  diess  Resultat  noch  mehr  zu  erhärten,  würde  es  angemessen  und  sogar  notliweudig 
sein,  alle  Spuren,  die  bei  den  einzelnen  Grieschischen  und  selbst  bei  den  Italischen  Stämmen  auf 
die  Zerstörung  IHons  zurückführen,  aufzusuchen  und  gewissenhaft  zu  i)riifen:  denn  alle  sind  ihrem 
innersten  Wesen  nach  völlig  verschieden  von  allen  jenen  Sagen,  die  mehr  odei*  weniger  in  der 
blossen  Namensdeutuni;-  ihren  Urspr\ing  haben,  wie  z.  B.  wenn  der  aus  dem  Oriente  vom  Götterborge 
Meru  ausgehende  Dionysos  den  (rriechen  den  Anlass  gab,  den  kleinen  Dionysos  aus  der  Hüfte  des 
Zeus  (tn;()6g)  geboren  werden  zu  lassen.  Mit  derartigen  Gebilden  haben  die  Ueberlieferungeu  vom 
Troianischen  Kriege  und  von  den  Folgen,  durch  welche  Sieger  und  Besiegte  gleichmässig  betroffen 
wurden,  nicht  das  (ierinsste  zu  thun.  Doch  wih'de  diess  den  Zweck  dieser  Blätter  völhgr 
überschreiten.  Hier  galt  es  nur,  um  auf  den  Eingang  zu  der  vorstehenden  Untersuchung  zurück- 
zukommen, das  Verhiiltniss  festzustellen,  in  welchem  der  homerische  immerhin  historische,  aber  von 
der  Poesie  gleichsam  v  e  r  k  1  ä  r  t  e  P  r  i  a  m  u  s  zu  dem  vom  poetischen  ( i e wände  g  ä  n  z  1  i  c  h  e  n  t  k  1  e  i  d  e  t  e  n 
Prianuis,  des  Laomedon  Sohn  nnd  Nachlolger  sich  verhält.  Denn  wie  treu  auch  der  Dichter  den 
Troischen  Localsagen  gefolgt  sein  mag,  so  bilden  diese  doch  nur  gleichsam  das  Gerippe  der  Ihas, 
welches  der  Dichter  mit  voller  Selbstständigkeit  und  dem  ganzen  Zauber  der  Poesie  behandelt  hat, 
so  dass,  da  er,  getragen  von  den  Flügeln  der  Phantasie,  Ilion  nebst  Allem,  w^as  ausser  ihm  und 
in  ihm  vorgeht,  in  jene  graue  Urzeit  versetzt,  wo  Götter  und  Menschen  nocli  im  lebendigsten 
Verkehr  mit  einandei-  standen,  die  Ilias  als  Ganzes  eben  so  wenig  für  die  Beurtheilung  des 
histori«:chen  Priamus,  wie  bewiesenerinassen  fiir  die  i-äumhchen  Veihältnisse  der  Ebene  £fi'undlefflich 
gemacht  wenlen  kann.  Dem  Dichter  ist  es  sicherhch  nicht  eingefallen,  sich  bei  der  Schilderung 
der  Ereignisse  um  Tag  und  Stunde,  oder  bei  der  Angabe  örtlicher  Verhältnisse  um  Bestim- 
mungen mit  der  Messtange  irgend  wie  zu  bekümmern. 


_ 88    

§.  6. 

Priamus  und  sein  Schicksal. 

Als  Laomedou  mit  seinem  ganzen  Hause  durch  Ileracles  den  Untergang  gefunden,  folgt  ihm 
sein  Sohn  Priamus,  welcher  allein  dem  TJlutbade.  weil  zur  Zeit  desselben  vom  Hause  abwesend, 
wie  die  Sage  berichtet,  entgangen  war.  Wir  sehen  ihn  trotz  der  kurz  vorher  erfolgten  Zerstörung 
der  Stadt  mit  einem  Male  wieder  inmitten  eines  glänzenden  K'inig^sitzes  und  an  der  Spitze  eines 
blühenden  Reiches.  Wie  diess  zugegangen,  darüber  schweigt  die  alte  üeberlieferung ;  es  erklärt 
sich  jedoch  zur  Genüge  aus  der  schaffenden  Phantiisie  des  Dichtci-s;  die  Erklärungen  Späterer 
können  hier  nicht  in  Betracht  kommen.  Den  Priamus  ereilte  ein  gleiches  Geschick,  wie  den  Vater; 
auch  er  fand,  wie  jener,  sanmit  seinem  ganzen  (ie>(hlecht  diurli  den  Troianischen  Krieg  den  P'nter- 
gang  und  sein  Ilerrschersitz  verschwand  von  der  Krde.  Uebereinstinnnend  hiutel  über  das 
Schicksal  des  greisen  Königs  da>  I'rtheil  sowohl  des  Alterthunis  wie  der  Neuzeit;  man  bekUigt 
das  schwere  und  unverdiente  Loos  des  edlen  Königs  und  sieht  in  ihni  sogar  nur  das  Opfer  einer 
von  Paris  bestochenen  Partei,  die  gewonnen  war,  sich  der  Zurückgabe  «ler  Helena  mit  allen  Kräften 
zu  widersetzen.  Zu  Gunsten  dieser  milden  und  wohlwollenden  Auffassung  i)tlegt  man  di(^  Worte 
des  Zeus  selbst  anzuluhren,  dass  er  unter  allen  Städten  des  Plrdkreises  die  heilige  llios  stets 
vorzugsweise  geachtet  habe  und  den  Prianuis  und  das  Volk  des  lauzenkundigen  Königs  (II.  IV. 
44  sqq.},  und  dass  er  demnach  nur  mit  widerstrebendem  llei'zen  seine  Einwilligung  zur  Zei*störung 
der  liebgewonnenen  Stadt  gebe.  Wir  läugnen  nicht,  dass,  wenn  man  de>  Priamus  Schicksal  im 
Ganzen  und  Grossen  überschauet,  dasselbe  dem  in  jeder  Menschenbrust  lebendigen  Gerechtigkeits- 
gefühl in  der  That  zu  wider^])rec]ien  scheint.  Allein  in  Wahrheit  steht  die  Suche  anders;  Prianuis 
unterlag,  wie  sein  Vater  Laoniedon,  einem  verdienten  Loose.  welche>  nur  der  dnftige  Hauch  der 
Poesie  abzuschwächen  und  zu  mildern  verstanden  hat. 

Es  ist  in  der  That  wunderbar,  wie  diess  rrtheil,  welche^  unten  ]>is  zur  E\idenz  erhaltet  werden 
wird,  bereits  im  grauen  Alterthuni  seinen  Vertreter  gefunden  hat;  ob  mit  Pewusstsein,  vielleicht 
auf  Grund  einer  alten  Sage?  Wir  wissen  es  nicht;  aber  das  wissen  wir,  das>  der  nuithniassliche 
Vei-fasser  des  cyklisclien  Gedichts  der  Kyprien,  welches  nach  (h-r  Zeit  de^  Homer  abgeiasst.  al)er 
als  vor  demselben  gedacht.  geiUchtet  worden  ist,  Stasino>  von  Kyi>ros  als  Grundmotiv  der  Kyprien 
die  Sorge  des  Zeus  angiebt,  welche  darauf  gerichtet  gewe>en  sei,  der  Hybris  des  Menschen- 
geschlechts Einhalt  zu  thun;  das  Mittel  dazu  sei  ihm  die  Erregung  des  Troischen  Krieges 
gewesen;  cf.  Xitzsch  Sagenp.  [>.  *.)!).  Wer  nun  konnte  e>  anders  sein,  gegen  dessen  Hybris  der 
Kampf  gerichtet  war.  als  Pi-ianms  und  sein  Haus?  Dasselbe  besagt  Hoaior  selbst  in  jener  be- 
rühmten Stelle,  deren  ^'crständniss  freilich  dem  entgehen  uuisstc,  der  llion  für  eine  Eabel  erklärte, 
dass  Zeus  das  Geschlecht  des  Priamus  mit  llass  und  Feindschaft  bereits  verfolgt  habe 
(IL  XX,  I>0(3).  Dieser  Pehauptung  w idersin-icht  kiMneswegs  der  obige  Ausspruch  des  Zeus,  wie  lieb 
ihm  stets  Priamus  und  dessen  Voll;  gewesen.  Wir  haben  dort  einen  der  bei  Homer  oft  geschilderten 
ehelichen  Zwiste,  und  wir  dürfen  nicht  vergessen,  dass  Zeus  selbst  mit  höhnenden  Worten,  um 
Here  zu  reizen  mul  zu  ärgern,  den  Streit  hervorruft,  bei  dessen  Verlauf  es  ihm  gerade  darauf 
lÄikommt,  die  von  Troerhass  enttiammte  Gattin  dadurch  in  die  höchste  Aufregung  zu  vei-setzeu, 
dass  er  die  Verhassten  nachdrücklich  in  Schutz  nhnmt,  (hibei  abei-  doch  endlich,  wiewohl  mit 
feinem  Spott  {uLyMvii  ;£  O-ifKo),  freiwillig  erklärt  {ty.oW)  ihrem  Hasse  freien  Lauf  lassen  zu 
wollen.  Fragen  wir  weiter,  worin  die  Hybris  des  Priamos  l)estanden,  so  giebt  di(^  allgemeine  Sage 
von  der  Entführung  der  Helena  darauf  die  Antwort.  Freilich  wer  llion  ins  Reich  der  Mythe 
verweist,  tür  den  hat  auch  der  Raub  der  Helena  keinen  andern  Werth.    und  desshalb   ist   es   noth- 


39 


wendig,  ausdrücklich  auf  die  Resultate,  welche  wir  oben  aus  der  natürlichen,  nicht  wegzuläugnenden 
Beschaffenheit  der  Troi«;chen  Ebene  gewonnen  haben,  allhier  zurückzukommen. 

Wir  haben  aus  dei-selben  ganz  unwiderleghch  bewiesen,  dass  sie  in  der  Urzeit  durch 
die  von  den  Idäischen  Bergen  herabströmenden  Gewässer,  denen  theils  durch  Ablageining 
an  der  Mündung,  theils  durch  Anhäufung  des  ^)ei  Sturmfluthen  emporgetriebenen  feinen  ^leer- 
sandes,  aus  dem  das  Ufer  des  Hellespont  besteht,  der  Abtluss  versagt  war,  einen  grossen  mit 
allerhand  (Jethier  und  tödtlichen  Miasmen  geschwängerten  Sumpf  bildete  und  erst  später  durch 
künstliche,  noch  heutigen  Tages  sichtbare  durch  Felsgestehi  getriebene  Abzugsgräben  trocken  o-elet^t 
worden  ist,  jedoch  so,  dass  die  Ebene  jeden  Augeidjlick  wieder  unter  Wasser  gesetzt  werden  konnte. 
Gegen  diese  handgreiflichen  Thatsachen  ist  nicht  aufzukommen;  sie  bilden  die  Basis,  von  der  wir 
schon  oben  ausgegangen  sind,  und  von  welcher  künftighin  jede  Untersuchimg  über  die  so  räthsel- 
haft  dunklen  Verhältnisse  des  Troischen  Krieges  und  über  die  Folgen  desselben  wird  ausgehen  müssen. 
In  dieser«  Ebene  lag  llion.  Eine  Oertlichkeit  jedoch,  wie  die  geschilderte,  ist  nie  und  nimmer  von 
einer  friedlichen  Bevitlkerung,  deren  Zweck  und  Aufgabe  es  war,  durch  Ackerbau  und  Viehzucht 
aus  den  Umlanden  ihre  Existenzmittel  zu  geAvinnen,  zum  dauernden  Aufenthalt  gewählt  worden. 
Nur  Unzufriedene  od<'r  Uebelthäter,  die,  zeriallen  mit  der  Ordnung  der  FamiHe,  der  Gemeinde, 
des  Stammes,  jedem  Iriedlichen  (lemeinwesen  einen  ewigen  Krieg  erklärt  hatten,  also  Räuber  und 
Mörder,  Strolche  und  Wegelagerer,  entlaufene  Sclaven  und  allerhand  Gesindel  der  Art,  können  es 
gewesen  sein,  die  zuerst  es  wagten,  jenen  todtbringenden  Ort  der  persönlichen  Sicherheit  wegen 
zum  Wohnsitz  zu  wählen,  um  von  ihm  aus,  pochend  auf  den  Schutz,  den  er  gewährte,  die  Umlande 
zu  brandschatzen,  anfangs  um  zu  existiren,  bald  aber  um,  den  Speer  in  der  Faust,  sie  zu  unter- 
jochen und  zu  beheri-sclHMi.  T(>iTassenartig  erhebt  sich  rings  im  Kreise  um  die  Troische  Ebene 
ein  fruchtbares  Hochplateau,  sehr  geeignet  zum  Ackerbau  und  zur  Viehzucht;  hier  lag  südr»stlich 
von  llion  die  alte  Stadt  Dardania,  gegründet  von  Dardanus,  dem  geliebtesten  Sohne  des  Zeus 
of.  II.  XX,  2iri,  ;i04.  Sie  muss  als  der  alte  Kiinigssitz  des  Dardanischen  Geschlechtes  gelten,  bevor 
llion  in  der  Ebene  ilureh  Hos  gegründet  war,  nach  dessen  Gründung  zwar  noch  von  Dardanern, 
aber  von  einer  Stadt  Dardania  nirgends  mehr  die  Rede  ist.  Von  jenem  Hochplateau  —  wir: 
nennen  es  die  dardanische  Ebene  —  zieht  sich  der  oben  oft  genannte  Höhenrücken  von  Südost 
nach  Nordwest  tief  in  die  Troische  Ebene,  also  in  den  uralten  Sumpf  hinein,  auf  dessen  westhchster 
Endspitze  noch  heute  Neu -llion  liegt.  Hier  hat  Uns,  des  Dardanus  Nachkomme,  Alt-Ilion  ge- 
gründet und  von  hier  ans  hat  er  die  Umlande  unterworfen;  wir  tragen  kein  Bedenken,  hinzu- 
zufügen, dass  ei'  Dardania  zerstört  und  das  alte  Königsgeschlecht  nebst  dem  Uradel  nach  Ihon 
verpflanzt,  die  übrigen  Bewohner  aber  als  Hörige  auf  der  Scholle  belassen  hat.  Ilus  also,  der 
Erbauer  und  Beherrscher  der  Sumpfstadt  llion,  ist  der  Repräsentant  jener  Auswürflinge,  deren 
Eisenfaust  nach  Ueberwältigung  der  von  Zeus  gegründeten  Königsdynastie  die  ganze  Landschaft 
nach  Osten  hin  sich  unterthänig  gemacht  hat;  und  diess  ist  die  Hybris,  die  Zeus  zu  rächen 
entschlossen  ist.  Dem  Ilus  folgt  sein  Sohn  Laomedou.  Unter  ihm  stand  Ihon  bereits  gross  und 
mächtig  da:  die  unterworfene  Umgegend  lieferte  alle  Mittel  zur  Subsistenz  und  der  Herrscher 
konnte  in  Ruhe  daran  denken,  den  todtbringenden  Herrschersitz  in  einen  gesimden  Wohnort  zu 
verwandeln,  ohne  jedoch  der  Sicherheit  desselben  gegen  auswärtige  Feinde  Eintrag  zu  thun.  Er 
Hess  die  Ebene  künstlieh  durch  Canäle  und  Eindeichung  des  Xanthns  trocken  legen,  jedoch  so, 
dass  sie  bei  eintretender  (Jefahr  jeden  Augenblick  mit  Benutzung  des  genannten  Flusses  wieder 
überschwemmt  werden  konnte.  Aber  der  auf  seine  Macht  pochende  Mann  war  übermüthig;  er 
weigerte  den  für  jene  Arbeit  bedungenen  Lohn  und  übte  —  Hybris.  fand  aber  dafür  sofort  den 
Untergang.  Ihm  folgt  Priamus,  der  stolze  regnator  Asiae;  ihm  gehorcht  nicht  allein  ein  aus- 
gedehntes   Gebiet    auf  dem   Festlande,   sondern    er   sendet   aus   seinem,    nur   einem   Herakles  nicht 


40 

gewachscuen,  sonst  völlig  unangreifbaren  Schlupfwinkel  seine  Flotten  über  die  Meere;  die  aQx<:xax(}i 
vr^ts   des   Paris   landen   an   den   Küsten    von   Hellas    und   betreiben  Weiberraub.      Diess   und 

nichts  anderes  besagt  die  Entführung  der  Helena.  Letztere  ist  die  Ilepräsentantin  der  hellenischen 
Frauenwelt,  aus  welcher  die  schönsten  nach  Kleinasien  gebracht  wurden;  ob  freiwillig  folgend,  wie 
Helena,  oder  gegen  Kaufgeld  oder  endlich  der  (rewalt  weichend,  thut  nichts  zur  Sache;  ebenso 
mag  es  vorerst  vpllig  dahingestellt  bleiben,  ob  die  hellenischen  Sclavinnen  in  Ilion  verblieben,  oder 
ob  mit  ihnen  ein  förmlicher  Handel  nach  dem  Innern  Asiens  getrieben  wurde,  ein  Gesichtspunkt 
der  durch  den  Namen  Priamus  (nach  der  Analogie  von  önyann^,  ni').aitog  etc.  von  TTtnanai  ge- 
bildet), wohl  eine  weitere  Beachtung  verdient.  So  viel  ist  ersichtlich,  dass  dei-  Iiaub  der  Helena, 
der  als  Kinzelfactum  ein  ganz  systematisch  betriebenc'> ,  im  alten  riricchcnland  durchaus  nicht 
ungewöhnliches  Geschäft  bezeichnet,  ebenfalls  Hybris  war,  und  e^  darf  nicht  A\  ander  nehmen, 
wenn  die  Einzelstämme  (iriecheulands  bei  der  gänzlichen  rnsicherhcit  ihrer  Küsten  endlich  dazu 
kamen,  den  übcrmüthigen  unheilvollen  Frauen  -  Piraten  der  Troisehen  KImmjc  ein  für  alle  ^al  durch 
völlige  Zerstörung  ihres  Scliluph\inkel>  das  Handwerk  zu  legen.  Und  in  der  That,  einen  günstiger 
ffeleuencn  Ort  für  die  Betreibung  von  Seeräuberei  aller  Art,  als  das  alte  Ilion,  hat  es  im  ganzen 
Alterthum  nicht  gegeben;  die  Idäischen  Berge  lieftu'ten  das  beste  Schiftsmatcrial,  wovon  noch  die  sj)ätere 
historische  Zeit  genügendes  Zeugniss  giebt.  und  der  noch  jetzt  sogenannte  Karanlik-lämaii,  d.  h.  der 
dunk«  Ic,  versteckt  liegende  Hafen,  der  vom  Hellespont  aus  nicht  gesehen  wenlen  kann,  barg  <lie 
aus-  und  einlaufenden  Fahrzeuge  so  völhg,  das>  diese  aus  ihm  auftauchten  und  in  ihm  wieder 
verschwanden,  ohne  dass  die  Küstenbewohner  oder  andere  Schifte  sich  vor  ihnen  zu  schützen 
vermochten. 

Auf  diese  Weise  manifestirt  sich  die  Hybris  an  dem  ganzen  vom  Ilus  stanunenden  Geschlecht; 

diess  beweist   deutlicher  noch  das  Verhältniss  des  Aeneas  zum  Priamus.     Als  Schutz  und  Schirm  des 

bedrängten  Troia  tritt  in  der  Iliade   zunächst  zwar  Hector  hervor,   aber   würdig  steht  ihm  zur  Seite 

die    ritterUche    Gestalt    des    Aeneas.    den-    überall,    wo    es    gilt,    nnt    grossem  Erfolg    in    den    Kampf 

ein^n-eift.     Dieser   seiner  Stellung  ist  der  Held  sich  sehr  wohl  bewusst,    wie  aus  dem  stolzen  Schlüsse 

seiner    genealogischen    Auseinandersetzung    Iliad.    XX.     2  10    unzweideutig    hervorgeht:     Mich    hat 

Anchises,    den    Hector   aber    hat    Priamos    erzeugt;    hier    ruhet    das    volle    Gewicht    auf   dem 

Mich    hat    etc.  im    Gegensatz    zum  Hector,    welcher    letzterer    dem  Zwecke    der  Auseinandersetzung 

zufolge   sonst    nicht    einmal  zu    nennen    gewesen    wäre.      Beide    erscheinen  als  die  Vertreter    zweier 

Herrscherlinien,  von    denen    Aeneas    die    sehiige    in    vollem    Selbstbewusstsein    als    die    vollkommen 

»gleichberechtigte    hinstellt,    wiihrend    sie    in  Wirklichkeit    die    untergeordnete  war.     Hiedurch 

verbreitet  sich  Licht  idjcr  die  Haltung  des  Aeneas  dem  herrschenden  Ciebieter  gegenüber;  ersterer, 

als    Held    zwar    eingreifend,    wo    es    nöthig    ist,    entzieht    sich    zeitweise    dem    l\am]»fe    un<l    beweist 

dadurch,    dass  er    von    andern  Gefühlen    getragen    wird,    als  welche  den   Hector  im  Kampfe    Ihr    «las 

Vaterland  beseelen.     Als  (irund   bezeichnet   der  Dichter   (cf  Iliad.  Xlll.    lös   sqq. i   den    Groll    und 

lu'mmm,    womit  Aeneas   stets    gegen  Prianms    ertüllet  war    und  zwar,    weil    dieser  ihn  den   Indien 

{ioS-loi    tCYici)    im    (Jenngsten    nicht    {oiri)    achtete    und    ehrte,    ihn  viehuehr  mit    zurückstossender 

Kälte    behandelte.      Aber    auch    für    diese    Stiunnung    des    Priainu^    liegt    ein    triftiger    Grund    vor. 

Aeneas,   der   Aphrodite    Sohn,    wird    aus    allen    Kämj)fen.   wo    ihm    Lebensgefahr   drohet,    durch    das 

rechtzeitige    persönliche  Eingreifen  der  Götter    gerettet  und    zwar    nach    der    ausdrikklichen  Aussage 

des  Dichters,    weil    es    Schicksalsbestinnnung   war,   dass  Aeneas   nicht    etwa    im  Kam})fe    fallen    solle, 

weil    ihm  Höheres   für   die  Zukunft    beschieden    sei;   man  vgl.  die    berühmte  Stelle  11.  XX,    30o  stjq: 

Diess  Alles  wusste  Priamus.  und  hieraus  erklärt  sich  die  Zurücksetzung  des  Aeneas;  aber  hätte  jener 

obiges  Orakel  auch  nicht    gekannt,   so  würde  das  stiafende  Bewus^tsein  eines  verübten  Unrechts  ihm 

dennoch     die     P>i('htschnur     zu    seinem     argv\  öhnischen    und    zurückhaltenden     Benehmen     gegeben 


41    

haben.  Die  Genealogie  des  vom  Zeus  erzeugten  Dardanus  lehrt,  da«s  dessen  Enkel  Tros  drei 
Sohne  hatte.  Ilus,  Assaracus  und  Ganymedes.  Von  diesen  konmit  der  letztere,  welchen  Zeus 
entführt  hatte,  nicht  weiter  in  Betracht:  dagegen  setzt,  nachdem  der  muthmasshch  ältere  Ilus  an 
der  Spitze  von  Wegelagerern  Ilion  erbauet  und  eine  eigene  Königsdynastie  gegründet,  Assaracus 
die  Herrschaft  in  Dardania  fort.  P'inc  alte  Notiz,  deren  Werth  oder  Unwerth  dahingestellt  bleiben 
muss,  besagt,  dass  dieser  schon  bei  Lebzeiten  seines  Vaters  Tros  Theilnehmer  an  der  Herrschaft 
geworden  sei  (cf.  A.  Nitsch  s.  v.  Assarac);  sollte  hierin  vielleicht  der  Grund  des  Zerwürfnisses  und 
des  Ausscheidens  des  Ilus  zu  suchen  sein?  Wie  dem  auch  sei,  die  vom  Sohne  des  Zeus  gegründete 
Dardania  und  das  alte  unter  der  Oljhut  des  Gottes  daselbst  gebietende  Königsgeschlecht  wurde 
durch  Ilus  unterjocht,  und  die  Stadt  selbst  zerstört,  hierin  aber  beruhet  die  Hybris  der  neuen 
Herrscherdynastie.  Somit  leuchtet  ein,  wesshalb  des  gewaltsam  unterdrückten  Assara(^us  Urenkel  Aeneas 
zwar  Führer  der  Dardaner  ist  und  mit  ihnen  dem  Priamus  Beistand  leistet,  dennoch  aber,  da  er 
diesem  zur  Unterthänigkeit  verpflichtet  ist.  im  Gefühle  mindestens  gleicher  Herrscher  -  Berechtigung 
dem  Könige  grollt  und  wiederum  von  diesem  fortwährend  mit  Argwohn  betrachtet  wird.  Zugleich 
aber  wird  Ineraus  die  ganze  Bedeutung  des  oben  angezogenen  Orakels  ersichtlich:  die  Hybris.  von 
der  Ilischen  Seitenlinie  au  Aeneas  verübt,  soll  durch  den  Untergang  derselben  gesühnt  und 
Aeneas  selbst  wieder  in  sein  uraltes  Recht  eingesetzt  werden;  er  soll  wiederum  über  die  Troer 
herrschen  und  seine  Söhne  über  die  ganze  Nachkommenschaft  (cf.  IL  XX,  307).  Dieser  Aus- 
spruch im  Munde  Homers  ist  von  weitreichender  Bedeutung,  und  nur  die  Selbstvergötterung  der  eigenen 
Ueberzeugung  hat  die  neuere  Forschung  bestimmen  können,  jenem  Ausspruche  das  ihm  zukom- 
mende (Jewicht  abzusprechen.  Endlich  aber  ist  das  \'erhältniss  des  Aeneas  zimi  Priamus  die 
Veranlassung  geworden,  jenen  sogar  des  Verrathes  zu  bezüchtigen  und  als  Mitschuldigen  an  dem 
Falle  von  lUon  zu  bezeichnen.  Und  in  der  That  bleibt  es  auftallend,  dass  nur  Aeneas  und  sein 
llaus  mit  Ausnahme  der  Creusa  dem  allgemeinen  Untergang  entgehen  und  in  völhger  Sicherheit 
sich  zugÜMch  mit  seinen  Begleitern  über  die  Meere  hin  retten  konnte.  Jene  Mitschuld  indessen 
mag  auf  sich  beruhen:  gewiss  aber  ist,  dass  der  Dichter,  um  jenes  Orakel  überall  erwähnen  zu 
können,  eine  ganz  bestimmte  Kunde  nicht  bloss  von  dessen  Vorhandensein,  sondern  auch  von  der 
Erfüllung  desselben  gehabt  haben  nniss,  weil  eine  unerfüllt  gebliebene  Prophezeihung  nur  ein 
nichtiges  Woit  und  darum  völlig  werthlos  gewesen  sein  würde:  der  Dichter  hat  somit,  als  er  seine 
Ilias  schuf,  nicht  allein  aus  der  alten  Sage  geschöpft,  sondern  er  hat  auch  bestimmt  gewusst,  dass 
Aeneas  nebst  den  Seinigen  dem  allgemeinen  Untergange  entronnen  sei  und  dass  er  und  seine 
Nachkommen  nachmals  über  Troer  geherrscht  haben.  Wir  betreten  hiemit  vollständig  den  Boden 
einer  historischen  Thatsache.  dass  nändich  Aeneas  wirklich  aus  dem  Brande  von  Ihon  nach 
mannigfachen  Irrfahrten  an  Latiums  Küsten  gelandet  ist;  mit  wie  vielen  Schiffen,  ist  völhg  gleich- 
gültig; dass  es  aber  auf  dem  Seewege  geschehen,  dafüi-  bürgt  der  Kaub  der  Helena,  welcher  die 
Troer  als  ein  völlig  meerkundiges  Volk  erscheinen  lässt. 

Die  ;iu>  den  obigen  Resultaten  sich  ergebenden  Folgerungen  bieten  sich  jedem  ungesucht 
dar,  und  manches  Räthselhafte,  was.  weil  unentwirrbar,  bis  dahin  zu  den  verschiedenartigsten  Ver- 
muthungen  Veranlassung  gegeben,  löst  sich  ganz  von  selbst.  Nachdem  mit  Troias  Zerstörung  das 
meineidige  Geschlecht  des  Uns  in  Prianuis  seinen  Untergang  gefunden,  ist  die  von  Zeus  selbst 
gegründete  Herrschalt  über  die  Troer  zu  dem  von  ihm  begünstigten  Vertreter  Aeneas  zurückgekehrt. 
Dieser  gründet  in  Latium  seinen  Königssitz  in  Lavinium  und  sein  Sohn  Ascanius  erbauet  Alba  Longa; 
hier  herrscht  fortan  das  Königsgeschlecht  der  Silvier,  welchem  die  Rea  Silvia,  die  Mutter  des 
Ronudus  und  Remus  ent.stammt.  Sie  führt  jedoch  diesen  Namen  nm*  in  den  Albanischen 
Sagen;  in  den  Römischen  heisst  sie  Ilia,  woraus  erhellt,  dass  jenes  Albanische  Königsgeschlecht 
der  Silvier    kein    anderes   als    das  der  Iher,   also   der  Troer   gewesen   ist.     Verfolgen   wir   die  Sagen 


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42    

weiter,    so   haben  Ilias  Söhne,    also  wiederum  liier,   in  den  Tibermorästen  auf  dem  Palatinus  die 
ewige  Roma   gegründet  und  mit  diesem  Factum    boschliessen  wir    unsere  Untersuchung.     Mag   die 
gelehrte  Forschung  in  der  Gründung  Roms  bald  ein  Jlüv  Acaiov.  bald  ein  Ver  sacrum  der  Sabiner, 
bald  auch  ein  schhchtes  Handels  -  Emporium  der  Latiner  linden,  wir   rechten    darüber  mit  Niemand; 
aber   das  Recht   gestehen   wir   keinem  Forscher   zu,   die   alten  Völkersagen   ohne  Weiteres   als  leere 
Fabeln   über   Bord   zu    werfen   und   dafür   die   eignen   Vermuthungen   als    historische   Facta   in   die 
Geschichte   einzuführen.      Die   ältesten  Sagen   bilden   die  Basis   der   ältesten   Geschichte,   und   es   ist 
die   Pflicht  jeder   umsichtigen   Forschung,   von   ihnen   auszugehen    und   sie   überall    grundleglich   zu 
machen,    wo    es    gilt,    einen    historischen    Kern    aufzutinden    und    zum    geschichtlichen    Factum    zu 
entwickeln.      Es   ist    bewiesen,   dass  Rom    in    historischer  Zeit    seine  uralte  Verwundtschaft    mit    dem 
alten  Troia  von  Staatswegen    anerkannt  hat.     Eine    solche  Anerkennung  aber    kann  nur   aus   der 
urwüchsigen    Ueberzeugung    des    ganzen   Volkes,    dass   jene    Verwandtschaft    auf   Wahrlioit    beruhe, 
hervorgegangen  sein;   es  ist  ein  Glaube,   der    nicht    etwa  von   aussen  her  dem  Volke    gleichsam    ein- 
geimpft, "sondern    der  als  ein   uraltes  Erbtheil    von    ilmi    betrachtet    und    heilig   erhalten  worden  ist. 
Ihn   aber   als   vorhanden   gläubig   anzuerkennen    und   dennoch   die   Wege,   wie   er   etwa   entstanden, 
ohne  Weiteres  zu    verwerfen  und  damit  den  Glauben    selbst  als  ein    auf  einer  Fabel  und  darum  auf 
entschiedener  Unwahrheit  beruhendes  Hirngespinst  zu  bezeichnen,  das  ist  und  bleibt  eine  Absurdität. 
Im  Römischen  Volke  lebte  von  den  urältesten  Zeiten  an  die  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  sich  fort- 
pflanzende Erinnerung   an   seine  Abstammung  von  Troia;   sie   hat   ihren  Ursprung   in   dem  Factum, 
dass   in   Alba   Longa   sesshaft   gewordene  Hier,  d.  h.  Troer,   getragen   von   der  Erinnerung   an   die 
einstige    durch  Speer   und  Schwert    gewonnene  Macht  und  Herrlichkeit  der   verlorenen  Heimath    und 
unzufrieden  mit  der  neuen  Ordnung  der  Dinge  in  der  neuerbauten  Stadt,  als  landflüi-htiges  Gesindel  sich 
auf   dem    in    Folge    der    Tiberüberschwemmungen    nur    auf    einem    einzigen    Wege    von    Osten    her 
zugänghchen  Palatinus   ein  Asylum   gegründet    haben   und   dass    hieraus   die   ewige  Roma  hervor- 
gegangen  ist.     So   lautet   die    uralte    Römische   Sage   und   sie    enthält    volle    historische   Wahrheit: 
allein  wer  glaubt  daran?  Jeder  weiss,  dass  Rom  einen  Geheimnamen  hatte,  welchen  auszusprechen 
nicht    erlaubt  war,   um  den  Zorn  der  Gottheit  nicht  auf  die  Stadt   herabzubeschwören.     Dass   dieser 
Name    aber    nicht    anders    gelautet    hat,    als    Ilion,    den    als    Eigennamen    der     neuen    Stadt 
Niemand    aussprechen    durfte,    um    dieselbe    vor    einem    ähnlichen    Schicksal    durch    die    zürnende 
Gottheit   zu    bewahren,    welches    die  Urstadt   einstmals    betrofl'en,    wer    ahnet   es?    Es  ist   hier   nicht 
der  Ort  auf   diesen  Punkt   und  auf  den    damit  in  Verbindung   stehenden    allgemeinen  Volksglauben, 
wie  er  in  den  Römischen  Dichtern,  besonders  im  Virgil  und  Horaz  (cf.  Carm.  III,  W)  niedergelegt  ist, 
näher  einzugehen,  demzufolge  die  auf  Jupiters  Geheiss  (m.  vgl.  das  Augurium  augustum)  gegründete 
Roma   die  Herrschaft   über   den    ganzen  Erdkreis  besitzen  sollte,    wofern    nur    nicht  dem  Willen  der 
Juno   entgegen  das   alte  Ilion  in  der  Troischen  Ebene  wieder   hergesteUt   würde,   oder  mit   andern 
Worten,    wofern    es    der    Juno    wegen    nur    nicht    verlautbarte ,    dass    die   in    den   Tibersümpfen 
mit  Jupiters  Bewilhgung   gegründete  Stadt   eigenthch   nichts   anderes  als  das   wiedererstandene  lüon 
sei,   und   dass   dem   unabänderlichen  Willen    der   (Jötterkönigin   nur  in   so   weit  Rechnung   getragen 
werde,  als  Ilion  auf  seiner  alten  Stätte  niemals  wieder  aufgebauet  würde  und  seine  factische  Wieder- 
herstellung  in   den   Tibermorästen   ein   ewiges   Geheim niss    bliebe.      Das   aber   können   wir   uns 
nicht   versagen    noch    hinzuzufügen,    dass    mit   der   obigen    Erkenntniss    zugleich   ein    Räthsel    gelöst 
wird,   welches   die  Forscher   vielfach    beschäftigt   hat.     Es   ist   nicht  in  Abrede  zu   nehmen,   sondern 
muss  vielmehr   trotz   aller  Gegenrede   als   durch   die   Forschung   bewiesen    gelten,   dass   sich  in  der 
lateinischen   Sprache   ein   griechisches    Urelement   vorfindet,   welches  mit  dem  Aeolischen  Dialecte 
in  der  engsten  Verwandtschaft  steht.    Die  Uebereinstimmung  ist  ausgemacht,  woher  sie  aber  entstanden, 
die  Frage  hat  zu  den  verschiedenartigsten  Vermuthungen  Veranlassung  gegeben.     Der  obige  Nachweis 

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43 

löst  das  Räthsel.  Sil  vier  und  liier  ist  derselbe  Name  und  die  Verschiedenheit  rührt  nui'  von  dem 
Aeolischen  Digamma  her;  hierin  Hegt  der  Fingerzeig,  dass  diejenigen,  welche  aus  der  Troischen 
Ebene  nach  Hions  Fall  sich  über  die  Meere  flüchteten,  Aeoler  gewesen  sind,  zugleich  aber  auch,  dass 
die  in  der  historischen  Zeit  in  jener  Ebene  sesshaften  Aeoler  sich  nicht  etwa  durch  Colonisatiou 
von  Griechenland  aus  dort  angesiedelt  haben,  sondern  dass  sie,  wie  schon  vor  Jahren  C.  0.  Müller 
richtig  gesehen,  dort  von  Uranfang  an  sesshaft  gewesen  sind  und  dass  ein  umgekehrter  Hergang 
stattgefunden  hat.  Denn  es  ist  sicherlicli,  wenn  von  derartigen  Wanderungen  von  Völkern  die 
Rede  ist,  welche,  sei  es  freiwillig  oder  gezwungen  ihre  Heimath  aufgegeben  und  sich  neue  Wohn- 
sitze gesucht  liaben,  ein  Grundirrthum  anzunehmen,  dass  in  solchen  Fällen  das  ganze  Volk 
ausgewandert  sei  und  seine  Heimath  öde  und  leer  zurückgelassen  habe,  eine  Vorstellung,  die  nur 
zu  häutig  noch  heutigen  Tages,  z.  B.  von  den  Cimbern  und  Teutonen,  von  den  Vandalen  und  Longo- 
barden  etc.  angetroffen  wrd.  Sind  nun  also  auch  nach  Ihons  Zerstörung,  da  weder  alle  Troer  zu 
Grunde  gegangen  noch  auch  alle  bis  auf  den  letzten  Mann  hinweggezogen  sind,  einige  derselben 
zurückgebheben  und  zwar  genug,  um  nach  dem  Abzug  der  Sieger  die  alte  Heimath  zu  bewohnen 
und  zu  bebauen  ( und  diess  sind  die  später  dort  genannten  historischen  Aeoler ),  so  müssen,  wie 
schon  oben  angedeutet  wurde,  auch  die  mit  Aeneas  nach  Latiuni  hinweggezogenen  Troer  zu 
demselben  Stamme  der  Aeoler  gehört  haben,  und  diese  sind  es  gewesen,  welchen  jenes  Griechische 
Element  zugeschrieben  werden  muss,  aus  welchem  sich  unter  dem  Hinzutreten  anderer  Einflüsse 
später  die  lateinische  Sprache  entwickelt  hat.  Zu  diesen  Aeolern  aber  hat  der  Dichter  der  Rias 
nicht  gezählt;  Homer  war  kein  Troer,  -wie  vor  Jahren  behauptet  worden  ist;  er  gehörte,  wie  seine 
Sprache  beweist,  zum  Ionischen  Stamme,  und  in  lonien,  wohin  die  Troischen  Sagen  durch  Ueber- 
lielerung  gelangt  waren,  hat  er  sein  Epos  geschaffen.  Die  Ebene  selbst  hat  er,  wie  schon  oben 
wiederholt  ausgesprochen  worden  ist,  niemals  mit  eignen  Augen  gesehen,  sondern  hat  sie  nur  vom 
Hörensagen,  wie  sie  zu  seiner  Zeit  beschaffen  war,  gekannt,  und  da  er  den  Sagen  folgend,  die 
Begebenheiten  vor  Ilion  ganz  der  Sachlage  gemäss  um  Jahrhunderte  zurückdatirte,  so  hat  er  sich 
in  den  Locahtäten  und  deren  Erwähnung  mit  der  vollsten  Freiheit  bewegt  und  der  dichterischen 
Phantasie  den  weitesten  Spielraum  gelassen.  Indessen  welcher  Stadt  Joniens  der  Dichter  angehört 
habe,  wer  vermag  es  zu  sagen? 


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45 


Die  Lehrverfassimg 

des  Gyniiiu^ium  Friderieiaiium, 

als  eines  üclassigeu  Normal-G ymiiHsiums, 

(Genehmigt  .lurdi  Re«cript  des  Hohen  .Grosshorzoglichen  Ministeriums  vom  12.  November  1869,) 

Cursusdauer:  in  VI.,  Y.,  I\\  je  ein,  in  Ul.,  ii.  und  1.  je  zwei  Jahre.  Die  Auiuahme 
eriblpt  mit  zurückgelegtem  9.,  der  Abgang  in  der  Regel  mit  vollendetem  18.  Lebensjahre:  der  ganze 
Gymnasialcursus  beträgt  also  9  Jahre. 

A.  11  iNNenKrIiaften. 

1. 

R  f  1  i  «C  i  0  n. 

a.  Untere  Stute,  umfass^end  die  Sexta,  Quinta,  Quarta  und  Tertia. 

b.  Obere  Stufe,  umfassend  die  Secunda  und  die  Prima. 

«)   Untere  Stufe. 
Sexta,    wöchentlich  3  Stunden. 
Die   wichtigsten    biblischen    Geschichten    des    A.  T.    bis    zu    den    Königen,    nach    einem 
bibhechen  Historienbuche.     Die  Leetüre  der  Bibel  selbst  wird  nicht  zu  Grunde  gelegt.   -    Vor  den 
Hauptfesten  des  Kirchenjahres  die   betreffenden  Geschichten   aus  dem  N.  T.   —   Zur  Zeit  des  Refor- 
mationsfestes in  kurzem  Umrisse  das  dahin  gehörige  Geschichtliche. 

Katechismus.  Das  1.  Hauptstiick  wird  nach  dem  Landeskatechismus  durchgenommen  und 
erklärt.     Repetitiou  des  klehien  Lutherschen  Katechisnms  dem  einfachen  Wortlaute  nach. 

Kirchenlieder  und  Katechismussprüche  werden  in  angemessener  Zahl  zuerst  gelesen, 
dann  den  Worten  nach  einfach  erklärt  und  zuletzt  genau  auswendig  gelernt.  Die  Kirchenlieder, 
ungefähr  8-10,  also  im  Semester  4—5,  schliessen  sich  an  die  Festzeiten,  die  Sprüche  an  das 
L  Hauptstück  an. 

(}i(inta,  wöchentlich  3  Stunden. 
Biblische  Geschichten  des  N.T.  nach  einem  biblischen  Historienbuche  i„das  Leben  Jesu 
bis   zur    Hmimelfahrt").      Die   Eintheilung   der    Bibel    und    die  Reihenfolge    der   bibhschen   Bücher; 
letztere  auswendig  gelernt.     Das  zum  Reformationsfeste  Gehörige  wird  eingehend  repetirt. 

Katechismus.     Repetition  des  1.  Hauptstücks  nebst  den  gelernten  Sprüchen.     Das  2.  Haupt- 
stück wird  erklärt  und  mit  den  beigefügten  Bibelsprüchen  auswendig  gelernt. 

Kirchenlieder.     Repetition  der  in  VI.  gelernten,   und  dazu   b  neue,  m  jedem  Semester  3. 

Anm      Ob  das  2.  Hauptetück  in  V..  und  das  3.  m  IV.,  oder  ob  beide  in  umgekehrter  Folge  (in  V.  das  3.  und  in 
IV.  das  2.)  zn  lernen  sind,  darüber  hat  der  betreffende  Religionalehrei  sich  mit  dem  Director  in  Emvernehmen  zu  setzen. 


Quarta^  wöchenthch  3  Stunden. 

Bibellesen  und  zwar  die  wichtigsten  Abschnitte  des  A.  und  N.  T.,  aus  jenem  die  Stücke, 
welche  sich  auf  die  Geschichte  des  Israehtischen  Volkes  beziehen,  aus  diesem  die  Hauptsachen  aus 
Matthaeus,  Lucas  und  aus  der  Apostelgeschichte.     Erweiterung  der  Bibelkunde. 

Katechismus.  Repetition  des  1.  imd  2.  Hauptstücks;  der  dahin  gehörigen  Sprüche  und 
Kirchenheder;  das  3.  Hauptstück  wird  erklärt  und  mit  den  dazu  gehörigen  Sprüchen  genau  memorirt 
Dazu  C  neue  Kirchenlieder,  in  jedem  Semester  3.  Das  4.  und  5.  Hauptstück  —  ohne  Luthers 
Erklärung  —  werden  auswendig  gelernt. 

Gelegenthch  das  Hauptsächlichste  aus  der  Geographie  Palaestina's,  nach  einer  Wandkarte. 

Tertiaf  wöchentlich  2  Stunden. 

a.   Unter -Tertia   (Cui-sus    1    Jahr). 

Zusammenhangende  Geschichte  des  Lebens  Jesu,   nach  einem   synoptischen  Evangehum 

und  zwar  in   engem  Anschlüsse  an   dasselbe;   damit  in  Verbindung  aus  dem  A.  T.  raessianische  und 

prophetische    Stellen;    einzelne    Psahnen.     Dann    Rej^etit.  der  Reformation  und    zwar  mit   genauerem 

Eingehen  auf  die  Veranlassung  und  auf  den  endhchen  Erfolg  dei'selben. 

Katechismus.  Repetition  der  5  Hauptstücke  und  der  dazu  gehörigen  Bibelsprüche;  Repetit. 
der  Kirchenlieder  nebst  Angaben  über  deren  Verfasser  und  über  die  Zeit  der  Entstehung.  Dazu 
4  neue  Lieder,  wodurch  der  Liederschatz,  welchen  die  Schüler  wissen  müssen,  abgeschlossen  wird. 

l».  über -Tertia  (Cursus   l  Jahr). 
Repetition   des   Pensums   von  III b.  dazu:    Ausbreitung   der   christhchen   Kirche;   Leben   und 
Wirken  der  Apostel:   des  Paulus  Missionsreisen.     Streng   eingehende  Repetition   der  Reformation. 

Anm.  Da  aus  der  Tertia  (A.  und  B.)  eine  Anzahl  von  Schülern  in  das  bürgerhehe  Leben  überzugehen  pflegt,  so 
ist  auf  die  Repetition  des  KatechiemuB,  der  Sprüche  und  Lieder  und  endhch  der  Reformation  in  ihrer  Gesammt* 
eütwickelun^  t-m  ganz  besonderes  Gewicht  zu  legen;  denn  erst  hiedurch  wird  ihnen  der  wahre  Halt  für  das  <yanze  Leben 
mitgegeben. 

ß)   Obere  Stufe. 

Secuuda  und  Piiuia. 

SecuHila^  wöchenthch  2  Stunden. 

Anm.  Es  beginnt  die  Bibelkunde-  also:  Lesen  einzelner  biblischer  Abschnitte  zur  Darstellung  des  Reiches 
Gottes  im  A.  und  N.  T.  Hier  sind  nicht  kritische  und  gelehrte  Einleitungen  in  die  einzelnen  biblischen  Bücher  zu  »eben, 
sondern  die  Bücher  werden  einzeln  oder  auch  gruppenweise  der  Reihe  nach  betrachtet,  die  nöthigen  Bemerkungen  über 
Verfasser  und  Enlatehungszoit  werden  angefügt;  dann  werden  diejenigen  Abschnitte  gelesen,  durch  welche  sich  die  Entwickelung 
des  Reiches  Gottes  im  A.  und  im  N.  T.,  die  fortgehende  Offenbarung,  der  Abfall  und  die  Wiederherstellung  des  ]\fenschen  im 
Zusaramenhaiig«-  ubf-rhlicken  und  erkennen  lüsot.     AIpo: 

a.  Unter- Secunda  (Cursus  t  Jahr). 
Im  Sommer:  Bibelkundo  des  A.  T.  Betrachtung  und  Leetüre  der  geschichtlichen 
Bücher  und  einzelner  Psalmen:  besonders  nachdrückhche  Berücksic^htigung  der  didactischen  und 
prophetischen  Bücher.  Einzelnes  ist  zu  lesen,  namenthch  was  für  die  Glaubens-  und  Sittenlehre 
?on  Bedeutung  ist  und  auf  die  Erscheinung  Christi  vorbereitet  (typische  Stellen).  Dazu  allgemeine 
Repetition  des  Katechismus  und  Nachweis  der  innern  Ghederung  desselben.  Repetition  von  Sprüchen 
und  Liedern. 


^ 


46 

Im  Winter:  Leetüre  neutestamentlicher  Bücher  in  der  Ursprache,  zur  Seite  die  hithei-sche 
Uebersetzung;  gelesen  werden  vorzugsweise  PauH  Briete  an  die  Epheser  und  an  die  Philipper.  dann 
die  Epist.  Jacobi,  der  erste  Brief  des  Johannes  und  der  erste  des  Petrus.  Katechismus  wie  im 
Sommersemester. 

b.  Oher-Secunda    (Cursus  1   Jahr). 

Im  Sommer:  Lesung  und  Erklärung  der  Apostelgeschichte.  Im  Winter:  Bibelkunde  des 
A.  und  N.  T.   mit    Auswahl    einzelner    Abschnitte    (Pericopenj.       Dsg.    Repetition    einzelner    Lieder 

und  Sprüche. 

Anm.  Boi  .1er  L-ctüie  der  neutestamentlichen  Schriften  ist,  in  Rücksicht  auf  die  religiöse  Bildung  der 
Schüler,  nur  auf  die  Erklärung  zu  .-«ehen;  der  philologische  Standpunkt  (Grammatik  und  Lexicali»>-hes)  ist  thunlichst  zu  vermei.len. 

Im  Winter:  Uebersicht  der  Kirchengeschichte  der  ersten  4  Jahrhunderte.  Genaueres 
über  die  Pveformationsgeschichte.  Die  Zeiten  Speners,  Franckes  und  die  Mission.  Biographisches. 
Endüch:  Hinweisungen  auf  die  vorchristHchen  Religionen  und  deren  Verhältniss  zum  Christenthum. 
Gelei.'entliche  Uepetit.  des  Katech..  der  Sprüche  und  der  Lieder. 

Anm.  Da  in  Obersec.  die  Römische  Geschichte  vorgetragen  wird  und  namentlich  im  Winter  die  Kaifier- 
Ge schichte  bis  auf  Constantin  d.  Gr.,  so  ist  e^  durchaus  angemessen,  d;vs.s  dio  Kircheuge.^chKhte  der  ersten  4  J;ihrh.  .«jchun 
hier  und  nicht  erst  in  Prima  liehandelt  wird. 

Pvhna,  wöchenthch  2  Stunden. 
Die  Glaubens-  und  die  Sittenlehre  in  ihrem  Zusammenhange.  Uebersicht  der  Bekenntniss- 
schriften. Leetüre  der  Augustana;  das  Hauptgewicht  ist  auf  den  1.  Theil  der  August,  zu  legen. 
Ueberall  Hervorhebung  der  Ünterschcidungslehreu  und  damit  verbunden:  Apologetik.  —  Leetüre  des 
N.  T.  im  Urtext  und  zwar:  das  Evangel.  Johann.,  die  Briefe  an  die  Römer  und  an  die  Gakter. 
Abschnitte  aus  dem  1.  Briefe  an  die  Corinther.  Endlich  Repet.  der  Kirchengesch.,  der  Reformations- 
gesch.,  der  Sprüche,  Lieder  und  des  Vaterunsers. 

Vertheilung  des  Stoffes  durch  die  4  Semester  der  Prima: 

t.  Repetit.  der  Kirchengeschichte..     Glaubens-  und  Sittenlehre. 
2.  Einführung  in  den  Inhalt  der  symbolischen  Bücher.     Leetüre  der  Augustana. 
;i.  und  4.     Leetüre  des  Römer-  oder  Galater-  oder  des  ersten  Corintherbriefes. 
In  allen  4  Semestern  gelegentliche  Repetit.  des  Katech.,  der  Sprüche  und  des  Liederschatzes. 
Endziel:  Sichere  Kenntniss  vom  Inhalt  und  Zusammenhang  der  heiligen  Schrift,  so  wie 
der  Grundlehren  der  evangelischen  Kirche. 


2. 

()leo<^raphi('    und    (ieüt'liicht«'. 

Sextett  wöchenthch  4  Stunden. 

a.  Geographie.  (2  Stunden.)  Grundbegriffe  aus  der  physischen  und  mathematischen  Geo- 
graphie. Uebersicht  der  hydro-  und  orographischen  Verhältnisse  der  Erdkugel.  Dann  Genaueres 
über  das  Heimathland  und  über  dessen  Zusammenhang  mit  den  umhegenden  Ländern,  also:  Mecklen- 
burg  in   Bezug   auf  den  Norddeutschen  Bund,  speciell  auf  Preussen.     Orientirung  auf  dem  Globus 

und  auf  den  Landkarten. 

b.  Geschichte  (2  Stunden;  wird  zunächst  in  Anlehnung  an  die  biblische  Geschichte  behandeh; 
Unterricht  wesentUch  biographisch;  Hauptpersonen  bilden  den  Mittelpunkt,  um  den  sich  die- 
jenigen Begebenheiten  gruppiren,  deren  Urheber  jene  Personen  gewesen  und  von  denen  sie  betroffen 


47    - — 

wordon    sind.      Dann    Sagen    aus    der    alten    Griechischen,    aus   der  Römischen    und    aus   der 
Deutschen  Geschichte 

Quinta^  wöchentlich  3  Stunden. 

a.  Geograpliie  (2  Stunden.  Repetition  des  Pensums  vom  VI.  Dann  die  Erdtheile- 
^pecieller  Europa  —  ausser  Deutschland  —  mit  den  wichtigsten  Flüssen,  Gebirgen  und  Oertern. 
Versuche  im  Kartenzeichnen. 

b.  Geschichte  (1  Stunde.  Repetition  des  Pensums  von  VI.  Anknüpfung  einzelner  zu- 
sammenhängender Partien  aus  der  älteren  Griechischen  und  Römischen  Geschichte. 

Quarta f  wöchenthch  4  Stunden. 

a.  Geographie  (2  Stunden).  Repetition  der  topischen  und  politischen  Eintheilung  von  Europa. 
Dann  speciell:  Deutschland;  der  Norddeutsche  Bund  und  Mecklenburg.   —  Kartenzeichnen. 

h,  (Jeschichte  (2  Stunden),  l.  Griechische  Geschichte:  Die  Hauptereignisse  und  die  Haupt- 
personen, von  den  Messenischen  Kriegen  an  bis  auf  Alexander  von  Maced.  (inclus. '.  Ueberblick  über 
die  Barbaren-Völker,  besonders  Perser  und  Aegypter.  Die  Hauptjahreszahlen.  2.  Römische  Geschichte 
von  der  Gründung  der  Stadt  bis  auf  das  Aussterben  des  Augusteischen  Hauses.  Hinbhck  auf  den 
Untergang  des  Weströmischen  Reiches  und  auf  die  Völkerwanderung.  Orientirung  auf  der  Wand- 
karte.    Die  Hauptjahreszahlen. 

Tertia^  wöchenthch  4  Stunden, 
a.  Untertertia    (4  Stunden. 

\.  Geograpliie  (2  Stunden).  Repetition  des  Pensums  von  IV.  Weitere  Ausführung  von 
Deutschland  und  noch  specieller  der  Norddeutsche  Bund,  mit  besonderer  Berücksichtigung  der 
politischen  Seite.  Kürzere  Berücksichtigung  der  übrigen  Länder  Europas,  sowie  derjenigen  ausser- 
europäischen  Länder,  die  mit  Europa  und  noch  specieller  mit  dem  Norddeutschen  Bunde  in 
besonderer  Beziehung  stehen,  namentlich  durch  den  Handelsverkehr. 

2.  Geschichte  (2  Stunden).  Geschichte  der  Deutschen  von  der  Völkerwanderuno-  bis 
zum  Westphälischen  Frieden.  Die  Geschichte  der  übrigen  Europäischen  Völker  wird  kurz  eingereihet, 
je  nachdem  sie  in  die  deutsche  Geschichte  eingreifen;  in  der  letzteren  aber  wird  die  Zeit  der 
Reformation  besonders  hervorgehoben  (siehe  oben  Religion). 

b.  Obertertia,  wöchentlich  4  Stunden. 

1.  Geographie  (2  Stunden).  Zunächst  Repetition  des  Pensums  von  III  b.  Dann  eine  allge- 
meine, bei  wichtigen  Partien  eingehendere  Repetition  Alles  dessen,  was  in  den  früheren  Classen 
stufenweise  durchgenommen  worden  ist,  womit  das  Pensum  der  Geographie  überhaupt  abgeschlossen  wird. 

2.  Geschichte  (2  Stunden).  Deutsche  Geschichte  von  dem  W'estphälischen  Frieden  bis  zu 
den  Befreiungskriegen.  Besonders  hervorgehoben  wird  die  Geschichte  von  Preussen  bis  zur  Gründung 
des  Norddeutschen  Bundes,  und  ebenfalls  eingehender  behandelt:  die  Geschichte  von  Mecklenburg. 
Nochmahger  wiederholender  Ueberbhck  über  die  Zeit  der  Reformation. 

Secunda,  wöchenthch  3  Stunden. 

a.  Unter-Secunda    (Cursus  1  Jahr). 

Alte  Geschichte,    mit  Ausnahme   der   Römischen.     Die   Verfassungen  der   Griechischen 

Staaten,  ihre  Entwickelung,  ihre  Blüthe  und  Verfall  bis  auf  146  a.  C.   Als  Episode  wird  behandelt 

Persien    und   die  Grundzüge    der  Persischen  Verfassung;    etwas    eingehender  die  ältere  Geschichte 


.: 48 

Ton  Macedonien ;    die   spätere  fällt   mit   der  Griechischen    völhg  zusammen, 
der  betreffenden  Länder,  vorzugsweise  Griechenlands.  —  Culturgeschichte. 


—  Die  alte  Geographie 


/  b.  Ober-Secunda  (Cui-sus  1  Jahr  . 

Römische  Geschichte  von  der  Gründung  der  Stadt  bis  476  p.  C,  mit  ganz  besonderer 
Berücksichtigung  der  Entwickelung  und  Ausbildung  des  Römischen  Staatsrechts.  .  Hmbhcke  auf  die 
Culturgeschichte.  Geographische  Uebersicht  von  Italien  und  der  umliegenden  Inseln  und  Lander; 
genauere  Anschauung  des  Imperium  Romanuni. 

Prima,  wöchentlich  3  Stunden.     (Cursus  2  Jahre.) 
Mittlere  und    neuere  Geschichte,   und    zwar  a.  im    l.  Jahre  (Unterprima):   von  der  Völker- 
wanderung bis  auf  Karl  V.,   mit   besonderer  Berücksichtigung   der  Culturgeschichte;    b.  im  2.  Jahre 
(Oberprima):   von  Kari  V.  bis   zur  Beendigung   der  Freiheitskriege.     Etwas   kürzer:    Uebersicht   der 
Gescliichte  von  1815  bis  1866. 

3. 

Rechnen   und  Matliematik. 

Sexta,  wöchenthch  4  Stunden. 

Genaue   Repetition   der    4   Species    in   unbenannton    und   benannten   ganzen    Zahlen.      Die 

^dchti-sten   Maasse,   Münzen,   Gewichte   etc.   behufs    Reduction    auf    höhere   und   niedere   Einheiten. 

Hinweis   auf  die  bevorstehende    neue  Maass-    und  Gewichts-Eintheilung,   Meter,  Liter  etc.  -   Dann: 

Rechnung  mit  gemeinen  Brüchen;   Einübung  besonders   durch   Kopfrechnen.     Hin    und    wieder 

schrifthche  häusliche  Aufgaben,  doch  müssen  diese  einfach  und  ohne  zu  grosse  Zahlen  sem. 

Quinta,  wöchentlich  3  Stunden. 
Repetition  der  Bruchrechnung.     Regel  de  tri  mit  ganzen  und  gebrochenen,  mit  unbenannten 
und  benannten  Zahlen.     Hin  und  wieder  schrifthche  häusliche  Aufgaben,  doch  auch  hier  sollen  diese 
einfach  und  ohne  zu  grosse  Zahlen  sein. 

Qtiarta,  wöchenthch  4  Stunden. 
Zusammengesetzte    Verhältniss-Rechnuugen,    mit    Anwendung    auf    das    bürgerliche    Leben. 
Decimalbrüche.     In    1    Stunde:    Anfangsgründe    der    ebenen  Geometrie    bis   zur  Congruenz   der 

Dreiecke. 

Tertia,  wöchenthch  4  Stunden. 

a.  Unter-Tertia   (Cursus  1  Jahr). 

1.  Geometrie:    Ebene  Geometrie    bis   zur   Lehre    vom  Kreise    (mit  Ausnahme   der   Aehnlich- 
keitssätze  und  der  Ausmessung  des  Kreises),  und  von  den  Flächen  gradhniger  Figuren. 

2.  Arithmetik:    Anlangsgründe   der    Buchstaben-Rechnung;    arithmetische    und    geometrische 
Proportionen ;  Wurzelausziehen. 

b.  Ober-Tertia    (Cursus  1   .lahr). 

1    Geometrie:   Eingehende   und   gründhche   Repetition   des   Pensums  von  lUb.     Erweiterung 
desselben  unter  Anwendung   auf  die  Lösung   geometrischer  Aufgaben,   besonders   durch   geometrische 

Oerter 

'   2.  Arithmetik:  Wissenschaftliche  Begründung  der  gemeinen  Arithmetik;   Buchstabenrechnung 

und  Gleichungen  des  ei-sten  Grades  mit  einer  unbekannten  Grösse. 


I 


\ 


49    

< 

Secunda,  wöchentlich  4  Stunden, 
a.    Unter-Secunda   (Cursus  1  Jahr). 

1.  Geometrie:  Beendigung  der  ebenen  Geometrie  bis  zum  Abschluss  derselben.  Geometrische 
Aufgaben  aus  den  verschiedenen  Abschnitten  der  ebenen  Geometrie. 

2.  Arithmetik:  Repetition  des  ganzen  voraufgegangenen  Pensums  und  weitere  Einübung 
durch  Beispiele.  Dann  Lehre  von  den  Potenzen;  Wurzekechnung;  Gleichungen  des  ersten  Grades 
mit  mehreren  Unbekannten. 

b.  Ober-Secunda  (Cursus  1  Jahi-). 

1.  Geometrie:  Ebene  Trigonometrie  mit  Aufgaben,  zugleich  zur  Anwendung  der  ebenen 
Trigonometrie  auf  Flächenberechnung.  Daneben  Aufgaben  aus  den  verschiedenen  Gebieten  der 
ebenen  Geometrie. 

2.  Arithmetik:  Qua^lratisclie  (ileichungen  mit  den  entsprechenden  Aufgaben.  Arithmetische 
und  geometrische  Reihen.     Logarithmen. 

Brima,  wöchenthch  4  Stunden  (Cursus  2  Jahre). 

W  Geometrie:  Stereometrie  nebst  Oberflächen-  und  Körperberechnung.  Geometrische  und 
stereometrische  Aufgaben. 

2.  Arithmetik:  Algebraische  Aufgaben,  besonders  unter  Anwendung  der  Algebra  auf  Geo- 
metrie.    Unbestimmte  Gleichungen. 

An  in.     Wünschensweith  das  Nolh  wendigste  aus  den  Kegelschnitten. 


Naturwissenschaften. 

Sexta,   Avöchenthch  2  Stunden. 
Naturgeschicht<\   im    Sommer   vorzugsweise  Botanik   und  Insectenkunde,   im  Winter  Zoologie, 
besondeis  Wiri)eltliiere.     Mittheilungon  über  die  Lebensweise  der  Thiere. 

Quinta,  wöchenthch  2  Stunden. 

Repetition  des  Pensums  von    VI.    und  Erweiterung   durch    Artenkunde.     Die  Vertheilung  des 
Lehrstoffes,  wie  in  VI. 


Secunda,  wöchenthch  2  Stunden, 
a.    Unter-Secunda    (Cursus    1    Jahr). 
Einleitung   in   die  Physik.     Die   Lehre   von   den   festen  Körpern. 
Uebersicht  der  3  Naturreiche.     Die  Krystallformen  der  Minerale. 


Dazu   eine   systematische 


b.    Ober-Secunda  (Cursus  1   Jalir). 
Die  Lehre  von  den  flüssigen  und  luftförmigen  Körpern;  von  dem  Schall  und  von  der  Wärme. 

PtHma,  wöchenthch  2  Stunden. 

Die    Lehre    vom    Licht.      Electricität    und    Magnetismus.      Statik    und   Mechanik.      Mathe- 
matische Geographie. 


30 


51 


B.    «Bprnoln-f". 

5. 
Lateinisch. 
Sexta,  wöchentlich  9  Stunden. 
Die  regelmässige  Formenlehre,  als«:  Declination  und  Conjugation  mit  Einschluss  der  Depo- 
nentia.   Der   einfache   Satz  wird   sofort  zu  Grunde  gelegt,  die  Casus-Endungen  werden  mjmd.h 
rntickelt  und  eingeübt;  dann  folgt  das  Hülfsverb.  esse  und  we.ter  dann  <!- Conjuga«^    W 
erst  werden  die  Paradigmata  genau  memorirt  und  weiter  an  Beispielen   emgeub      D,    Genu  regdn 
™it    sorafälti^er    Beschränkung    der    sogenannten    Ausnahmen;    die    Comparation,     die    Zahlwörter 
TcLd   uÄin.ru  d  die  Präpositionen.     Miindliehe  und  schriftliche  Uebungen  im  Uebersetzen  a^ 
£m  Lachen' ins  Deiitsche'und   umgekehrt.    Wüchenthch   2   kurze   Exorctia.     Memoriren  von 
Vocabeln  und  kurzen  Sätzen.    (Grammatik  und  Lesebuch  von  Lattmann  und  Muller.) 

Quinta,  wöchentlich  U»  Stunden. 
Wiederholung  der  regelmässigen  Formenlehre.  Dann  die  unregelmässige  Formenlehre  - 
mit  strenger  Ausscheidung  aller  ungewöhnlichen  und  nur  vereinzelt  vorkommenden  formen  -  Fort- 
gesetzte Uebungen  im  Exponiren,  so  wie  im  Componiren  des  einfachen  Satzes.  Die  ein  achsten 
Scüscben  Regeln;  dazu  der  Accus,  c.  Inf  und  die  Ablatt.  absol  zue..t  an  Beispielen  der 
Lere  gelehrt  und  'dann  weiter  practisch  eingeübt,  jedoch  ohne  alle  Versuc^^e  e^ner  wiss  n- 
schaftlichen  Begründung.  Die  SUidtenamen.  Mem.niren,  wie  m  \I.  Wöchentlich  2  kurze 
Exercitia.    Leetüre:  Lesebuch. 

Quarta,  wöchentlich  10  Stunden. 
Genaue   Wiederholung   der   ganzen   Formenlehre,    der    regelmässigen   und    uiiregelmässigen 
Dann  die  Syntax  der  Casus;   die   fest  memorirten  Regeln  werden  mündhch  fortwahrend  eingeübt. 
D^  Hauptregeln    der    consequiit.    Ten.pp.      Mündliche    und   schriftliche   Uebersetzungen.     Lecture: 
cleüus  Nepos  und  Lesebudi  vo«  Lattmann  un.l  Müller.    Gegen  Ende   des  Semesters:   ausgewählte 
Fabeln  des  Pliaedrus.     Wöclieutüch  2  Exercitia. 

Tertia,  wöchentlich  1  <)  Stnnden. 
a     Unter-Tertia    i^Cursus    I    Jahrj. 
Wiederholung  der  Casnslehre.     Die  Lehre  von  den  Temporib.;   die  Consequutio  tempp.    Die 
Hauptregeln  aus  der  Moduslehre,   der   erweiterte    und   der   zusammengesetzte   Satz   und   de 
Snionen.     Die   hauptsächlichsten    Präpositt.   und   ihre  Verschiedenartigkeit   -   gebrauch  .     D 
wissenschaftliche   Begründung   der  Construct.   des  Acc    c.  Int.   und  der  ablatt    «.n^^..  In   der 

Classe:  Extemporaüa.  WöclientUch  .  häusl.  Exercit.  Memoriren  von  /'l'™-"  ^'1^,^ «^'','^;,;™- 
Leetüre:  Caesar  de  B.  Gall.  Üb.  I  III.  Ovid.  Metam.  mit  Auswahl,  ""f^j^^' ''^J'^' ^j^^J;  „"J. 
Lesen  des  Hexameters  und  die  hauptsächlichsten  metrischen  nnd  prosodischen  ««g«'"-  »'"^''«''^"''S 
auf  die  Utterarhistorische  Stellung  des  Autors;  dasselbe  gilt  für  alle  nächsthöhere  Classen. 

b.    Ober-Tertia  (Cursus  1  J:ihr;. 
Eingehende  und  gründliche  Wiederliolung  und  Erweiterung  des  graminat.  ^^"^^^  7^^  /"  ^'^ 
vorzugsweise  der  Moduslehre;  die  Conditional-  und  die  Concessivsätze;    ^'^^'l^''}'.^^^^^^^ 

recte    Rede;    die    Nebensätze,    die    Fragesätze,    --^-^-\.^^%  ^^;!^:^Xes   ,!  bl 
AVöchentüch  ein  längeres  Exercitium  und  in  der  Classe  Extemporaba.     Lecture:   Caes.  de  bell.  (.all. 


beendet;    gelegentüch   Sallust.    B.    lug.    Ovid.   Metam.    nach   Auswahl. 
Regeln  des  Hexam.,  so  wie  der  prosodischen  Regeln. 


Repetition    der    metrischen 


a. 


Secunda,  wöclientUch  10  Stunden. 

Unter- Secunda  (Cursus  l  Jahr). 
Die  Modus  lehre  im  Zusammenhang,  mit  besonderer  Hervorhebung  einzelner  Abschnitte, 
als  der  hypothetischen  Sätze  und  der  Lehre  vom  Conjunctiv.  Daran  lehnen  sich  mündUche  und 
schriftliche  Uebungen;  wöchentlich  1  Exercitium  und  in  der  Classe  Extemporaba.  Leetüre:  die 
leichteren  Ciceronischen  Reden,  als  die  Catilinarien,  pro  Archia,  pro  Deiot,  auch  pro  lege  I\IaniL; 
ferner  Laelius  und  Cato  Maior;  Livius,  lib.  I  und  II;  Virgil.  Aeneid.  lib.  I  und  IL  Privatlectüre:' 
Sallust.  und  Caesar  de  B.  civili  mit  Auswahl. 

b.  Ober-Secunda  (Cursus  l  Jahr). 
Repetition  des  ganzen  voraufgegangenen  grammat.  Pensums,  womit  die  Grammatik  ab- 
geschlossen wird.  Dann  der  Satz-  und  Periodenbau;  die  Wortstellung.  Wöchenthch  1  Exercitium 
und  in  der  Classe  Extemporaba.  Beginn  mit  kleinen  latein.  Aufsätzen  historischen  Inhalts,  zuerst 
nach  gegebenen  Dispositionen;  alle  2  Monate  1  Aufsatz.  Leetüre:  Cicer.  oratt.  selectae,  insonderheit 
pro  Rose.  Amerino,  pro  Sulla;  dann  de  provinc.  consularibus  u.  a.  Livius  hb.  III— VI,  mehr 
cursorisch;  Virgil.  Aeneid.  hb.  III  — VI,  auch  einzelne  Eclogen  und  einzelne  Stücke  aus  den  Georg. 
Privatlectüre:  Cicero  und  Li\ius. 

I^*ima,  wöchentlich  8  Stunden  (Cursus  2  Jahre). 
Wiederholungen  aus  der  Grammatik  unter  Anknüpfung  an  die  Leetüre.  Die  Syntax  ornata. 
Lehre  des  latein.  Stils.  Exercitia  und  Extemporaba.  Lateinische  Aufsätze  und  zwar  alle  2  Monate 
1  Aufsatz.  Leetüre:  Cic.  Staatsreden  pro  Milone,  in  Verrem,  pro  Murena;  ferner  de  Officiis  und 
Epistt.  ad  Attic,  besonders  hb.  I.  —  de  Oratore,  Brutus,  Tuscull.  hb.  I;  Tacit.  Annall.  und  Germania. 
Horat.  Oden,  Satiren  und  Episteln.     Privatlectüre:  Cicero,  Tacitus  und  Livius. 

Anm.     Für  den  Fall  der  Zerlegung  der  Prima  in  eine  Unter-  und  Ober-Prima  gilt  hinsichtlich  der  Leetüre; 

a.  Unter-Prima  (Cursus  1  Jahr). 
Cic.  pro  Milone,  in  Verr.,  pro  Murena.  de  offic.  I.  und  Epistt.  ad  Att.  hb.  I.     Tacitt.  Germania. 
Horat.    Carm.   hb.    I  —  IH.     Memorii-eu   einzelner   Oden.     Die   Horazischeu   Metra.      Privatlectüre: 
Cicero,  Livius. 

b.  Ober- Prima  (Cursus  1  Jahr.) 
Cic.  Brutus,  de  Oratore,  Tuscull.  Disp.  hb.  I.     Einzelne  Staatsreden:  pro  Sestio,  pro  Plancio, 
Tacit.  Annalen,  Horatius.     Repetition   einzelner  Oden;   dann  Satiren   und  Episteln.   —   Privatlectüre: 
Cicero,  Livius,  Tacitus,  besonders  Vita  Agricolae. 

6. 
Griechisch. 

Quarta,  wöchenthch  5  Stunden. 
Die  regelmässige  Formenlehre  bis  einschhesshch  der  Verba  pura,  der  muta  und  contracta; 
(Methode,  wie  im  Lateinischen;  cf.  Lat.  Sexta;.     Uebersetzungen  aus  dem  Griechischen  in  das  Deutsche 
(aus   einem    Lesebuche;    zur   Zeit:    Jacobs   Lesebuch).     Gegen  Ende   des   Semesters:   Uebungen   im 


7* 


52    -— 

mündlichen    Uebersetzen    aus    dem   Deutschen  in  das  Griechische    und    hierauf    kurze    häusliche, 
Exercitia  zur  Einübung  der  Accente  und  der  Verbalformen.    Memoriren  von  Vocabeln. 

Tertia,  wöchentlich  6  Stunden 

a.  Unter- Tertia  (Cursus  l  Jahi-). 

Eepetition  des  Pensums  von  IV.,  dann  die  Verha  liquida  und  die  Verha  auf  ,,.;  die  ge- 
bräuchlichsten unregelmässigen  Verba  werden  ^viederholt  durchgenommen  und  emgeuht.  Die  Prä- 
positionen; die  einfachsten  syntactisehen  Regeln.  Wöchentlich  1  kurzes  Lxerc.tu.m.  Memonren  von 
Vocabeln  und  kmzen  griechischen  Sätzen.  Lectiire:  Lesebuch:  der  zweite  Cursus  im  Lesebuch  von 
Jacobs;  gegen  Ende  des  Semesters  auch  Xenoph.  Anah.  I,  c.  I. 

b.  Ober -Tertia  (Cui-sus  1  Jahr). 

Unablässige  Wiederholung  des  ganzen  voraufgegangenen  grammatischen  Pensums,  besonder 
der  Verba.  Die  unregehnässigen  Verba  werden  absolvirt.  Die  Hauptsachen  aus  der  Lehre  von  der 
Eeetion  der  Casus.  Wöchentlich  1  E.xercitiun..  Leetüre:  Xenoph.  Anabasis.  hb.  L  Gegen  Ende  des 
Semesters:  Homer.  Odyss.  lib.  I.  1-150:  Einführung  in  die  homerische  fonncnlehre. 

Secnnda,  wöchenthch  G  Stunden. 

a.   Unter-Secunda   (Cursus    1    .Jahr). 

Allgemeine    Wiederholung    der    Formenlehre.      Die    Casnslehre    im    Zusammenhange 

Hauptregeln  aus  der  Syntax,   als:   Sj-ntax  des  Artikels  und  der  Pronomina;   die  Attract.on  des  pijn 

relat  ■   die  Tempora  und  Modi:  die   gebruuchUchsten  Coiijunctionen   in   ihren  Verbindungen  mit  den 

Modis:   die  Intinitiv-  und  Participial  -  Constructionen.     Wöchentlich   1  txercituim^ '"" 

Sätze.     Leetüre:    Xenoph.    Anabasis.      2    Bücher.      Homer.   Odyss.    hb.    1-I\ 
Formenlehre.    Privatlectüre :  Xenoph.  und  Homers  Odyssee. 


\ 


53 


/. 


Die 


Memoriren  kurzer 
Die    homerische 


b.    Ober-Secunda  (Cursus  I   Jahr). 
Eepetition  der  Casuslehre  unter   fortlaufender  Berücksichtigung   der  Formenlehie.     Dann  die 
Svntax  der  Tempora  und  Modi  in  system:itischem  /us.imnienliange.     Der  zusammengesetzte  Satz  und 
Se  Partikeln   und  Conjunctioncn.  vLugsweise   der   hypothetische  Satz.     Im   f^nzen:   Abschluss 
de'!;  ematischen  Unterrichts   in   der   Grammatik.     Wöchentlich    .  Exercitium     .L«ture:   Xenoph 
Cvron     Hellenica  und  Memorab,:   ferner  Plutarchs  leichtere   Biographien,  .als^Agis   und  Ceo  neues 
TL'c^l  CamiUusetc.    Herodot;  Hom.  Od.  lib.  V - VIII.    Privatlectüre:  Xenophon  und  Homers 
Odyssee. 

Prima,  wöchentlich  6  Stunden. 

Hauptaufgabe:  Erklärung  der  Griechischen  Classiker  in  allen  ihren  reichen  Be'-i'-'l'""J«" 
zum  HelJ^iLheif  Leben.  Gelegenthch  feinere  grammatische  Bemer  ungen ;  Grn^me,..  « 
verbunden   mit   Wiederholungen   grammatischer   Regeln.     Alle    11    läge   ein    i^xeicu 

ETipId»:   M.  »^  Xni-XXlV.    PraUWre,  Ph».  IVm..lb..e.,  Tb..,««.  SopM». 


Deutsch. 

Sexta,  wöchenthch  3  Stunden. 
Lesen  und  Nacherzählen  des  Gelesenen  mit  genauer  Berücksichtigung  des  Vortrages  und 
der  Aussprache.  Auswendiglernen  aufgegebener  Gedichte  und  Vortrag  derselben;  die  Gedichte 
werden  von  der  ganzen  Classe  gelernt.  Grammatik  in  Anschluss  an  die  Leetüre.  Unterscheidung 
der  Redetheile  und  der  Glieder  des  einfachen  Satzes.  Formenlehre  in  Anschluss  an  das  Lateinische, 
mit  genauer  Uebereinstimmung  der  grammatischen  Terminologie  des  Lateinischen  und  des  Deutschen. 
Die  Präpositionen  und  ihre  Rection.  Orthographie  und  das  Hauptsächlichste  aus  der  Interpunctions- 
lehre;  zu  Grunde  gelegt  wird  tlie  Grammatik  von  Wigger  und  ist  in  allen  nächstfolgenden  Classen 
dieselbe  Orthographie  zu  lehren  und  zu  beobachten.  Kleine  Aufsätze  (alle  14  Tage  1  Aufsatz) 
nach  in  der  Classe  vorgetragenen  und  durchgenommenen  Stoffen. 

Qninta,  wfichentlich  3  Stunden. 

Lesen  und  Grammatik,  wie  in  VL  Dann  der  einfache  erweiterte  Satz  und  die  leichteren 
Formen  des  zusammengesetzten  Satzes.     Die  Conjunctioncn. 

Die  Interpunktionslehre.  Orthographie.  Kleine  Aufsätze  nach  vorgetragenen  und  durch- 
gesprochenen .Materien;  alle  14  Tage  ein  Aufsatz.  Auswendiglernen  aufgegebener  Gedichte  und 
Vortrag  derselben;  vgl.  Cl.  VL 

Ouarta,  wöchentlich  3  Stunden. 

Lesen  und  Frklären  prosaischer  und  poetischer  Stücke  aus  dem  Lesebuche.  Uebungen 
im  freien  Wiedergeben  derselben.  Vorträge  von  auswendiggelernten  aufgegebenen  Gedichten  (aus 
dem  Lesebuche).  Grammatik  in  Anschluss  an  die  Leetüre.  Die  indirecte  Rede,  mit  angemessener 
Iliuweisuiig  auf  das  Lateinische.  Der  zusammengesetzte  Satz  und  die  Periode.  Repetition  der 
Interpunktionslehre:  Orthographie  genau,  wie  in  den  voraufgehcnden  Classen.  Berücksichtigung  der 
Fremdwörter.  Aulsätze  nach  gegebenen  Stoffen  sowohl  historischen  InhaUs,  als  nach  Selbst- 
erlebtem.    Alle  14  Tage  1   Aufsatz. 

Tertia,  wöchentlich  3  Stunden. 

a.  Unter- Tertia  (Cui-sus  1  Jahr). 
Lesen  und  Erklären  prosaischer  und  poetischer  Stücke  aus  dem  Lesebuche,  vorzugsweise 
Gedichte  aus  der  epischen  Lyrik.  Belehrung  über  das  Versmaas  und  über  das  allgemeine  Gesetz 
der  deutsehen  Metrik.  Genaueres  über  die  Satz-  und  Formenlehre;  starke  und  schwache 
Declination  und  Conjugation.  Vorträge  von  der  ganzen  Classe  aufgegebenen  Gedichten.  Kleine 
freie  Vorträge  aus  der  Geschichte,  besonders  der  alten  Geschichte.  Aufsätze  über  besprochene 
und  disponirte  Themata  erzählenden  Inhalts,  vorzüglich  aber  Behufs  Bildung  des  deutschen  Stils. 
Uebers et  Zungen  aus  fremden  Sprachen  ins  Deutsche.    Alle  14  Tage  1  Aufsatz. 

b.  Ober -Tertia  (Cursus  l  Jahr). 
Erklärung  prosaischer  und  poetischer  Stücke  aus  dem  Lesebuche,  wie  in  III b.;  dazu 
Anleitung  zum  Disponiren  und  zwar  zunächst  Aufsuchung  der  Dispositionen  in  gelesenen  Stücken. 
Uebungen  im  freien  Vortrage  geschichthcher  Gegenstände.  Aufsätze  über  besprochene  und  mündhch 
disponirte  Themata;  gegen  Ende  des  Semesters  fällt  die  mündhche  Disposition  weg;  die  Themata 
werden  nur  besprochen  und  die  nöthigen  Gedanken  zugeführt.    Alle  14  Tage  bis  3  Wochen  1  Aufsatz. 


54    

Secunda, 

a.  Unter-Secunda.  wöchentlich  3  Stunden  (Cursus  1  Jahr). 

Das  Wesen  der  Hauptdichtungsarten  und  die  Unterschiede  der  metrischen  Form  (Poetik) 
werden  an  Beispielen  aus  dem  Lesehuche  durchgenommen  und  erläutert;  Mittheilungen  historischen 
Inhalts  über  die  einzelnen  Dichter.  Freie  Vorträge ,  deren  Inhalt  theils  aus  dem  Geschichts- 
unterricht, theils  aus  der  Privatlectüre  der  alten  Classiker  zu  entnehmen  ist.  Das  Wichtigste  aus 
der  Rhetorik.  Die  Dispositionslehre.  Aufsätze  mit  voraufgehender  eigner  Disposition.  Alle  4  Wochen 
1  Aufsatz.  Uebungeu  des  Stils  hauptsächUch  durch  Uebersetzungen  aus  fremden  Sprachen. 
Declamation. 

b.  Ober-Secunda,  wöchentlich  2  Stunden  (Cursus  l  Jahr). 

Die  classische  Litteratur  des  Mittelalters.  Hinblick  auf  die  historische  Grammatik  Ultilas. 
Einzelne  Partien  aus  den  alten  Epen  (Nibelungen,  Gudrun  etc.)  werden  gelesen.  Gelegenthche 
Repetition  der  Poetik.  Aufsatzthemata  werden  nur  aus  den  Gebieten,  die  dem  Schüler  genau 
bekannt  sind,  als  aus  der  Geschichte,  der  Litteratur,  der  Leetüre  entnommen.  Alle  4  Wochen 
1  Aufsatz.     Declamation. 

I^inia,  wöchentHch  3  Stunden  (Cursus  2  Jahre). 

Uebersicht  der  Litteraturgpschichte  von  Luther  bis  auf  die  Gegenwart  (die  2.  classische 
Periode);  Leetüre  von  Proben  aus  den  deutschen  Classikern,  besonders  aus  Herder,  Lessing,  Goethe 
und  Schiller.     Weiter  vorzugsweise:  die  Romantische  Schule  und  ihr  Eintluss  auf  die  Gegenwart. 

Aufsätze  mit  Disponirübungen.  Alle  4  Wochen  1  Aufsatz,  doch  sollen  im  Semester  nicht 
mehr  als  höchstens  5  Aufsätze  gearbeitet  werden.  Freie  Vorträge  über  selbstgewählte  Stoffe. 
Declamation. 

Vorläutig  bis  auf  Weiteres  bleibt  noch  ausgesetzt,  wird  aber  später  in  den  Kreis  der  Lehr- 
gegenstände gezogen  werden  in  wöchentUch   I   Stunde: 

Philosophische  Propädeutik.  Die  Hauptsachen  der  empirischen  Psychologie.  Die  wichtigsten 
Lehren  der  formalen  Logik. 

8. 
F  r  :ni  z  ö  s  i  s  r  h. 

Quinta,  wöchentHch  3  Stunden. 
Die  Aussprache.  Leseübungen.  Die  regelmässige  Formenlehre  (Dechnation,  Hülfszeit- 
wörter,  Conjugation).  Mündhche  und  schriftliche  Uebungen  im  Uebersetzen  aus  dem  Französischen 
ins  Deutsche  und  gegen  Ende  des  Semesters  auch  aus  dem  Deutschen  ins  Französische;  kurze 
häusHche  Exercitia;  wöchentHch  1  Exercitium,  —  doch  erst  gegen  Ende  des  Semesters.  Aus- 
wendiglernen von  Vocabeln  und  Redensarten.     Leetüre:  Lesebuch.     Einiges  über  die  Wortstellung. 

Onarta.  wöchentHch  3  Stunden. 
Repetition  des  Pensums  von  V.  Dazu:  die  Pronomina,  die  Zahlwörter,  die  Comparationen, 
der  Theilungsai-tikel,  der  einfache  Satz  in  der  Frage,  in  der  Verneinung,  und  in  der  fragend- 
verneinenden Form.  Die  gebräuchHchsten  unregelmässigen  Verba  und  die  hauptsächHchsten  synta- 
ctischen  Regeln.  Das  Nothwendigste  über  die  Wortstellung.  Alle  8  Tage  ein  kurzes  Exercitium. 
Leetüre:  Lesebuch. 


\ 


I 


55    

Tertia,  wöchentHch  3  Stunden. 

a.    Unter- Tertia  (Cursus    l    Jahr). 

Repetition    des    Pensums    von     IV.  und  V.  Dann  die   unregelmässige  Formenlehre.     Die 

Casuslehre.      Die   Wortstellung.     Alle   8  Tage   ein  Exercitium.     Phraseologie   und   Auswendiglernen 
derselben.     Leetüre:  Lesebuch. 

b.   Ober- Tertia  (Cursus  1   Jahr). 

Repetition  des  Pensums  von  Hlb.  Das  HauptsächHchste  aus  der  Lehre  von  den  temporibus 
und  modis.  Alle  8  Tage  1  Exercitium;  dazu  Extemporalia  und  Uebungen  im  mündHchen  Ueber- 
setzen und  Sprechen.     Leetüre:  Charles  XH.  von  Voltaire,  oder  eine  passende  Chrestomathie. 

Seciinda,  wöchentHch  2  Stunden. 
a.    Unter-Secunda   (Cursus    1    Jahr). 

Wiederholung  der  regelmässigen  und  unregelmässigen  Formenlehre.  Die  regelmässige  Syntax. 
Systematische  Erörterung  der  Wortstellung  und  des  Gebrauchs  der  Tempora  und  Modi.  Die  Con- 
junctionen  und  der  zusammengesetzte  Satz:  die  ächten  und  die  unächten  Praepositionen,  und  die 
Participial - Constructionen  in  rationeller  Ableitung.  Leetüre:  Charles  XII.  Alle  14  Tage  ein 
Exercitium.     ExtemporaHa;    mündliche  Uebungen   im  Uebersetzen   ins  Französische.     Sprechübungen. 

Anm.     Statt  des  Charles  XII.  kann  auch  eine  angeuiesseiie  Chrestomathie  gebraucht  werden. 

b.   Ober-Secunda  (Cursus  1  Jahr). 

Repetition  des  Pensums  von  Hb.;  zur  prosaischen  Lectüi-e  tritt  die  poetische  hinzu;  die 
Hauptregcln  über  die  Metrik.  Exercitien  und  die  weitern  Uebungen,  wie  in  Hb.;  Lectüi-e:  eine 
passende  Chrestomathie,  oder:  Segur  histoire  de  Napol.:  Thiers:  Bonaparte  en  Egypte  etc. 
MoHere,  Scribe. 

Anm.    In  Obersecunda  Abschluss  der  Grauimatik. 

I^ima,  wöchentlich  2  Stunden    Cursus  2  Jahre). 

Zusammenfassende  und  ergänzende  Wiederholung  der  grammatischen  Regeln,  mit  besonderer 
Hervorhebung  des  formalen  Charakters  der  französischen  Spraclie,  sich  anlehnend  an  die  Leetüre 
und  an  die  Exercitien;  letztere  sind  aus  Plötz  Uebuugsbuch  zu  entnehmen.  Alle  14  Tage  ein  Exercitium. 
Sprechübungen. 

Leetüre:  eine  Chrestomathie,  oder  abwechselnd  ausgewählte  französische  Classiker;  auch 
Dramen  von  Corneille,  Racine,  MoHere;  dazu  überall  Htterarhistorische  Bemerkungen. 

9. 

Hebräisch. 

Secunda,  wöchentlich  2  Stunden     (Cursus  2  Jahre). 
Die    Lautlehre.     Leseübungen.      Die   Formenlehre    (die   Conjugatt.  einschliessHch    der   verba 
quiescentia;  die  Declinationen;  die  Pronomina).     Uebersetzungsübungen   aus   der  Genesis:    die  haupt- 
sächlichsten syntactischen  Regeln.     Auswendiglernen  von  Vocabeln. 

J^rima^  wöchentlich  2  Stunden  (Cursus  2  Jahre). 
Wederholung    und    Vervoüständigung    der  Formenlehre.     Die    Syntax.     Exercitia.      Leetüre: 
die  historischen  Bücher  des  A.  T.,  die  Psalmen  und  ausgewählte  Stücke  aus  den  Propheten. 


56    

.10. 

Singen. 

Der  Gesauguntei-richt  ist  obligatorisch;  doch  bleiboi  vorerst  entftcict  die  Sexta  und  di. 
Quinta.  Der  Unterrieht  beginnt  und  wd  regelmHssig  erthoilt  in  der  Quai-t.a  und  m  der  Tertia 
(beide  Classen  con.bini.-t,.  Aus  der  Secunda  und  aus  der  Prima  treten  hinzu  Ale  d.e  --  G-^^J 
befähicH  sind  Der  Unterricht  wird  ertheilt  in  4  «ikhentbclien  Stunden,  «aml.cb  .u  l  htundc.  \or- 
übung^n  (Quarta):  dann  in  2  Stunden:  Uebungen  der  Altisten  und  der  Sopran isten  (Quarta  und 
TeraV  endlich  in  einer  Stunde:  der  vierstimmige  Chor  (Hinzutntt  der  befalngtcn  Socundaner 
i^d  Primaner).  Besonderes  Gewicht  wird  gelegt  auf  die  Einübung  der  Chorale.  die  auch  vierstimmig 
gesunken  werden.  Ausserdem  angemessene  Compositionen.  als  Motetten.  Psalmen.  Lieder  etc.,  deren 
Wahl^dem  Ermessen  des  Gesanglehrers  überlassen  bleibt.  Dispensationen  vom  Gesäuge  komien  nur 
von  dem  Direetor  der  Anstalt  ertheilt  werden. 

11. 
Turnen. 

Die  Turnübungen  für  .las  ganze  Gymnasium  Hnden  wahrend  des  Sommers  .allwiiehentlieh 
zweimal  (am  Mittwoch  und  Sonnabend  N-aebmittu,  von  .".  -7  Uhr,  im  Freien  .auf  dem  hiesigen 
Schelfwerder)  statt  und  zwar  unter  Leitung  eines  eignen  T«ri,l..hrei-s  und  unter  Aufsicht  eines 
G^nasial-Lehrers;  der  erstere  muss  stets  zugegen  sein,  die  beaufsichtigenden  L.irer  dagegen 
2r Ausnahme  des  Dhectors  wechseln  der  Keihe  nach  ab.  Im  Wn.ter  werden  die  ebuiigeu 
nur  für  die  Secunda  und  für  die  Prima  zweinuil  wiichenthch  m  d,.-  hiesigen  urnlmllo  «ntei 
Leitung  des  Turnlehrers  abgehalten,  zuniichst  zu  den,  /.wecke,  um  dadurch  die  jedesmaligen  ^  or- 
tnrner  für  den  nächsten  Sommer  heranzubilden.  .   ,    ,■ 

Der  Unterricht  im  Turnen  ist  ebenfalls  oWigatorisch  für  die  Schüler:  jedoch  sind  die 
Angehörigen  derselben  befugt,  um  Dispensationen  bei  dem  Direetor  der  Anstalt  nachzusuchen,  und 
werden  solche  dann  nach  Betindcn  bereitwillig  ertheilt. 

12. 
Nachtrag     In  der   vorstehenden  Lehrverfassung   des  tickssigen   Gymnasium   Fridcrieiaiium 
sind  einzelne  Lectioneii  besondei-s  in  den  m.tere.i  Classcn.  z.  B  die  Geschichte  und  Geographie,  aus  guten 
Gründen  mit  mehr  Stunden  bedacht   worden,   als   nüthig    ist.    Jedoch   wird  die   Ausgleichung  bei 
der  voraussichtlichen  Tlieilung  einzelner  Classcn  thunlichst  eintreten. 


\ 


Schul  nach  richten 

von  Ostern  1870  bis  dahin  1871. 


Tiin  kurzer  Rückblick  auf  das  so  eben  zu  Ende  gehende  Schuljahr  gewährt  die  Ueber- 
zeugung,  dass  dasselbe  dermaleinst  in  den  Annalen  unseres  Gymnasiums  als  ein  durch  innere  und 
äussere  Verhältnisse  gleich  bedeutungsvolles  hervorgehoben  werden  \sird.  Nicht  allein  Ereignisse, 
welche  längst  vorhergesehen  waren  und  darum  mit  ruhiger  Spannung  erwartet  werden  konnten, 
fiondern  auch  plötzlich  eingetretene  Vorkommnisse,  unter  denen  besonders  die  Rückwirkungen  des 
gewaltigen,  dem  kundigen  Auge  zwar  seit  Jahren  nicht  zweifelhaften,  aber  dennoch  wegen  seines 
plötzlichen  Ausbruches  immerhin  überraschenden  Kampfes  hervorzuheben  sind,  haben  nicht  verfehlt,  auch 
in  Unserer  Anstalt  sich  geltend  zu  machen  imd  in  dem  in  der  Regel  so  einfachen  und  ruhigen  Schulleben 
Aufregungen  und  Veränderungen  hervorzurufen,  die  im  gewölnüichen  Verlaufe  der  Dinge  nicht 
vorzukommen  pflegen.  Zwar  hat  der  Unterricht  seinen  gewöhnhchen  Fortgang  gehabt  und  haben 
auch  alle  jene  üblichen  Hergänge,  die  gleichsam  wie  Lichtpunkte  in  das  alltägliche  Schulleben 
belebend  hineinzufallen  pflegen,  wie  der  Anfang  und  der  Schluss  des  Sommerturnens,  die  alljährhchen 
Turnfahrten  der  älteren  Schüler  nach  ferneren,  der  jüngeren  nach  näheren  Orten  in  der  Um- 
gegend etc.  stattgefunden,  und  hält  Ref.  es  für  angemessen,  solche  nicht  weiter  ausführhch  zu 
berühren.  Allein  die  p]rtheilung  des  Unterrichts  selbst  war  für  die  Anstalt  mit  nicht  gewöhnhchen 
Schwierigkeiten  verbunden,  und  hat  sich  der  Erfolg  bei  aller  Sorgfalt,  welche  von  Seiten  der  Lehrer 
darauf  verwendet  worden  ist,  dennoch  in  einzelnen  Fällen  als  ein  mindestens  zweifelhafter  heraus- 
gestellt. Schon  mit  der  Eröffnung  des  Sonnnersemesters  fand  wiederum  ein  Lehrerwechsel  statt. 
Nachdem  der  bis  Ostern  1870  ad  interim  angestellte  Dr.  Juhng,  dessen  Lehrthätigkeit  sich 
hauptsächlich  auf  den  Unterricht  in  der  Mathematik  erstreckte,  in  Anbetracht  dass  drei  mathe- 
matische Lehrer  nicht  füglich  an  der  Anstalt  mit  Nutzen  zu  verwenden  waren,  uns  um  jene  Zeit 
verlassen  und  an  der  Realschule  zu  Schönberg  eine  anderweitige  amtUche  Thätigkeit  gefunden 
hatte,  war  der  auf  dem  Grossherzoglichen  Seminar  zu  Neukloster  vorgebildete  Herr  Friedrich 
Brandt  M,   welcher   bereits   anderwärts  genügende  Proben  seiner  Lehrbefähigung  abgelegt,   unserem 


*)  Friedrich  Johann  Carl  Brandt,  geb.  zu  Neukrenzlin  bei  Ludwig-slu-st  am  l".  Januar  1842,  erhielt  seine 
Schulbildung  auf  der  Realschile  zu  Ludwigslust,  wirkte  hierauf  längere  Zeit  als  Hauslehrer,  dann  als  Schulassistent  und  trat 
Michaeli.«  IHHf»  nach  l)estandeuer  Aufnahme -Prüfung  m  das  Schullehrerseminar  zu  Neuldo.ster.  Nach  absolvirterü  zweijährigen 
Seminarcur.su.«  wurde  ihm  die  Ilüllslehrerptelle  an  der  Navigations  -  Vorbereitungsschule  zu  Daeudorf  auf  dem  Fischlande  ver- 
lieben, VOM  woher  er  r.ach  di'ejjahnger  Wirksamkeit  zu  Ostern  lö70  an  das  hiesige  Gymnasium  Fridencianum  berufen 
worden  kt. 

8 


58 

Gymnasium  zur  Hülfsleistung  zugewiesen  worden,  und  wurde  ihm  bei  seinem  Eintritt  der  Unterrirlit 
in  den  untern  Classen  im  Deutschen,  im  Rechnen,  in  der  Naturgeschichte  und  in  der  Kehgiüu 
zuertheilt.  Da  derselbe  die  ihm  übertragenen  Lehrstunden  mit  Geschick  und  Eifer  und  zugleich  mit 
sichtbarem  Erfolg  gegeben,  so  ist  er  auch  von  Michaelis  a.  p.  an  der  Unsrige  gebheben  und  steht 
zu  erwarten,  dass  er  ehebaldigst  eme  dauernde  Stellung  hieselbst  erhalten  werde.  Hatte  es  nun 
auch  den  Anschein,  als  werde  der  begonnene  Unterricht  forthin  seinen  regelmässigen  Verlauf  nehmen, 
so  ging  diese  Envartung  bedauerlichst  nicht  in  Erfüllung.  Von  der  um  dieselbe  Zeit  in  hiesiger  Stadt 
ausgebrochenen  Masern  -  Epidemie  wurde  auch  einer  der  ei-st  seit  Michaelis  1869  an  der  Anstalt 
thätigen  Lehrer,  der  Dr.  Walter  ergriffen,  und  wenn  schon  die  genannte  Krankheit  dem  Vernehmen 
nach  einen  rulügen  und  regelmässigen  Verlauf  hatte,  so  traten  dennoch  alsbald  ihi-e  Nachwehen  in 
Besorguiss  erregendem  Grade  ein.  Um  jene  bedenkhcheu  Erscheinungen  wo  möglich  zu  beseitigen 
und  die  drohende  Gefahr  abzuwenden,  imterzog  der  Leidende  sich  einer  Trinkkur  in  Lippspringe, 
allein  ohne  allen  Erfolg;  heimgekehrt  erlag  er  einem  Brustübel  am  3.  September  1S70.  Sein 
Hinscheiden  versetzte  die  Anstalt  in  tiefe  Trauer,  welche  besonders  am  Tage  der  Beerdigung  am 
7.  September,  an  welchem  alle  Lehrer  und  sämnitliche  Classen  der  Leiche  folgten,  hervortrat;  sie 
war  um  so  aufrichtiger,  je  mehr  es  sich  ungeachtet  der  nur  kurzen  Wirksamkeit  des  Verstorbenen 
herausgestellt  hatte,  dass  der  Anstalt  in  ihm  ein  treuer  und  gewissenhafter,  eben  so  sehr  durch 
gründhche  Kenntnisse  als  durch  pädagogische  Tüchtigkeit  betähigter  Lehrer  entrissen  worden  sei, 
welcher  bereits  vielversprechende  Erwartungen  einer  segensreichen  Thätigkeit  erweckt  hatte.  Denn 
wie  regsamen  Geistes  und  wie  scharfen  Urtheils  der  Entschlafene  im  gewöhnlichen  Leben  auch  war, 
so  besass  er  doch  zugleich  jene  freundliche  ^lilde  des  Gemüths,  welche  ilim  in  der  kurzen  Zeit 
seines  Hierseins  nicht  allein  die  Liebe  und  Zuneigung  seiner  Schüler,  sondern  auch  die  Achtung  und 
Anerkennung  seiner  Collegen  in  dem  Grade  envorben  hatte,  dass  Einzelne  von  diesen  selbst  durch 
die  Bande  der  herzhchsten  Freundschaft  sich  mit  ihm  verbunden  fühlten.     Er  ruhe  in  Frieden! 

Fast  gleichzeitig  mit  jenem  wurde  noch  ein  anderer  Lehrer  von  einem  langAvierigen  Leiden 
heimgesucht,  welches  ihn  bis  zum  Ende  der  Sommerfenen  seiner  amtlichen  Thätigkeit  entzog. 
Da  beide  Lehrer  in  den  wichtigen  unteren  Classen  als  Ordinarien  beschäftigt  waren,  so  musste,  um 
die  aus  den  beiden  gleichzeitigen  Vacanzen  hervorgehenden  Uebelstände  auf  das  geringste  Maass 
zurückzuführen,  die  bis  dahin  in  zwei  getrennte  Coetus  getheilte  Quinta  wiederum  unter 
einem  Classenlehrer  zusammengelegt,  und  für  die  Sexta  ein  Ordinarius  ad  interim  bestellt 
werden,  für  den  hiedurch,  da  er  bereits  ein  Ordinariat  in  einer  der  oberen  Classen  zu  verwalten 
hatte,  ein  nicht  geringer  Zuwachs  an  Arbeit  und  Mühe  hervorging,  welcher  er  sich  jedoch  fast  den 
ganzen  Sommer  hindurch  mit  voller  Hingebung  unterzogen  hat.  Wurden  nun  durch  diese  \'('rhält- 
nisse  mein-  niu"  die  Kräfte  der  Lehrer  in  Anspruch  genommen,  so  wirkte  gleichzeitig  der  unterdess 
entbrannte  Deutsch -Französische  Krieg  mit  unglaubhcher  Gewalt  auf  die  Gemüther  der 
erwachsenern  Jugend;  wer  nur  irgend  mit  Erfolg  die  Waffen  glaubte  lühren  zu  können,  der 
trat  hervor  mit  dem  festen  Entschlüsse,  das  Vaterland  gegen  den  übermüthigen  Feind  zu  ver- 
theidigen,  und  es  galt  daher  die  von  tiefster  Entrüstung  ergriffene,  ungestlon  aufwallende  Jugend, 
unter  vollständiger  Wahrung  ihrer  gerechten  Begeisterung  so  zu  lenken  und  zu  leiten,  dass  ihrer 
Zukunft  nach  Beendigung  des  Kampfes  kein  Eintrag  geschehe.  Ref.  erklärte  daher,  dass,  abgesehen 
von  einzelnen  Schülern  der  See  und  a  und  Tertia,  welche  nicht  die  Absicht  hätten  sich  den 
Universitätsstudien  zu  widmen,  sondern  entweder  die  militärische  Laufbahn  überhaupt  einzuschlagen 
oder  doch  wenigstens  ihr  Freiwilligenjahr  sofort  abzudienen  gedächten,  es  für  die  Schüler  der 
Prima  unter  allen  Umständen  als  geboten  erscheine,  nur  nach  zuvoriger  Absolvirung 
des  Abiturienten -Examens  in  das  Heer  einzutreten;  demnach  möchten  diejenigen, 
welche  bereits  in  einem  höheren  Classenalter  ständen,  für  den  Fall,  dass  desfallsige  Ver- 
fügungen  von    dem  Hohen  Ministerium    erlassen   würden,   sich   sofort   mit   allem  Ernst  und  Eifer  zu 


^ 


39 


dem  genannten  Examen  vorbereiten.  Es  gereichte  daher  dem  Ref.  zu  nicht  geringer  Freude,  jene 
Mahnung  rechtzeitig  erlassen  zu  haben,  als  die  gedachte  Hohe  Behörde  bereits  durch  Rescript  vom 
23.  Juh  a.  p.  die  Genehmigung  ertheilte,  dass  auch  die  Schüler  der  Prima,  welche  erst  l^/i  Jahre 
in  dieser  Classe  gesessen,  dennoch  sofort  zur  Maturitäts-Prüfung  zuzulassen  seien,  jedoch  mit  voll- 
ständiger Aufrechthaltung  der  Forderungen  für  die  geistige  academische  Reife.  In  Folge  dessen 
wurde  in  dem  schon  an  und  für  sich  kürzeren  Soramersemester  eine  zweimalige  Abiturienten- 
Prüfung  abgehalten,  die  ei*ste  ordentliche  kurz  vor  dem  pjntritt  der  Hundstagsferien,  die  zweite 
ausserordentliche  in  jenen  Ferien  selbst,  und  es  gereicht  der  Anstalt  zur  Befriedigung,  dass  auch  in 
der  letzteren  sämmtliche  5  Abiturienten  bei  gleichmässig  strenger  Anforderung  das  Zeugniss  der 
acadcmischen  Reife,  Einer^  sogar  des  ersten  Grades,  erhalten  konnten.  Die  gesetzhch  vor- 
geschriebene öffentliche  Entlassung  dieser  Abiturienten  hat  allerdings  nicht  stattfinden  können. 
da  sieben  von  ihnen  sofort  in  das  Heer  eintraten;  auch  hätte  dieselbe  überall  vor  sämmtHchen 
Schülern  und  Lehrern  eben  so  wenig,  als  in  den  beiden  voraufgehenden  Semestern  vorgenommen 
werden  können,  da  bis  zum  Herbst  vorigen  Jahres  ein  angemessenes  Local  dazu  nicht  vorhanden 
war.  Dieser  Uebelstand  ist  erst  um  die  angegebene  Zeit  gehoben  worden  und  diess  führt  uns  zu 
dem  bedeutendsten  Ereigniss  des  zu  Ende  gehenden  Schuljahres,  nämhch  zu  der  Uebersiedelung 
des  Gymnasium  Fridericianum  in  das  durch  die  Munificenz  des  Allergnädigsten 
Landesherrn  erbauete  neue  Gymnasial-Ge bände.  Mit  ausdrücklicher  Genehmigung  der 
Hohen  Behörden  war  zur  Einweihung  und  Uebergabe  des  neuen  Hauses  der  10.  October,  an  welchem 
Tage  das  Wintersemester  beginnen  sollte,  festgesetzt  w^orden.  Demzufolge  musste,  um  eine  Unter- 
brechung des  l'nterrichts  so  viel  als  möglich  zu  vermeiden  und  am  IL  October  das  gedachte 
Semester  eröffnen  zu  können,  der  durch  die  zu  Michaelis  1869  erfolgte  Reorganisation  des  Gymna- 
siums, welcher  bereits  in  dem  vorigen  Programme  gedacht  ist,  in  hohem  Grade  erschwerte  Umzug 
in  den  voraufgehenden  Wochen  beschafft  und  sämmtliche  Utensilien  und  Apparate  in  dem  neuen 
Gebäude^  zweckmässig  untergebracht  werden.  Die  meiste  Arbeit  verursachte  die  in  den  grossen 
Hörsaal  des  alten  Gymnasiums  zeitweilig  eingeräumte  und  wegen  Mangels  an  geeigneten  Repositorien 
in  völliger  Unordnung  belassene  Schulbibliothek,  welche  in  dem  neuen  Gymnasium  eine  ganz  neue 
Auistellung  und  Einordnung  nöthig  machte.  Um  diess  Alles  möghchst  rasch  zu  Ende  zu  führen, 
wurde  das  Sonmierhalbjahr  nicht  in  vorschriftsmässiger  Weise  am  Freitag  den  30.  Sept.,  sondern 
mit  Genehmigung  der  Hohen  Behörde  bereits  am  27.  Sept.  geschlossen,  jedoch  mit  der  Voraussetzung, 
da.ss  die  also  gewonnenen  drei  Tage  nicht  als  Schulferien  zu  gelten  hätten,  sondern  von  Lehrern 
und  Scliülern  zur  Uebersiedelung  der  Anstalt  benutzt  werden  möchten.  Der  Erfolg  war  ein  wider 
Erwarten  rascher  und  günstiger,  und  sind,  da  auch  jüngere  Schüler  sich  bei  dem  Räumen  der 
Bibliothek  mit  lebhaftem  Literesse  betheihgten,  Zeit  und  Kosten  bedeutend  erspart  worden.  Die 
Schulbibliothek  selbst  ist  jedoch  erst  in  den  letzten  Wochen  des  October  geordnet  worden,  und  hält 
Ref  sich  für  verpflichtet,  dem  Herrn  Dr.  Seilin,  welcher  für  den  auf  eignen  Wunsch  abgetreteneu 
Herrn  Dr.  Latendorf  seit  Michaelis  1870  das  Amt  eines  Unterbibliothekars  übernommen  und  als 
solcher  sich  dem  mühevollen  und  zeitraubenden  Geschäft,  die  Bibhothek  gehörig  zu  ordnen,  in  der 
liberalsten  Woi^«^  unterzogen  hat,  dafür  allhier  den  aufrichtigen  Dank  der  Anstalt  öffenthch  aus- 
zusprechen. 

Die  Einweihungsfeier  fand  am  10.  Oct.  früh  um  U  Uhr  in  einfacher  und  erhebender  Weise 
statt.  Nachdem  eine  halbe  Stunde  vorher  sämmtliche  Classen  in  dem  Kreuzgang  sich  versammelt 
und  aufgestellt  hatten,  zogen  sie  unter  den  Klängen  des  von  einem  voraufgehenden  Musikchor 
vorgetragenen  Chorals:  W^ie  schön  leuchtet  etc.,  gefolgt  von  ihren  Lehrern,  der  Domgeisthchkeit 
dem  Scholarchat  und  den  Schuh-äthen,  durch  die  Bischofs-  und  durch  die  Marienstrasse  nach  dem 
neuen  Gebäude,    woselbst   sich   unterdess   die    von   dem  Hohen  Ministerium  geladenen  Personen  ein- 

8» 


60    

gefunden  hatten,  und  nahmen,  geführt  von  ihren  Lehrern,  die  für  sie  bestimmten  Plätze  ein.  Hier- 
auf erschienen  Ihre  Königlichen  Hoheiten  die  regierende  Frau  Grossherzogin,  die  Frau 
Grossherzogin-Mutter,  die  Frau  Herzogin  Wilhelm  und  Ihre  Hoheit  die  Herzogin 
Marie  nebst  Gefolge  —  Se.  Königliche  Hoheit  der  Grossherzog  war  durch  seine  Thätigkeit 
im  Felde  bedauerlichst  an  dem  Erscheinen  behindert  worden  — ,  worauf,  nach  Absingung  eines 
Chorals,  der  Protoscholarch  Herr  Superintendent  Dr.  Karsten  die  Rednerbühne  betrat  und,  nach- 
dem er  in  tiefergreifender  Rede  die  Weihe  des  neuen  Hauses  vollzogen,  dasselbe  unter  Hinweis 
auf  die  wichtigen  Pflichten  des  Lelirerberuts  und  mit  den  herzhchsten  und  aufrichtigsten  Wünschen 
für  das  fernere  Gedeihen  der  Schule,  dem  Director  und  dem  Lehrer  -  Collegium  zu  fernerem 
Gebrauche  überwies.  An  diese  Rede  schloss  sich  unmittelbar  eine  Motette  an,  vorgetragen  von  dem 
Schülerchor  unter  Leitung  des  Herrn  Musikdirectors  0.  Kade,  und  hielt  darauf  Ref.  die  Festrede, 
nach  deren  Beendigung  von  sjimmthchen  Anwesenden  der  Choral:  Nun  danket  Alle  etc.  gesungen 
und  hiemit  in  würdiger  Weise  die  Feier  beschlossen  wurde. 

Am  Nachmittage  desselben  Tages  versammelten  sich  in  Folge  einer  Einladung  der  Bau- 
Committe  die  theils  bei  der  Einweihung  anwesend,  theils  bei  dem  Bau  selbst  vorzugsweise  betheihgt 
gewesenen  Personen  zu  einem  Festmahle  in  dem  Stern'schen  Hotel  und  sollte  dann  die  Feier  des 
Tages  durch  einen  von  sämmtlichen  Classen  des  Gynuiasiums  zu  Ehren  der  Allerhöchsten 
Herrschaften  veranstalteten  Fackelzug  ihren  Abschluss  erhaUen,  der  jedoch  leider  der  ungestümen 
Witterung  wegen  auf  den  nächstfolgenden  Abend  verschoben  werden  musste.  Diess  sollte  jedoch 
die  Freude  unserer  Jugend  nicht  stören;  die  Mitglieder  der  oberen  Classen  vereinigten  sich  mit 
Genehmigung  des  Ref  zu  einem  Abendvergnügen  in  der  hiesigen  Centralhalle,  an  welchem  sich 
ausser  den  Lehrern  des  Gymnasiums  auch  eine  grössere  Anzahl  früherer  Schüler  des  Fridericianums 
zur  grössten  Freude  ihrer  jüngeren  Commilitonen  betheiUgten.  In  der  hiedurch  noch  mehr  gehobenen 
heitern  Stimmung,  die  jedoch  im  Hinblick  auf  die  schweren  Zeitverhältnisse  einen  angemessenen 
Ernst  nicht  verkennen  Hess,  fand  es  den  allgemeinsten  Anklang,  dem  fern  im  schwersten  Kampfe 
weilenden  geüebten  Landesherrn  ein  den  freudigsten  Dank  unserer  .lugend  kündendes  Telegrannn 
nach  Rheinis  zu  übersenden,  welches  Se.  Königliche  Hoheit  einer  ausdrückhchen  mündlichen 
Mittheilung  zufolge  mit  gewohnter  Huld  und  Güte  entgegenzunehmen  geruhet  haben. 

Am  Tage  nach  der  Einweihung,  am  II.  Octob.,  wurde  früh  um  l<»  Uhr  das  Wintersemester 
mit  dem  übhchen  Morgengebet  eröffnet,  worauf  weiter  die  hauptsächlichsten  Schulgesetze  den 
sämmthchen  Classen  von  dem  Ref.  mitgetlieilt  und  eingeschärft,  und  sodann  die  in  das  Gymnasium 
neu  eintretenden  Knaben  in  den  Schulverband  aufgenommen  wurden.  Zugleich  wurde  auch  der 
Candidat  des  höheren  Schulamtes,  Herr  Carl  Johann  Wilhelm  Beckmann  \),  welchem  von  dem 
Hohen  Ministerium  die  durch  den  Tod  des  Dr.  Walter  erledigte  Stelle  verliehen  worden  war,  von 
dem  Ref.  in  sein  neues  Amt  eingewiesen  und  hiedurch  die  vorhandene  Lücke  im  Lehrerpei-sonal 
wieder  ausgefüllt,  in  der  Hoffnung,  dass  nunmehr  der  Unterricht  in  den  neuen  Räumen  vorerst 
seinen  ungestörten  Fortgang  haben  werde.  Allein  auch  diese  Hoffnung  sollte  nicht  in  Erfüllung 
gehen.  Zwar  hatte  sich  Ref  bereits  in  den  letzten  zwei  Jahren  vollständig  mit  dem  Gedanken 
vertraut  gemacht,  dass  die  Anstalt  in  dem  Oberlehrer  Dr.  Hager  ihren  ersten  Religionslehrer 
ehestens  verlieren  werde,  da  derselbe  seinem  Wunsche  sobald  als  thunlich  in  die  Verwaltung  eines 
Pfarramtes,  worin  er  seinen  eigentlichen  Lebensberuf  zu  erkennen  glaubte,  einzutreten,  zu  wieder- 
holten Malen  Ausdruck  gegeben  hatte.    Allein    dessenungeachtet  fühlte  sich  Ref  sichtlich  überrascht. 


): 


*)  Carl  Johann  Wilhelm  Beckmann,  geboren  zu  Parchira  den  9.  April  1848,  besuchte  das  Gymnaeium  semer 
Vaterstadt  und  studirte  von  Ostern  1867  bis  Michaelis  1S70  zuerst  Theologie  und  Philologie,  dann  ausschhesslich  Philologie 
in  Erlangen,  Rostock  und  Leipzig. 


II 


—       W    

ab  ihm  der  Genannte  am  10.  Dec.  seine  Präsentation  und  am  19.  ejusdem  die  auf  ihn  gefallene 
Wahl  zum  Prediger  in  Rambow  anzeigte  mit  dem  Hinzufügen,  dass  er  mit  Ablauf  des  Jahres  sein 
hiesiges  Amt  niederlegen  und  noch  in  den  Weihnachtsferien  Schwerin  verlassen  werde;  letzteres 
geschah  am  4.  Januar  1S71.  Wie  herzlichen  Antheil  nun  Ref  an  diesem  Ereignisse  auch  nahm 
und  wie  aufrichtig  er  den  Scheidenden  beglückwünschte,  dass  er  das  Ziel,  welches  er  sich  zur 
Lebensaufgabe  gemacht,  glücklich  erreicht  habe,  so  konnte  er  dennoch  im  Interesse  der  Schule 
diesen  so  plötzhchen  Wechsel  nur  auf  das  Lebhafteste  beklagen.  Denn  abgesehen  davon,  dass  die 
Anstalt  an  dem  Dr.  Hager  einen  Lehrer  verlor,  der  sein  gründhches  Wissen  in  der  Förderung  und 
ganz  besonders  in  der  sittlichen  Entwickelung  der  ihm  anvertraueten  Jugend  zur  Geltung  zu  bringen 
verstand  und  der  zugleich  durch  ein  gerades  und  offenes  Wiesen,  sowie  durch  freundliche  Gefälligkeit 
und  Dienstfertigkeit  die  Freundschaft  und  Achtung  seiner  Collegen,  durch  aufrichtiges  Wolilwollen  die 
Liebe  und  Zuneigung  seiner  Schüler  sich  zu  erwerben  wusste,  so  wurde  sie  ausserdem  noch  durch 
die  plötzliche  Veränderung,  welche  hinsichtlich  der  sofort  vacant  werdenden  Lehrstunden  eintreten 
nmsste,  bei  weitem  mehr  als  in  andern  ähnlichen  Fällen  berührt.  Es  handelte  sich  nämlich  nicht 
darum,  die  einzelnen  Stunden  einfach  unter  die  übrigen  Lehrer  zu  vertheilen,  sondern  bei  der 
Wichtigkeit  der  in  Frage  stehenden  Lehrficher  galt  es  dieselben  sogleich  so  zu  besetzen,  dass  die 
]»etreffenden  Lehrobjecte  der  Lehrverfassung  gemäss  ohne  Unterbrechung  und  somit  ohne  Xachtheil 
für  die  Schüler  vorschriftsmässig  fortgeführt  würden.  Dem  Ref  erwuchs  hieraus  von  Neuem  die 
schwierige  und  zeitraubende  Arbeit,  mitten  im  Semester  den  ganzen  zehnclassigen  Lectionsplan 
völlig  umarbeiten  zu  müssen,  ein  Umstand,  den  er  im  Interesse  der  Anstalt  nur  beklagen  kann, 
weil  dadurch,  zumal  da  zu  (3stern  a.  c.  bei  dem  Eintritt  eines  neuen  Lehrers  dasselbe  wird  geschehen 
müssen,  die  Schule  nie  zu  der  nöthigen  Ruhe  kommt,  sondern  unablässig  hin  und  hergeworfen  wird. 
Nichtsdestoweniger  unterzieht  Ref  sich  allen  diesen  Arbeiten  mit  aufrichtiger  Hingebung,  weil  er  durch 
das  Gedeihen  der  Anstalt,  welches  trotz  dieser  immerwährenden  Veränderungen  dennoch  sichtbar 
zu  Tage  tritt,  sich  stets  freudig  bewegt  fühlt  und  darin  zugleich  für  die  vielen  Mehrarbeiten,  w^elche 
ihm  aus  der  Vergrösserung  der  Schule  überhaupt  erwachsen,  hinreichende  Genugthuung  findet. 

Zur  besonderen  Befriedigung  gereichte  es  der  Anstalt,  dass  sie  in  diesem  Jahre  in  der  Lage 
war,  die  Allerhöchste  Geburtstagsfeier  am  28.  Februar  d.  J.,  welche  in  dem  vorigen  Jahre 
aus  Mangel  an  einem  passenden  Locale  bedauerhchst  hatte  ausfallen  müssen,  in  der  herkömmlichen 
Weise  begehen  zu  können.     Es  war  dazu  nachstehendes  Programm  ausgegeben  w^orden. 

Choral:  Wie  schön  leuchtet  der  Morgenstern.  —  Heinrich  Evers:  Orx  dya&ov  nokv- 
xoiQavir^y  elg  xoii>ai()g  töTv),  tlg  ßaoiltvg.  (Lat.  Rede.)  —  Weihnachtslied  von  Mich.  Praetorius: 
Geboren  ist  Emanuel.  —  Adolph  Brandt:  Die  Eroberung  von  Strassburg.  —  Chor:  Gott  segne 
Friedrich  Franz!  —  Motette  von  Hauptmann:  Gott  mein  Heil.  —  Johannes  Eichbaum, 
Friedrich  Lechler  und  Hermann  Wachenhusen:  Scene  aus  Uhlands  Fragment  Conradin. 
-  Männerchor:  Rheinsehnsucht,  von  Becker,  eingeübt  von  Otto  Tapp.  -  Hans  Bock:  Die 
Tanne  von  Strassburg,  von  F.  Rückert.  —  Wilhelm  Pfähler:  An  die  norddeutsche  Flagge,  von  Freitag. 
—  Der  kleine  Chor:  Deutschland,  von  Mendelssohn-Bartholdy.  -  Friedrich  v.  Hintzenstern: 
Hurrah,  Germania!  von  Freihgrath.  —  Max  Schneider:  Harald,  von  Wolfgang  Müller.  —  DreiVolks- 
heder  von  Mendelssohn-Bartholdy.  Der  Mittelsatz  wird  vom  kleinen  Chor  gesungen.  —  Caesar 
Rochow,  Otto  Reinhardt  und  Johannes  Mulsow:  Scene  aus  Schillers  Piccolomini.  —  Abend- 
lied von  Grell:  Die  Sonne  sinkt.  -  Johannes  Krieger:  Das  Glück  von  Edenhall,  von  Uhland. 
Friedrich  Jahn:  Der  rechte  Barbier,  von  Chamisso.  —  W^ilhelm  Peters:  Soldatenhed,  von 
Kräusler.  —  Abendhed  von  Öhlschläger:  Still  wie  ein  Schwan.  —  Theodor  Aarons:  De 
richtige  Rekuung,   von    F.  Reuter.    —    Hermann    Sandrock:    Wächter  und   Bürgermeister,   von 


62    

Claudius.  —  Alex.  G  roh  mann:  Wer  hett  de  Fisch  stahlen,  von  F.  Reuter.   —  Chor:  Die  Wacht 

am  Rhein.  ,       n  i        m 

Noch  ist  im  Interesse  der  Angehörigen  unserer  Schüler  euier  Verfugung  des  Hohen  Mmi- 
steriums  vom  31.  December  1870  zu  gedenken,  derzufolge  diejenigen  Schüler  der  unteren  Classen 
(incl.  Obertertia),  welche  ein  Jahr  über  den  voi-schriftsmässigen  einjährigen  Classen-Cursus 
hinaus  in  einer  Classe  gesessen  haben  und  dennoch  zur  Vei-setzung  in  eine  nächsthöhere  Classe  nicht 
für  reif  befunden  werden,  durch  Beschluss  des  Directors  und  der  betheiligten  Lehrer  von  der 
Anstalt  entfernt  werden  können,  solches  jedoch  bei  dem  voraussichtlichen  Eintreten  einer  derartigen 
Maassnahme  den  resp.  Aeltern  ein  Vierteljahr  vorher  angezeigt  werden  soll. 

Als   ein  Festtag  des  Gymnasiums   darf  der   30.  Januar  d.  J.   angesehen  werden.     Schon  am 
Abend    des    voraufgehenden    Tages,    an    dem    Gebmtsfeste    unserer    allverehrtcMi    Frau    Gross- 
herzogin, war  gleichsam  zur  Erhöhung  dieser  fiü-  das  ganze  engere  Vaterland  so  bedeutungsvollen 
Feier  ein  kaiserhches  Telegramm  aus  Versailles  hieselbst  zur  allgemeinen  Kenntni^s  gebracht  worden, 
dass   Paris    endlich    capitulirt   habe.     Die    allgemeine    Ruhe,    mit    welcher    diese    so    überaus 
wichtige  Nachricht  ganz  im  Gegensatze   zu   dem    freutUgen  Aufjubeln   anderer,   durch  die  Opfer,   die 
der  Krieg  gefordert,  nicht  minder  schwer  heimgesuchten  Städte  allhier  aufgenommen  wurde,  mag  allerdings 
ihren  Grund  in  der   tiefen  Trauer   gehabt   haben,   in   welche   gerade   hier   so   manches   Vater-   und 
Mutterherz   nameutüch   während   den   letzt voraufgegangenen    Wochen    versetzt    worden   war.     Allem 
da    grosse    weltgeschichtliche    Ereignisse    nicht    nach    den    Gefühlen    und    iMiipfindungen    Einzelner, 
sondern   ledigUch   nach   dem  Eintluss   und   dem  Segen,   den   sie  voraussichtlich   auf  das  Ganze  üben 
werden,   bemessen   und   beurtheilt  werden  dürfen,   so  hielt  Ref.  in  Anbetracht,   <lass  die  unvergleich- 
hche  Tapferkeit  und  Ausdauer  der  deutschen  Heere  unser  gemeinsames  Vaterland   vor   den   entsetz- 
hchsten  Leiden  und  Drangsalen,  die  ihm  bevorgestanden,  behütet  und  bewahrt  hatte,  es  für  angemessen, 
sofort  am  Morgen  des  30.  Januar  sämmtliche  Lehrer  und  Schüler  zu  einer  Festandacht   in  der  Aula 
des  Gymnasiums  zu  versammeln  und  in  einer  Ansprache  auf  die  ungewöhnliche  Bedeutung  des  obigen 
Ereignisses,  insonderheit  aber  auf  die  frevelhafte  Veranlassung  zum  Kriege  und  auf  die  segensreichen 
Folo-en   desselben   für  unser  gemeinsames  Vaterland   hinzuweisen    und   schliesslich   die    Jugend    dahin 
zu  ""ermahnen,    die    Erinnerung    an    die    erlebten    grossen    Erfolge    der    deutschen    Watfeii    und    des 
deutschen  Heldenmuthes  stets  treu  im  Herzen  zu  bewahren,   mit   dem  Entschlüsse,   wenn    sie   heran- 
gewachsen und  zu  Männern  geworden,    falls   ähidiche   schwere  /eitverhältnisse  eintreten  sollten,   dem 
empfangenen  Beispiele   gemäss   mit  Gut   und  Blut,    nicht   den  Worten   nach,   sondern   mit   der  That 
einzustehen  für  das  Wohl  und  die  Rettung  des  Vaterlandes. 

SchliessUch  wird  noch  bemerkt,  1 )  dass  die  hierunten  abgedruckte  Festrede  des  Ref  lediglich 
um  der  Vollständigkeit  der  Schul- Annalen  willen,  die  erst  in  späteren  Zeiten  eine  gewisse  W  ichtigkeit 
zu  erhalten  püegen,  mitgetlieilt,  und  2),  dass,  um  den  wiederholten  Anfragen  der  Aeltern,  welche  ihre 
Söhne  dem  hiesigen  Gymnasium  zu  ül)ergebeii  beabsichtigen,  in  Betreff  der  Classenziele  etc.  entgegen- 
zukommeu  und  ihnen  die  ausführlichste  Auskunft  zu  geben,  die  von  dem  Hohen  Ministerium  ge- 
nehmigte Lehr  Verfassung  dem  Druck  übergeben  worden  ist.  Da  auf  Grund  derselben  die  Er- 
theilung  des  Unterrichts  in  dem  verflossenen  Schuljahre,  von  einigen  Vacanzen  abgesehen,  gewissen- 
haft stattgefunden  hat,  so  ist  die  Angabe  der  ertheilten  Lectionen  auch  schon  um  der  Raum- 
ersparniss''  willen  für  diessmal  von  dem  Ref.  weggelassen  worden.  Mögen  die  gegebenen  ^littheilungen 
genügen  zum  Beweise,  dass  die  Anstalt  unablässig  in  allen  ihren  (Uiedern  bemühet  ist,  die  ihr 
gestellte  Aufgabe  treu  und  redlich  zu  erfüllen,  und  wolle  der  allgütige  Gott  nach  wie  vor  semeu 
Segen  dazu  geben. 


63    

Rede, 

gebaUen  bei  tier  Finweibun!^  des  neuen  Gymnasiums 

am  10.  October  1870. 

Wenn  nach  den  erhebenden  Worten,  durch  welche  die  Weihe  dieser  Räume  so  eben  voll- 
zogen worden  ist  M,  auch  mir  als  zeitigem  Vertreter  dieser  Anstalt  die  Ehre  des  Wortes  zu  Theil  wird, 
um  auszusprechen,  was  augenblicklich  mein  Inneres  bewegt,  so  halte  ich  mich  zunächst  für  ver- 
pflichtet, den  Gefühlen  der  Dankbarkeit  für  den  ausgezeichneten  Beweis  der  Allerhöchsten  Huld  und 
Gnade,  welcher  durch  die  P^rbauung  dieses  Hauses  dem  G}Tnnasium  Fridericianmn  von  Neuem  zu 
Theil  geworden  ist,  geziemenden  Ausdruck  zu  geben.  Sollen  jedoch  diese  Dankesworte  etwas  mehr 
als  eine  von  dem  Herkommen  gebotene  ehrfurchtsvolle  Aeusserung  sein,  so  werden  sie  von  der 
Erklärung  begleitet  sein  müssen,  dass  die  Anstalt  auch  den  festen  Willen  hat,  sich  dieses  besonderen 
Beweises  Allerhöchsten  Wohlwollens  nach  me  vor  würdig  zu  erweisen  und  dass  sie  demnach 
entschlossen  ist,  der  ihr  gestellten  Aufgabe  mit  Aufbietung  aller  Kräfte  gewissenhaft  nachzukommen 
und  zu  genügen.  Daher  hält  sie  es  für  geboten,  in  dieser  feierhchen  Stunde  gleichsam  Zeugniss 
abzulegen  von  dem  Geiste,  welchen  sie  selbst  in  sich  entwickelt  und  darstellt  und  welchen  in  ihren 
Zöglingen  heranzubilden  und  zur  Geltung  zu  bringen  sie  bemühet  ist.  Denn  sie  betreibt  kein 
gewöhnliches  Geschäft,  noch  rechnet  sie  mit  todten  Factoren;  sie  hat  vielmehr  mit  dem  Edelsten  zu 
thun,  was  die  Natur  dem  Menschen  verliehen  hat,  was  jedes  Vater-  und  Mutterherz  mit  den 
heihgsteii  (Jefühlen  der  Lie])e  iiiniängt  und  mit  den  freudigsten  Hoffnungen  und  mit  der  unab- 
lässigsten Sorge  hegt  und  pflegt;  ihr  liegt  es  ob,  gleichwie  einst  Prometheus  der  rohen  Masse 
Leben  und  Odem  einhauchte,  also  sich  in  den  in  der  Körperhülle  noch  imentwickelt  ruhenden  jugend- 
lichen (ieist  zu  versenken  und  ihn  mit  ihrem  Geiste  zu  beleben  und  zu  bilden,  auf  dass  er  Knospen 
und  Blüthen  treibe  und  dermaleinst  gute  Früchte  bringe. 

Allein  je  wichtiger  dieser  Lehrberuf  ist,  weil  er  auf  ganze  Generationen  entscheidenden 
Einfluss  zu  üben  vermag,  um  so  schwerer  ist  die  Verantwortlichkeit,  die  auf  ihm  ruhet;  und  es  kann 
daher  iiieht  bestimmt  genug  hervorgehoben  werden,  dass  derselbe,  um  wahrhaft  segenbringend  zu 
werden,  keine  anderen  Ziele  zu  verfolgen  hat,  als  die,  das  jugendliche  Herz  zu  veredlen  und  den 
jugendlichen  Geist  zu  bilden.  Beide  Ziele  sind  vereint  anzustreben,  da  die  Erreichung  nur  des 
Einen  jede  Erziehung  einseitig  und  mangelhaft  macht.  Welche  Mittel  aber  hat  das  Lehramt 
anzuwenden,  um  beide  zugleich  zu  erringen? 

Es  ist  eine  eigentliiimliche  Erscheinung,  dass,  wie  in  dem  jugendlichen  Gemüthe  die  an- 
gebornen  Neigungen  lange  Zeit  hindurch  der  Veredlung  des  Herzens  und  der  Bildung  des  Geistes 
schweren  Kampf  bereiten  und  erst  allmälig  dem  sich  beugen,  was  man  Humanität  nennt,  so  auch 
in  der  Entwickelungsgeschichte  der  Mensch] leit  ein  gleicher  Widerstreit  uns  entgegentritt.  Ein  Blick 
auf  den  gegenwärtigen  Bildungszustand  Euroi)as  und  speciell  der  germanischen  Völker  genügt,  um 
zu  erkennen,  dass  derselbe  nicht  aus  sich  selbst  entstanden,  nicht  aus  sich  selbst  erwachsen  und 
hervorgegangen,  sondern  dass  er  ein  Ergebniss  der  ganzen  Vergangenheit  ist;  Alles  was  der  mensch- 
liche Geist  seit  Jahrtausenden  in  rastloser  Mühe  und  Arbeit  errungen  und  aus  seinem  ureignen 
Wesen  geschaffen  und  hervorgebracht  hat,  das  ist,  mögen  auch  die  Völker,  an  denen  solches  vor- 
nehmhch  zu  Tage  getreten,  längst  in  Staub  und  Asche  gesunken  sein,  dennoch  ein  unveräusserliches 
Gemeingut  der  ganzen  Menschheit  geworden.  Aber  dieses  Gut  ist  gewonnen  nicht  ohne  den 
schwersten  Kampf  gegen   eine    noch    auf  der   tiefsten    Culturstufe    stehende  Welt,    und    zwei  Mächte 


*)  DurcL  den  Protoscbolarchen  der  Anstalt  Herrn  Superinl.  Dr.  Karsten. 


64      

haben  es  errungen,  die  uranfänglich  sich  feindlich  einander  gegenüber  standen,   bi.  die  Eine  endhch 
versöhnt  der  Andern  die  Hand  reichte,  um  sodann  treu  vereint  den  heutigen  Eiu'opaischen  Bildungs- 
zustand zu  begründen;  indessen  erst  dem  Germanischen  Geiste  war  es  vorbehalten,    die  volle  Ver- 
söhnung beider  herbeizuführen,  und  in  ihm  ruhen  daher  noch  heutigen  Tages  die  beiden  Machte,  welche, 
zwei  himmelanstrebenden  Pfeilern  vergleichbar,  den  stolzen  Bau  unserer  Bildung  stiitzeu  und  tragen,  das 
Christenthum  und  das  classische  Alterthum.     Beiden  Mächten  kann  Niemand  sich  entziehen, 
welcher  \nspruch  auf  Bildung  macht;  vielmehr  ist  jeder,  der  sich  berufen  fühlt,  als  würdiger  Mitarbeiter 
an  dem  Werke  der  Gegenwart   aufzutreten,   gezwungen,   sich  dem  Einflüsse  beider  volhg  hinzugeben, 
weil  er  nur  so  zu  einem  richtigen  Verständniss  seiner  Mitwelt,    in   der  er  selbst  wirken  und  schaffen 
will     -elangen    kann.       Ist     aber    jeder     an    den     Bildungszustand     der    Jetztzeit     mit     unauflos- 
lichen°Banden    geknüpft,    wird   er   da   wohl    im  Stande    sein,   sich    von   dem    Urheber   und    Schopfer 
desselben,  also  von  dem  Christenthum  selbst   irgend    wie  zu  lösen?     Ist   solches   ganz   unmoghch,   so 
folgt  mit  innerer  Nothwendigkeit,  dass  derselbe  Geist,  dem  wir  Alle  unseren  gegenwärtigen  Bildungs- 
grad verdanken,  auch  unsere  Bildungsstätten,  in  denen  jener  vermittelt  wird,  auf  das  Innigste  durch- 
wehen und  durchdringen  nmss.  .  ,,     i 
Aber  dieser  christliche  Geist  soll  sich  offenbaren    nicht    etwa   bloss    in    dem,    was  speciell  als 
christliche  Lehre  der  Jugend  mitgetheilt  und  eingepflanzt  wird;  er  soll  von  hier  aus  auch  belebend 
wken  auf  die  Bildungsstätten   selbst    in    ihrer  Totalität,    also   in    der  Betriebsamkeit   der  Lehrenden 
und  der  Lernenden;  er  soll  das  jugendliche  Gemütli  heben   und   ermuthigen  durch  den  Glauben;   er 
soll  es  stärken  und  kräftigen  durch  die  Erweckung  des  Willens;  er  soll  es  erlullen  und  durchdringen 
mit  jener  opferfreudigen  Hiugebung,    welche   in  jeder  Lage   des   Lebens   ohne    Rücksicht   auf  eignen 
Vortheil   und   Gewinn   nur   in   einer   gewissenhaften   Pflichterfüllung   volle   Befriedigung    findet;    mit 
einem  Wort,   der  Geist   des  Christenthums    soll    sich   gestalten   zum  Geiste   der  Berufstreue   und  des 
Fleisses    der    Pünktlichkeit    und    der    Ordnung,    des  Gehorsams   und  der  Liebe;   er   soll   mit   seiner 
läuternden  Gotteskraft   die   menschliche  Gesammtkraft   zur  vollen  Blüthe   entfalten   und   allseitig   zur 
schönsten   Harmonie    entwickeln.     Und   diesen    christlichen    Geist   in    sich    darzusteUen,   ihn   aus    sich 
weiter  zu  erzeugen  und  also  die  Veredlung  der  jungen  Herzen  zu  bewirken,  das  ist  die  Aufgabe  der 

Gymnasien,  ist  also  auch  die  unsrige. 

Dieser  Geist  aber,  ist  er  etwa  ein  anderer,  als  der  durch  die  grösste  That  der  Neuzeit  in 
uns  Allen  von  Neuem  lebendig  gewordene?  Oder  sollte  die  Reformation  der  spitzfindigen  Dialectik 
einer  verknöcherten  Scholastik  nur  dessluilb  ein  Ende  gemacht  haben,  um  aus  dem  steinernen  Felsen 
statt  des  silberhell  sprudelnden  Quells  der  Alles  erwärmenden  und  erquickenden  christlichen  Liebe 
nur  das  trübe  Rinnsal  eines  starren  Formahsmus  von  Neuem  hwvorzulocken  ?  Wenn  es  wahr  ist. 
dass  die  unter  dem  Hauche  des  wiedererwachten  classischen  Alterthums  ins  Leben  getretene  Refor- 
mation jene  Fesseln  brach,  um  den  urächten  Geist  des  Christenthums  gleichsam  in  neuer  Jugend- 
frische durch  die  Herzen  ihrer  Bekenner  strömen  zu  lassen,  so  ist  es  ebenso  wahr,  dass,  nachdem 
Luthers  Mahnwort  an  alle  RathsheiTen  Deutschlands,  für  gute  Schulen  zu  sorgen,  zur  Wahriieit 
geworden,  kein  anderer  Geist  in  diesen  wohnen  und  lebendig  sein  soll. 

Auch  unser  Gymnasium  ist  eine  Schöpfung  der  Reformation  und  niemals  hat  es,  mögen 
auch  hin  und  wieder  dunkele  Wolken  über  dasselbe  dahingezogen  sein,  diesen  seinen  reformatorischen 
Character  veriäugnet.  Indessen  wer  gewohnt  ist,  auch  in  scheinbar  unbedeutenden  Dingen  etwas  zu 
sehen,  den  dürfte  in  diesem  Augenl)li(ke  leicht  ein  Gefühl  der  Sorge  überkommen.  Zwar  hat  die 
Reformation  das  Monopol  der  Gelehrsamkeit,  welches  früher  die  katholische  Knche  für  sich  allein  ii. 
Anspruch  nahm,  in  den  protestantischen  Ländern  völlig  beseitigt;  aber  auch  so  ist  in  diesen  Schule 
und  Kirche  stets  Hand  in  Hand  mit  einander  gegangen  und  auch  räumlich  haben  Trennungen  nicht 
leicht  stattgefunden,   ausser   auf  Grund    unabweislichen  Bedürfnisses.     Doch    sind    diese    überall    ohne 


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Tolgen  geblieben?  und  werden  solche  auch  hier  zu  besorgen  sein?  Wir  glauben  es  nicht;  so  lange 
^  der  Geist  der  Reformation  durch  unsere  Anstalt  waltet,  wird  sie  in  voller  Freiheit  sich  nach  wie 
vor  ungestört  entwickeln.  Dass  aber  derselbe  Geist,  der  Johann  Albrecht  einst  bewog  sie  zu 
gründen,  sie  auch  an  dieser  neuen  Stätte,  wie  vordem  unter  den  Mauern  des  ehrwürdigen  Domes 
erfüllen  wird,  dafür  bürgt  das  erste  Weihewort,  welches  aus  Erlauchtem  Munde  in  treuer  Erinnerung 
an  eine  edle  in  Gott  ruhende  Fürstin  über  den  Grundstein  dieses  Hauses  dahintönte:  ich  bau  auf 
Gott!  Und  auf  Gott  und  seinem  ewigen  Worte  wird  auch  hier  die  Anstalt  ruhen. 

Hiemit  aber  haben  wir  nur  einen  Theil  der  Aufgabe,  welche  das  Gymnasium  zu  lösen  hat, 
behandelt;  nicht  minder  wichtig  ist  der  zweite,  die  Bildung  des  Geistes,  und  es  fragt  sich,  durch 
welche  Mittel  diese  vornehmlich  erreicht  werde.  Wir  antworten:  einzig  und  allein  durch  eine  ein- 
gehende Beschäftigung  mit  dem  classischen  Alterthum  und  vorzugsweise  durch  das 
Studium  der  alten  Sprachen.  Es  ist  not h wendig,  diess  von  vornherein  um  so  entschiedener  zu  betonen, 
je  heftiger  die  Angriffe  zum  Theil  gewesen,  zum  Theil  noch  sind,  welche  man  gegen  diesen  Hauptgegenstand 
des  Gymnasial  -  Unterrichts  gerichtet  hat.  Man  hat  behauptet,  derselbe  sei  bei  dem  gegenwärtigen 
Zustande  unserer  modernen  Bildung  nicht  allein  entbehrlich,  sondern  geradezu  ein  Uebel,  weil  er 
ein  gedeihhches  Fortschreiten  in  den  übrigen  Lehrdisciplinen,  besonders  in  den  neueren  Sprachen 
beeinträchtige.  Andere  haben  sich  nur  gegen  das  Uebermass  erklärt  und  demnach  nur  das  Noth- 
dürftige  gefordert,  etwa  um  die  übliche  fremdländische  Nomenclatur  zu  verstehen  und  richtig  an- 
zuwenden. Noch  andere  haben  jenen  Unterricht  nicht  bloss  als  unnütz  und  entbehrlich,  sondera 
geradezu  als  gefährlich  bezeichnet,  weil  die  anhaltende  Beschäftigung  mit  der  heidnischen  Welt  den 
christlichen  Sinn  gefährde  und  dem  Christenthum  selbst  Schaden  bringe. 

Den  letzten  Vorwurf  können  wir  auf  sich  beruhen  lassen.  Es  ist  bei  der  Eigenthümlichkeit 
des  Deutschen,  Fremdländisches  zu  bewundern  und  in  Sprache,  in  Tracht,  in  Sitte,  in  Denkweise 
und  Gewohnheit  anzunehmen ,  allerdings  nicht  unmöglich ,  dass  derselbe  unter  Umständen  zum 
Engländer  und  Franzosen  werden  könne;  aber  noch  nie  hat  ein  jahrelanges  Verweilen  im  Griechen- 
und  Römerthum  den  Deutschen  zum  Griechen  und  Römer  gemacht.  Etwas  anders  verhält  es  sich 
mit  den  übrigen  Ausstellungen.  Sie  sind  ausgegangen  von  Männern,  welche  selbst  zwar  ihre 
Bildung  durch  die  alten  Sprachen  erhalten,  nachher  aber  im  practischen  Leben  als  tüchtige 
Geschäftsleute  niemals  Gelegenheit  gefunden  haben,  ihre  Sprachkenntnisse  thatsächhch  zu  verwerthen, 
dagegen  oft  in  der  Lage  gewesen  sind,  ihre  mangelhafte  Ausbildung  in  den  neuem  Sprachen  tief 
und  schmoi'zlich  zu  emi)tinden.  Ihren  Forderungen,  denen  man  eine  gewisse  Berechtigung  nicht 
glaubte  absprechen  zu  dürfen,  hat  die  Neuzeit  Rechnung  getragen  dadurch,  dass  sie  das  Real- 
gymnasium ins  Leben  rief.  Allein  trotz  dieser  Concession  hat  der  Kampf  seinen  Abschluss  noch 
nicht  gefunden;  er  wird  überall,  wo  zwar  Gymnasien  existiren,  Realschulen  aber  aus  bestimmten 
Griinden  nicht  vorhanden  sind,  fast  leidenschaftHch  fortgeführt  und  zwar,  weil  man  in  dem  Gym- 
nasium nicht  eine  geistige  Bildungs-Anstalt,  sondern  ledighch  eine  Berufs-Anstalt  an- 
erkennen will. 

In  dieser  Auffassung  liegt  der  Grundirrthum  der  Gegner  des  Gymnasiums;  sie  gehen 
sämmtlich  von  der  irrigen  Ansicht  aus,  dasselbe  habe  einzig  und  allein  das  zu  gewähren,  was  sich 
später  in  den  verschiedenen  Lebensberufen  practisch  verwerthen  lasse;  hier  müsse  der  Landwirth, 
hier  der  Forstmann,  hier  der  Architect,  hier  der  Kaufmann  finden,  was  er  einst  gebrauche;  was  aber 
nütze  diesen  Allen  das  Lateinische,  was  das  Griechische? 

Um  das  Fehlsame  dieser  Ansicht  aufzuzeigen,  würde  freilich  ein  Hinweis  auf  den  oben 
beregten  Satz,  demzufolge  unsere  ganze  gegenwärtige  Bildung  ein  Ergebniss  der  ganzen  Vergan- 
genheit ist,  deren  verschiedene  Phasen  jedem  Gebildeten  wenigstens  den  Hauptsachen  nach  bekannt 
sein  müssen,  allein  nicht  genügen,  denn,  würde  man  sagen,  gewähren  nicht  die  Uebersetzungen  der 


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alten  Classiker   eine  viel   schnellere  und    genauere  Erkenntniss  des  Alterthunis,    als  die   zeitraubeiidt' 
Leetüre    der  Alten   in   der  Ursprache?    Führt   nicht   das  Meistenverk   deutscher  Uebersetzungskunst. 
Luthers  Bibel,  den  Beweis,  dass  man  Gottes  Wort  lesen  und  verstehen  könne,  ohne  des  Hebräischen 
oder  des  Griechischen   kundig  zu  sein?    Allerdings,   wäre  die  Kenntniss   des   Vlterthums   der   einzige 
Zweck  dieses  Unterrichts,   so   möchten  Uebersetzungen   genügen;    allein  für  die  Aufgabe  des  Gymna- 
siums  sind  sie   nicht  nur   völhg  unbrauchbar,   sondern   geradezu   schädlich    und   darum    verwerflich. 
Eine   kurze   Andeutung    wird    hinreichen,    diess    deutlich    zu    erkennen.      Wie    mag    es    kommen, 
dass   der   erste  Unterricht   in    der  Muttersprache   gerade   bei   der   schulgerechtesten    Behandlung   so 
überaus   unfruchtbar   bleibt?    Wie   das  Kind    aus   seiner   ersten   Umgebung  Sprache,   Sitte    und   Ge- 
wohnheit mit  allen  Vorzügen  und  Fehlern  in  völliger  Bewusstlosigkeit  aufnimmt,   gerade  eben  so  be- 
wusstlos   verhält  es  sich  jenem  Unterricht  gegenüber;   es  fasst,  dem  Zwange   gehorchend,   Regel  und 
Vorschrift  mit  dem  Gedächtniss  und  lernt  sie   nachsprechen;   aber  es   sträubt  sich  in   seinem  Innern 
dagegen   als  gegen  etwas,   dessen  es  nicht  bedarf,   um  seine  Mutteisprache  frei  und  ungezwungen  zu 
gebrauchen,    gerade   wie   es   bei    den   ersten    mathematischen    Anschauungen   den    strengen    Beweis 
dem  gegenüber,   was   es  mit   seinen  Augen  sieht,    lÜr   völlig    entbehrhch    und    unnütz    erachtet.     So 
geschieht   es,   dass   das   mühsam  Erlernte   bald  wieder   olme   sonderlichen  Nutzen   verschwindet   und 
dass  der  Erwachsene  sich  seiner  Muttersprache  zwar  mit  Geschick  vielleicht  und  mit  Boutine  bedient, 
jedoch  olme  sich  der  Gründe,  warum  so  und  nicht  anders,  irgend  wie  bewusst  zu  sein.     Dahingegen 
hört   mit   dem    Eintreten   der   alten   Sprachen   jene    Bewusstlosigkeit   mit    einem    Male    auf   und    die 
glücklichsten    Resultate   auch    in    der  Muttersprache    werden    sichtbar.      Denn    der  jugendliche  Geist 
steht   vor   dem   todten  Worte   und   nichts   von   dem,   was   bei   den    neuern  Sprachen   ihn   noch   an- 
heimelt, tritt  ihm  entgegen;  kein  Artikel  am  Hauptworte,  kein  Pronomen  an  den  Verbalformen  bietet 
ihm  einen  Anhaltspunkt;   Alles  ist  in  die  todte  steinharte  Form  gegossen  und  ihm  liegt  es  ob,   diese 
mit  Hülfe  der  Muttersprache  erst  zu  beleben;  kurz,  es  beginnt  jener  wunderbare  geistige  Process,  in 
welchem  die  todte  Form  Veranlassung  zur  bewussten  Erkenntniss  der  Muttersprache   wird  und  diese 
umgekehrt  jener  gleichsam  Odem  und  Leben  einhaucht;   dieser  Process   ist  es,   der  den  jugendlichen 
Geist  zum  Sprachbewusstsein  erweckt  und  ihn  das  lehrt,  was  Kern  und  Wesen  der  ganzen  Gymnasial- 
Bildung   ist,   denken!    Um   diesen  Hauptzweck    zu    erreichen,    giebt   es   kein  anderes  :Mittel,  als  die 
alten    Sprachen;    sie    können    durch    nichts    ersetzt    werden,    weder    durch    die    einseitig    bildende 
Mathematik    noch   durch  die   neuern  Sprachen.     Jene   unausgesetzte   geistige  Gymnastik  aber  erfasst 
nach    und    nach    Alles,    was    auf  dem    (iymnasium    gelehrt   wird,    und    alle    Lehrobjecte   haben   hin- 
wiederum  zunächst   keinen  andern  Zweck,    als   den,  jener  Gymnastik  von    allen  Seiten  den    nöthigen 
Bildungsstoff  zuzuführen;   die  Mathematik  soll  eben  so  wenig  den  künftigen  Mathematiker  von  Fach, 
den  Architecten  oder  den  Ingenieur  schaffen,  als  die  alten  Sprachen  etwa  lediglich  dazu  da  sind,  den 
Juristen    oder  den  Theologen  zu    bilden.     Wolil  aber   sollen  alle  Schuldisciplinen    nach  Vorgang  und 
Anleitung   der   alten  Sprachen   dazu  beitragen,  dem  Jüngling  mit  der  Vollendung   seines  Gynmasial- 
Cursus   diejenige   Reife   der   Geistesbildung   auf  seinen   fernem   Lebensweg    mitzugeben,   welche   ihn 
vollständig  befähigt,  sich  in  jedem  nach  W^ahl  und  Neigung  ausersehenen  Lebensberuf  mit  derjenigen 
.  Sicherheit  zu  bewegen,    die  es  ihm    möglich  macht    denselben  ganz    auszufüllen  und  zu    beherrschen. 
Es  kann   hienach   keinem  Zweifel   unterliegen,   dass  die  Behauptung,  das  (lymnasium  müsse  lediglich 
Berufsanstalt  sein,    eine   durchaus  irrige  ist,   welcher  stets  mit  Entschiedenheit   entgegen   getreten 
werden  muss.    Demnach  wird  auch  unsere  Anstalt  nach  wie  vor  nur  die  treue  Hüterin  und  Pflegerin 
wie  des  classischen  Alterthums  überhaupt,  so  auch  vorzugsweise  der  alten  Sprachen  sein. 

In  dieser  Stellung  fest  zu  verharren,  wird  ihr  übrigens  nicht  schwer  werden;  schon  bricht 
ein  richtiges  Verständniss  sich  mehr  und  mehr  Bahn  und  nicht  wird,  wie  früher,  die  durch  das 
Maturitäts  -  Examen  constatirte    geistige  Reife   ausschliesshch  nur  für  Universitäts  -  Studien   gefordert; 


auch  andere  Berufsfächer  verlangen  sie  bereits,  und  es  ist  nicht  schwer  mit  Bestimmtheit  vorherzu- 
sagen, dass  in  nicht  ferner  Zeit  noch  andere  Berufskreise,  für  welche  jenes  Examen  zur  Zeit  noch 
als  entbehrlich  gilt,  dasselbe  beanspruchen  werden. 

Gemahnt  uns  nun  dieses  Alles,  auf  dem  bisherigen  Wege  auch  fernerhin  unbeirrt  fortzu- 
schreiten, so  ist  doch  ein  Zeugniss  ganz  besonders  dazu  ermuthigend,  durch  welches  unlängst  in 
unserem  engeren  Vaterlande  der  Werth  einer  tüchtigen  Gymnasial-Bildung  anerkannt  worden  ist, 
ein  Zeugniss,  welches  die  hohe  Einsicht  dessen,  der  es  ausgestellt,  auf  das  Glänzendste  beurkundet 
Ein  Allerliöchster  Wille  hat  von  dem  Erben  seiner  Krone  die  volle  durch  Ablegung  der  Maturitäts- 
Prülüug  dücumcntirte  Reife  der  Bildung  gefordert,  und  in  Folge  dessen  zählt  ein  erlauchter  deutscher 
Fürstensohn,  nachdem  er  jener  Forderung  auf  das  Ehrenvollste  entsprochen,  auf  einer  deutschen 
Hochschule  zu  den  vollberechtigten  Jüngern  deutscher  Kunst  und  Wissenschaft.  Zwar  haben  uner- 
wartet schwere  Zeitereignisse  die  wissenschaftlichen  Studien  des  jungen  Fürsten  zeitweilig  unterbrochen; 
auch  er  ist  gleich  Tausenden  edler  deutscher  Jünglinge  dem  Rufe  des  Vaterlandes  gefolgt,  um  es 
gegen  die  Insolenz  eiues  übermüthigen  Feindes  zu  vertheidigen;  allein  mit  Gottes  Hülfe  wird  diese 
Unterbrechung  eine  nur  vorübergehende  sein. 

Wer  aber  unter  uns  fühlt  sich  nicht  Angesichts  dessen  von  der  Ueberzeugung  durchdrungen, 
dass  es  um  das  geistige  Wohl  eines  Volkes  gut  bestellt  sei,  dem  ein  so  erhabenes  Beispiel  voran- 
leuchtet? wer  nicht  von  der  freudigen  Hoffnung  gehoben,  dass  den  Bildungsstätten  unseres  engeren 
Vaterlandes  die  Allerhöchste  Fürsorge  niemals  fehlen  werde?  Und  somit  hält  auch  unsere  altelir- 
würdige  Anstalt,  durch  fürstliche  Huld  von  jeher  gehegt  und  gepflegt,  sich  für  berechtigt  zu  dem 
Glauben,  dass  auch  sie  des  Allerhöchsten  Schutzes  nach  wie  vor  theilhaftig  bleiben  werde,  besonders 
wenn  sie  fortfährt  die  ihr  zugewiesene  Aufgabe  redhch  und  gewissenhaft  zu  erfüllen;  und  dazu  gebe 
der  Himmel  seinen  Segen. 

Lehrapparat. 

I.  Schulbibliothek. 
A.  Geschenke: 

L  Vom  Hohen  Ministerium:    A.  F.  Riedel.     Codex   diplomaticus  Brandenburg,   (sämmtliche  bis 

jetzt  erschienenen  Bände). 
2.  Aus  dem  Grossherzoglichen  Cabinet:   E.  v.  d.  Launitz    Wandtafeln    zur  Veranschaulichung 

antiken  Lebens.     Die  Fortsetzungen  des  Archivs  für  Landeskunde, 
a.  Von  dem  Verein    für   meklcnburgische  Geschichte:  Jahrbücher  des  Vereins  Bd.  33—35. 

Mekl.  Urkundenbuch    Bd.  3—0.     Die  Fortsetzung    des  Correspondenzblattes  des  Gesammtvereins 

der  deutschen  Geschichts-  und  Alterthumsx  ereine. 
1.  Von  dem  Senate  der  Universität  Rostock:   die    im  Laufe    des   letzten  Jahres  erschienenen 

academischcn  Schriften. 

5.  Von  der  Verlagsbuchhandlung  1).  Reimer  in  Berlin:  Adamy  Schulatlas  186S.     4.  Aufl. 

6.  Von  Herrn  Dr.  L.  Brünier  hieselbst  seine  Schrift:  Louise,  eine  deutsche  Königin.  Bremen  1871. 

7.  Von   Herrn  Canzleirath  Faull    hieselbst:    Grossherzoglich   Mecklenburg  -  Schwerinscher   Staats- 
Kalender  1871. 

8-  Von    Herrn   Dr.   W.   Fischer    hieselbst   ein    Exemplar   seiner  Dissertation    über   Dio   Cassius. 

Leipzig  1870. 
D.  Von  Herrn  Advocat  M.  Jonas  hieselbst,  z.  Z.  Präfecturrath  in  Chaumont,  seine  Schrift:  Studien 

aus  dem  Gebiet  des  französischen  Civilrechts  und  Civilprocesses.    BerUn  1870. 

9» 


^ 


68    

10.  Von  Herrn  Auditeur  Advocat  Richard  Wex  hieselbst:  Eine  grosse  Anzahl  von  Programmen 
und  Gelegenheitsschriften,  zumeist  unseres  Gymnasiums,  aus  dem  Nachlass  seines  Vaters,  unsers 
verewigten  DirectorsC.  Fr.  Wex,  darunter  auch  die  inGrunert's  Archiv  erschienene  Abhandlung „Plato'a 
Geometrie  im  Meno  und  die  Parabole  des  Pythagoras  bei  Plutarch",  welche  postume  Schrift 
im  harmonischen  Abschluss  an  den  Anfang  der  literarischen  Wirksamkeit  des  Verewigten,  seine 
Doctor-Dissertation  über  Plato's  Meno,  anknüpft. 

11.  Von  Herrn  Oberlehrer  Dr.  Schiller:  Verhandlungen  der  25.  Philologen-Versammlung  m  Halle. 
SpilleCe's  Schulschriften. 

M.  C.  Sarbievici  lyricorum  libri  IV.     Antverp.  1654. 

12.  Von  dem  Berichterstatter  Director  Dr.  Büchner:  ein  Exemplar  seiner  Ausgabe  der  Rede  des 
Cicero  pro  S.  Roscio  Amerino,  Leipzig  1836,  und  eine  Anzahl  älterer  Programme. 

B.  Gekauft  wurden  die  laufenden  Jahrgänge  der  Jahn' sehen  Jahrbücher,  des  Rheinischen 
Museums,  der  Berliner  Zeitschrift  für  das  Gymnasialwesen,  der  Annalen  Poggendorffs,  und  der 
Forschungen  zur  deutschen  Geschichte;  die  Fortsetzungen  von  Schmid  Encyklop.;  Grimm  Wörter- 
buch; wickernagel  Kirchenhed;  Grimm  kl.  Schriften.  V.  Geschichte  der  Wissenschaften.  IX. 
Behm  Geogr.  Jahrbuch  HL  Labouhiye  Geschichte  der  vereinigten  Staaten  von  Amerika.  III.  I. 
Gregorovius  Geschichte  der  Stadt  Rom  im  Mittelalter.  VU.  Verhandbmgen  der  27.  Philologen- 
Versammlung  in  Kiel.  Pierer's  Universal-Lexikon.  5.  Aufl.  Bd.  I-XII.  Pape  Wörterbuch 
der  grieschischen  Eigennamen.  3.  Aufl.  Neu  bearbeitet  von  Benseier.  Welcker  griech.  Götterlehre. 
Haym  die  romantische  Schule.     Woldermann  Europa.     Photohthogi-aphie  nach  einem  ReUef. 

Für    die    Lesebibliothek   wurde    angeschafft:     0.   Ludwig's    ges.    Werke.      Bd.   I-IV. 

Zöppritz,  Aus  F.  H.  Jacobi's  Nachlass. 

Durch    Tausch   gingen   ein    die   Schulschriften   der    zum    Programmaustausch    verbundenen 

höheren  Lehranstalten  Deutschlands. 


i.  Ein  Erdglobus. 
2.  Ein  Tellurium. 


II.  Physikalisches  Cabinet. 


Nekruluuiüiii, 


Fr.  Wilh.  Ulrich  Rehberg,  Dr.  jur.  in  Rostock,  abg.  Ostern   1^27,  t 

Carl  von  Roth,  Major  a.  D.  in  Wismar,  "♦" 

Wilhelm  von  Meibom,  Pr.-Lieutenant  und  Compagnieführer  im  3.  Branden- 
burg. Infanterie-Regim.  Nr.  20,  fiel  bei  Mars  la  Tour 
Ludwig  von  Müller,    abg.  Ostern    1863,    See.  -  Lieutenant    und    Bataillons- 
Adjutant  im    4.  Garde-Gren.-Regira.  Königin    Augusta,   fiel   bei  St.  Privat 
Georg    Störzel,    Lieutenant     im   Schlesw.   Infanterie-Regim.    Nr.    84,     fiel 

l)ei  Metz 
Ernst  von  Weltzien-Kl.  Tessin,   Pr.-Lieutenant    im    4.   Garde  -  Grenadier- 

Regim.  Königin  Augusta,  wurde  bei  St.  Ail  d.  18.  Aug.  schwer  verwundet,  t 
Vollrath  Hartmann,   Dr.  med.,  Assistenz-Arzt  im  Pomm.  Grenadier-Regim. 

zu  Stettin,  abg.  Michaelis  1866,  t  an  der  Rachenbräune 
J    C    Georg  Bölte,    Dr.   jur.    und    Stadtrichter   a.  D.    in    Boizenburg,   abg. 

Mich.  isiy. 

Carl  Fr.  C.  Sperling,  Pastor  in  Lübchin,  abg.  Ostern  1831, 
Carl  Vollbrecht,  Studiosus  medicinae,  abg.  Michaelis  1865, 


t 
t 
t 


d.  5.  April  1870. 

d.  22.  April  1870. 

d.  16.  Aug.  1870. 

d.  18.  Aug.  1870. 

d.  18.  Aug.  1870. 

d.  21.  Aug.  1870. 

d.  22.  Sept.  1870. 

d.  24.  Sept.  1870. 

d.  25.  Sept.  1870. 

d.  13.  Oct.  1870. 


69    

Franz  Paschen,  Advocat  und  Amts-Auditor,  abg.  Ostern  1864,  t  als  Unter- 
offizier im  Meckl.  Füsiher-Regim.  Nr.  90  am  Typhus  im  Lazareth  zu   Toul 
Hans  Albrecht  von  Plüskow,    See-Lieutenant  im  Pomm.  Uhlanen-Regim. 

Nr.  9,  fiel  in  Yeres  vor  Paris 
Carl  Wilh.  Friedr.  Driver,  General- Auditeur  in  Schwerin,  abg.  Mich.  1829,  t 
Joachim  Friedr.  Zickermann,  Ober-Auditeur  a.  D.,  abg.  Ostern  1817,        t 
Paul  Schönau,  Oberjäger  im  Jäger-Bataillon  Nr.  14,  fiel  bei  Loigny 
Adolph  von  Basse witz,  See-Lieutenant  und  Bataillons- Adjutant  im  Meckl. 

Füsilier-Regim.  Nr.  90,  fiel  vor  Orleans 
Carl  Caspar,  Stadtrichter  a.  D.  in  Grabow,  abg.  Michaehs  1813,  t 

Christian  Dolberg,  Bürgermeister  a.  D.  in  Stavenhagen,  abg.  Mich.  1824,    f 
A.  T.  Fr.  Bühring-Prestin,    abg.    Mich.   1866,   See-Lieutenant  im    1.  West- 
preuss.  Grenadier-Regim.  Nr.  6,  wurde  bei  Malmaison  schwer  verwundet, 

in  Versailles  f 
Albrecht  Brüssow,  Cand.  theol.  in  Sanitz,  abg.  Ostern  1857,  f 

Fr.  Ludw.  Schweden,  Advocat  in  Schwerin,  abg.  Michaelis  1816,  f 

Heinr.  Fr.  Chr.  Bolle,  Rector  in  Parchim,  abg.  Ostern  1826,  t 

Martin  Glaevecke,  Prem.-Lieutenant  im  Meckl.  Füsiher-Regim.  Nr.  90,  fiel 

bei  Bernay 

Friedrich  Krüger,  Amtshauptmann  a.  D.  in  Grevisraühlen,  abg.  Ostern  1817,  f 

Theodor  Berg,   Stud.  theol.,   abg.  Ostern    1870,   trat   in  das  Schlesw.-Holst. 

Artillerie-Regim.  Nr.  9,  wurde  durch  die  Unvorsichtigkeit  eines  Came- 

raden  am  hnken  Oberschenkel   schwer   verwundet,   f   im  Lazareth  zu 

Orleans 
Fr.  H.  Schröder,  Dr.  jur.  in  Schwerin,  abg.  Ostern  1803,  f 

Fr.  L.  Gottspfenning,  Dr.  jur.  und  Protonotar  in  Rostock,  abg.  Michaehs  1819,  f 


d.  19.  Oct.  1870. 


d.  23.  Oct. 

d.  6.  Nov. 

d.  12.  Nov. 

d.  2.  Dec. 

d.  4.  Dec. 

d.  19.  Dec. 

d.  22.  Dec. 


d.  27.  Dec. 

d.  11.  Jan. 

d.  19.  Jan. 

d.  19.  Jan. 

d.  22.  Jan. 

d.  31.  Jan. 


1870. 
1870. 
1870. 
1870. 

1870. 
1870. 
1870. 


1870. 
1871. 
1871. 
1871. 

1871. 
1871. 


Curt  Wittmütz,  Stud.  jur.,  abg.  Michaehs  1863, 

Paul  Wittmütz,  Ingenieur  zu  Haspe  in  W^estphalen,  abg.  Ostern   1862, 

Von  jüngeren  Schülern  verlor  die  Anstalt  durch  den  Tod  den  durch  Fleiss  und 

Sittsamkeit  uns  werthen  Ober-Tertianer  Paul  Reich  ho  ff  aus  Borkow. 

Ek   starb  im    V^aterhause   an   den  Masern   grade    an   seinem    15.  Ge- 
burtstage, 


t 
t 


d.  2.  Febr. 
d.  12.  Febr. 
d,  12.  Febr. 
d.  18.  Febr. 
d.  28.  Febr. 


1871. 
1871. 
1871. 
1871. 
1871. 


d.  14.  Juni   1870. 


Schülerzahl. 

Das  Gymnasium  Fridericianum  wurde  im  Sommersemester  von  3'9,  im  W^intersemester  von 
381  Schülern  besucht.  Hievon  sassen  a.  im  Sommer  in  I.  36,  in  II'.  44,  in  IP.  44,  in  III'.  36,  in 
m\  55,  in  IV.  Coet.  A.  36,  Coet  B.  35,  in  V.  Coet.  A.  30,  Coet.  B.  28,  in  VL  35;  im  Winter  in 
IV  25,  in  P.  20,  in  IP.  35,  in  U^  37,  in  IIP'.  43,  in  IIP.  56,  in  IV.  Coet.  A.  38,  Coet.  B.  34,  in 
V.  55,  in  VI.  38  Schüler. 

Abgegangen  sind  im  Laufe  des  Schuljahres: 
A.  zur  Universität  mit  dem  Zeugniss  der  academischen  Reife: 
a.  zu  Michaehs  1870: 

Ferdinand  Lindemann  aus  Schwerin.     Berhn.     Mathem.  und  Naturwissenschaften. 
Carl  Goescli  aus  Doberan.     Trat  in  das  Heer  ein. 
Louis  von  Schock  aus  Retgendorf.     Trat  in  das  Heer  ein, 
Hicliard  Krefj't  aus  Schwerin.     Leipzig.     Jurisprudenz. 


-    70     

iiuslar  von  Buchwald  aus  Schwerin.     Trat  iu  das  Heer  ein. 

Roland  von  31üUcr  aus  Schwerin.     Trat  in  das  Heer  ein. 

Cart  IVehzien  aus  Schwerin.     Berlin,     ^rathematik. 

Friedrich  Schmidt  aus  Schwerin.     Trat  in  das  Heer  ein. 

Ernst  Ähren s  aus  Neu-Schlagsdorf.     Trat  in  das  Heer  ein. 

Oscar  von  Boddien  aus  Schwerin.     Trat  in  das  Heer  ein. 
b.  zu  Ostern  1871: 

Heinrich  Evers  aus  Wittenburg.     Berh'n.     Mathematik. 
Ausserdem  waren  zu  Michaehs  a.  p.  von  dem  Hohen  GrossherzogUclicn  Ministerium   der  Abi- 
turienten-Prüfungs-Commission    zur    Prüfung    zugewiesen    worden    und    erhielten    das    Zeuguiss    der 
academischen  Reife: 

Heinrich  llayisl  aus  Schwerin.     Berhn.     Philologie. 

Carl  Wvstphal  aus  Schwerin.     Berlin.     Piiilologie  und  Archäologie. 
B.  Zu  andern  Bestimmungen  gingen  ab: 
Aus  Cl.  I*.     Rudolph  Lazoriis  aus  AVittenburg.     Kaufmann.     Phngsten  1870. 

IVilhelm  Richter  aus  Crivitz.     Militär.     Ende  Januar   1871. 
Aus  Cl.  H'.    Emil  Kahl  aus  Schwerin.     Buchhändler.     Michaehs  1870. 

Hermann  Schroeder  aus  Schwerin.     Kaufmnnn.     Mai  1870. 

Friedrich  Kedinff  aus  Maslow.     Landmann.     iSIichaclis   1870. 

Robert  Schneider  aus  Bülow-Burg.     Landmann.     Pfingsten   1870. 

Friedrich  Kliefoth  aus  Plate.     Polytechniker.     Juli   ls70. 

Adolph  von  Lfintjermann  aus  Schwerin.     Militäi-.     Johannis   1870. 

Knrl  von  Dörimj  aus  Setzin.     Militär.     Juli    IS7o. 

Ernst  Brnnnemnnn  aus  Lu(k\ritz.     Militär.     Ostern   1871. 

Ernst  IVdt/ner  aus  Zernin.     Landmann.     Ostern  1871. 

Carl  von   Pressentin  aus  Schwerin.     Landmann.     Pfingsten   1^70. 

Richard  (rarihe  aus  Schwerin.     Kaufmann.     Johannis  1870. 

JohanfU's   Diestel  aus  Ahrensb<>ck.     Landmann.     Michaelis   187«». 

Carl  Sinti  hol  aus  Schwerin.     Kaufmann.     Michaelis  1^70. 

Paul  Jf'illehrand  aus  Schwerin.     Landmann.     Johannis  1S70. 

Virich  von  Schaeh  aus  Brüsewitz.     Mihtär.     Johannis  1870. 

Carl  Ouvricr  aus  Güstrow.     Landmann.     O-^toin   1871. 

Hermann  Behncke  aus  Schwerin.     Kaufmann.     Ostern   IsTl. 

Otto  Nenmann  aus  Redefin.     Kaufmann.     Neujahr  1871. 

Adolph  von  Brrnsfor/J'  iiub  Schwerin.     Militär.     O.stern   1S71. 

Giistav  Jahn  aus  Schwerin.     Militär.     Juli   1870. 

Otto  Srhliemann  aus  Schwerin.     Kaufmann.     Johf^nni^    1^7o. 

Gustav  Wendt  aus  Schwerin.     Militär.     Ostern    1S71. 

F.rnsi  Störzel  aus  Schwerin.     Handelsschule  in  Lübeck.     Michaelis   1870. 

Hennimi  von  Sffnf/fin  aus  Schwerin.     Klosterschule  Rossleben.     Michaelis   1870. 

/V/w/  Stamer  aus  Perdöhl.     Piealschule.     Michaelis  187(K 

C'rtr/  vS^'Z/^/i/vV/' aus  Raden.     Realschule.     Ostern   1871.  ^ 

Carl  M'asmuth  aus  Witten])urg.     Schule  in  Ludwigslust.     Michaelis   1870. 

U'ilhplni  Schmidt  aus  Gägelow.     Realschule.     Ostern   1871. 

Carl  Richter  aus  Schwerin.     Realschule.     Ostern  1871. 

Ernst  Ouvrier  aus  Güstrow.     Realschule.     Ostern  1871. 


Aus  Cl.  H' 


!» 


Aus  Cl.  HP. 

Aus  Cl.  HP. 
Aus  Cl.  IV. 


\ 
I 


71 

Aus  Cl.  V.     Friedrich  Adolph  Schliemann  aus  Schwerin.     Thomasschule  in  Leipzig.    Johannis  1870. 

Friedrich  Undemann  aus  Schwerin.     Kaufmann.     Michaelis  1870. 

Moritz  Nathan  aus  Graaf-Reinet  in  Africa.    (iing  zurück  in  seine  Heimath.    Februar  1871, 
Aus  Cl.  VL    Paul  Sch?vahn  aus  Berlin.     Ging  zurück  in  seine  Vaterstadt.    Michaehs  1870. 
C.  Gestorben  ist  ein  Schüler,  der  Obertei-tianer  Paid  Reichhoff'  aus  Borkow.     s.  Nekr. 


Seliülcr 

1 A.     Ober-Prima. 


L  Heinrich  Evers  aus  Wittenburg. 

2.  Otto  Krasemann  aus  Rostock. 

2. 

3.  Adolph  Brandt  aus  Fahrbinde. 

4.  Ludwig  Mau  aus  Schwerin. 

5.  Richard  Barten  aus  Schwerin. 

6.  Richard  v.  Sprewitz  aus  Schwerin. 

7.  Ludwig  Thiessing  aus  Boizenburg. 

8.  Caesar  Rocliow  aus  Schwerin. 

9.  Wilhelm  v.  Bernstorff  aus  Schwerin. 
10.  (Jtto  Herricht  aus  Schwerin. 

IL  Meier  Cohn  aus  Oppeln.* 

12.  Eduard  Oesten  I.  aus  Mandelshagen. 

13.  Heinrich  Mulsow  aus  Ludwigslust. 

3. 
U.  Otto  Reinhardt  aus  Wittenburg. 
15.  Emil  Lobedanz  aus  Schwerin. 
lö.  Carl  Foth  aus  Sternberg. 

17.  Otto  Tapp  aus  Neese. 

18.  Carl  Stelzner  aus  Wismar.* 

19.  Albert  Oesten  H.  aus  Mandelshagen. 

20.  Rudolph  Hobein  aus  Schwerin. 

21.  (justav  Heuck  aus  Kützerhof. 

22.  Otto  Schwerdtfeger  aus  Schwerin. 

23.  Wilhcliii  Richter  aus  Crivitz. 

24.  Hugo  Kliefoth  aus  Schwerin. 

I B.     Unter-Prima. 

4. 

1.  Heinrich  Ribcke  aus  Plau. 

2.  Friedrich  v.  Stenglin  aus  Rostock.* 


VerzeicLüiss.  *) 

3.  Paul  Groth  aus  Schwerin. 

4.  Hermann  Settier  aus  Wittenburg. 


5. 


Friedrich  Burth  aus  Schwerin. 
0.  Wilhelm  Dittmann  aus  Schwerin, 

7.  Carl  Buchka  aus  Rostock.* 

8.  Heinrich  Lorenz  aus  Schwerin. 

9.  August  Lachmund  aus  Lilienthal.* 

10.  Feli.v  Löwenthal  aus  Schwerin. 

1 1 .  Carl  Lüth  aus  Brüel. 

12.  Ludwig  Müffelmann  aus  Schwerin. 

13.  Adolph  (jroth  aus  Schwerin, 
(histav  Xiemann  aus  Parchim.* 
Otto  Schwetzky  aus  Rehna.* 
Emil  Groth  aus  Kittendorf. 
Otto  Retters  aus  Schwerin. 


14. 
15. 
16. 
17. 


18.  Hugo  Wollf  aus  Schwerin. 

19.  Theodor  Schröder  aus  Qualitz. 

20.  Friedrich  Kerstenhann  aus  Zarrentin.* 


II A.     Ober-Secunda. 

L 

1.  Richard  Kurtztisch  aus  Schwerin. 

2.  Carl  Wöstenberg  aus  Dreibergen. 

3.  Johannes  Bauch  aus  Schwerin. 

4.  Victor  V.  Oertzen  aus  Doberan. 

5.  Carl  Schlüter  aus  Bahlenhüschen. 
0.  Hermann  Studemund  aus  Rehna. 

7.  Wilhelm  Möller  aus  Schwerin. 

8.  Paul  Müller  aus  Bützow. 

9.  F^ranz  Hurttig  aus  Ludwigslust. 

10.  Heinrich  Dittmann  aus  Schwerin. 

1 1 .  Johannes  Moltmann  aus  Schwerin. 

12.  Paul  Angerstein  aus  W^arin.* 

13.  Louis  Klipplmhn  aus  Schwerin. 


*)  Der  St«rn  bedeutet,  das8  die  Aeltern  jetzt  in  Schwerin  wohneD, 


N. 


72 


73 


14.  Friedrich  Lechler  aus  Barckow. 

15.  Friedrich  Riickert  aus  Ribnitz.* 

16.  Gustav  Bolbrügge  aus  Grabow. 

17.  Ernst  Brunneraann  aus  Luckwitz. 

2. 

18.  Fritz  Neumann  aus  Warnemünde.* 

19.  Max  Khefoth  aus  Ludwigslust. 

20.  Paul  Romberg  aus  Perhn. 

21.  Friedrich  v.  Oeynhausen  aus  Schwerin. 

22.  Willy  Eggers  aus  Melusiuenthal* 

23.  Hugo  Unruh  aus  Sudenhof. 

24.  Hermann  Rose  aus  Schwerin. 

25.  Otto  Friedheim  aus  Grevismühlen.  * 

26.  Hermann  Wachenhusen  aus  Schwerin. 

27.  Theodor  Bade  aus  Schwerin. 

28.  Johannes  Eichbaum  aus  Plan. 

29.  Gotthilf  Pitschner  aus  Lud^^^gslust. 

30.  Friedrich  Berg  aus  Alt-Gaarz. 

31.  Paul  Schlichting  aus  Prishch. 

32.  Max  Wolff  aus  Schwerin. 

33.  Ernst  Wagner  aus  Zernin. 

34.  Ernst  Brauer  aus  Ribnitz. 

35.  Adolph  Diestel  aus  Plüschow.  * 

II  B.     Unter  -  Secunda. 

1. 

1.  Wilhelm  Pfähler  aus  Schwerin. 

2.  Carl  Ladewig  aus  Crivitz. 

3.  Carl  Ouvrier  aus  Güstrow. 

4.  Hans  Bock  aus  Gross-Weltzien. 

5.  Albert  Koop  aus  Schwerin. 

6.  Gustav  Brückner  aus  Schwerin. 

7.  Friedrich  Wühler  aus  Schwerin. 

8.  Otto  Oertzen  aus  Schwerin. 

9.  Hermann  Belinike  L  aus  Schwerin. 

10.  Hugo  Krüger  aus  Schwerin. 

11.  Adolph  Hoppe  aus  Krakow. 

12.  Bernhard  Voss  aus  Schwerin. 

13.  Hans  Sandrock  aus  Schwerin. 

14.  Johannes  Wittenburg  aus  Grevenhagen. 

15.  Friedrich  Lechler  aus  Schwerin. 

16.  Carl  Pfaff  aus  Doberan.* 

17.  Gottfried  Dierking  aus  Schwerin. 


18.  Wilhelm  Behncke  H.  aus  Ludwigslust. 

19.  Max  Teetz  aus  Rosse witz.* 

20.  Carl  Stamer  mis  Perdöhl. 

2. 

2L  Carl  Willebrand  aus  Zapel. 

22.  Paul  Abesser  aus  Schwerin. 

23.  Hermann  Heuck  aus  Malchin. 

24.  Johannes  Romberg  aus  Periin. 

25.  Juhus  Weltzien  aus  Schwerin. 

26.  Heinrich  Holtermann  aus  Schwerin. 

27.  Christian  Drechsler  aus  Boizenburg.* 

28.  Carl  Schäffer  aus  Schwerin. 

29.  Walter  König  aus  Schwerin. 

30.  Hermann  Seidel  aus  Schwerin. 

31.  Julius  v.  Pritzbuer  aus  Ludwigslust.* 

32.  Carl  Steinkopff  aus  Schwerin. 

33.  Friedrich  v.  Langermann  aus  Dambeck. 

34.  Adolph  V.  Bernstorff  aus  Schwerin. 

35.  W^ilhelm  Jahn  aus  Ludwigslust.* 

36.  August  Wagener  aus  Satow. 


III A.     Ober-Tertia. 

1. 

1.  August  Ackermann  aus  Röbel* 

2.  Gustav  Wendt  aus  Parchim. 

3.  Arnold  Krieger  aus  Potsdam.* 

4.  Fritz  Degener  aus  Dewitz. 

5.  Louis  Glävecke  aus  Rostock. 

6.  Friedrich  v.  Hintzenstern  aus  Elmenhorst. 

7.  Rudolph  Wagener  aus  Satow. 

8.  Heinrich  Koch  aus  Gross-Raden.* 

9.  Ludwig  Hobein  aus  Schwerin. 

10.  Friedrich  Krefft  aus  Schwerin. 

1 1 .  Heinrich  v.  Oeynhausen  aus  Schwerin. 

12.  Carl  Drews  aus  Ludwigslust. 

13.  Emil  Barca  aus  Dargun.* 

14.  Louis  Wolff  aus  Schwerin. 

15.  Rudol])h  Kloemann  aus  Schwerin. 

2. 

16.  Adolph  Seemann  aus  Schwerin. 

17.  Gustav  Hesse  aus  Wittenburg. 


il 


18. 

19. 

20. 

21. 

22. 

23. 

24. 

25. 

26. 

27. 

28. 

29. 

30. 

31. 

32. 

33. 

34. 

35. 

36. 

37. 

38. 

39. 

40. 

41. 

42. 

43. 


Louis  Erhardt  aus  Gadebusch.* 
Franz  Krauss  aus  Schwerin. 
Franz  König  aus  Schwerin. 
August  Beyer  aus  Schwerin. 
Otto  Schumacher  aus  Kröpehn. 
Wilhelm  Speetzen  aus  Rampe. 
John  Hepworth  aus  Güstrow.* 
Martin  Eberhard  aus  Laage. 
Max  Schröder  aus  Carlshof. 
August  Albrecht  aus  Klinken. 
Heinrich  Ludwig  aus  Wittenburg. 
Carl  Kriel  aus  Dömitz. 
Carl  Krull  aus  Crivitz. 
Arnold  Eggers  aus  Melusineuthal.* 
Paul  Berwald  aus  Schwerin. 
Carl  Schulz  aus  Schwerin. 
Eduard  Range  aus  Schwerin. 
Gustav  Kerstenhann  aus  Zarrentiu.* 
Max  Schneider  aus  Bülow-Burg. 
Arnold  Cohen  aus  Schwerin. 
Harry  v.  Boddien  aus  Schwerin. 
Otto  Regenstein  aus  Schwerin. 
Claudius  Fischer  aus  Schwerin. 
August  Piper  aus  Döbbersen. 
Adolph  Piper  aus  Döbbersen. 
Gustav  Piper  aus  Pinnowhof.* 


HIB.     Unter -Tertia. 


1. 


1.  Heinrich  Peeck  aus  Barner-Stück. 

2.  Jan  Krieger  aus  Potsdam.* 

3.  Carl  Angerstein  aus  Warin.* 

4.  Friedrich  v.  Scheve  aus  Schwerin. 

5.  Friedrich  Schnapauff  aus  Klein-Wokern. 

6.  Carl  Rüst  aus  Kogel. 

7.  Hermann  Melchert  aus  Zapel. 

8.  Williclm  Litzrodt  aus  Brück 

9.  Bernhard  Schultz  L  aus  Gnoien. 
10.  Albert   Ihtlck  aus  Fahren. 

1  1 .  August  Witt  aus  Neustadt. 

12.  Ernst   Mciuck  aus  Malchin.* 

13.  Otto  Koch  aus  Toddin. 


14.  Richard  Abesser  aus  Schwerin. 

15.  Bernhard  Gaedkens  aus  Zarrentin. 

16.  Franz  Peters  aus  Schwerin. 

17.  Louis  Bauch  aus  Schwerin. 

18.  Gustav  Heuck  aus  Kützerhof. 

19.  W^erner  Görbitz  aus  Dargun.* 

20.  Friedrich  Flügge  aus  Schwerin. 

21.  Georg  Mau  aus  Schwerin. 

22.  Friedrich  W^alter  aus  Teterow. 

23.  Hermann  Erdmann  aus  Gross-Tessin. 

24.  Albert  Schultz  H.  aus  Schwerin. 

25.  Friedrich  Lenthe  aus  Schwerin. 

26.  Ludwig  V.  Langermann  aus  Schwerin. 

27.  Leopold  Kues  aus  Rostock.* 

28.  Ernst  Steinkopff  aus  Schwerin. 

29.  Gustav  Schall  aus  Schwerin. 


30.  Paul  Stelzner  aus  Wismar.* 

31.  Otto  Riemcke  aus  Hagenow. 

32.  Axel  Schmidt  aus  Parchim.* 

33.  Paul  Möller  aus  Schwerin. 

34.  Carl  Ehlers  L  aus  Kalkhorst. 

35.  Otto  Weltzien  aus  Schwerin. 

36.  Hermann  Buchka  aus  Rostock.* 

37.  Paul  Michaehs  aus  Starckow.* 

38.  Ernst  Diestel  aus  Ahrensböck. 

39.  Max  Hobein  aus  Schwerin. 

40.  Wilhelm  v.  Amsberg  aus  Rostock.  * 
4L  Ernst  Weidemann  aus  Seehof. 

42.  John  Jonas  aus  Schwerin. 

43.  Gustav  Ehlers  H.  aus  Kalkhorst. 

44.  Eugen  Juhus  aus  Rostock.* 

45.  August  Vielhaack  aus  Rastow. 

46.  Carl  Rugenstein  aus  Wittenförden. 

47.  Carl  Wallmann  aus  Grabow. 

48.  Gustav  Kleffel  aus  Suckow. 

49.  August  Grieffenhagen  aus  Schwerin. 

50.  Ludwig  Kliefoth  aus  Plate. 

51.  Wilhelm  Faull  aus  Schwerin. 

52.  Hermann  Wöstenberg  aus  Dreibergen. 

53.  Theodor  Aarons  aus  Schwerin. 

54.  Johannes  Petersen  aus  Boize. 

55.  Carl  Behncke  aus  Wismar.* 

56.  Otto  Brandt  aus  Neustadt. 

10 


I 


14 


/ 


15 


rv.     Quarta. 


Coetus  A. 

1. 

1.  Georg  Sanclrock  aus  Schwerin. 

2.  Walter  Schmidt  aus  Parchim.* 

3.  Johannes  Thiel  aus  Schwerin. 

4.  Jaspar  v.  ProUius  aus  Schwerin. 

5.  Paul  Krüger  aus  Schweiin. 

6.  Franz  Lindemann  aus  Schwerin. 

7.  Hans  Albrecht  Lehmeyer  aus  Schwerin. 

8.  Paul  Seidel  aus  Schweiin. 

9.  Theodor  Wahl  aus  Goldberg. 

10.  Friedrich  Dierking  aus  Schwerin. 

11.  Louis  Detmering  aus  Schwerin. 

12.  Arnold  Kues  aus  Rostock.* 

13.  Hermann  Willebrand  aus  Zapel. 

14.  Carl  Evers  aus  Barnin. 

15.  Ernst  Briissow  aus  Plau.^ 

16.  Albert  Rollenhagen  aus  Schwerin. 

17.  Hubert  v.  Stralendoi-fi'  aus  Golchen. 

18.  Conrad  Tiede  aus  Schwerin. 

19.  Carl  Steinkopff  aus  Raden. 

20.  Emil  Liss  aus  Röbel. 

21.  Wilhelm  Schmidt  aus  Gägelow. 

22.  Carl  Richter  aus  Schwerin. 

23.  Adolph  Stehi  aus  Boizenburg. 

24.  Arthur  Francke  aus  Neukloster. 

2. 

25.  Ernst  v.  Storch  aus  Rubow. 

26.  Arnold  Meyer  aus  Schwerin. 

27.  August  Fischer  aus  Schwerin. 

28.  Wilhelm  Kundt  aus  Schwerin. 

29.  Werner  v.  Brandenstein  aus  Balow.* 

30.  Rudolph  Piper  aus  Pinnowhof.* 

31.  Reinhard  Kade  aus  Dresden.* 

32.  Paul  Martens  aus  Bakendorf. 

33.  Otto  V.  Stenglin  aus  Schwerin. 

34.  Carl  Ernst  Alban  aus  Schwerin. 

35.  Carl  Ullrich  aus  Parchim.* 

36.  Victor  Pentz  aus  Volsrade.* 

37.  Felix  v.  Stenghn  aus  Schwerin. 

38.  Theodor  Khefoth  aus  Schwerin. 


Coetus  B. 

1. 

1.  Ernst  Barne witz  aus  Körchow.* 

2.  Johannes  Schmidt  aus  Schwerin. 

3.  Bernhard  Raven  aus  Celle.* 

4.  Friedrich  Jahn  aus  Schweiin. 

5.  Wilhelm  Wolfi"  I.  aus  Schwerin. 

6.  Paul  Fischer  aus  Wandrum. 

7.  Heinrich  Keding  aus  Maslow. 

8.  Pedro  Warncke  aus  Schwerin. 

9.  Siegfried  Lilienthal  aus  Schwerin. 

10.  Richard  Löwenthal  aus  Schwerin. 

11.  Georg  Pincus  aus  Schwerin. 

12.  Johannes  Engel  aus  Crivitz. 

13.  Arthur  Woltl'  II.  aus  Schwerin. 

14.  Carl  Herbst  aus  Medingen. 

15.  Rudolf  Stargardt  vom  Kalkwerder. 

16.  Gustav  Lange  aus  Schwerin. 

17.  Dietrich  Krieger  aus  Potsdam.* 

18.  Julius  Rudoljdn  aus  Schwerin. 

19.  Wilhelm  Peters  aus  Schwerin. 

2. 

20.  Carl  Burmeister  aus  Schwerin. 

21.  Ernst  Ouvrier  aus  (iüstrow. 

22.  Rudolf  Eberliardt  aus  Schv.erin. 

23.  Carl  Beutin  aus  Klein-Tessin.* 

24.  Gustav  Ahrenholz  aus  Schwerin. 

25.  Franz  Albrecht  aus  Schwerin. 

26.  Ludwig  Liittmann  aus  Oertzenliof. 

27.  Carl  v.  Abercron  aus  Grabow.* 

28.  Carl  Börncke  aus  Schwerin. 

29.  Hans  Kehrhalin  aus  Metein.* 

30.  Franz  Miihlenbruch  aus  Trutzlatz.* 

31.  Adolph  Klett  aus  Schwerin. 

32.  Gustav  v.  Henkel  aus  Kleefeld. 


Quinta. 

1. 

1.  Carl  v.  Koppelow  aus  Schwerin. 

2.  Adolph  V.  PruUius  aus  Schwerin. 


/ 


3, 
4. 
5. 
6. 
7. 
8. 
9. 
10. 
IL 
12. 
13. 
N. 
15. 
16. 
17. 
18. 
19. 
20. 
21. 
22. 
23. 
24. 
25. 
26. 
27. 
28. 
29. 
30. 
31. 
32. 


Friedricli  Meyer  aus  Schwerin.         | 
Martin  Rohrdantz  aus  Schwerin. 
Wilhelm   Teetz  aus  Jürgenshof.* 
Hermann  Sclmbart  aus  Gallentin.* 
Leopold  Sussmann  aus  Schwerin. 
Ernst  Prüter  aus  Schwerin. 
Joliannes  Köhler  aus  Roggendorf.* 
Moritz  Nathan  aus  Graf-Reinet  in  Alrica. 
Carl  Meinck  aus  Malchin.* 
Justus  Sandiock  I.  aus  Schwerin. 
ThcMxlor  Pincus  aus  Schwerin, 
(iustav  Rohm  .ins  Settin. 
Carl  Walzberg  aus  \'alparaiso. 
Eugen  Fahrenheim  aus  Schildfeld. 
Arnold  Schläht  aus  Bützow,* 
Alphons  v.  Boddien  aus  Schwerin. 
Alexander  tirolimann  aus  Schwerin. 
Hermann  ]*opj)e  aus  Hamburg.* 
Wilhehn  Aarons  :ius  Sclnvei-in. 
Emil  Lindeniann  aus  Schwedin. 
Hermann  Frenck  aus  Schwerin. 
Friedrich  Buchka  aus  Rostock.* 
Rudolph  Liefmann  aus  Scliwerin. 
Ernst  V.  Koj)pelow  aus  Schwerin. 
Paul  Sandrock  II.  aus  Sclnverin. 
Alexander  Wessel  aus  Schwerin. 
Carl  Stargardt  aus  Schwerin 
Heinrich   Klenz  aus  Krö})elin.* 
Wilhelm  Miihleiibruch  aus  Trutzlatz.* 
Carl  V.  Zülow  aus  Schwerin. 


33.  Carl  Lahr  aus  Schwerin. 

34.  Carl  Eichblatt  aus  Schwerin. 

35.  Bernhard  Abesser  aus  Lübeck.* 
:{6.  Iindolj)h  Bohn  aus  Schwerin. 

37.  Friedrich  Friese  I.  aus  Schwerin. 

38.  Carl  Dittmann  aus  Schwerin. 

39.  Carl  Hannover  aus  Schwerin. 

40.  Heinrich  Müller  aus  Schwerin. 

41.  Emil  Engel  aus  Crivitz. 

42.  Carl  Beste  aus  Schwerin. 

43.  Carl  Wünsch  aus  Schwerin. 

44.  Heinrich  Friese  II.  aus  Schwerin. 

45.  Carl  Kayser  aus  Schwerin. 


46.  Fritz  Krempien  aus  Diedrichshagen.* 

47.  Friedrich  Thiesseng  aus  Rostock.* 

48.  Friedrich  Dalitz  aus  Malchow.* 

49.  Richard  Modes  aus  Boizenburg.* 

50.  Friedrich  Flügge  aus  Boizenburg. 

51.  Ernst  Märcker  aus  TamjHen.* 

52.  Ernst  Henning  v.  Bassewitz  aus  Schwerin. 

53.  Friedrich  Klett  aus  Schlemmin. 

54.  Theodor  Jahn  aus  Schwerin. 

55.  Hermann  Stern  aus  Schwerin. 

56.  Friedrich  W^achenhusen  aus  Schwerin. 


Sexta. 


]. 


1. 

2, 

3. 
4. 


5. 


6. 

/. 

8. 

9. 
10. 
IL 
12. 
13. 
14. 
15. 
16. 
17, 


Otto  Pfeiffer  aus  Schwerin. 
Walter  Rüst  aus  Kogel. 
Heinrich  Bosselmann  aus  Liessow. 
Paul  Pincus  aus  Schwerin, 
Alexander  Otto  aus  Mainz.* 
Hans  Yollbrecht  aus  Sclnverin. 
Willy  v,  Oeynhausen  aus  Dömitz.* 
Victor  v.  Stenglin  aus  Schwerin. 
Albert  Krauss  aus  Rostock.* 
Hermann  Eggers  aus  Carlewitz.* 
Ludwig  Behrens  aus  Zietlitz.* 
Franz  Leitmann  aus  Schwerin. 
Otto  Herr  aus  Wittenburi2:. 
Ludwig  Herr  aus  Wittenburg. 
Heinrich  Schmidt  aus  Wittenburg. 
Helmuth  Franck  aus  AVittenburg. 
August  Abesser  aus  Lü])eck.* 


18.  Carl  Ditz  aus  Ludwigslust.* 

19.  Johannes  Wedemeyer  aus  Neu-Lübtheen. 

20.  Friedrich  Zickermann  aus  Sülz.* 

21.  Adoljih  Mumme  aus  Schwerin. 

22.  Franz  v.  Bülow  aus  Frankfurt  a.  M,* 

23.  Johannes  Schmidt  aus  Parchim,* 

24.  Martin  Overlach  aus  Petersburg.* 


\ 


D 


74 


rV.     Quarta. 


Coetus  A. 

1. 

1.  Georg  Sanclrock  aus  Schwerin. 

2.  Walter  Schmidt  aus  Parchim.* 

3.  Johannes  Thiel  aus  Schwenn. 

4.  Jaspar  v.  ProUius  aus  Schwerin. 

5.  Paul  Krüger  aus  Schwenn. 

6.  Franz  Lindemann  aus  Schwerin. 

7.  Hans  Albrecht  Lehmeyer  aus  Schwerin. 

8.  Paul  Seidel  aus  Schwenn. 

9.  Theodor  Wahl  aus  Goldberg. 

10.  Friedrich  Dierking  aus  Schwerin. 

11.  Louis  Detmering  aus  Schwerin. 

12.  Arnold  Kues  aus  Rostock.* 

13.  Hermann  Willebrand  aus  Zapel. 

14.  Carl  Evers  aus  Barnin. 

15.  Ernst  Briissow  aus  Plau.* 

16.  Albert  Rollenhagen  aus  Schwerin. 

17.  Hubert  v.  Stralendoi-fi"  aus  Golchen. 
IS.  Conrad  Tiede  aus  Schwerin. 

19.  Carl  Steinkoptt'  aus  Raden. 

20.  Emil  Liss  aus  R()bel. 

21.  Wilhelm  Schmidt  aus  Gägelow. 

22.  Carl  Richter  aus  Schwerin. 

23.  Adolph  Stein  aus  Boizenburg. 

24.  Arthur  Francke  aus  Neukloster. 

2. 

25.  Ernst  v.  Storch  aus  Rubow. 
2t).  Arnold  Meyer  aus  Schwerin. 

27.  August  Fischer  aus  Schwerin. 

28.  Wilhelm  Kundt  aus  Schwerin. 

29.  Werner  v.  Brandenstein  aus  Balow.* 

30.  Rudolph  Pipor  aus  Pinnowhof.* 

31.  lleinhard  Kade  aus  Dresden.* 

32.  Paul  Martens  aus  Bakendorf. 

33.  Otto  V.  Stenglin  aus  Schwerin. 

34.  Carl  Ernst  Alban  aus  Schwerin. 

35.  Carl  Ullrich  aus  Parchim.* 

36.  Victor  Pentz  aus  Vulsrade.* 

37.  Fehx  v.  Stenghn  aus  Schwerin. 

38.  Theodor  Kheioth  aus  Schwerin. 


Coetus   B. 


1. 


1. 

2. 

3. 

4. 

5. 

6. 

7. 

8. 

9. 
10. 
11. 
12. 
13. 
14. 
15. 
16. 
17. 
18. 
19. 


20. 
21. 

*)9 


23. 
24. 
25. 
26. 
27. 
28. 
29. 
30. 
31. 
32. 


Ernst  Barnewitz  aus  Körchow.* 
Johannes  Schmidt  aus  Schwerin. 
Bernhard  Raven  aus  Celle.* 
Friedrich  Jahn  aus  Schwenn. 
Wilhelm  Wolfl'  I.  aus  Schwerin. 
Paul  Fischer  aus  Wandrum. 
Heinrich  Keding  aus  Maslow. 
Pedro  Warncke  aus  Schwerin. 
Siegfried  Lilienthal  aus  Schwerin. 
Richard  Löwenthal  aus  Schwerin. 
Georg  Pincus  aus  Schwerin. 
Johannes  Engel  aus  Crivitz. 
Arthur  Wolff  II.  aus  Schwerin. 
Carl  Herbst  aus  Medini^cn. 
Rudolf  Stargardt  vom  Kalkwerder. 
Gustav  Lange  aus  Schwerin. 
Dietrich  Krieger  aus  Potsdam.* 
Julius  Rudolphi  aus  Schwerin. 
Wilhelm  Peters  aus  Schwerin. 

2. 

Carl  Burmeister  aus  Schwerin. 
Ernst  Ouvrier  aus  Güstrow. 
Rudolf  Eberhardt  aus  Schv.erin. 
Carl  Beutin  aus  Klein-Tessin.* 
Gustav  Ahrenholz  aus  Schwerin. 
Franz  Albrecht  aus  Schwerin. 
LudAvig  T^üttmann  aus  Gertzonhof. 
Carl  V.  Abercron  aus  Grabow.* 
Carl  Börncke  aus  ScIi worin. 
Hans  Kehrhalm  aus  Metein.* 
Franz  Miihlenbruch  aus  Trutzlatz.* 
Adolph  Klett  aus  Schwerin. 
Gustav  V,  Henkel  aus  Kleefeld. 


Quinta. 


1. 


/ 


JN 


V» 

L 


■1 


1.  Carl  V.  Koppelow  aus  Schwerin. 

2.  Adolph  V.  Prollius  aus  Schwerin. 


; 


3.  Friedrich  Meyer  aus  Schwerin. 

4.  Martin  Rohrdantz  aus  Schwerin. 

5.  Wilhelm  Teetz  aas  Jürgenshof.* 

6.  Hermann  Schu))art  aus  Gallentin.* 
T.  Leopold  Sussmann  aus  Schwerin. 

8.  Ernst  Prüter  aus  Schwerin. 

9.  Johannes  Köhler  aus  Roggendorf.* 

10.  Moritz  Nathan  aus  Graf-Reinet  in  Al'rica, 

11.  Carl  Meinck  aus  Malchin.* 

12.  Justus  Sandrock  I.  aus  Schwerin. 

13.  Theodor  Pincus  aus  Schwerin. 

14.  Gustiiv  Rohm  aus  Settin. 

15.  Carl  Walzberg  aus  Valparaiso. 

16.  Eugen  Fahrenheim  aus  Schildfeld. 

17.  Arnold  Schläht  aus  Bützow.* 

1 8.  Alphons  V.  Boddien  aus  Schwerin. 

19.  Alexander  Grohmann  aus  Schwerin. 

20.  Hermann  Poppe  aus  Hamburg.* 

21.  Wilhelm  Aaruns  aus  Schwerin. 

22.  Emil  Lindeniann  ans  Schwerin. 

23.  Hermann  Frenck  aus  Schwerin. 

24.  Friedrich  Buchka  ans  Hostock.* 

25.  Rudolph  Liefuiann  aus  Schwerin. 

26.  Ernst  v.  Koi)pelow  aus  Schwerin. 

27.  Paul  Sandrock  II.  aus  Schwerin. 

28.  Alexander  Wessel  aus  Schwerin. 

29.  Carl  Stargardt  aus  Schwerin 

30.  Heinrich  Klenz  aus  Kröpelin.* 

31.  Wilhelm  Miihlenbruch  aus  Trutzlatz.* 

32.  Carl  v.  /üluw  aus  Schwerin. 

2. 

33.  Carl  Lahr  aus  Schwerin. 

34.  Carl  Eichblatt  aus  Schwerin. 

35.  Bernhard  Abesser  aus  Lübeck.* 

36.  Rudolph   Polin  aus  Schwerin. 

37.  Friedricli   l'rie^e  1.  aus  Schwerin. 

38.  Carl  Dittinaun  aus  Schwerin. 

39.  Carl  Hannover  aus  Schwerin. 

40.  Heinrich  Müller  aus  Schwerin. 

41.  Emil  Engel  aus  Crivitz. 

42.  Carl  Beste  aus  Schwerin. 

43.  Carl  Wünsch  aus  Schwerin. 

44.  Heinrich  Friese  II.  aus  Schwerin. 

45.  Call  Kavser  aus  Schwerin. 


15 


46.  Fritz  Krempien  aus  Diedrichshagen.* 

47.  Friedrich  Thiesseng  aus  Rostock.* 

48.  Friedrich  Dalitz  aus  Malchow.* 

49.  Richard  Modes  aus  Boizenburg.* 

50.  Friedrich  Flügge  aus  Boizenburg. 

51.  Ernst  Märcker  aus  Tampien.* 

52.  Ernst  Henning  v.  Bassewitz  aus  Schwerin. 

53.  Friedrich  Klett  aus  Schlemmin. 

54.  Theodor  Jahn  aus  Schwerin. 

55.  Hermann  Stern  aus  Schwerin. 

56.  Friedrich  Wachenhusen  aus  Schwerin. 


Sexta. 


1. 

1.  Otto  Pfeiffer  aus  Schwerin. 

2.  Walter  Rüst  aus  Kogel. 

3.  Heinrich  Bosselmann  aus  Liessow.* 

4.  Paul  Pincus  aus  Schwerin. 

5.  Alexander  Otto  aus  Mainz.* 

6.  Hans  Vollbrecht  aus  Schwerin. 

7.  Willy  V.  Oeynhausen  aus  Dömitz.* 

8.  Victor  V.  Stenglin  aus  Schwerin. 

9.  Albert  Krauss  aus  Rostock.* 

10.  Hermann  Eggers  aus  Carlewitz.* 

11.  Ludwig  Behrens  aus  Ziethtz.* 

12.  Franz  Leitmann  aus  Schwerin. 

13.  Otto  Herr  aus  Wittenburür. 

14.  Ludwig  Herr  aus  Wittenburg. 

15.  Heinrich  Schmidt  aus  Wittenburg. 

16.  Helnmth  Franck  aus  Wittenbursr. 

17.  August  Abesser  aus  Lübeck.* 


18.  Carl  Ditz  aus  Ludwigslust.* 

19.  Johannes  Wedemeyer  aus  Neu-Lübtheen. 

20.  Friedrich  Zickermann  aus  Sülz.* 

21.  Adolph  Mumme  aus  Schwerin. 

22.  Franz  v.  Bülow  aus  Frankfurt  a.  M.* 

23.  Johannes  Schmidt  aus  Parchim.* 

24.  Martin  Overlach  aus  Petersburg.* 


\ 


w 


25.  Martin  Langcnbeck  aus  Schönhof.* 

26.  Friedrich  v.  Arnsberg  aus  Schwerin. 

27.  ^Villy  Masius  aus  Schwerin. 
2S.  Edmund  Soltau  aus  Schwerin. 

29.  Magnus  v.  Abercron  aus  Grabow.* 

30.  Reimar  v.  Koppelow  aus  Schwerin. 

31.  Adolph  Brumm  aus  Perlin. 


32.  Emil  Dittmann  aus  Schwerin. 

33.  Hermann  Sandrock  aus  Schwerin. 

34.  August  Burih  aus  Schwerin. 

35.  Theodor  Fischer  aus  Schwerin. 

36.  Werner  Kues  aus  Rostock.* 

37.  Franz  Mahncke  aus  Schwerin. 

38.  Peter  Gaettens  aus  Alt-Gaarz.* 


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JAIIIIESBEKICIIT 


ÜBER   DAS 


GYMNASIUM   rßlMRICIANüM 


VON   OSTEHX    1S7I    BIS   EBENDAHIN    IS72 


WOMIT 


ZUR  ÖFFENTLICHEN  PRÜFUNG  SÄMMTLICHER  OLASSEN 

WELCHE  AM    21.   INI)   22.   MÄRZ  GEHALTEN  WERDEN  SOLL      ^ 


CrEHURSAMST    EINLADET 


Bi.  WILHELM  BÜCHMBR 

DIRECTOli. 


3 


i 


INHALT:     l.    ÜOMEKISCHE   STUDIEN.     ABH.  11.      DIE    SAGEN    VON    ILION    UND    IHRE    VER- 

RKEITUNG  NACH  lONIEN.     HOMER  UND  KREOPHYLOS.     VON  W.  BÜCHNER. 
2.    SCHULNACHRICHTEX.     VON  DEMSELBEN. 


Schwerin.     1872. 

GEDRUCKT    IN    DER    HOFBUCHDRITKEREI    VON    Dil.  F.  W.  RÄKENSPRUNG. 


Anordnung  der  Prüfung. 


v^vrv/^  '  ^y^  *  \y\.^>-^^-*'\^ 


A.   Donnerstag,  den  21.  Mäiz,  am  8  Uhr: 
Gesang  aller  Classen.     Morgengebet. 

Ober -Prima  8^/4  —  9  Uhr. 

Religion  Oberlehrer  Brunzlow, 

Hoiat.  Dr.  Latendorf. 

Uuter-Prima  9  —  10  Uhr. 


Griechisch 
Französisch 


Dr.  Meyer. 
Lehrer  Brauns. 


Ober-8ecim(la  10»M  — H  Uhr- 

Mathematik  Dr.  Bastian. 

Üuter-Secumlrt  11  —  12  Uhr. 

Cicero  Dr.  Meissner. 

Xenophou  Dr.  Meissner. 

Ober-Tertia  '^h*  —  4  Uhr. 

Xenophou  Or.  Schmidt. 

Uuter -Tertia  4-5  Uhr. 

Lateinisch  Dr.  Sellin. 


Geschichte 


Oberlehrer  Brunzlow. 


B.    Freitag,  Uen  22.  März,  um  8V4  Uhr: 

Quarta  A.  8 1/4  — 9  Uhr. 

Griechisch  Lehrer  Baniberger, 

Rechnen  Lehrer  Brandt. 

Quarta  B.  9— H>  Uhr. 

Lateinisch  Lehrer  Bamberyer. 

Griechisch  Lehrer  Bamberger. 

Quinta  lOU— II   Uhr. 
Lateinisch  Lehrer  Beckmann. 

Sexta  11  —  12  Uhr. 

Lateinisch  Lehrer  Stahl. 

Rechnen  Lehrer  Brandt. 

Um  12  Uhr: 

Entlassung  der  Abiturienten.     Versetzung  sauiiathcher 
Classen.     Vertheilung  der  Densuren. 


I 


/ 


1 


Der  Unterricht  im  Sommersemester  beginnt  am  Montag  den  h.  Aj-ril  um  8  Uhr.  Dje  in  das  Gymnaaium  aulzu- 
nehmeudeu  einheimischen  Knaben  werden  ausnahmsweise  schon  am  Sonnabend  den  23.  März  Irüh  um  8  Uhr  von  nur 
geprüft  werden.  Die  Knaben  haben  ihre  pro  Ostern  a.  c.  erhaltenen  Schulcensuren.  so  wie  auch  ihre  Taufscheine  mitzu- 
bringen. Die  auswärtigen  Knaben  dagegen  haben  sich  erst  am  Sonnabend  den  6.  April  zur  Prüfung  früh  um  8  Uhr  em- 
zuhnden.     Das  Prüfung^^local  ist  an  Gymnasium  Fndencianum. 

Director   Dr.  Büchner. 


IL  Abliandluug. 


§•  1. 

Saerenspuron  in  der  Troischen  Ebene. 

Die  Ejcistonz  IHons  und  dessen  durcli  die  vereinten  Griechen  erfolgte  Zerstörung  muss  auf 
Grund  der  in  der  vorigen  Abhandlung  gewonnenen  Resultate  als  ein  historisches  Factum  gelten. 
Wann  solches  stattgefunden,  ist  nur  annähernd  zu  vermuthen;  eine  feste  chronologische  Bestimmung 
liegt  ausserhalb  der  MögUchkeit  und  kann  auch  gänzhch  entbehrt  werden,  da  sie  für  die  Forschung 
selbst  nicht  weiter  von  Belang  ist.  Fest  steht,  dass  die  P^rinnerung  an  den  Troianischen  Krieg 
durch  das  ganze  Altertlium  hindurch  stets  lebendig  geblieben,  und  dass  derselbe  als  historisch  von 
Niemand  in  Zweifel  gezogen  worden  ist.  Allein  in  hohem  Grade  befremdend  muss  es  erscheinen, 
dass,  während  jener  Hergang  in  ganz  Griechenland,  auf  den  Inseln  und  selbst  in  dem  fernen  Itahen 
zu  allen  Zeiten  das  lebhafteste  Interesse  rege  erhalten  hat,  gerade  in  der  Troischen  Ebene  selbst, 
wo  man  doch  nach  Jahrhunderten  noch  die  bestimmtesten  Ueberlieferungen  hätte  erwarten  sollen, 
Uli-  das  (iegentheil  davon  entgegentritt;  nirgends  findet  sich  eine  spärlichere  Erinnerung  an  Ilion 
und  dessen  Untergang,  als  unter  den  späteren  Bewohnern  derselben  Gegend,  welche  einst  Zeuge  der 
Zerstörung  der  Stadt  gewesen  war.  Vergegenwärtigen  wir  uns  die  eingehenden  Untersuchungen, 
welche  im  Altertlium  von  dem  Demetrius  aus  Skepsis,  von  der  Hestiaea  aus  Alexandria  Troas,  von 
Hellanicus  aus  Mitylene  und  Anderen  persönlich  an  Ort  und  Stelle  angestellt  worden  sind,  und  er- 
wägen wir  deren  Ausbeute,  so  treten  zwar  Ansichten,  Meinungen  und  Vermuthungen  der  verschie- 
densten Art  zu  Tage,  aber  nirgends  findet  sich  an  irgend  einem  Punkte  der  Ebene  eine  so  fest 
ausgeprägte  Ueberlieferung,  dass  die  Forschung  im  Stande  wäre,  solche  grundleghch  zu  machen 
und  von  ihr  ausgehend  weiter  zu  schhessen.  Wo  das  alte  Ilion  gelegen,  bleibt  jenen  Forschern  ein 
völliges  Räthsel,  untl  auch  am  Strande  des  Hellespont  wissen  sie  nur  einige  wenige  auf  das  Heer 
der  Griechen  bezügliche  Punkte  namhaft  zu  machen,  welche  sich  im  Volksmunde  erhalten  hatten. 
Dennoch  müssen  wir  ihnen  wegen  der  Angabe  sowohl  jener  als  auch  noch  anderer  OertHchkeiten 
dankbar  sein,  da  diese  es  smd,  durch  welche  die  nachstehende  Untersuchung  hauptsächhch  bedingt 
wird.  Es  ist  hierauf  ehi  um  so  grösseres  Gewicht  zu  legen,  je  weniger  die  bisherigen  Homerischen 
Studien  auf  jene  befremdliche  Erscheinung  ihr  Augenmerk  gerichtet  haben. 

Wagen  wir  es  uns  in  die  Zeit  zurück  zu  versetzen,  als  Ilion  buchstabüch  in  Schutt  und 
Asche  lag,  so  muss  sich  unter  den  Ueberlebenden  das  Andenken  an  die  Zerstörung,  so  wie  an  Alles, 
Wii>  ihr  voraufgegangen,  in  zwiefacher  Richtung  wahrheitsgetreu  erhalten  haben,  einmal  unter 
denen,   welche  dem  Verderben  entronnen  sich  in  die  nächste  Umgebung,  also  in  die  unzugänghchen 

1 


2    

Schluchten  des  Idagebirges  gerettet  und  nach  Abzug  des  feindlichen  Heeres  in  ihre  alten  Sitze  zu- 
rückbegeben hatten,  und  dann  unter  denen,  welche  diese  auf  immer  vei-liessen;  jene  bestanden  lediglich 
aus  Troern,  zu  diesen  gehörten  zugleich  Sieger  und  Besiegte. 

Richten  wir  unser  Augenmerk  zuerst  auf  die  zurückgebliebenen  Troer,  so  ergiebt  sich 
mit  innerer  Nothwendigkeit,  dass  diese,  welche  alle  GrUuel  und  Schrecken  des  Krieges  mit  durch- 
gemacht, bei  der  Fortpflanzung  der  Hauptereignisse  sich  in  vollständiger  Uebereinstinnnung  mit 
einander  befunden  haben  werden;  sie  hatten  die  Ankunft  der  feindlichen  Flotte  mit  ihren  fürstlichen 
Führern  in  frischem  Gedächtniss,  sie  kannten  genau  den  Ort  der  Landung,  sie  wussten  von  dem 
Zweikampf  des  Hector  und  Achilles  zu  erzählen  und  konnten  umständlich  den  Tod  des  ersteren 
berichten;  sie  hatten  den  Heimgang  des  Achilles  und  den  Selbstmord  des  Aiax  erlebt  und  waren 
endlich  Zeuge  gewesen  von  der  Eroberung  der  Stadt  selbst.  Bei  der  weiteren  Ueberlieferung  dieser 
Hauptsachen  waren  wesentliche  Abweichungen  und  Umgestaltungen  oder  auch  fremde  Zuthaten  nicht 
möghch,  so  lange  die  Augenzeugen  selbst  noch  lebten.  Erst  in  den  nächstfolgenden  Generationen, 
nachdem  die  persönliche  Zeugenschaft  erloschen,  sind  Ausschmückungen  hinzugekommen.  Durch 
diese  pflegen  historische  Thatsachen,  je  weiter  sie  in  das  Alterthum  zurückweichen,  sich  allmälig  in 
die  Hülle  der  Sage  zu  kleiden  und  in  dieser  unverändert  so  lange  zu  verharren,  als  mit  den  Orten 
nnd  Verhältnissen,  an  denen  sie  haften  und  unter  denen  sie  existiren,  keinerlei  Veränderung  vor- 
geht. Nur  wenn  die  Orte  selbst  aus  mechanischen  oder  andern  Ursachen  andere  Formen  annehmen 
und  sich  umgestalten,  oder  wenn  ein  wesenthcher  Wechsel  der  Bewohner  derselben  eintritt,  schrumpft 
auch  die  Sage  wieder  zum  kleinsten  Kern  zusanmien  und  verschwindet  zuletzt  gänzhch.  Beispiele 
davon  bietet  die  alte  Sagenwelt  und  selbst  die  Geschichte  zur  Genüge.  Um  Nahehegendes  kurz 
anzuführen,  so  sind  in  unserem  engern  Vaterlande  die  heiligen  Orte,  wo  in  grauer  Vorzeit  das 
prophetische  weisse  Boss  gezüchtet  wurde  (cf.  Tac.  Germ.  c.  lo),  auch  nachdem  der  altß 
Glaube  dem  wahren  Glauben  längst  gewichen  war,  sicherhch  noch  Jahrhunderte  hindurch  von  dem 
Volke  gekannt  und  mit  stummer  Scheu  betrachtet  worden  und  haben  erst,  nachdem  im  Laufe  der 
Zeit  dre  wesenthchsten  localen  Umgestaltungen  und  Veränderungen  vorgenommen  worden  waren, 
dem  Volksbewusstsein  so  vollständig  sich  entzogen,  dass  Niemand  heut  zu  Tage  in  den  Namensüber- 
resten die  alten  Volksheiligthümer  wiedererkennt,  und  dass  es  neuerdings  ei-st  der  gelehrten  Forschung 
bedurft  hat,  die  dunkeln  Spuren  davon  überzeugend  nachzuweisen  i). 

Dieser  Hergang  tritt  vorzugsweise  an  den  Sagenresten  in  der  Troischen  Ebene  deutlich  zu 
Tage;  bereits  im  Alterthum  linden  wir  Alles  in  so  dichten  Nebel  gehüllt,  ja  so  tief  in  die  Vergessen- 
heit vergraben,  dass  wir  ohne  Uebertreibung  behaui)ten  können,  die  alte  Welt  habe  über  Alles,  was 
in  der  Ebene  einst  vorgegangen,  aus  derselben  nur  wenig  mehr,  als  wir,  zu  entnehmen  vermocht; 
denn  Alles,  was  aus  ihr  uns  entgegentönt,  ist  unbedeutend  und  geradezu  nichtssagend,  und  nur  dem 
Glänze  der  homerischen  Poesie  ist  es  vorbehalten  gewesen,  eine  Urzeit  der  Ebene  hervorzuzaubern, 
von  welcher  diejenigen,  die  sie  zur  Zeit  des  Dichters  bewohnten,  nicht  die  geringste  Vorstellung 
mehr  hatten.  Zwischen  den  Punkten  selbst  aber,  an  denen  einst  noch  einige  Pieste  historischer 
Ueberheferung  mehr  oder  weniger  erkennbar  waren,  fand  schon  im  Alterthum  ein  merklicher  Unter- 
schied statt.  Die  an  dem  HcUespont  gelegenen  Todtenhügel  waren  stets  unverändert  dieselben 
und  für  Jedermann  sichtbar  gebheben,  und  die  an  ihnen  haftenden  Ueberlieferungen  konnten  also 
von  Geschlecht  zu  Geschlecht  unverändert  fort  existiren ;  dasselbe  galt  von  dem  Meeresufer,  wo  einst 
die  feindhche  Flotte  Aufstellung  gefunden.     Denn   war   auch    speciell  die  Stelle,   wo  die  Schiti'e  ge- 


')  Das-5  in  dem  Namen  Schwerin  (Thiergarten;  in  Verbindung  mit  den  Namen  Dierhagen  und  Ostorf 
(Horsedorf,  d.  i.  PierdedorQ  uralte  Ueberreste  des  schon  von  Tacitus  erwähnten  Cults  zu  finden  sind,  hat  die  gelehrte 
Forsoliung  des  Arclüvrath  Dr.  Beyer  zu  Schwerin  überzeugend  dargethan. 


I 


standen  ivaiarui^uog),  dem  Gedächtniss  nach  und  nach  entschwunden,  so  musste  sie  doch  in  der 
Bucht  zwischen  dem  Sigeum  und  Bhoeteum  gesucht  werden,  und  die  Sage  haftete  ganz  allgemein 
an  dein  Strande,  gleichviel  ob  derselbe  in  einer  Ausdehnung  von  einer  oder  von  zwei  Meilen  ge- 
dacht wurde.  Dahingegen  wo  war  die  Stelle,  auf  der  einst  Ilion  gestanden?  Schon  Homer 
wusste  es  nicht  mehr  zu  sagen  und  darum  verlegt  er  die  Stadt  ganz  allgemein  in  die  Mitte 
der  Ebene,  cf.  Abb.  I,  p.  32,  sqcp  Es  ist  für  den  Verlauf  der  Untersuchung  durchaus  noth- 
wendig,  sich  über  das  Befremdliche  dieser  Erscheinung  wo  möglich  Licht  zu  verschaffen. 

Die  einfache  Annahme,  da^s  die  völhge  Veränderung,  welche  nach  der  Zerstörung  der  Stadt 
mit  dem  Locale  vorgegangen,  das  \'erschwinden  jeglicher  Erinnerung  zuwege  gebracht,  ist  allein 
nicht  ausreichend;  denn  die  Sage  von  Bion  und  dessen  Schicksal  lebte  in  der  Ebene  und  die 
aus  dem  Brande  Geretteten  müssen  unter  allen  Umständen  noch  geraume  Zeit  hindurch  die  Stätte 
der  Stadt  trotz  ihrer  völligen  Umgestaltung  genau  gekannt  haben.  Um  das  völlige  Vergessen  des 
Locals  zu  bewirken,  müssen  denniach  noch  andere  Gründe  massgebend  gewesen  sein.  Nun  aber 
wissen  wir,  dass  es  eine  Ueberzeugung  des  ganzen  Alterthums  war,  Ilion  sei  einzig  und  allein 
dem  Zorn  der  Juno  zum  Opfer  gefallen,  eine  Ueberzeugung  welche  Homer  vollständig  theilt 
und  als  Grundmotiv  für  die  Vernichtung  geltend  macht;  cf  Biad.  IV,  25,  sqq.  Denselben  Glauben 
und  dieselbe  Ueberzeugung  hegten  auch  diejenigen  Troer,  die  nach  dem  Abzüge  der  Sieger  aus  den 
Schluchten  der  Ida  in  die  Ebene  zurückkehrten  und  sie  wieder  in  Besitz  nahmen;  sie  mussten  ihn 
hegen,  weil  er  durch  die  religiösen  Vorstellungen  des  Alterthums  geboten  war.  Wir  wessen  ferner, 
dass  nach  aUer  Sitte  über  die  Stätten  eroberter  und  zerstörter  Städte  die  Pflugschaar  gezogen  (cf 
Horat.  I,  K),  21),  und  da>s  ausserdem  die  stärksten  Flüche  ausgesprochen  wurden,  zur  Warnung, 
solche  Orte  niemals  wieder  zu  Wohnsitzen  von  Menschen  zu  machen.  Dass  solches  auch  in  Bezug 
auf  Ilion  geschehen  sei,  behauptete  schon  das  Alterthum;  cf  Strab.  XIII,  p.  112.     ftxa^oj'fft  de,  zoig 


Gleichviel  nun,  ob  Agamemnon  die  Verfluchung  wirkhch  ausgesprochen  oder  nicht,  so  enthält  doch 
jener  Glaube  selbst  genügende  Beweiskraft  für  die  Richtigkeit  der  Annahme,  dass  die  überleben- 
den Troer  den  Ort  des  Unheils,  auf  dem  so  sichtbar  der  Zorn  der  Gottheit  geruhet, 
nicht  wieder  aufgebauet  haben.  War  diess  aber  der  Fall,  so  erklärt  es  sich  ganz  von  selbst, 
dass,  nachdem  das  meineidige  Geschlecht  des  Ilus  mit  Priamus  seinen  Untergang  gefunden,  der 
rechtmässige  Herrscherstamm  unter  Aeneas  (cf  I,  p.  40,  sqq.)  es  vorzog,  die  vom  Zorn  der  Götter 
so  schwer  betroffene  Ebene  überall  zu  verlassen  und  in  fernen  Landen  sich  eine  neue  Herrschaft 
zu  grüi.den;  er  brachte  den  uralten  Spruch,  Troia  dürfe  au  der  alten  Stelle  niemals  wieder 
aufgebauet  werden,  mit  nach  Italien  und  gab  hier  die  Veranlassung,  die  neugegründete  Tiber- 
stadt, welche  unter  ganz  gleichen  VerhäUnissen  inmitten  der  Tibermoräste,  wie  einst  Bion  in  der 
Sumpfebene,  sich  erhob,  nur  mit  dem  Allgemeinnamen  der  Stärke,  nicht  aber  mit  dem  ihr  zu- 
kommenden Ilion  zu  benennen.  Ebenso  haben  die  zurückgebUebenen  Troer  aus  Scheu  vor  der 
Gottheit  es  nicht  gewagt,  ihre  Stadt  an  der  alten  Stelle  wieder  herzustellen;  auch  sie  haben  sich 
30  Stadien  östhch  vom  alten  Ilion,  dort  wo  der  vielgenannte  Berghals  aus  der  Dardanischen  Ebene  sich 
in  die  Troische  hineinzuziehen  beginnt,  fast  am  Fusse  der  alten  Kalhcolone  niedergelassen,  haben 
aber  diese  neue  Niederlassung  weder  Ilion  genannt,  noch  ihr  den  Namen  einer  Stadt,  7io?ug, 
sondern  nur  den  eines  Dorfes  {xiufir^  Uuwv)  beigelegt;  cf  Strab.  p.  99.  103.  106.  Unter  diesen 
also  muss  sich  die  Kunde,  wo  einst  Ilion  gestanden,  geraume  Zeit  hindurch  erhalten  und  fortge- 
pflanzt haben,  und  wären  allhier  die  alten  Forscher  den  Ueberheferungen  der  Vorzeit  sorglich 
nachgegangen,   so    hätten   sie  vielleicht  noch  Spuren  und  Ueberreste  alter  Verhältnisse  aufgefunden. 

1* 


In  der  Voi-stelluDg  der  Dori-Ilienser  uuu  galt  die  Area  des  alten  Ilion  ganz  bestimmt  als  ein 
XWQiov  xaxäQcnov,  dessen  ursprünglichen  Namen  (lliou)  sie  nicht  einmal  auszusprechen  sagten, 
boudern  ihm  im  Gegensatze  zu  ihrer  xw//^  nur  die  exceptionelle  Bezeichnung  dio^iuiu  ßaoUrog 
( cf.  IL  XXIV,  fin.)  beilegten.  Der  Name  Ilion  schwebte  abgeUist  vom  Locale  gleichsam  m  der  Luft 
über  der  Ebene;  der  Duft  der  Sage  allein  pflanzte  ihn  fort  und  der  specielle  Ort  als  Träger  der 
Sage  wurde  vergessen.  So  stand  es  bereits  zur  Zeit  des  Homer,  und  hierin  liegt  nichts  Auftalhges. 
Man  nimmt  heut  zu  Tage  an,  dass  der  Dichter  zwischen  dem  9.  und  S.  Jahrhundert  a.  C.  gelebt 
und  gesungen  hat,  eine  Annahme,  die  sich  weiter  unten  als  vollkommen  zulässig  und  glaubwürdig 
erweisen  wird.  Demnach  hat  die  Zerstörung  Ihons  nündestens  um  mehrere  Jahrhunderte  früher,  also 
übereinstimmend  mit  der  vulgären  Annalmie  um  ungeiähr  1200  a.  C.  stattgefunden,  und  es  kann  mcht 
zweifelhaft  sein,  dass  während  eines  so  langen  Zeitraumes  unter  dem  Einflüsse  jenes  oiiüvio^wg  die 
Kenntniss  des  Locals  gänzlich  geschwunden  ist.  Das  Wort  des  Dichters  im  Munde  des  Poseidon 
II  \TI,  452  tJuXioeo^ai  ist  durchaus  der  Wahrheit  gemäss  und  vollkommen  zutreft'end;  es  konnte 
um  so 'leichter  gesprochen  werden,  als  die  Stelle,  wo  Ilion  gestanden,  zur  Zeit  Homers  kemerlei 
Spur  von  alten  Baulichkeiten  zeigte,  sondern  höchstens  nur  Weideplätze  lür  Viehherden  darbot. 
Jenes  Wort  Homers  aber  beweist  zugleich  augenscheinlich,  dass  zu  seiner  Zeit  auch  von  Neu-Ihon 
noch  keine  Rede  gewesen  sein  kann,  da  dessen  Vorhandensein  und  die  bekannte  Behaui)tung  der 
Neu-IHenser,  die  Stätte  des  alten  Ilion  zu  bewohnen,  jenes  tnüj'aeo.^ai  vollständig  ausschhessen 
und  unmöghch  machen  würde.  Neu-Ilion  kann  erst  lange  nach  Homer,  nachdem  ein  bunter 
Wechsel  der  Bewohner  der  Ebene  eingetreten  war,  von  welchem  Strabo  1.  1.  die  umständlichsten 
Nachrichten  giebt,  erbauet  worden  sein,  namentlich  als  Lesbier,  Athenaeer  und  Andere  sich  um  den 
Besitz  der  durch  ihre  günstige  Lage  sehr  werthvollen  Ebene  stritten.  Es  wurde  unzweifelhaft  von 
Bewohnern  des  Dorfes,  die  den  ganzen  Beighals  als  ihr  altes  Besitzthum  beanspruchten,  angelegt, 
nachdem  im  Laufe  der  Zeit  jener  otono^iog,  wenn  auch  sicherlich  nicht  ganz  vergessen,  doch  unter 
den  Bestrebumren  anderer  Stämme,  den  Berghals  zu  besitzen  und  zu  bewohnen,  vollkommen  be- 
deutungslos geworden  war.  Aus  diesem  uralten  Bewusstsein,  aus  der  nicht  gänzlich  erloschenen 
Erinnerung  an  den  ehistigen  Götterzorn  entwickelt  sich  gleichsam  der  rothe  Faden,  welcher  m  Ver- 
bindung mit  dem  unbestreitbaren  Eigenthumsrecht  an  der  Ebene  die  Neu-Ilienser  zu  der  Behaup- 
tung Alt-Ilioii  zu  bewohnen  führte  und  also  die  Tradition  schuf,  an  welcher,  mit  Ausnahme  der 
verwerflichen  gelehrten  Ansicht,  das  ganze  Alterthuni  unverbrüchlich  festgehalten  hat. 

Beruhen  nun  diese  Ilesultate,  wie  es  bei  Dingen,  welche  die  tiefste  Dunkelheit  deckt,  nicht 
anders  sein  kann,  nur  auf  einer  Kette  von  Schlüssen  und  Folgerungen,  die  jedoch  aus  einem  ganz 
bestimmten  Factum  gezogen  worden  sind,  so  ist  es  doch  von  Wiclitigkeit,  jene  Schlüsse  wo  möglich 
durch  weitere  Beweise  zu  stützen  und  zu  sichern.  Wir  haben  behaui)tet,  dass  die  nacli  der  Zer- 
störung der  Stadt  in  die  früheren  ihnen  als  Eigenthmn  zugehörigen  Sitze  zurückkehrenden  Troer 
ihre  neue  Ansiedhuig  aus  Furcht  vor  der  Gottheit  nicht  Ilion,  sondern  einlach  Dorf  der  llienser 
genannt  haben,  otfenbar  im  Gegensatz  zum  zerstörten  Königssitz  des  Priamus,  und  es  handelt 
.ich  demnach  darum,  auch  für  die  Zulässigkeit  dieser  Behauptung  womöglich  etwas  beizubringen, 
wodurch  zugleich  die  aus  den  Verhältnissen  der  Ebene  erwiesene  Lage  der  alten  Iroia  noch  weiter 

bestätigt  werden  dürfte. 

Der  heutige  Türkische  Name  des  Ortes,  wo  Neu-Ilion  gestanden,  lautet  Hissarlik  und  be- 
deutet die  Paläste;  die  Veranlassung  zu  dieser  Benennung  hat  man  in  den  Tempeln  und 
Prachtgebäuden  gefunden,  mit  denen  einst  Macedonische  und  liöimsche  Gunst  die  Stadt  ge- 
schmückt hätte;  cf.  Ulrichs  p.  596.  Fest  steht  nun  allerdings,  dass  jener  Name  erst  im  Munde  der 
Türken,  als  sie  der  Troischen  Ebene  sich  bemächtigten,  entstanden  sein  kann;  allem  das  liegt  voüig 
ausser  dem  Bereich  der  Wahrscheinlichkeit,  dass  sie  ihn  desshalb  neubildeten,  weil  sie  nach  so  und 


( 


I 


V 


80  vielen  Jahrhunderten  noch  UebeiTeste  von  vermeinthchen  Tempeln  und  andern  Prachtgebäuden 
vorfanden.  Zwar  kann  ein  mit  derartigen  Baulichkeiten  ausgestatteter  Ort,  wenn  er  bereits  den  Namen 
Stadt  der  Paläste  geführt  hat,  auch  nach  seiner  Zerstörung  denselben  Namen  in  dem  Munde 
der  kommenden  Geschlechter  beibehalten,  allein  niemals  ist  einem  Trümmerhaufen  von  Mauern  und 
Ruinen  auf  eine  blosse  Schlussfolgerung  hin  eine  derartige  Benennung  beigelegt  worden;  und  so  ist 
es  auch  den  einbrechenden  Türken  gewiss  nicht  eingefallen,  die  Reste  eines  in  Schutt  hegenden 
Ortes  mit  dem  stolzen  Namen  Stadt  der  Paläste  zu  bezeichnen.  Was  aber  die  Hauptsache  ist,  so 
hat  es  mit  jenen  vermeintlichen  Prachtgebäuden  überall  nicht  viel  auf  sich  gehabt;  von  Mace- 
doni scher  Seite  wenigstens  ist  es  gewiss,  dass  solche  nicht  errichtet  worden  sind.  Es  ist  auf  jene 
Gunst,  welche  sowohl  Alexander  von  Macedonien  als  auch  später  der  Dictator  C.  Juüus  Caesar  den 
Bewohnern  von  Neu-IHon  einst  zugewendet,  schon  früher  (Abb.  I,  p.  2(1)  hingewiesen  worden,  doch 
lediglich  zum  Beweise,  dass  die  alte  Griechische  und  Römische  Welt  in  Neu-Ilion  die  einstige  Troia 
unbedingt  anerkannt  hat.  Was  dagegen  die  Errichtung  monumentaler  Gebäude  anbetrifft,  so  hat 
sich  Alexander  allerdings  dafür  interessirt,  aber  ohne  Erfolg.  Er  fand  nach  seinem  Siege  am 
Granicus  die  Stadt  in  solchur  Verkommenheit,  dass  er  ihr,  die  bis  dahin  noch  ein  blosses  Dorf  war, 
zuerst  den  Namen  einer  Stadt  beilegte;  cf.  Strab.  p.  99.  Auch  befahl  er  ihre  Herstellung  diu-ch 
Häuserbauten  und  versprach  nach  Zertrümmerung  des  Perserreiches  brieflich,  den  Ort  zu  einer  grossen 
Stadt  machen  zu  wollen;  cf  Strab.  p.  100;  indessen  bei  diesem  V^ersprechen  ist  es  gebheben,  sein 
früher  Tod  verhinderte  die  Auslührung.  Unter  seinen  Nachfolgern  unternahm  es  Lysimachos  von 
Thracien  das  Versprochene  nachzuholen;  allein  dabei  blieb  es,  der  Ausbau  von  Antigonia,  aus  Pietät 
von  ihm  Alexandria  Troas  genannt,  nahm  ihn  zu  sehr  in  Anspruch^).  So  kam  es,  dass  Neu-Ihon 
noch  ziu'  Zeit  des  Ueberganges  der  Gallier  von  Griechenland  nach  Asien,  also  kurz  nach  Lysimachos  Tode 
um  den  Anfang  des  3.  Jahrhunderts  a.  C.  nach  dem  Zeugniss  des  Hegesianax  noch  immer  keine  Stadt, 
sondern  nur  ein  Dorf  ohne  Mauern  war;  cf.  Strab.  p.  lOo  'flyy-oiara^  dt  loii;  ralaiag, 
jitQuiiü&iviag  ix  Trjg  EvQnJTii^g,  dva^ivui  fdv  (lazoQtl)  tig  Tt]v  Ticliv  deo/tiivoig  iQi\uuTog' 
nana/(tijia  dt  ixXuitlv  öici  tö  uitixi^oiov.  Nicht  anders  aber  scheint  es  sich  mit  der  Gunst,  welche 
von  Römischer  Seite  den  Neu-Iliensern  erwiesen  worden,  verhalten  zu  haben.  Als  die  Römer  im 
Kriege  gegen  Antiochus  den  Grossen,  also  zu  Anfang  des  2.  Jahrhunderts  a.  C,  zuerst  Asien  be- 
traten,  fanden   sie  Neu-Ihon    ebenfalls   nur  als  ein  Dorf  vor;   cf.  Strab.  ib.    Kai  zo  Ikiov,  i6  vlv. 


')    ('!'.    Strabo    a.  a.   0.:    Msra    öl    £xeivoj    TtAtjTr,*    Aja'I,u.a/o^    {laA'.STa    ty';    ttoäcw;    i~z\i.Zhr;2r^    xa\    vcüjv 


/.j/.ACiJ 


apxa'.a; 


T,?T,  xi/.axwiieSa;'  oxe  /.al  'AAecav^pita;  v"5tq  i-xz\i.t,.T,zr.'  cjvwx'.aixi'vr,;  \i.vi  x5f.  Oti  AvTr/c'^ow  >'-»-  r.oo;,TC[o^vj\i.i>-{\^ 
Avri70v'!ac,  fiCTii^aXo-Jav,;  ^i  TO-j^oiia.  "ESoii  '{'Ip  £'j7c.U;  tvti'.  :ou;  'A/.tcavJ^pov  ß-.a^s^aixi'vo'j;,  fxtivcj  irpoTepov  xt'!l!£iv 
^-xto^-jjiouc  reo  Xei;,  tX'Z  eauTw-j.  v.tX  «"^t  x.i\  3'j>e,u^'-vc  yj\  a'j^r,Jiv  £cy£'  rZ^i  öl  xa\  'Pto}jLa'!ti>v  a-oixiav  öt'Sexrat  xa\ 
e'oTt  TW'*  ^XAoyijAwv  TtoXewv.  Ka\  to  "lAto*  Ö.  o  vvv  ^ati.  xwjxo'tzoXis  ti;  t^v,  ore  -pioTOv  'Pwfiatoi  xt;?  Aaia^  i'Tii^tiO'x'i 
xa\  c'^e'i'iaXov  Avtio^ov  tov  jie'Yav  iv,  ttq?  £vtÖ;  tou  Ta\jpo"j.  Die  Venvorreuheit  dieses  Berichts  Luweist,  dass  fcu«,bo 
Eu»h  iiiimer  seinen  Deutley  erwaiteL.  Deun  wenn  iiior  j^esagt  wird,  dass  Lysimav.iiOS  ^^eu-Iliou  mit  einer  ungefähr  eint  ileile 
langer.  M;iuor  uir.gL4u.:  habe,  un«!  wenn  weiter  unten  der  Gengjaph  hinzufügt,  da?s  die  al:^^  Euroja  na^^h  Kleina^^i'^n  ü' er- 
setzenden (lalater,  was  doch  eben  nur  wenige  Jahre  nach  Lvpimnohos  Tode  gescliah,  die  Stadt  nach  dem  Zeugnisse  de.«  Hege«ianax 
als  eine  axctyj-CfTO?  gefunden  und  darum  sofort  wieder  verlassen  hätten,  so  enthält  die  ganze  Darstellung  einen  Wider- 
spruch, der  dem  Strabo  unmöglich  zur  Last  gelegt  werden  kann.  Die  Schuld  trägt  vielmehr  ein  alter  Abschreiber,  der  die 
Worte  xa\  vewv  bis  -^'Sti  xcxaxwjAe'vas  an  eine  i'alsche  Stelle  setzte;  sie  gehören  aber  unten  zwischen  die  Worte  xal  Sr,-xx\ 
und  diese  müssen  lautuu:  xal  ör]  xal  vewv  xaxiaxevaac  xal  Ttix°»  "epie^a'AeTO  oao^  TiTTapa/.ovTa  OTaöiwv.  au^wx'.ss  tc 
ti;  auTin'*  "oiC  xvxXw  TioXei;  apx'xia;,  T^8r\  xcxaxwixeva?*  xal  ouvefiei^'e  xal  aulr^atv  £'ax£  x.  t.  X.  Somit  bezieht  sich 
diese  Alles  auf  Alexandria  Troas  und  Strabo  hat  eben  nur  gesagt,  dass  Lysimachos  ganz  besonders  für  Neu-Ilion  gesorgt 
habe,  ohne  Angabc,  wie  er  es  gethan;  in  dieser  Au'^lassung  aber  liegt  der  muthmassüche  Giuud  der  Verderbniss,  "Weiter 
sind  auch  die  Worte  Kai    xo  "Iaiov  5*,    ö  vuv  toxi.  xojjJLc'-xoXii;  xi?  ijv,   oxe  x.  x.  X.  unrichtig;  sie  müssen  lauten:  Kai  xo 

IaIO-J    xo    tZ*    ixi   XWJJLOTtoXi;   XI?   Xi*    X.   X.   X. 


(5  - 

ezi  xiü^wnoXis  n^  ^v,  Ute  noonoy  'Ptüfiatot  tr,g  \loi(xs  intßt.aav  xai  t^ißa^ov  Avnnyov  lov jdyotv 
ix  tr^g  ivtog  tov  TavQOv.  So  schreiben  ^^ir  die  Stelle  statt  der  verunstalteten  Vulgata:  Kai  toV.iov 
d\  0  vi'v  ioTi,  xtü/ucnolig  rig  t^v  (s.  die  vorige  Note).  Erst  zur  Zeit  des  Sulla,  als  die  Finibriauer  sich 
de'r  Küste  Kleinasiens  bemächtigt  hatten,  scheint  der  Ort  ummauert  gewesen  zu  sein,  da  er  eine  Be- 
lagerung eilfTage  lang  auszuhalten  vermochte;  cf.  Strab.  p.  10!.  o  OiußQiag  —  7iQoe?.i}ojv  tlglhnv, 
ol  d^o^dviov  avTOv  tu)v  'Llduiv  u.g  Ir^arr^v  ^dvrot,  JiQoaiftnei  (seil,  ßiav)  xai  hdtxaiainvg  aiQÜ. 
(fdvTOi  schreiben  wir  statt  des  corrupten  fiavtei  der  Vulg.).  Zwar  verlieh  Sulla  nach  Ueberwäl- 
tigung  der  Fimbrianer  den  Neu-Iliensern,  um  sie  wieder  zu  heben,  viele  Rechte  und  Wohlthaten 
(xatoof^tüiiaTa),  und  auch  Caesar  erhielt  ihnen  spiiter  nicht  allein  die  bereits  von  Alexander  ge- 
währte Entfreiung  von  Abgaben,  sondern  vermehrte  auch  ihren  Grundbesitz  und  liess  ihnen  die 
Freiheit;  allein  von  der  Anlegung  von  Tempeln  und  Prachtbauten  ist  weder  bei  ihm,  noch  bei  jenem 
irgendwo  die  Rede;  Alles  bezieht  sich  nur  auf  Gunstbezeugungen  von  nicht  baulicher  Natur  und 
Beschaffenheit,  ähnhch  denen,  welche  die  späteren  Kaiser,  z.  B.  Clau<lius  mit  besonderer  Vorliebe 
-wiederholten;  cf.  Sueton.  Claud.  c.  25. 

Wenn    wir   nun    unter    dem   Eindrucke  dieser  Berichte  die  l'eberzeugung  überall  nicht  ge- 
winnen können,   dass  Neu-Ilion   grossartige  Bauten  jemals   gehabt  habe,   so  wird  dieser  Mangel  an 
solchen  wenigstens  für  die  Zeit  von  Alexander  d.  G.  bis  zur  Unterwerfung  Griechenlands  durch  die 
Römer  14ö  a.  C.  durch   das   Zeugniss   eines   Augenzeugen,   des   Demetrius  von  Skepsis   vollkommen 
bestätigt.     Dieser,    nach    allgemeiner  Annahme    ein  Zeitgenosse  des  Aristarch  und  Crates   (cf.  Strab. 
p.  126°,    also   um  150  a.  C.  lebend,    hatte    als    Jünghng   während    des    Krieges    der    Römer    gegen 
Antiochus  d.  G.  (190  a.  C.)   Neu-Ilion  besucht,    den  Ort   aber  in  solchem  N'erfall  vorgefunden,   dass 
die    Häuser    nicht    einmal    mit    Ziegeln    gedeckte    Dächer    aufwiesen;    cf.  Strab.  p.  tOO:    0t,iji  yolv 
Jr^ufjoiog   o    ^atiiuog,   fiuoaxiov   Uidrur^aag   dg   ti]v   nöUv   xai    ixeivovg  inig  xaiQOvg,    ol'irwg 
wUyojQr^^dvt^v   iduy    r/>  xtaoixlar,    luare   ftt^de    xeoaiaorag   fx^iv   log   axiyag.     Wenn  also  Mace- 
donische    Trachtgebäude    durch    dieses    Zeugniss    bis   zum    J.   150  a.  C.    völlig,    Römische    mit 
grösster  Wahrscheinlichkeit    auch    für    die    spätere  Zeit  ausgeschlossen  worden,    weil  sonst  sicherlich 
davon  irgendwo  die  Rede   sein   und   namentlich   Strabo    (um  30  p.  c),   der   über   (he   örtliche   Be- 
schaffenheit   Neu-llions   mit    oß'ensichthcher  Vorliebe   berichtet,    eine    darauf   bezügliche    Bemerkung 
gewiss  nicht  unterlassen  haben  würde,  so  wird  die  oben  angeführte  Erklärung  des  Namens  Hissarlik 
bezüghch    ihrer   Entstehung   durchaus    hintällig    und    muss    mit    Entschiedenheit   abgelehnt    werden. 
Dahingegen  ergiebt  sich  aus  dem  Gesagten  unzweideutig,  dass  die  Türken  die  Ruinen  von  Neu-Ilion 
mit  jenem  Namen  bezeichnet  haben,   weil  sie  ihn  im  Munde  des  Volkes  bereits  vorfanden,   und  wir  ^ 
behaupten  mit  Entschiedenheit,  dass  der  Name  „die  Paläste**  eine  uralte  Reminiscenz  ent- 
hält   und  auf  nichts  Anderes  zurückzuführen  ist,   als  auf  den  uralten  Könitrssitz  des 
Friumus.     Fassen  wir  Alles  noch  einmal  kurz  zusannnen,  so  war  dieselbe  Scheu  vor  dem  Zorn  der 
Gottheit,  welche  späterhin  die  Römer  veranlasste,  den  Geheimnamen  Roms  nicht  auszusprechen,  auch 
für  die  Dorf-Ilienser  der  Grund  gewesen,   sich   des  den  Göttern  verhassten  Namens  nicht  ferner  zu 
bedienen,   sondern  dafür  bloss  Wohnungen  des  Königs  zu  sagen.     Hiedurch  löste  Ihon  sich  all- 
mähg  vom  Locale  ab  und  schwebte   mit  der  Sage  von  Ilions   Fall   und   Untergang   gleichsani   über 
der  ganzen  Ebene,  das  Local  selbst  aber  als  Träger  des  Namens  schwand  aus  dem  Gedächtniss  der 
Menschen  und  gerieth  in  Vergessenheit.     Nur  unter  den  Dorf-Ihensern  wird  eine  alte  Kunde  davon 
sich  erhalten  haben.     Als   somit   im  Laufe   der  Zeit  jene  Scheu  vor  dem  Götterzorn  erloschen  war, 
und  als  jene  die  alte  Stätte  der  Stadt  wieder  aufsuchten  und  zum  Wohnsitz  nahmen,  da  haben  sie 
kein  Bedenken  weiter  getragen,   sie  gleichsam  ofticiell  wiederum  Ilion,   d.  i.  Neu-Ilion  zu  benennen, 
während  der  Volksmund  die  Bezeichnung  Wohnungen  des  Königs  beibehielt;   und  darauf  hin 
haben   später   die  Türken   den  Ort  Hissarlik,   die    Paläste,    genannt.     Wir  bewegen  uns 


/ 

M 


hiemit  allerdings  auf  dem  Boden  der  dunkelsten  Thatsachen  und  Verhältnisse  und  es  gilt  daher,  um 
jenen  nahe  zu  kommen,  in  den  vergilbten  Blättern  des  Alterthums  oft  nur  gleichsam  zwischen  den 
Zeilen  zu  lesen;  indessen  auch  so  lässt  sich  Manches  mit  Sicherheit  errathen.  Woher  mag  es  wohl 
konnnen,  dass  uns  Homer  ein  so  ganz  eigenthümhches  Bild  von  Ilion  hinterlassen  hat?  Ueber- 
schauen  wir  mit  einem  Blicke  Alles,  was  er  über  die  Stadt  als  solche  berichtet,  so  erhebt  sie  sich 
vor  uns  gross  und  volkreich,  stolz  und  prächtig;  sie  wird  von  mächtigen,  thurmgekrönten  Mauern 
geschützt  und  von  breiten  Strassen  durchschnitten,  und  hoch  über  sie  ragt  der  Königsbau  des  Priamus 
empor,  kurz  eine  ächte  Königsstadt,  vergleichbar  denen,  welche  die  vergrössernde  Sage  dem  Dichter 
aus  dem  fernen  Orient  zugeführt  hatte.  Allein  worauf  gründet  sich  diess  Bild?  etwa  auf  irgend  eine 
eingehende  Schilderung  und  Beschreibung?  auf  die  Anwesenheit  belebender  Details?  Wir  suchen  ver- 
gebens danach;  Alles  beruhet  auf  ganz  allgemeinen  Andeutungen  und  vorzugsweise  auf  bezeich- 
nenden Beiwörtern,  die  jedoch  nicht  vermögend  sind,  die  eigentliünüiche,  so  zu  sagen  gross- 
artige Erstarrung  zu  heben,  in  welcher  die  Stadt  sich  vor  uns  ausbreitet.  Sie  birgt  Tausende  und 
abermals  Tausende  lebender  Wesen  in  ihren  Mauern,  und  dennoch  steht  sie,  ganz  im  Gegensatz 
zum  wilden  KampfgewUhl  in  der  Ebene,  vor  uns  in  seltsamer  Ruhe,  fast  leblos,  fast  seelenlos.  Nur 
ein  Punkt  macht  eine  etwas  bemerkbare  Ausnahme,  aber  wiederum  nicht  der,  den  man  erwartet, 
nicht  der  Tempel  der  Pallas  Athene,  der  vermeinthchen  (II.  VI,  297,  sqc^.)  Beschützerin  der  Stadt,  son- 
dern nur  der  Königspalast  des  Priamus  auf  der  Höhe  der  Stadt;  cf.  Iliad.  VI,  242,  sqq.  Diess 
ist  kein  Zufall;  der  Umstand,  dass  der  Dichter  gerade  den  Palast  des  Königs  etwas  eingehender 
beschreibt  und  ihn  mit  der  rings  umliegenden  Stadt  gleichsam  nur  umrahmt,  lässt  vermuthen,  dass 
ihm,  dem  Fernlebenden,  der  nicht  einmal  wussto,  wo  Ilion  gestanden,  vorzugsweise  aus  der  Ebene 
die  öi'o^iCLia  ßaailT^og  als  Bezeichnung  des  alten  Ilion  selbst  genannt  worden  sind. 
Und  so  ist  es;  hiemit  verbreitet  sie  Licht  über  manche  Homerische  Darstellung.  Als  Priamus,  vom 
Herold  Idaeus  begleitet,  die  Leiche  Hectors  nach  der  Stadt  zurückbringt,  da  tritt  auf  den  Ruf  der 
Cassandra  das  ganze  Volk  dem  Kommenden  unmittelbar  vor  den  Thoren  entgegen;  II.  XXIV,  709, 
S(iq.  Die  nächsten  Angehörigen  des  Getödteten  umringen  den  Wagen,  auf  w^elchem  die  Leiche 
ruhet,  und  wehklagend  steht  weit  umher  die  dichtgeschaarte  Menge;  ib.  772.  Sofort  spricht  Priamus: 
„Machet  Platz  und  öffnet  den  Mäulern  den  Weg;  hernach  niöget  ihr  euch  sättigen  an  der  Klage, 
sobald  ich  den  Leichnam  nach  Hause  gebracht."  So  sprach  er;  da  trat  die  Menge  auseinander  und 
wich  dem  Wagen,  der  König  aber  und  sein  Begleiter  legten,  nachdem  sie  Hector  in  die  herrhchen 
Wohnungen  hineingeführt  ),  ihn  auf  das  Paradebett.  Das  Auseinandertreten  des  Volkes  und 
das  Hineinführen  der  Leiche  in  den  Palast  folgt  hier  so  unmittelbar  aufeinander,  dass,  w^nn 
man  auch  geneigt  sein  möchte,  bei  dem  letzteren  zu  ergänzen  durch  das  Thor  und  durch  die 
breite  Strasse,  dennoch  der  Dichter  sicherhch  daran  nicht  gedacht  hat;  mit  der  Hindurchfahrt 
durch  das  Thor  fährt  der  König  unmittelbar  in  den  Palast  hinein  und  Stadt  und  Palast  sind 
offenbar  ein  und  dasselbe.  Diese  wörthche  Auffassung  der  Stelle  wird  weiter  unten  vollkommen 
bestätigt.  Als  nämlich  Helena  ihre  Todtenklage  um  Hector  beendet  hat,  bricht  auch  das  zahllose 
Volk  {dritiog  uniiQityv  ib.  77())  in  Wehklagen  aus.  Lag  nun  die  Leiche  in  den  xlvrolg  dcc/naai,  so 
muss  auch  eben  daselbst  die  Masse  der  Troer  gesucht  werden;  dafür  aber  dürfte  der  eigentliche 
Königspalast,  abgesondert  von  der  übrigen  volkreichen  Stadt  gedacht,  doch  wohl  schwerlich  aus- 
reichend gewesen  sein.  Dasselbe  ist  der  Fall,  wenn  ib.  803  von  dem  Leichenschmause  des  Volkes 
öd'fiiiaaiv  iv  Tlftiäfioio  die  Rede  ist.    Auch   hier   kann  die  Bewirthung  des  Volkes  nur  dann  als  zu- 


*)  Wir  legen  hier  die  gewöhnliche  Erklärung  des  daäyzi^  zu  Grunde;  indessen  dürfte  nach  Iliad.  Yl,  252 
AaoöixT.v  ^cayouca.  d.  i.  ei;eX^oüoa  e{;  tcv  tt^;  .\.  otxov,  der  Sinn  der  Stelle  sein:  nachdem  sie  in  den  Palast 
hineingefahren  waren. 


8    

lässig  erscheinen,  wenn  man  den  Palast  in  der  Vorstellung  des  Dichters  mit  der  Stadt  selbst  als  völUg 
identisch  annimmt.  Wir  wissen  sehr  wohl,  dass  die  verallgemeinernile  und  vergrössernde  Phantasie 
auch  hier  nicht  ausgeschlossen  ist;  allein  wenn  unbedingt  zugegeben  werden  muss,  dass  aus  der 
allgemeinen  Erstarrung  der  Homerischen  Stadt  sich  wirkhch  nur  der  belebte  Sitz  des  Priamus  m 
allen  seinen  einzelnen  Haupttheilen  abhebt  und  vor  dem  geistigen  Auge  des  Lesers  emporsteigt,  so 
unterhegt  es  keinem  Zweifel,  dass  eine  Reminiscenz  an  diese  uralten  Verhältnisse  sich  bis  zum  heu- 
tigen Tage  in  dem  Namen  Hissarlik,  die  Paläste,  erhalten  hat. 

§.  2. 
Fortsetzuns:. 

Fragen  wir  weiter,  wie  viel  Material  der  Dichter  tur  seine  Iliade  in  der  Ebene  selbst  ge- 
funden habe'',  so  lautet  die  Antwort  sehr  verschieden;  für  die  Hauptperson,  den  alten  Priamus  gewiss 
wenig  mehr  als  den  Namen.  Der  alte  König  stellt  sich  uns  so  wenig  anschauhch  entgegen,  dass 
wir  nur  hier  und  da  Aeusserungen  seines  Thuns,  sowie  seines  ganzen  Seelenlebens  wahrnehmen;  vnr 
erfahren  nichts  von  seinen  früheren,  nichts  von  seinen  späteren  Schicksalen;  seine  Stellung  als  Be- 
herrscher eines  so  gross  geschilderten  Reiches  kommt  nirgends  zur  Geltung,  und  nur  hin  und  wieder 
bricht  in  ihm  seiner  Familie  gegenüber  das  Bewusstsein  des  gebietenden  Oberhaupts  durch,  besonders 
wenn  er  seine  übrigen  S(ihne  mit  seinem  Liebling  Hector  zusammenstellt  und  jene  Feiglinge  und 
lässiges  Cxesindel  schilt.  Auch  der  gewaltige  Kampf  vor  den  Thoren  hat  für  ihn  wenig  oder  gar 
keine  Bedeutung,  und  nirgends  lässt  er  die  geringste  Sorge  durthblicken,  dass  mit  der  Existenz  der 
Stadt  zweifellos  auch  die  eigene  auf  dem  Spiele  steht,  kurz  er  bietet  das  Bild  einer  stolzen  majestä- 
tischen Ruhe,  die  jedoch  keinerlei  Befriedigung  gewährt.  Wir  sehen  in  ihm  einen  willenlosen 
orieutaUschen  Gebieter,  der,  verglichen  mit  dem  rüstigen  GereniscluMi  Nestor,  nicht  einmal  sein 
Greisenalter  als  Entschuldigung  lür  seine  vöUige  Thatenlosigkeit  anzuführen  vermag. 

Bei  weitem  anders  verhält  es  sich  mit  der  zweiten  Hauptfigur,  dem  ritterlichen  Hector;  in  ihm 
hebt  sich  aus  dem  gewaltigen  Kampfe  die  grossr.rtige  Gestalt  des  Schirmherrn  der  bedrängten  Stadt 
lebensvoll  empor,  und  neben  der  glänzendsten  Tapferkeit  manifestirt  sich  in  ihm  eine  solche  Ge- 
müthstiefe,  verbunden  zugleich  mit  Kraft  und  Energie,  dass  die  Theilnahme  an  seinem  endlichen 
Geschicke  auch  die  verborgensten  Seiten  der  Menschenbrust  berührt  und  Emphndungen  hervorruft, 
welche  nur  durch  edle  Naturen  erregt  zu  werden  pflegen.  Diess  Alles  aber  kann  nicht  aus  der 
verbüchenen  Sage  von  llioii  und  Priamus,  so  weit  diese  in  der  Ebene  vorhanden  war,  entflossen 
sein;  Hector  steht,  abgesehen  von  dem  Schutze,  den  er  der  Stadt  gewährt,  in  dem  ganzen  grossen 
Schlachtengemälde  in  keinem  genauem  Zusammenhange  weder  mit  der  Stadt  selbst  noch  mit  seinem 
königlichen  Vater;  er  ist  eine  ganz  selbständig  NN-irkende  Persönlichkeit,  der  seine  hervorragende 
Thatkraft  in  allen  Schlachten,  seinen  Seelenzustaud  aber  in  seinen  Gesprächen  mit  der  Gattin  und 
mit  Achilles  in  seiner  ganzen  Tiefe  ottenbart,  und  alle  diese  Züge  können  nirgends  anders  woher 
stammen,  als  aus  der  Sage,  welche  am  Todteuhügel  des  Helden  haftete.  Wir  haben  schon  früher 
den  Versuch  gemacht,  gleichsam  das  Gerippe  derselben  anzugeben  (cf.  I,  p.  35 )  und  wesentlich  an- 
ders wird  sie  nicht  gelautet  haben,  weitere  Zuthaten  aber  sind  von  einer  andern  Seite,  vom  Achilles- 
hügel   hinzugekommen.     Allein   wo   in   der  Ebene   lag  der  Hector-Hügel?   und  hat  Homer  ihn  ge- 

k  a  n  n  t  oder  er  e  s  e  h  e  n  V 

So  viel  steht  fest,  dass,  wenn  Ilion  an  der  SteUe  des  heutigen  Hissarlik  lag,  auch  diis  Grab 
Hectors  in  nächster  Nähe  gesucht  werden  muss.  Homer  berichtet  ausdrücklich,  dass  die  Troer  in 
Folge  des  Auftrags,  das  n(ithige  Holz  zum  Scheiterhaufen  des  getallenen  Helden  herbeizuscliaflen,  sich 
vor  der  Stadt  versammelt  und  nachher  die  Leiche  hinausgetragen  haben,  dass  ferner  während  der 


! 


\ 


— _    9    

Aufschüttung  des  Hügels  nach  allen  Seiten  hin  Späher  ausgestellt  waren,  um  nicht  ausserhalb  der 
schützenden  Mauern  von  den  Griechen  überfallen  zu  werden,  und  dass  man  endlich  nach  Vollendung 
des  Grabmals  in  die  öwaaTa  ßaadf^os  zum  Leichenschmause  zurückgekehrt  sei;  cf.  II.  XXIV,  783. 
786.  709.  801.  Hector  war  also  ausserhalb  der  Stadt  bestattet  worden.  Aber  auch  den  Bau 
des  Grabmals  beschreibt  der  Dichter  ganz  genau;  man  legte  die  gesammelten  Gebeine  in  eine  gol- 
dene Urne,  nachdem  man  sie  zuvor  mit  purpurnen  Decken  umhüllt,  und  senkte  das  Gefäss  hinab  in  die 
hohle  Grube,  wölbte  dann  darüber  gewaltige  Steine  und  thürmte  endlich  den  hohen 
Erdhügel  auf;  cf.  795,  sqq.  Ein  derartiger  Bau  kann  in  keinem  Falle,  mag  auch  der  Erd- 
hügel im  Laufe  der  Jahrtausende  diese  oder  jene  Veränderung  erhtten  haben,  in  seinen  Grund- 
mauern spurlos  von  der  Erde  verschwunden  sein;  noch  heute  muss  das  Steingewölbe  sich 
vorfinden  und  zwar  in  der  Nähe  von  Hissarlik.  Wie  aber,  wenn  der  Dichter,  lediglich  auf  Sitte 
und  Herkommen  gestützt,  bei  der  obigen  Beschreibung  imr  von  der  Annahme  ausging,  dass  dem 
Helden  ein  Grabhügel  errichtet  worden  sei,  ohne  dass  diess  in  Wirklichkeit  der  Fall  gewesen?  Dem 
ist  nicht  so;  das  historisch  festgestellte  Ilion  verbürgt  auch  den  historischen  Hector,  und 
dass  dieser,  wie  jeder  andere  hervorragende  Held,  seine  letzte  Ruhestätte  in  der  angegebenen  Weise, 
nur  mit  Hinzufügung  der  ehrenden  Ausschmückung,  z.  B.  der  goldenen  Urne,  gefunden  hat,  muss 
als  ausgemacht  gelten,  und  kann  demnach,  da  der  Achilles-  und  der  Aiaxhügel  sich  bis  auf  den 
heutigen  Tag  vollkommen  sichtbar  erhalten  haben,  auch  der  des  Hector  sicherUch  zur  Zeit  des  Homer 
noch  nicht  völlig  verschwunden  gewesen  sein.  Sah  also  der  Dichter  den  Hectorhügel,  so  muss  er 
auch  die  Ebene  gesehen  haben,  und  diess  eben  ist  es,  was  durch  die  ganze  bisherige  Untersuchung 
als  unwahr  erwiesen  wird.  Dennoch  gilt  es  den  Versuch,  wenigstens  eine  Spur  des  Hügels  in  der 
Ebene  aufzutinden. 

Der  vielgenannte  von  Osten  nach  Westen  in  die  Troische  Ebene  hineinschiessende  Berghals, 
auf  dessen  westhchster  Spitze  wir  das  alte  Ihon  an  der  Stelle  des  heutigen  Hissarhk  gefunden 
haben,  wird  in  seiner  ganzen  Liinge  von  einer  nicht  allzu  tiefen  Thalsenkung  durchschnitten,  welche 
ihn  genau  genommen  in  zwei  parallel  neben  einander  fortlaufende  Bergrücken  theilt.  Steigt  man  von 
Hissarhk,  welches  auf  dem  nordwärts  sich  hinziehenden  Rücken  Hegt,  in  dieses  Thal  nach  Süden 
hinab,  so  stösst  man  auf  einen  am  Rande  des  Thaies  liegenden  Grabhügel,  welcher  keinen  Namen 
trägt;  durchschreitet  man  das  Thal  ebenfalls  in  südUcher  Richtung,  so  erhebt  sich  am  Rande  des 
südwärts  sich  hinziehenden  Rückens  ein  zweiter  Hügel,  heutigen  Tages  Pascha-tepe  genannt;  er 
ist  30  Fuss  hoch,  hat  120  Fuss  im  Durchmesser  und  ist,  wenn  man  von  der  Südostecke  der  ganzen 
Ebene  nach  Norden  zu  fortschreitet,  der  erste  Punkt,  von  welchem  aus  das  Meer  sichtbar  wird;  cf. 
Ulrichs  p.  598.  In  ihm  hat  die  Forschung  den  Grabhügel  des  Homerischen  Aesyetes  mit  Recht  me- 
dergefunden  (cf.  Ulr.  1.  1.  Forchh.  j).  22).  Schon  der  heutige  Name  ist,  ähnlich  wie  bei  Hissarhk,  von 
entscheidender  Bedeutung.  Es  ist  nämhch  unbedcnkhch  zu  behaupten,  dass  der  Name  Alovr^xr^g 
mit  dem  Homerischen  alavtjzrQ  im  engsten  Zusammenhange  steht  und  somit  den  fürstlichen 
Rechtspfleger  bedeutet;  cf.  Apion  bei  Hesych.  s.  v.  alavrjTTJQt,  (aus  Riad.  XXIV,  347).  Pape 
Lexic.  s.  V.  Alavrrir^g.  Es  würde  aber  völhg  ungereimt  sein,  bei  diesem  uralten  Hügel  an  das 
Grabmal  irgend  eines  Pascha  aus  der  Zeit  der  Türkischen  Herrschaft  zu  denken;  vielmehr  hat 
ledighch  der  Name  des  Hügels,  den  die  Türken  vorfanden  und  der  ihnen  von  den  Einwohnern  als 
Fürstenhügel  [AiovUov  Ta(pog)  bezeichnet  wurde,  sie  veranlasst,  ihn  in  ihrer  Sprache  mit  Pa- 
scha-tepe wiederzugeben,  und  auch  hierin  hegt  also  eine  Reminiscenz  an  dunkle  Verhältnisse  des 
grauesten  Alterthums.  Dahingegen  tragen  wir  kein  Bedenken,  den  vorhin  erwähnten  namenlosen 
Hügel  als  den  Todtenhügel  des  Hector  zu  bestimmen.  Völhg  entscheidend  dafür  ist  der  Umstand, 
dass  dieser  Tumulus,  offensichthch  aus  uralter  Zeit  stammend,  der  einzige  im  Umkreise  der 
Höhe  ist,  auf  der  einst  Ilion  stand,  so  wie  auch  dass  er,  isohrt  am  Abhänge  sich  erhebend,   durch 

2 


10    

eben  diese  Lage  den  Beweis  liefert,  dass  er  nicht  innerhalb,  sondern  ausserhalb  der  alten  Stadt 
-elegen  haben  muss.  Wäre  es  möglich  ihn  heutigen  Tages  aufzugraben,  so  würde  man  m  seinem 
Innern  die  steinerne  Todtenkammer  und  vielleicht  noch  andere  werthvolle  Dinge  aus  dem  Alterthum 
vorfinden.  Die  Sache  ist  so  einleuchtend,  dass  man  sich  sogar  versucht  fühlen  konnte,  einen  wei- 
teren Beweis  aus  dem  Dichter  selbst  zu  entnehmen.  Man  kann  nämlich  von  der  Höhe  von  His- 
sarhk  sowie  auch  vom  Pascha-tepe  aus  den  Hellespont,  das  alte  Sigeum  und  die  nördlich  davon 
bele-ene  Festung  Kumkale,  also  aUe  die  Punkte,  wo  einst  das  Griechenheer  Aufstellung  gefunden, 
deutlich  erbhcken,  nicht  aber  von  dem  in  Rede  stehenden  Hügel  und  noch  weniger  also  von  der 
Thalsohle  aus,  wo  jener  einst  errichtet  worden  ist.  Vergleicht  man  hiemit  die  bestimmte  Meldung  des 
Homer  (Riad  XXIV,  799),  dass  die  Troer  während  der  Bestattung  Hectors  nach  allen  Seiten  hin 
Späher  ausgestellt  hätten,  um  nicht  bei  der  Aufschüttung  des  Grabmals  von  den  Griechen 
überfallen  zu  werden,  so  hat  diess  eben  nur  dann  einen  die  Sage  thatsächhch  bezeichnenden  Sinn, 
wenn  das  Grabmal  an  einer  Stelle  errichtet  wurde,  von  der  aus  das  Griechenheer  nicht  sichtbar 
war.  Diess  passt  vollständig  auf  unseni  Hügel;  die  Späher  auf  den  Höhen  waren  nothig,  so  lange 
das  Troervolk  unten  in  der  Thalsenkung  beschäftigt  war,  einen  UeberfoU  also  selbst  nicht  wahr- 
nehmen konnte.  Indessen  diese  dem  Dichter  entnommene  Beweisführung  kann  nicht  zugleich  auch 
beweisen,  dass  derselbe  den  Hügel  wirklich  mit  Augen  gesehen;  nur  vom  Hörensagen  wircl  er  ihn 
-ekannt  haben.  Somit  können  die  Worte  (üiiKfa  61  oTu  h^av,  Titql  de  gxotiol  uaio  naiTr^,  nn 
"^Tiolv  Iwoour^Ouev  ii'xv,'jadeg  U^cxioi,  ebenfalls  nicht  anders  gedeutet  werden,  als  bereits  Abb.  I, 
p.  23  geschehen  ist.  Die  Phantasie  des  Dichters  hat  auch  hier  der  allgemeinen  Sitte,  aus  der  lerne 
Kommendes  oder  Drohendes  sorglich  zu  beobachten,  Rechnung  getragen. 

Das  durch  die  bisherige  Untersuchung  gewonnene  Hauptresultat  lässt  sich  nun  kurz  dahin 
zusammenfassen,  dass  alle  uranfänglich  historisch  bekannten  Punkte  in  der  Ebene  nach 
und  nach  in  völlige  Vergessenheit  gerathen  sind,  dass  ferner  die  an  ihnen  halten- 
den geschichtlichen  Ueberlieferungen  sich  allmälig  in  das  Gewand  der  Sage  ge- 
kleidet und,  da  jede  derartige  Sage  ihr  bestimmtes  Local  voraussetzt,  das  ihrige  in 
der  £?rtii7eH  Kbeue  ganz  allgemein  gefunden  haben,  dass  demzufolge  der  vielbehan- 
delte Ausdruck  des  Dichters  TQoir.g  uiolU^Qov  durchaus  wörtlidi  zu  verstehen  ist 
und  somit  nicht  „die  Stadt  Troia-S  sondern  die  in  der  Ebene  von  Troia  gelegene 
Stadt  bezeichnet,  deren  Stätte,  nachdem  Jahrhunderte  seit  ihrer  Zerstörung  ver- 
flossen waren,  schon  zur  Zeit  Homers  völlig  unbekannt  war,  endlich  dass  nur  Tra- 
ditionen und  einzelne  Reminiscenzen  an  uralte  Localitäten,  die  jedoch  den  spatern 
Bewohnern  der  Ebene  gänzlich  unverständlich  waren,  sicherhalten  haben,  und  dass, 
was  die  Hauptsache  ist,  der  Dichter  der  Iliade  niemals  persönlich  in  der  Ebene  an- 
wesend gewesen  ist. 

§.  3. 
Sagenspuren  am  Strande  des  Hellespont. 

W^enn  wir  nun  das  Innere  der  Ebene  als  den  eigenthchen  Sitz  des  Troervolkes  und  ihrer 
Stadt  verlassen  und  uns  dem  Meere  zuwenden,  wo  die  feindhche  Flotte  und  das  Griechenheer  einst 
Platz  und  Aufstellung  fand,  so  treten  uns  liier  wesentlich  andere  Verhältnisse  entgegen;  alle  Punkte, 
welche  durch  den  Troerkrieg  bedeutungsvoll  geworden  sind,  haben  diese  ihre  Bedeutung  bis  zum 
heutigen  Tage  beibehalten;  das  ganze  xVlterthum  kamite  und  nannte  die  Grabhügel  des  Achilles  und 
Patroclus,  des  Antilochus,  des  Aiax,  und  die  Bucht  zwischen  dem  Sigeum  und  Rhoeteum  war  im 
Volksmunde  als  vai'aza^^iog,  als  Wu]v  '^Ixcawv  (portus  Achaeorum),  als  'Axccixov  OTQajomdoy  bekannt; 
cf  Strab.  p.  103.    Auch  Homer  hat  von  diesen  Localitäten  und  deren  Namen  sichere  Kunde  geliabt 


11   

und  zwar  auf  einem  Wege,  welcher  geeignet  war,  die  ursprünghch  einfachen  historischen  Ueber- 
lieferungen, die  an  den  Orten  hafteten,  mit  den  mannigfachsten  Zusätzen  auszuschmücken  und  zu 
gestalten.  Aber  auch  nur  diese  noch  heute  sichtbaren  Punkte,  nicht  etwa  noch  andere,  die  mög- 
licherweise im  Laufe  der  Zeit  verschwunden  sein  könnten,  hat  er  gekannt;  woraus  wiederum  hervor- 
geht, das9  die  Oertlichkeiten  von  vorhomerischer  Zeit  an  bis  zum  heutigen  Tage,  von  einer  grössern 
Vei-sandung  der  Bucht  abgesehen,  eine  weitere  Veränderung  nicht  erUtten  haben;  cf.  Abb.  I,  p.  11.  Den 
Beweis  liefert  der  Eingang  der  24sten  Rhapsodie  der  Odyssee.  Hier  werden  die  Seelen  der  von 
Udysseus  getödteten  Freier  vom  Hermes  in  die  Unterwelt  geleitet,  und  sofort  treten  ihnen  einzelne 
f'idiüXa  xauo-iTMv  entgegen,  unter  ihnen  Achilles  und  Patroclus,  dann  Aiax  und  Antilochus,  zu  denen 
weiter  noch  Agamemnon  sich  hinzugesellt,  welcher  in  seiner  Heimath  vom  Aegisthus  erschlagen  ist, 
während  jene  vor  Troia  den  Tod  gefunden  haben.  W^arum  aber  w^erden  nur  die  letzteren  genannt, 
nicht  auch  andere,  welche  ebenfalls  vor  IHon  gefallen  sind?  Der  Dichter  selbst  beantwortet  die 
Frage,  wenn  er  ib.  V.  30  sqq.  den  Achilles  also  zum  Agamemnon  sprechen  lässt: 

Hättest  Du  doch  in  der  Ehre  Genuss,  mit  welcher  Du  herrschtest. 
Fern  im  Troischen  Land  den  Tod  und  das  Schicksal  gefunden. 
Denn  ein  Denkmal  hätten  gesammt  Dir  erhöht  die  Achäer, 
Und  Dir  war'  auch  der  Sohn  mit  ewigem  Ruhme  verherrlicht. 
Doch  nun  ward,  zu  sterben  den  kläglichsten  Tod,  Dir  geordnet. 
Man  ersieht  deutUch,  dass  die  Erwähnung  eines  für  Agamemnon  in  der  Ebene  nicht  vor- 
handenen Grabmals  (rvfißog)  die  ehrenden  Grabstätten  der  übrigen  voraussetzt,  und  es  ist 
daher  mit  vollkommener  Sicherheit  zu  schliessen,  dass  es  zur  Zeit  des  Homer  an  dem  von 
den  Griechen  einst  besetzten  Strande  keine  anderen  Grabhügel,  als  die  der  Ge- 
nannten gegeben  hat.  Und  so  ist  es  in  der  That;  denn  alle  übrigen  künstlichen  Tumuh  lagen  in 
der  Ebene.  An  jedem  der  ersteren  haftete  ursprünghch  die  historische  Ueberlieferung,  welche  erst 
nach  und  nach  vom  bläulichen  Dufte  der  Sage  umwoben  worden  ist.  Betrachten  wir  zuerst  die  Sage 
am  Achilleshügel,  so  lautete  sie,  wie  sich  aus  der  Andeutung  bei  Homer  Od.  XXIV,  37.  entnehmen 
lässt,  in  ihrer  einfachsten  Form  etwa  so:  Hier  ruhet  der  gottähnliche  Achilles,  des  Peleus 
und  der  Meergöttin  Thetis  Sohn,  welcher  vor  Troia  fiel,  fern  von  Argos.  Aber  selbst- 
verständlich ist  auch  weiter  berichtet  worden  von  der  gewaltigsten  That  des  jugendhchen  Helden, 
von  der  Tödtung  Hectors,  nachdem  dieser  den  Patroclus  im  Zweikampfe  erschlagen,  und  endUch 
von  der  Veranlassung  zu  seinem  eignen  Tode.  Als  einen  Zusatz  dagegen,  der  in  der  ursprünglichen 
Ueberlieferung  nicht  enthalten  war,  sondern  erst  später  aus  Reflexion  hervorging,  müssen  wir  es 
bezeichnen,  wenn  uns  berichtet  wird,  dass  Achilles  wider  Wunsch  und  Willen  seiner  Mutter  am 
Troischen  Kriege  Theil  genommen  habe.  Er  war  als  ein  (üxv/.wQog  oder  juvvvvd-aöiog  in  seiner 
Jugendblüthe  gefallen;  dass  dieses  aber  geschehen  werde,  konnte  der  Mutter,  der  wissenden 
Meergöttin,  nicht  verborgen  gewesen  sein,  und  in  ihr  musste  sich  das  ganz  natürhche  Verlangen 
geregt  haben,  den  Sohn  so  lange  als  möglich  am  Leben  erhalten  zu  sehen;  darum  hatte  sie  ihn 
auf  Skyros  verborgen,  ohne  es  jedoch  dem  ränkekundigen  schlauen  LiebUng  der  Athene,  dem 
Odysseus,  unmöglich  zu  machen,  ihn  aus  dem  Verstecke  hervorzulocken. 

Mit  dem  Achillesgrabmal,  nach  Ulrichs  p.  605  noch  heute  ebenfalls  Pascha-tepe  genannt,  stand 
ferner  von  I' ranfang  an  die  Meldung  in  Verbindung,  dass,  wie  einst  hienieden  der  Peüde  mit  seinem 
Freunde  Patroclus  durch  die  herzlichste  Fi-eundschaft  verbunden  gewesen,  so  auch  dem  Willen  des 
ersteren  gemäss  die  Gebeine  Beider  nach  dem  Tode  ihre  dauernde  Vereinigung  unter  dem  Todten- 
hügel  gefunden  hätten.  Da  sich  jedoch  zur  Zeit,  etwas  südösthch  von  jenem,  noch  ein  zweiter,  nur  ein 
wenig  niedrigerer  künstlicher  Tumulus  vorfindet,  den  man  gegenwärtig  üiv  das  Grabmal  des  Antilochus 
hält,  so  haben  sich  schon  im  Alterthum  Bedenken  erhoben,  ob  jene  Meldung  auch  die  annehmbare, 

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12 


Tind  ob  nicht  vielmehr  der  letztere  Hügel  das  abgesonderte  Grab  des  Patroclus  sei;  weni^^^tens 
scheidet  Strabo  p.  103  ausdrücklich  das  Uqov  ^vr,^a  des  Achilles  von  den  Grabmälern  des  I  atruclus 
und  Antilochus.  Das  Zeugniss  Strabos  würde  jedoch  drei  Hügel  voraussetzen,  wahrend  doch  nur 
zwei  vorhanden  sind.  Zweifel  aber  hätten  in  Wahrheit  gar  nicht  erhoben  werden  sollen,  da  Homer 
selbst,  der  älteste  Gewährsmann  jener  Sage,  ganz  ausdrücklich  die  Bestattung  Beider,  des  Achilles 
und  Patroclus,  unter  einem  Hügel  verbürgt;  cf.  Iliad.  XXHI,  S2  sqq.,  wo  der  Schatten  des  Patroclus 

also  snncht  t 

Eines  sag  ich  Dir  noch  und  ermahne  Dich,  wenn  Du  gehorchest. 

Lege  mir  nicht  das  Gebein  von  dem  Deinigen  fern,  o  Achilleus, 

Sondern  gesellt,  wie  mit  Dir  ich  erwuchs  in  euerer  Wohnung. 
V.  91:        So  auch  unser  Gebein  umschliess  ein  gleiches  Behältniss, 

Jenes  goldne  Gefäss,  das  die  göttliche  Mutter  Dir  schenkte. 

Und  dazu  Odyss.  XXIV,  72,  sqq. 

Hierin  ruht  Dein  weisses  Gebein,  ruhmvoller  Achilleus, 

Mit  dem  Gebeine  vermischt  des  Menötiaden  Patroclos; 

Aber  gesondert  der  Staub  des  Antilochos,  den  Du  vor  Allen 

Andern  Freunden  geehrt  nach  dem  abgeschiednen  Patroclos. 
Die  Annahme  nun,  dass  der  Dichter  die  Vereinigung  der  Gebeine  Beider  lediglich  ersonnen,  ist 
völUg  unstatthaft;  sie  wäre  nur  denkbar,  wenn,  wie  Strabo  will,  der  die  Ebene  selbst  nicht  gesehen, 
drei  künsthche  Hügel  nachweisbar  wären,  was  nicht  der  Fall  ist.  Somit  ergiebt  sich,  dass  Homer 
die  Sage  gerade  so,  wie  er  sie  vorführt,  vom  Hügel  aus  überkommen,  und  dass  dieselbe  ausser  den 
Thaten  und  dem  Tode  des  Achilles  auch  dessen  Freundschaftsbündniss  mit  Patroclus  und  des  letz- 
teren Tödtung  durch  Hector  enthalten  haben  muss.  Wie  sie  im  Einzelnen  gelautet,  lasst  sich  mcht 
angeben;  dass  sie  aber  alle  Grundzüge  des  grossen  Dramas,  welches  Homer  vor  unsern  Augen  ent- 
rollt, umfasst  haben  wird,  und  dass  diese  Züge  erst  durch  den  Dichter  gleichsam  Fleisch  und  Blut  be- 
kommen haben,  das  muss  nls  ausgemacht  gelten.  Beiläufig  sei  noch  bemerkt,  dass  der  Ac  iilles- 
hügel,  wie  wir  ihn  noch  heute  sehen,  35  Fuss  hoch  ist  und  1 20  Fuss  im  Durchmesser  enthalt  (cf. 
Ulr  p  606),  während  der  des  Antilochus  (denn  diesem  gehört  der  kleinere  nach  den  Worten  des 
Homer  1.  1.  78  xioQig  d'  'Avxiloxoio  offenbai'  anj  bei  weitem  niedriger  ist  und  vom  Meere  aus  ge- 
sehen vor  dem  ersteren  liist  verschwindet. 

Von  nicht  geringerer  Wichtigkeit  ist  der  dem  Achillesgrabmal  östlich  am  Siidwestabhange 
des  Rhoeteum  gegenüberliegende  Hügel,  heut  In-tepe,  d.  i.  Gewölbehügel  genannt;  in  südlicher 
Richtung  von  ihm  erhebt  sich  Hissarlik,  welches  durch  das  Dümbrek-Thal  von  ihm  getrennt  wird.  Jenen 
\amen  führt  der  Hügel,  weil  an  seinem  südhchen  Fusse  ein  unstreitig  durch  Nachgrabung  bloss- 
gelegtes  Gewölbe  einige  Schritte  in  ihn  hineinführt.  Forchhammer  giebt  uns  p.  21  eine  anschauhche  Be- 
schreibung: „Der  Bau,  so  scheint  es,  bestand  aus  zwei  Stockwerken.  Der  untere  ent- 
hält eine  grosse  Kammer,  die  jetzt  mit  Erde  gefüllt  ist.  Sie  ist  bedacht  mit  einem 
Gewölbe  von  ungewöhnlicher  Stärke.  Der  Bogen  des  Gewölbes  ist  von  aussen  ge- 
waltsam durchbrochen.  Seine  Dicke  beträgt  ungefähr  sechs  Fuss.  Gebaut  ist  der- 
selbe aus  sehr  grossen  glatten  Steinen,  welche  aus  den  Kalkfelsen  der  Umgegend 
gebrochen  und  durch  einen  ausserordentlich  harten  groben  Mörtel  verbunden  sind. 
-  Oberhalb  des  Gewölbes  erhebt  sich  der  Hügel  noch  zu  einer  ausserordentlichen 
Höhe."  Wenn  es  derselbe  nun  für  nicht  unwahrscheinhch  hält,  dass  die  gewölbte  Kammer  des  In- 
tepe  ein  altes  Nvmpheum,  d.  i.  Quellkammer  sei  (cf  p.  22),  Ulrichs  dagegen  m  ihm  einen  alten 
Wartthm-m  vermuthet  (cf  p.  t)05),  so  mögen  diese  Annahmen  auf  sich  beruhen;  denn  sie  können 
nur  von  denen  aufgesteUt  und  vertheidigt  werden,   welche   der  Ansicht   sind,   dass   erst   seit  Homer 


13 


und  durch  dessen  Gesänge  schon  vor  ihm  vorluiudene  Oertlichkeiten  mit  Homerischen  Erinnerungen 
verknüpft  und  verbunden  worden  sind.  Wir  dagegen  haben  aus  den  Ortsverhältnissen  der  Ebene 
bewiesen  (cf  Abb.  L),  dass  der  Troianische  Krieg  ein  historisches  Factum  ist,  dass  also  die  Erinne- 
rungen an  ihn  sich  an  den  einzelnen  Punkten  der  Ebene  festgesetzt  und  nach  und  nach  zu  Sagen 
gestaltet  haben,  und  dass  in  diesen  das  Material  zu  suchen  ist,  aus  welchem  der  Dichter  seine  Iliade 
geschaften  hat.  Demzufolge  ist  die  Ueberheferung  des  Alterthums,  dass  Aiax  der  Telamonier  am 
Rhoeteum  begraben  hege,  die  allein  richtige  und  der  In-tepe  ist  wirklich  nichts  anderes  als 
dessen  Grabmal.  Jene  Ueberheferung  hndet  sich  allerdings  nur  bei  dem  späten  Dictys  Cretensis 
V,  15;  allein  schon  Homer  verbürgt  einen  %l(.tßos  des  Aiax,  wie  oben  aus  Odyss.  XXIV  init.  und  zwar  aus 
dem  Gegensatze  des  Aiax  zum  Agamemnon,  der  des  Grabmals  in  der  Ebene  entbehrte,  nachgewiesen 
worden  ist.  Dazu  kommt  es,  dass,  wenn  nicht  zu  bezweifeln  ist,  dass  der  innere  Bau  der  alten  Grab- 
hügel überall  derselbe  gewesen  sein  wii-d,  wir  gerade  an  dem  In-tepe  ganz  dieselbe  Construction 
wieder  finden,  welche  uns  Homer  von  dem  Hectorhügel  hinterlassen  hat;  cf  XXIV,  793  sqq.  Die 
Worte  alipu  S*  clq'  in  xoUr^v  xajitTov  ^iaav  bezeichnen  oöenbar  che  innere  Todtenkammer,  welche 
mit  mächtigen  Felsblöcken  überwölbt  [üvtccq  LireQ^ev  nvxvolaiv  laeaai  xaTeaxoQeoav  ^leyaloiaiv) 
und  hierauf  mit  Erde  beschüttet  worden  ist  ()ifi(fa  öt  ö7\f^i'  ty^aav).  Der  Aiaxhügel  selbst  ist  30 
Fuss  hoch  und  enthält  in  der  Basis  130  Fuss  im  Durchmesser;  cf  Ulr.  1.  1.  An  ihm  nun  hafteten 
die  Sagen  vom  Aiax  dem  Sohne  des  Telamon,  und  zwar  enthielten  sie  nicht  allein  dessen  Thaten 
vor  Troia  und  zwar  vorzugsweise  seinen  Zweikampf  mit  Hector  und  die  Vertheidigung  des  Schiffs- 
lagers, sondern  berichteten  auch  von  seinem  Selbstmord,  also  von  dem  Wettstreit  um  die  Waffen 
des  getödteten  Achilles.  Wie  sie  in  der  Kürze  gelautet,  lässt  sich  nicht  bestimmen;  auf  welchem 
Wege  aber  auch  sie,  wie  die  übrigen,  Zusätze  empfangen  haben,  wird  sich  weiter  unten  ergeben. 

Wir  gehen  zum  letzten  Punkte  über,  welcher  fiir  die  vorliegende  Untersuchung  von  weit- 
gehender Bedeutung  ist,  zum  Schiffslager  der  Achäer,  vauara&fwg.  Dieses  ist  früher  (Abb.  I, 
p.  34)  nur  als  die  Staffage  zum  grossen  Trauergemälde  bezeichnet  worden,  welches  in  der  Iliade 
vor  unsern  Augen  sich  aufrollt,  allein  zu  dem  Ansehen,  welches  späterhin  das  Werk  des  Dichters 
in  der  ganzen  Helleneiiwelt  behauptete,  hat  es  vorzugsweise  beigetragen  und  sozusagen  den  Aus- 
schlag gegeben.  An  welchem  Punkte  des  Strandes  die  Griechenflotte  einst  gelandet  und  wo  sie  am 
Gestade  Aufstellung  genommen,  darüber  war  das  Alterthum  ebensowenig  wie  wir  im  Stande,  ge- 
nügende Auskunft  zu  geben.  Der  Geograph  Strabo  \virft  p.  103  Alles  durcheinander,  und  es  wäre 
vergebhche  Mühe,  die  von  ihm  genannten  Namen  in  der  angegebenen  Reihenfolge  am  Ufer  des 
Hellespont  fixiren  zu  wollen;  er  selbst  weiss  eben  nicht  mehr  und  nicht  weniger,  als  dass  die  an- 
gegebenen Orte  in  der  Bucht  z^vischen  Rhoeteum  und  Sigeum  zu  suchen  sind,  und  bezeichnet  da- 
mit eben  nur  die  Reste  der  Ueberheferung,  wie  sie  im  Volksmunde  noch  zu  seiner  Zeit  vorhanden 
waren.  Etwas  Bestimmteres  aber  hat  aucli  der  Dichter  der  Iliade  nicht  gewusst  und  hat  daher,  um 
für  die  hyperbolische  Zahl  der  Schiffe  und  der  Kämpfenden  auf  dem  auch  zu  seiner  Zeit  völlig 
flachen  und  ebenen  Gestade  (cf  Riad.  XII,  30)  Raum  zu  gewinnen,  sich  der  Volkssage  vöUig  anbe- 
quemt und  auf  sie  gestützt  die  ganze  Bucht  zwischen  den  genannten  Vorgebirgen  als 
Lager  der  Achäer,  als  Hafen  der  Achäer,  endlich  als  Schiffslager  bezeichnet;  cf  Iliad, 
XIV,  35.  Auf  diese  Weise,  ganz  allgemein  gefasst,  war  Bucht  und  Schiffslager  ein  und  das- 
selbe und  demnach  eine  vöUig  bekannte  Oerthchkeit.  Dieser  allgemeinen  Bestimmung  unbedingt 
Folge  zu  geben,  hatte  der  Dichter  umsomehr  Grund  und  Veranlassung,  je  augenscheinhcher  aus  den 
beiden  emporragenden  Todtenhügeln  des  Achilles  und  des  Aiax  die  Ausdehnung  des  ganzen  Griechen- 
heeres hervorging.  Denn  da  die  Sitte  des  Alterthums  grossen  Helden  ihre  letzte  Ruhestätte  nur 
ausserhalb  der  Mauern  ihrer  Heimathstadt  anwies,  so  konnten  auch  jene  nur  ausserhalb  des 
Lagers,   jedoch  jeder  nur  in  der  Nähe   seiner  Schiffe   bestattet   sein,   und   darum    berichtet   Homer 


14    

ausdrücklich,  dass  die  Schiffe  Beider  die  äiissersten  Flügel  des  ganzen  Schiffslagers  gebildet,  dieses 
also  selbst  sich  vom  Sigeum  bis  zum  Rhoeteum  ausgedehnt  habe;  cf.  Ihad.  VIII,  222  sqq.  Dürfen 
wir  indessen  einer  Verrauthung  über  den  wirklichen  Landungsplatz  Raum  geben,  so  wird  dieser  nur 
in  dem  heutigen  Karanlik-Liraan,  in  welchem  wir  schon  früher  (Abh.  I,  p.  9)  den  Seehafen  der 
Troischen  Ebene  vermuthet  haben,  zu  suchen  sein.  Zwar  ist  derselbe  heutigen  Tages  völlig  ver- 
sandet (cf.  Ulr.  p.  605),  wird  aber  sicherHch  in  jener  Urzeit,  als  die  Meereswogen  den  Dünensand 
noch  nicht  in  dem  Maasse,  wie  heute,  hineingetrieben  hatten,  solchen  Schiffen,  die  noch  auf  das 
Land  gezogen  werden  konnten,  reichUchen  Tiefgang  gewährt  haben.  Dass  dieser  kleine  Punkt  die 
durch  die  Sage  ins  ungeheure  vergrösserte  Flotte  nicht  aufgenommen  haben  könne,  lag  auf  der 
Hand,  und  somit  entwickelte  sich  im  Volksmunde  jene  Ausdehnung  über  die  weite  Bucht  hin  ganz 
von  selbst. 

Was  nun  den  Inhalt  der  Sage  vom  Schiffslager  anbetrifft,  so  muss  diese  eine  Fülle  von 
Material  enthalten  haben;  in  ihr  trat  die  nlr^d-ig  der  Kämpfenden  zwar  vöUig  in  den  Hintergi-und, 
datur  aber  leuchteten  die  Fürsten  als  die  Repräsentanten  ihrer  Stämme  um  so  entschiedener  hervor. 
Von  ihnen  hat  die  Naustathmossage  mehr  oder  weniger  berichtet,  aber  berichtet  hat  sie  von  Allen ;  und 
als  es  sich  später  darum  handelte,  das  grossartige  Werk  der  IHade  zu  schaffen,  so  hat  die  Acliilles- 
sage  mit  der  Meldung  von  der  Tödtung  des  Hector  dem  Dichter  zwar  den  Kern  dazu  geliefert,  die 
Naustathmossage  aber  Stoff  und  Gelegenheit  geboten,  jenen  Kern  mit  den  Grossthaten  der  alten 
Hellenischen  Heldenzeit  gleichsam  zu  umkränzen  und  also  der  ganzen  Nation  ein  unvergängHches 
Denkmal  zu  setzen. 

Die  Naustathmossage  umfasste  im  Grossen  und  Ganzen  alle  Sagen  des  Troerkrieges;  sie 
meldete  nicht  allein  die  Thaten  der  Griechischen  Helden,  sondern  ermähnte  auch  die  hervor- 
ragenden Führer  der  Troer  überall,  wo  diese  mit  jenen  in  Berührung  kamen,  also  Hector  und 
Aeneas,  Sarpedon,  Pandarus  und  Andere,  und  auch  der  thatenlose  Priamus  wird  wenigstens  dem  Namen 
nach  genannt  worden  sein.  Sie  war  gleichsam  das  grosse  (iefäss,  in  welchem  die  Einzelsagen  sich 
bunt  durcheinander  bewegten,  jedoch  ohne  dass  diese  selbst  in  irgend  einem  bestimmten  Zusammen- 
hang mit  einander  standen.  Diess  ergiebt  sich  ganz  bestimmt  aus  der  Achilles-  und  aus  der  Aiaxsage, 
welche  beide,  wenn  auch  fester  ausgeprägt  an  den  Todtenhügeln,  dennoch  von  der  Naustathmossage 
mit  umfasst  worden  sind.  Die  Aiaxsage  muss  unter  allen  Umständen  das  tragische  Ende  des  Helden 
gemeldet  und  späteren  Dichtungen,  z.  B.  des  Sophocles  das  Material  geliefert  haben;  da  jedoch  der  Tod 
des  Aiax  nach  dem  Wettstreit  um  Achilles  Waffen  erfolgt,  so  kann  die  Achillessage,  die  mit  dem  Hin- 
gang des  Peliden  endigt,  nichts  von  jener  Sagenfülle  über  Aiax  Ende  gewusst  haben.  Und  umge- 
kehrt, wenn  die  Achillessage  sicheriich  den  Widerstand,  welchen  die  Mutter  Thetis  der  Theilnahme 
ihres  Sohnes  am  Troerkriege  entgegensetzte,  und  dessen  kluge  und  schlaue  Bewältigung  durch 
Odysseus  gemeldet  hat,  so  kann  die  Aiaxsage  hiemit  nicht  im  Entferntesten  verknüpft  gewesen  sein. 
Ebenso  ist  zu  urtheilen  von  den  übrigen  Sagen,  welche  im  Naustathmos  wurzeln.  Hier  ist  gesagt 
und  gesungen  worden  von  den  Thaten  der  beiden  Atriden,  des  Diomedes,  des  Odysseus;  hier  hat 
der  Pylische  Nestor  ehrende  Erwähnung  gefunden,  nebst  Idomeneus  und  Meriones;  hier  ist  auch 
der  untergeordneten  Führer  mehr  oder  weniger  gedacht  worden,  und  nur  die  nlr^O^vg  ist  völlig 
unbeachtet  geblieben.  Aber  wenn  der  gewaltige  Diomedes  sogar  den  Kami)f  gegen  die  Götter 
aufnimmt  und  Ares  und  Aphrodite  verwundet,  so  stand  diess  mit  dem  ruhigen  Walten  des  Nestor, 
oder  mit  der  Verschlagenheit  und  List  des  Odysseus  in  keinem  Zusammenhange;  woraus  folgt,  dass 
alle  diese  Einzelsagen,  die  nur  in  dem  gemeinsamen  Kampf  gegen  Troia  ihren  Mittelpunkt  fanden, 
auch  einzeln  erzählt  und  berichtet  worden  sind. 

Aus  dem  bisherigen  Gange  der  Untersuchung  ergiebt  sich  ein  eigcnthümhches  Resultat;  es 
tritt  eine  überraschende,  ja  fast  räthselhafte  Erscheinung  zu  Tage,    welche   um  so  auffallender  sich 


15    

herausstellt,  je  grösser  und  umfjingreicher  das  Material  ist,  von  welchem  sie  sich  abhebt.  Es  ergiebt 
sich  nämlidi  1),  dass  in  der  ganzen  Iliade,  mit  Ausnahme  des  Flusses  Scamander,  auch 
nicht  ein  Punkt  sich  findet,  welcher  topographisch  so  gewiss  angegeben  wird,  dass  er 
für  weitere  Untersuchungen  grundleglich  gemacht  werden  könnte.  Nur  Namen,  leere 
Namen  von  Anhöhen  und  Abhängen,  von  Flüssen  und  Sümpfen  treten  uns  entgegen; 
die  Stadt  selbst  wird  ganz  allgemein  in  der  Mitte  der  Ebene  angegeben  und  ohne  alle 
weitere  Bestimmung  gelassen;  mit  einem  Worte,  die  ganze  Ebene  ist  mit  einem 
nebelhaften  Dufte  überzogen  und  es  bleibt  der  Phantasie  des  Lesers  völlig  über- 
lassen, sich  die  Oertlichkeiten  ganz  nach  Belieben  zu  gestalten  und  zurecht  zu 
legen.  Ferner  ergiebt  sich  2),  dass  Alles,  was  während  des  ganzen  Krieges  von  den 
Troern  berichtet  wird,  durchweg  mager,  mangelhaft  und  inhaltslos  ist  und  mit  Aus- 
nahme der  Thaten  des  Hector  und  Aeneas,  auch  allenfalls  des  Paris,  kaum  den 
Namen  einer  Handlung  verdient;  sodann  3),  dass  alle  Sagenreste  in  der  Ebene  bis  auf 
die  geringsten  Spuren  gänzlich  verschwunden  sind;  daliingegen  4 ),  dass  alle  am  Strande 
vorhandenen  Erinnerungen  au  den  Krieg  sich  bis  tief  in  die  historische  Zeit  herab 
frisch  und  lebendig  erhalten  haben.  Wie  dieser  Gegensatz  zwischen  Strand  und  Binnenebene 
entstanden  und  wie  diese  räthselhafte  Erscheinung  zu  lösen  sei,  wird  sich  aus  dem  Folgenden  ergeben. 

§•  4. 

Die  Verbreitung  der  Sagen  von  Troia.  zunächst  nach  louien.    Form  derselben. 

Der  Hexameter. 

Es  bedarf  keines  Beweises,  dass  die  ersten  Mittheilungen  über  den  Troerkrieg  in  der  üblichen 
Volkssprache  und  Volksweise  von  Mund  zu  Mund  gegangen  sind;  so  ist  es  geschehen  unter  den  in 
der  Ebene  Zurückgebliebenen,  so  an  allen  einzelnen  Orten,  wohin  Sieger  und  Besiegte,  nachdem  sie 
Troia  verlassen,  gekommen  sind.  Nur  ein  Land  macht  hievon  eine  überraschende  und  auffallende 
Ausnahme,  lonien  und  die  an  den  Kleinasiatischen  Gestaden  liegenden  Inseln.  Hier  hat 
die  Ueberheferung  der  Troischen  Sagen  sich  ganz  anders  gestaltet,  und  diess  in  einem  Lande,  welches 
am  Troerkriege  genau  genommen  völlig  unbetheiligt  geblieben  ist.  Es  liegt  somit  auf  der  Hand,  dass 
hier  Ehiwirkungen  und  P^intlüsse  sich  geltend  gemacht  haben,  welche  tiefer  liegende  Ursachen  vor- 
aussetzen. Denn  warum,  darf  man  fragen,  ist  das,  was  wir  in  dem  unbetheihgten  lonien  eintreten 
sehen,  nämlich  die  poetische  Formgebung  der  Sagen,  nicht  viel  eher  im  Peloponnes,  dem  Haupt- 
sitze der  Atriden,  warum  nicht  in  Thessahen,  der  Heimath  des  Achilles,  warum  nicht  an  vielen  an- 
dern Orten  z.  B.  dem  sonnigen  Attica  geschehen,  welche  Länder  doch  am  Kampfe  gegen  Troia  un- 
mittelbaren Antheil  genommen  und  darum  nähere  Veranlassung  hatten,  die  Thaten  ihrer  Helden  in 
Liedern  und  Gesängen  auszuströmen?  Und  doch  wird  Niemand  behaupten  dürfen,  dass  solches  dem  Hel- 
lenischen Geiste  nirgends  anderswo  möghch  gewesen  sei  und  dass  nur  die  louier  von  Natur  eine  feinere 
geistige  Organisation  gehabt  hätten,  als  z.  B.  die  Bewohner  Attica's.  Wie  also  ist  es  zugegangen, 
dass  sich  die  ganze  Troische  Sagenfülle  gerade  nach  lonien  gleichsam  geflüchtet  und  allhier  eine 
Poesie  hat  emporblühen  lassen,  welche  an  der  Spitze  der  ganzen  Griechischen  Litteratur  steht? 
Wir  können  hierauf  nur  dann  eine  befriedigende  Antwort  geben,  wenn  wir  zuvor  den  Versuch 
machen  uns  den  Culturzustand  jenes  Landes,  wie  er  bereits  zur  Zeit  des  Troerkriegs  gewesen  sein 
muss,  klar  zu  vergegenwärtigen;  denn  es  ist  unmöghch,  dass  er  schon  damals  kein  anderer,  als  der 
des  übrigen  Griechenlands  gewesen  sei;  mit  einem  W^orte,  schon  zur  Zeit  der  Zerstörung  Troias 
muss  in  lonien  die  Poesie  in  ihren  Anfängen  geblühet  und  sich  der  Troischen  Sagen  sofort  be- 
mächtigt  haben,   während   das  übrige  Hellas  noch  keine  Spur   davon   aufzuweisen  hatte.    Diess   zu 


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ergründen,   giebt   es  jedoch  keinen   andern  Weg,   als   ein   genaueres  Eingehen   auf  die  Urform,   in 
weicher  uns  unbestritten  die  ganze  Griecliische  Poesie  entgegentritt,  auf  den  Hexameter.    Schon  das 
Alterthum  hat  nach  der  Entstehung  dieses  prächtigen  Verses,  welcher  die  ganze  Griechische  Metrik 
eröffnet  und  zu  allen  Varietäten  derselben  die  Veranlassung  gegeben  hat,   gefragt,   aber   keine    be- 
friedigende Antwort  darauf  gefunden,  und  in  der  That  ist  die  Entstehung  des  Verses  in  ein  so  riithsel- 
haftes  Dunkel  gehüllt,  dass  man  sich  nicht  wundern  darf,  wenn  auch  die  neuere  Forschung  die  Antwort 
bis  dahin  schuldig  geblieben  ist   und  sich  })ei  den  allgemeinen  Bezeichnungen   des   epischen    oder 
heroischen  Verses  beruhigt  hat.    Aus  diesem  und  keinem  andern  Grunde  führen  die  Alten  die  Er- 
findung desselben  direct  auf  das  Delphische  Orakel  zurück,   dessen  erste  Priesterin  Phemonoe  ihn 
ersonnen  habe  (cf.  Paus.  X,  5),  und  erwähnen  sogar  als  ersten  Hexameter  folgenden  Vei-s:  Iv^Kfegets 
nreoä  x    ohovol  xi;i)6v  js  ^dhaacct ;  cf.  Beruh.  Gr.  L.  p.  267,  3.  A.    Indessen  weder  jene  symbolische 
Priesterin,   noch  die  nebelhaften  Gestalten  eines  Thamyris  oder  Orpheus,   noch  überhaupt  die  heihg 
gehaltenenGöttersitze,  wo  nicht  von  Uranfang  an,  sondern  erst  im  Verlauf  der  Zeit  mit  Bewusstsein  be- 
rechnende Priesterschaften  ihr  Wesen  trieben,  können  jenen  Vers  geschaffen  haben ;  noch  ist  er,  wie 
Bernhardy  will,  aus  dem  heitern  und  frohsinnigen  Nationalcharacter  des  Griechischen  Volkes,  welches 
an  den  Festen  der  Götter  deren  Altäre  festUchgeschmückt  umtanzte,  hervorgegangen,  eine  Annahme 
die  den  berühmten  Gelehrten  sogar  veranlasst  hat,  den  Hexameter  selbst  dem  einstimmigen  Zeugniss 
des  Alterthums  entgegen  nicht  als  den  ersten  und  ursprünghchen  Vers  der  Griechischen  Poesie  zu 
betrachten,  sondern  ihn  aus  dem  neckischen  iambisch-trochäischen  Maasse  beim  Chorreigen  der  fröh- 
hchen  Menge  herzuleiten  (cf.  Beruh,  p.  264).     Auch  wenn   der  kundige  Aristoteles   (Poet.  c.  41)  in 
dem  Hexameter  nur  das  natürliche  Vcrsmaass  des  erzählenden  fTcog  sieht,  so  lässt  sich  diese  An- 
nahme schon  an  und  für  sich  nicht  nur  nicht  begreifen,   sondern   sie   stellt  sich  dem,    was   natur- 
gemäss   wäre,   schnurstracks   entgegen.     Wir   kennen    die  naturgemässe  Betonung  der  Gnechischen 
Wörter  durch  den  Accent,   und   zu   dieser   steht   die   Silbenmessung   nach   der  Quantität  und  der 
damit   verbundene   Tonfall   des   Verses   im   schroffsten   Gegensatze;    wesshalb   sich   sogar  behaupten 
lässt,  dass,  je  melu'  unter  dem  Einflüsse  des  Versrhythmus  die  natürliche  Betonung  der  Wörter  litt 
und  geradezu  corrumpirt  wurde,   die   alten   Grammatiker   um   so    eifriger   sich  bemüheten,   sie  rein 
zu  erhalten,  so  dass  Aristophanes  von  Byzanz  hierin  allein  den  Anstoss  fand,  die  richtige  Betonung  der 
Wörter   mittelst   des   Accents   festzustellen.     Aus   allen   diesen  Gründen    nun  ist  mit  Sicherheit  zu 
schhessen,  dass,   wenn   aus   dem   Urvers  der  Griechischen  Sprache   und  nicht   umgekehrt   sich   die 
ganze  Griecliische  Metrik  entwickelt  hat,   und  wenn  der  Hexameter  durch  seine  Rhythmen  den  na- 
türlichen Wortaccent  ganz  aus  den  Augen  setzte  und  unberücksichtigt  Hess,  es  eine  äussere  zwingende 
Nothwendigkeit  gegeben  haben  muss,  welche  ihn  schuf  und  ihn,  wie  alle  Kunst  und  Wissenschaft 
aus   einem   unabweishchen   Bedürfniss   der   Menschen    hervorgehen   Hess.      Denn   me  das   Be- 
dürfniss  einst  den  Menschen  zur  Bildung  thönerner  Gefässo  zwang,  und  wie  sich  hieraus  unter  Beob- 
achtung der  Schönheitsformen  die  Plastik   und   weiterhin,   als   man   die  Gefässe  mit  bunten  Farben 
zu  bemalen  anfing,   die  Malerei   entwickelt   hat,   oder   wie   die  Wüstenreisen  der  Chaldäer   und  der 
arabischen  Nomaden,   so  wie  auch   die  ersten  Seefahi'ten  der  Phoenizier,   um  sich  vor  Verirrung  zu 
schützen,  die  genauere  Beobachtung  des  Himmels  und  der  Gestirne  zui*  Folge  gehabt    und  also  die 
Astronomie  in  ihren  Uranfängen  begründet  haben,   so   muss  ein  ähnliches  Bedürfniss  zur  Entwicke- 
lung  auch  der  Poesie  den  ersten  Anstoss  gegeben  haben,   und  muss  sich   solches  unter  allen  Um- 
ständen nachweisen  lassen.     Der   älteste   uns   überheferte  Vers  ist  nun  einmal  der  Hexameter,   und 
die  ältesten  auf  uns  gekonmienen  Gedichte,   die  des  Homer  und  Hesiod  sind  in   diesem  Versmaasse 
abgefasst.     Es  mag  liier  ganz  auf  sich  beruhen,  wer  von  Beiden  der  ältere  sei,  ja  es  bedarf  nicht 
einmal  der  Untersuchung,  ob  das  eigne  Zeugniss  des  Hesiod   (Werke  und  Tage  V.  636),   sein  Vater 
sei   von   der   Aeohschen   Kyme    in   Kleinasien    nach    Ascra   in   Boeotien    gekommen,    auf  Walu'heit 


I 


beruhe  (an  der  wir  übrigens  nicht  zweifeln  i;  so  viel  muss  als  ausgemacht  gelten,  dass  die  Homerische 
und  die  Hesiodeische  Poesie   in   allen  ihren  Spuren  in  lonien   ihre   Heimath   und   von   da   aus  erst 
weitere  Verbreitung  gefunden  hat,  dass  sie  also  in  demselben  Lande  urheimisch  ist,  wo  neben  ihr  auch 
die  Anfänge  der  Pliilosophie,  der  StaatsNvissenschaft,  der  Astronomie  und  Mathematik  sich  vorfinden. 
Dioss  ist  kein  Zufall;   zu  glauben,  dass  dieses  Alles  erst  unter  den  aus  dem  Mutterlande  ausgewan- 
derten Colonisten  Kleinasiens  sich  entwickelt  habe,   um   späterhin   in  jenes,   welches  unterdessen  in 
völhger  Fortschrittslosigkeit  verharrt  habe,   zurückzukehren,   ist   und   bleibt  ein  Irrthum.     Vielmehr 
verhält  die  Sache  sich  umgekehrt;  die  Kleinasiatische  Küste  steht  in  vollständiger  Uebereinstimmuug 
mit  den  alten  Völkerzügen,   die  von  Osten  nach  Westen  führen,   und  ist   daher   als   das  eigenthche 
Stamniland  der  ganzen  Griechischen  Cultur  zu  denken.   Hier  ist  auch  der  Hexameter  geschaffen  worden 
und  zwar  in  einer  Urzeit,   die  jede  chronologische  Berechnung   ausschhesst.     Wagen  wir  es,   uns  in 
jene  Zeit  zurückzuversetzen,   als   die   Kleinasiatische  Küste   vom   Binnenlande   her   zuerst  bevölkert 
wurde,  so  gab  es,  wo  es  an  culturfähigem  Boden  fehlte,  und  die  Bewohner  der  Küste  schon  um  des 
nothwendigen   Lebensunterhalts  willen    auf  das   Meer    und   dessen  Ausbeutung   angewiesen  waren, 
keine  weitere  Wahl;    entweder  mussten  die  Küstenorte  mit   dem   Schwerte  in   der   Faust  die  Um- 
lande  beherrschen  und  brandschatzen,   wie  einst  IHon  gethaii,   oder  sich   auf  das   Meer  wagen 
und   Seefahrer  werden.    Dass   aber  unter  den   Kleinasiaten   vorzugsweise   die    lonier   es   ge- 
wesen sind,   welche   zuerst   und   in  höherem  Grade  die  SchiftTahrt  ausgebildet  haben,   das  wird  un- 
widerleghch   nicht   allein   durch   den  Gang,   den  die  Griechische  Cultur  überhaupt  genommen,   also 
durch   die   frühzeitige   Entwicklung   der   oben   genannten   Wissenschaften,  sondern   auch   durch   die 
Geschichte    genugsam   bezeugt.      Den    Beweis    hefert    der  Aufstand    der   Kleinasiatischen    Griechen 
und  besonders  die  Theilnahmc   und   die   hervorragende   Stellung,   welche   die  lonier   auf  der  Flotte 
des  Xerxes  in  den  Perserkriegen  einnehmen.     Ein   solcher   Höhepunkt  wird  von   einem  Volke  nicht 
etwa   in   wenigen   Jahren   erreicht,   sondern  ist  vielmehr  das  Ergebniss  jahrhundertelanger  Beschäf- 
tigung und  Uebung.     Aus  einem  unabweishchen  Bedürfnisse,  welches  bei  dieser  Lebensbeschäftigung 
sich    herausgestellt    hat,    ist    in    lonien    der   Hexameter    hervorgegangen,    und    die  Seefahrten   der 
lonier  sind  die  Wiege,   wie   der   oben   genannten  Wissenschaften,   so   auch   der  Griechischen  Poesie 
geworden.     Die  Uranfänge  der  Schifffahrt  sind   in   den    Küstenfahrten   zu   suchen;   in  der  Nahe 
des  bergenden  Ufers  machte  man  die  ersten  Erfahrungen,   erlangte  man  durch  unablässige  Uebung 
die  nöthige  Fertigkeit  und  gewann  Zuversicht  und  Vertrauen.    Bald   aber  luden  die  zahkeichen  an 
der  Küste  hegenden  kleinern   und  grössern  Eilande  und  Inseln   zu   zeitweihgen  Besuchen  und  dem- 
nächst zu  dauernden  Niederlassungen  ein,  und  die  dadurch  bedingte  Trennung  vom  Festlande  schuf 
ganz  von  selbst  den  Seeverkehr;   ein  reges  Treiben  sogar  auf  der  Höhe  des  Meeres  war  davon  die 
Folge,  und  auch  vor  weiteren  Fahrten   in   ganz   unbekannte  Gegenden   schreckte   man   nicht   mehr 
zurück.     Die  Frage  nun,   welche  Form  und  Gestalt   die  ersten  Fahrzeuge  gehabt  haben  mögen,   im 
Gegensatz  zur  Meldung,  dass  die  Argo  das  erste  langgestreckte  Schiff  gewesen,  kommt  hier  nicht 
weiter  in  Betracht,   wohl  aber,   ob  man  sich  zuerst  nur  der  Ruder,   oder  mit   diesen  zugleich  auch 
der  Segel  bedient  habe.     Die  Sache   selbst   spricht   für   das   erstere  und  die  aUe  Sage  bestätigt  es-, 
Danaus   kommt   auf  einem   Fünfzigruderer   nach  Griechenland  und  die  Argo,   von  50  Ruderern 
in  Bewegung  gesetzt,   eilt  nach  dem  sagenhaften  Colchis.     Waren   aber  Ruderfahrten  der  erste  An- 
fang, so  ist  damit  auch  die  allein  riclitige  Erklärung  so  vieler  räthselhafter  Erscheinungen,  die  aus 
der  grauesten  Vorzeit  auf  uns  gekommen  sind,   gegeben.    Die   regehrechte   Bewegung   eines   Ruder- 
schiffes ist  nicht  anders  möghch,   als   wenn   tUe  Einzelkraft   der  Ruderer  zu  einer  Gesammtkraft 
vereinigt  und  als  solche  stets  in  einem  und  demselben  Zeitpunkt  wirksam  wird.    Diess  aber  ist  ohne 
den  bestimmten  Zuruf  eines  die  Mehrzahl  Commandirenden  nicht  möghch.    Wer  jemals  der  Legung 
eines  Pfahlrostes   beigewohnt   hat,   oder   beim  Richten   eines  Hauses   zugegen  gewesen  ist,   der  wird 

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ff--  i,     .  ■  •  t 


:*  *>■ 


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dort  das  eintönige  Hol  up!,  hier  das  mahnende  Holz  her!  gehört  haben,  und  ein  ähnliches  Com- 
Diandowort  muss  sofort  beim  ersten  Ruderbote,  welches,  mit  einer  grossem  Zahl  von  Ruderern 
bemannt,  in  die  Meereswogen  hinab  geglitten  ist,  gehört  worden  sein,  und  es  ist  nicht  zu  sagen, 
dass,  wenn  wir  aus  der  historischen  Zeit  genau  über  das  xeXeva/na  und  den  xsXevorrig  der  Fahrzeuge 
unterrichtet  sind  ( cf.  Aesch.  Pers.  v.  403),  solches  nicht  auch  in  der  Urzeit  von  vornherein  noth wendig 
gewesen  sei.  Die  regelmässige  Fortbewegung  eines  mit  mehreren  Ruderern  besetzten  Fahrzeugs 
forderte  solches  mit  absoluter  Nothwendigkeit.  Aber  nicht  etwa  das  gleichzeitige  Hineinfallen  der 
Ruder  in  die  Wasserwogen  bewirkte  die  Bewegung,  sondern  der  damit  zugleich  verbundene  Zug 
des  Ruders,  indem  der  Rudernde,  dem  Punkte,  wohin  die  Bewegung  geht,  den  Rücken  zuwendend, 
das  Ruder  an  sich  zieht;  dieser  Zug,  ionisch  (moitiog,  später  ()v&/^i6g  (vergl.  xexoQv&^ivog)  ist  die 
Hauptsache;  er  wird  im  Zusammentönen  mit  dem  xüevaitia  zur  Hauptbetonung  des  gesprochenen 
Wortes  und,  sobald  das  xlXsva/na  aus  einer  Reihe  von  Wörtern  besteht,  in  dieser  Reihe  zu  dem,  was 
wir  Tact  nennen.  Um  die  Bewegung  des  Schiffes  beginnen  zu  können,  war  ein  Mahn  wort  Seitens  des 
Führers  an  die  Ruderer  noth  wendig,  ähnhch  unserem  Still  gestanden!  oder  Alle  Mann  h'rani 
Diese  im  befehlenden  und  darum  schnelleren  Tempo  gesprochene  Aufforderung  hatte  mit  der  dar- 
auf folgenden  Wortreihe  noch  nichts  zu  thun  und  lautete  z.  B.  aysrs  de*  aus  ihr  aber  bildete  sich 
der  für  die  spätere  Metrik  so  unbequeme  Proceleusmaticus  (w  ^  ^  -^),  der  jedoch  ebenfalls  des  Tactes 
wegen  in  die  Wortreihe  des  xUevo^icc  nicht  hineinpasste  und  darum  später,  wenn  er  in  den  Vers 
selbst  hineingefügt  werden  sollte,  in  ü  d"  eye,  alV  oye  etc.  abgeschliffen  worden  ist.  Hieraus 
ergiebt  sich  nun  unwiderleglich,  dass  der  Wortaccent  der  einzelnen  Wörter  der  Reihe  mit  dem 
(wd-fiög  nicht  immer  genau  zusammenfallen  konnte,  und  dass  liiedurch  die  Silbenmessung  nach  der 
Quantität,  im  Gegensatze  zum  Accent,  zu  einer  Nothwendigkeit  geworden  und  so  in  die  ganze 
spätere  Metrik  der  Griechen  übergegangen  ist.  Wie  lang  aber  war  die  Wortreihe  des  xilEvafia'f 
und  wie  \-iele  Tacte  enthielt  sie?  Es  ist  mehr  als  wahrscheinlich,  dass  es  beim  Beginn  der  Ruder- 
fahrten nicht  sofort  einen  eignen  am  Rudern  unbetheihgten  xeleiatr^g  gegeben  haben  wird.  Sicherhch 
war  derselbe  zugleich  auch  Ruderer,  und  somit  war  die  Länge  der  Wortreihe  abhängig  von  der 
Kraft  und  Ausdauer  der  Athmungs-Organe  des  Rudernden,  und  die  Natur  selbst  schrieb  hier  das 
Gesetz  vor:  das  Keleusma  umfasste  drei  Ruderschläge  in  einem  Athemzuge.  Es  würde  daher 
nicht  befremden,  wenn  die  hiedurch  gebildeten  Wortreihen  stets  nur  3  Spondeen  (weil  zur  gleich- 
massigen  Fortbewegung  des  Fahrzeugs  weder  Trochaeen  noch  Jamben  verwendbar  waren)  bestanden 
hätten.  Indessen  der  Inhalt  des  Keleusma  gab  den  Ausschlag;  der  Gedanke  Hess  sich  durchschnittlich 
in  die  kurzen  Reihen  nicht  einfügen,  sondern  ging  darüber  hinaus,  und  so  entstand  ganz  von  selbst  aus 
der  Verbindung  von  2  dreifüssigen  Reihen  die  Gfüssige,  d.  i.  der  Hexameter,  Es  ist  nicht  nöthig, 
hier  das  Wesen  des  Verses  umständlicher  zu  erörtern;  nur  so  viel  möge  gesagt  sein,  dass,  nachdem 
der  Ictus  ohne  Anacruse  mit  voller  Kraft  auf  die  Iste  Silbe  des  tsten  Fusses  gefallen,  er  auch  in 
den  übrigen  Füssen  auf  derselben  ersten  Silbe  verbleibt  und  zwar  so,  dass  der  ausgehende  Athem 
auf  der  ersten  des  3ten  Fusses  den  Ruhepunkt  zum  neuen  Athemzuge  sucht  und  gleichsam  einen 
Einschnitt  macht  ( Hauptcäsur),  um  sofort  mit  der  2ten  Silbe  des  3ten  Fusses,  welche  nun  die 
Anacruse  der  2ten  Reihe  bildet,  überzugehen.  Auf  diese  Weise  werden  die  beiden  Reihen  zu  einem 
harmonischen  Ganzen  mit  einander  verbunden.  Da  aber  die  2te  Reihe  durch  die  Anacruse  um  etwas 
gewachsen  ist,  so  nimmt  der  entschwindende  Athem  am  Ende  derselben  eine  scheinbar  schnellere 
Bewegung  an,  und  hierin  liegt  der  Grund,  wesshalb  der  5te  Fuss  des  Hexameter  stets  ein  Dactylus  ist. 
Dieser  ganze  Bildungsprocess  des  Verses  giebt  dadurch,  dass  der  Ictus  stets  auf  die  erste  Silbe  des 
Fusses  fallen  musste,  den  bündigsten  Nachweis  über  die  Entstehung  und  Entwickelung  der 
Griechischen  Metrik  nach  der  Quantität,  im  Gegensatz  zur  natürlichen  Accentuation 
der  Wörter;   er  giebt  aber  auch  zugleich  den  Nachweis  über  die  ganze  Formenbildung  des 


1»      

sogenannten  epischen  Dialects.  Man  betrachte  nun  unbefangen  den  prächtigen,  gleichsam  in 
majestätischer  Ruhe  einherschreitenden  Vers,  und  man  wird  zugeben  müssen,  dass  bei  seiner  ge- 
messenen und  regehnässigen  Recitation  das  Ruderboot  sicherlich  pfeilgeschwind  über  die  Wogen  dahin- 
schoss.  Ferner  urtheile  man,  ob  es  denkbar  ist,  dass  dieser  wunderbare  Vers,  der  doch  f actisch 
an  der  Spitze  der  Griechischen  Poesie  steht,  und  den  schon  das  Alterthum  seiner  unerklär- 
baren Entstehung  wegen  auf  das  Delphische  Orakel  zurückführte  und  ihn  daher  Versus  Pythius, 
Versus  Delphicus,  Metrum  Theologicum  nannte,  erst  aus  dem  iambisch-trochäischen 
Maasse,  wie  Beruhardy  will  p.  264  3.  A.  habe  hervorgehen  können.  Der  gelehrte  Forscher  selbst 
hat  freiüch  jenem  factischen  Beweise  gegenüber  die  Schwierigkeit  sehr  wohl  gefühlt;  allein  er  hat 
es  vorgezogen,  die  Beweiskraft  jenes  Factums  mehr  zurücktreten  zu  lassen  und  die  Griechische 
Metrik  Heber  aus  dem  heitern  und  frohsinnigen  Hellenischen  Geiste,  aus  den  festHchen  Gelagen  und 
neckischen  Reigenüinzen,  bei  denen  allerdings  für  den  ernsten  Hexameter  kein  Raum  war,  herzu- 
leiten und  demgemäss  jenen  mutlnnlHgen  Maassen  den  Vorrang  einzuräumen.  Doch  will  es  uns 
bedünken,  dass  die  Schwere  und  der  Ernst  des  Bedürfnisses  bei  Entwickelung  so  alter  Verhält- 
nisse schwerer  in  die  Wagschale  fällt,  als  der  gemüthHche  Frohsinn  des  Lebens. 

§.  5. 
Das  Keleusma  und  seiu  luhalt.    Die  Rhabdodeu. 

Es  ist  weiter  zu  untersuchen,  von  welchem  Inhalt  das  xeleua/na  gewesen  sein  dürfte.  Vor 
allen  Dingen  wird  behufs  Erledigung  dieser  Frage  die  Ansicht  des  Horaz  (Carm.  I,  3,  9  sqq.)  auf- 
gegeben werden  müssen,  dass  der  erste  Mensch,  der  das  Meer  zu  befahren  gewagt,  solches  in  der 
vollständigsten  Gefühllosigkeit  und  ohne  die  geringste  Ahnung  von  den  Gefahren  zu  haben,  denen 
er  sich  aussetzte,  gethan  habe,  so  etwa  wie  ein  unmündiges  Kind  in  seiner  Unkunde  in  einen  tiefen 
Weiher  hineiitschreitet,  ohne  irgend  eine  Vorstellung  von  seinem  Thun  zu  haben.  Der  erste  l^lensch 
wusste,  was  er  that,  und  unter  den  unzähHgen  Fährlichkeiten,  denen  er  auf  dem  unsicheren  Ele- 
mente entgegenging,  schwebte  ihm  die  Gefahr  gewiss  nicht  als  die  geringste  vor  der  Seele,  welcher 
Homer  so  bezeichnenden  Ausdruck  giebt  (IHad.  XV,  62S):  TQO/neovai  de  re  cpQiva  vavTm  ÖEidiÖTeg* 
TvrO^dv  ycxQ  in  ix  ^aväroio  cpeQOvrai.  Der  ganze  Ernst  ihrer  Lage  trat,  wie  es  noch  bis  zum 
heutigen  Tage  der  Fall  ist,  den  ersten  Schiffern  klar  vor  die  Augen,  und  hier  gab  es  nur  ein  Mittel 
ihren  Muth  zu  beleben  und  zu  heben,  das  unbedingte  Vertrauen  auf  das  Walten  der  Gottheit,  welche 
allein  ihnen  in  ihrer  völHgen  Hülflosigkeit  Schutz  und  Beistand  zu  verleihen  vermochte.  Auf  solchen^ 
aber  konnte  nur  Anspruch  haben  derjenige,  welcher  frei  von  Schuld  und  Fehle  in  einem  Fahrzeuge 
weilte,  und  hieraus  entsprang  schon  in  frühester  Zeit  die  allgemeine  Anschauung,  dass  ein  daeßtg 
dvt]Q,  ein  homo  scelestus  nicht  zugleich  mit  anderen  eiaeßeig  ein  Schiff  besteigen  dürfe;  cf  Horat.  IH, 
2,  29.  und  das.  die  Stellen  bei  OrelH.  Mag  also  der  Urmensch  seiner  Beschäftigung  gemäss  als  Hirt, 
als  Landmann,  als  Winzer  seine  Gottes  Verehrung  immerhin  in  stummen  Handlungen  ausgedrückt 
haben,  auf  dem  Meere  erforderte  sein  Beruf  das  lautgesprochene  Wort,  und  Gebete  und  An- 
rufungen der  Götter,  so  wie  Ermahnungen  zur  Gottesfurcht  und  Frömmigkeit  müssen 
den  ersten  Inhalt  des  xeleva/^a  gebildet  haben.  Hierzu  traten  alsbald  noch  andere  Rücksichten. 
Vom  Sturm  in  ferne  und  unbekannte  Gegenden  Verschlagene  werden  die  Nothwendigkeit  erkannt 
haben,  in  künftigen  Fällen  schon  vor  dem  Beginn  der  Fahrt  den  Willen  der  Gottheit  aus  bestimmten 
Zeichen  (VögeWug,  Donner  und  BHtz  schon  bei  Homer)  zu  erkunden  und  dadurch  den  Muth  der 
Schiffenden  zu  heben;  und  wiederum  andere,  denen  es  darum  zu  thun  war,  unbekannte  Meere  ab- 
sichtlich aufzusuchen,  werden  es  nicht  unterlassen  haben,  auf  der  Fahrt  selbst  die  durch  die  Götter- 
zeichen gebotenen  Weisungen  in  Weissageform  (xQr^o/uog)  zu  verkünden  und  also  das  Vertrauen  der 

3* 


20 

Schiffsgenossen  wach  und  rege  zu  erhalten.  Diess  bestätigen  Andeutungen  aus  dorn  AUerthum  in 
genü.-ender  Weise.  Dem  ersten  50r«drigen  Schifife.  der  Argo.  W  von  der  Minerva  aus  dem 
Dodonäischen  Walde  die  weissagende  Eiche  eingefügt.  Hier  also  .st  es  d>e  &oUhe,t  selbst  welche 
den  Argonauten  auf  ihrer  Fahrt  in  dunkele  entlegene  Gegenden  gleichsam  den  Weg  verkündet  und 
Äscher  führt  und  leitet;  und  wenn  wir  in  den  kurzen  dem  Homer  beigelegten  Apospasmatien 
noch  eine  weitere  Bestätigung  finden,  so  werden  wir  nicht  zweüeln  dürfen,  dass  sofort  mit  dem  Be- 
«nne  der  Küstenschiffahrt  Gebete  und  Weissagungen,  hrai  und  xQWO.,  Gegenstand  des 
filsvaua  gewesen  und  naturgemäss  in  die  hexametrische  Form  gebracht  worden  sind.  Reste  davon 
anerkennen  wii'  in  den  oben  erwähnten  Ueberbleibseln  und  zwar  eme  Knr,  in  Aposp.  6: 

K).i9t,  noaiidaov  iieyaXoai^ois,  ivroaiyate, 
EvqvxÖQOV  fiidiiov  T,de  CaOioi'  'Ef-tmövog. 
J6g  <5'  oiQOv  xaUv  xai  dni^ftova  röatov  Idiadai 
NavTfjg,  oi  rt;6s  nofinoi  ij()'  «Vx"»  ectoiv. 
Jos  d'  k  intoQiiriv  t^'ixQrpvoio  31iftavTog 
Aidol(Ov  fi   e>.9Örta  ßQOToiy  öaiwv  t£  xv()i,aaf 
(Püita  T£  Tiaaiftrv,  ös  iiiov  roov  t'ineQonei'aag 
ii'diaato  Zfjva  '^hiov  ierit-v  xe  X!)cmtt,av. 
Desgleichen  in  dem  sonst  völlig  dunkeln  und  räthselhaften  Aposp.  8: 

Kairat.  tiovtotioqoi,  ari;'£()i;  tvaliyxiot  Atrj 
nnoxäatv  ai»vir,iji,  ßiov  dia'ir^lor  ho^ttg, 
Alätla^i  icvioio  Jdg  aißas  iipttddorrog. 
Jeivf,  ycLQ  fihonig  j'trioi'  Jiog,  og  x   älhrjai. 
Endlich  ein  xt>r,gn6g  ist  deutUcb  erkennbar  in  Aposp.  9:  ^ 

'Yniag,  (o  ^üvoi,  cvt/ios  laßs^v  aniog  tl9iuv.^ 
'Ali.'  £Tt  »TV  öe§aa»e,  xai  o  nlöog  iaatTOi  ifüv. 
In  solchen  und  ähnlichen,  verhältnissmässig  ganz  kurzen  Liedern,   in  denen  durch  das  vor- 
handene Bedürfniss  der  Hexameter  so  ganz  von  selbst  hervortrat,   dass  wir  in  diesem  Sinne  ihn 
^t  Aristoteles  den  naturgemässen  Vers  nennen  mögen,  sind  die  ersten  Anfange  der  Griechischen 
Poesie  und  Metrik  zu  suchen;   und   ei-st  vom   Meere  aus  haben  die  heimkehrenden  Seefahrer  die 
Lieder  den  Landbevölkerungen  zugebracht  und  allhier  dafür  bei  dem  heitern,  auf  alles  Schone  ge- 
richteten Sinn   der   Hellenen   das  geeignete  Verständniss   gefun.leii.     Der  Hexameter  wurde  in  den 
grünenden  Thälern  und  auf  den  luftigen  Bergeshöheu  heimisch   und  mit   ihm   die  Anrufungen  und 
flie  Culte  der  Götter,  unter  deren  Schutze  das  Leben  auf  dem  Meere  sich  entwuket  hatte.    In  den 
\ugen  der  phantasiereichen  Hellenen  war  die  ganze  von  Leben  und  Bewegung  durchdrungene  Natur 
iedishch  das  Werk  einer  schaffenden  Götterwelt;   auf  diese  übertrug  man  Alles,  was  hieiueden  zur 
Erscheinung  kam.  und  vor  Allem  w.ar  es  die  menschliche  Familie,   welche  man  auch  unter  den 
Göttern  wiederfand.    Hiedurch   entwickelten  sich   ganz   von   selbst  die  Theogonien  und  was   damit 
zusammenhängt,  und  die  Folge  davon  war  das  Erblühen  einer  theologischen  Poesie,  als  deren 
Träger  die  Namen  eines  Musaeus,  Thamyris,  Orpheus  und  anderer  uns  entgegentreten. 

EndUch  wer  unter  den  Schiffenden  war  der  xtXevarr^g?  Es  kann  mcht  zweifelhaft  sein, 
dass  so  lan-re  die  ersten  Fahrzeuge  mit  2  oder  höchstens  4  Ruderei-n  und  einem  Steuerm.inne  be- 
s^zt  waren,  einer  unter  ihnen  durch  Wortausdruck  die  Iluderschläge  regelte,  so  dass  hier.aus, 
nach  Maassg.ahe  der  Atlnnungsorgane,  die  gesprochenen  Worte  ganz  von  selbst  zur  pnnntiven  l  - 
form  des  Hexameters  sich  formten.  Anders  musste  es  werden,  als  bei  vermehrter  /..hl  der  Ru- 
dernden die  Pünktlichkeit  der  Ruderschläge  wesentlich  erschwert  ^^•u,■do.  und  wio  noch  heutigen 
Tages  an  der  Ramme  der  das  Tau  führende  Arbeiter,  ohne  selbst  mit  zu  rammen,  das  Commando- 


i 


21 

wort  spnclil,  so  musste  es  sich  auch  auf  den  mit  20  und  mehr  Ruderern  versehenen  Schiffen  ge- 
stalten: der  yelevatrs  wurde  eine  eigens  zum  Commando  bestimmte  PersönHchkeit,  er  sprach  die 
herkömmhchen,  auch  von  der  übrigen  Schiffsmannschaft  nach  und  nach  in  das  Gedächtniss  aufge- 
nommenen Xirai  und  XQ^^f^^^  "^^^^  w^rde  so,  man  gestatte  den  Ausdruck,  zum  Sprecher  für  Alle. 
Dieser  Sprecher  war  es,  welcher,  geistig  angeregt  und  gehoben  durch  Form  und  Inhalt  des  Vorge- 
tragenen, wohl  auch  neue  Xiral  schuf,  je  nachdem  neue  Eindrücke  auf  den  erweiterten  Seefahrten 
sich  ihm  darboten,  und  aus  diesen  Schiffskeleusten  sind,  wie  sich  weiter  unten  ergeben  wird,  die 
gott begeisterten  Aoeden  hervorgegangen. 

Betrachten  wir  diese  Sprecher  in  ihrer  primitiven  Thätigkeit  etwas  genauer,  so  lehrt 
die  Sache  selbst,  dass  das  a  tempo  Einschlagen  der  Ruder,  so  me  ihr  Anziehen  {()vo/iwg)  unbe- 
dingt mit  der  Hebung  der  Stimme  des  Sprechenden  (ciQaig)  zusammenfallen  musste,  zugleich  aber 
auch,  dass  diese  Arsis  bei  einer  verhältnissmässig  zu  grossen  Zahl  von  Ruderern  nicht  genügte 
und  somit  noch  einer  anderweitigen  Unterstützung  bedurfte.  Ferner  ist  es  selbstverständhch,  dass 
bei  Fahrten,  welche  längere  Zeit,  vielleicht  einen  oder  mehrere  volle  Tage  in  Anspruch  nahmen, 
die  Recitation  unmöglich,  ohne  alle  und  jede  l'nterbrechung  fortdauern  konnte,  weil  für  der- 
artige Anstrengungen  keine  menschliche  Stimme  ausreichend  war.  Somit  war  es  nothwendig,  dass 
für  beide  Fälle,  sowohl  für  die  Hervorhebung  der  Arsis,  als  auch,  wenn  die  Recitation  fehlte, 
für  die  ununterbrochene  Regelung  der  Ruderschläge  ein  weiteres  Hülfsmittel  zur  Hand  war, 
und  diess  kann  kein  anderes  gewesen  sein,  als  der  auch  heute  noch  übhche  Schlag  mit 
einem  Stabe,  der  mit  der  Arsis  des  Verses  und  mit  der  a  tempo  in  die  Meereswogen  ein- 
schlagenden Ruder  menge  und,  wenn  die  Recitation  fehlte,  mit  dem  Ruderschlage  allein  unmittelbar 
zusammenfiel.  Auf  diese  Art  wurde  der  stabführende  Sprecher  zum  (Kxßd(pd6g,  Um  allen  wei- 
teren Missverständnissen  von  vornherein  voi'zubeugen,  möge  schon  hier  bemerkt  werden,  dass  dieser 
Rhabdode  mit  dem  spätem  (fuipcpdog  gar  nichts  zu  thun  hat,  wenn  schon  beide  dasselbe  Attribut 
des  Stabes  führen,  der  wirkhch  von  dem  ersteren  im  Laufe  der  Zeit  auf  den  letzteren  überge- 
gangen ist.  "Wir  verdanken  die  richtige  Einsicht  in  dieses  dunkle  und  vielbesprochene  Verhältniss 
ledighch  den  Bemühungen  Welcker's,  jedoch  nicht  ohne  ein  tiefes  Bedauern  zu  empfinden,  dass 
der  gelehrte  Mann,  um  das  räthselhafte  Wort  l)aip(i)dtg  zu  erklären,  dessen  Ableitung  von  (xxTiTeLv 
aotdt]v  ihm  völlig  unverständlich  und  darum  unzulässig  erschien,  zu  dem  ungeheuerlichen  (taßooiodög 
oder  (laTiiaiiidog  (zusammengezogen  (>aip(i)66g)  seine  Zuflucht  nahm,  anstatt  die  von  ihm  zweifellos 
nachgewiesene  Existenz  der  Fonn  (»aßdcodog  (cf.  Ep.  Cycl.  p.  360,  Anm.  5S6)  von  jener  gänzhch  zu 
trennen  und  selbständig  für  sich  bestehen  zu  lassen.  Wir  fürchten,  dass  die  ungewöhnliche  Belesen- 
heit und  Gelehrsamkeit  Welcker's  der  Sache,  die  er  zu  vertreten  bemühet  war,  oft  mehr  geschadet 
als  genützt  hat.  Ueber  (taßomodog  etc.  cf  Ep.  Cycl.  p.  365.  Wie  nun  der  Stab  —  oxttitqov  — 
in  der  Hand  sei  es  des  Königs  oder  des  gebietenden  Herrn  überhaupt  das  Symbol  der  be- 
rechtigten Gewalt  ist,  gleichviel  ob  man  das  oxTjTitqov  vom  Speerschaft  herleitet,  welcher  dem 
Sieger  die  volle  Gewalt  über  den  Besiegten  gab,  oder  vom  Stabe  oder  Stocke  als  Züchtigungs-In- 
strument der  Unfreien,  so  erhöhete  der  (taßdog  in  der  Hand  des  xelevarr^g  wesentHch  dessen  An- 
sehen und  gab  ihm,  da  auf  seiner  Pünktlichkeit  und  Kunstfertigkeit  die  regelmässige  Fortbevregimg 
des  Schiffes  und  dadurch  auch  dessen  Sicherheit  beruhete,  eine  hervorragende  Stellung  vor  den 
übrigen  Schiffsgenossen,  und  der  (taßöog  wurde  zugleich  ein  Zeichen  der  Würde.  Als  nun  im  Ver- 
huif  der  Zeit  und  unter  ganz  besonderen  Verhältnissen,  von  denen  weiter  unten  die  Rede  sein  wird, 
aus  den  stabführenden  (tactirenden)  Rhabdoden  sich  die  Aoeden  in  voller  Selbständigkeit  ent- 
wickelten, so  behielten  auch  diese  das  ehrende  Zeichen  des  Stabes  beim  Gesänge  bei  {yaru  l>aßödv 
(fQÖCtw  rind.  Isthm.  III,  51),  jedoch  so,  dass  letzterer  häutig  durch  einen  Oelzweig  eQvog,  daher 
tm(i)övg)  ersetzt  wurde,  und  von  ihnen  ging  er  dann  als  auszeichnendes  Attribut  auch  auf  die  spätem 


,4^   - 


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22    

Rhapsoden  über,  welche  sich  seiner  bei  der  Declaraation  der  Homerischen  Epen  bedienton,  ohne  dess- 
halb  Stabsänger,  was  eben  nichts  ist  und  nichts  bedeutet,  zu  sein.  Denn  der  Stab  stand  mit  der 
Beschäftigung  weder  der  Aoeden  noch  der  Rhapsoden  in  irgend  welchem  Zusammenhange,  während 
er  bei  den  Rhabdoden  den  Haupttheil  ihres  Berufes  ausmachte.  Das  Wort  ist  ganz  analog  dem 
yid-ctQioöog  gebildet,  und  vfie  dieses  heisst:  mit  Bei  hülfe  der  Kithara,  d.  h.  zur  Kithara 
singen,  so  oaßdqtöög  mit  Unterstützung  des  Stabes  die  Recitation  der  Xizai  und 
XQTjo/^ol  vornehmen. 

Wir  unterlassen  es,   den  vorstehenden  Gegenstand  hier  weiter  zu  verfolgen  und  kehren  zur 
Hauptsache  zurück.     Die   oben  geschilderte  Entwicklungsperiode   hat  begonnen  in  einer  Urzeit,   die 
jedoch  nicht  völhg  unbestimmbar  ist,  und  hat  gedauert  bis  zum  Troianischen  Kriege.    Denn  wie  oft 
man   es   auch   versucht   hat   zu   beweisen,   dass  das  Menschengeschlecht  an  allen  Theilen  der  Erde 
ganz  unabhängig  von  einander  gleich  dem  Thier-  und  Pflanzenreich  entstanden  sei,  so  haben  diese 
Bemühungen  die  Ueberzeugung  bis  dahin  dennoch   nicht  zu  erschüttern  vermocht,  dass   der  Theil 
der  Menschheit,  auf  welchem  allein  die  heutige  allgemeine  Cultur  beruhet,  sich  gleichsam  aus  seiner 
Wiege,   in  dem   Innern  Asiens   beginnend,   nur   von   Osten   nach  Westen   verbreitet   habe;    und  die 
Richtigkeit  dieses  Satzes  steht  fest  durch  die   historischeu   Thatsachen,   dass   unter   den   nach 
Westen  vordringenden  Culturvölkern  diejenigen,   welche   das   Meer   an   den   Küsten  Syriens   zuerst 
erreichten,  die  Phoenizier  das  erste,  und  dann  nach  ihnen  die,  welche  nel  später  an  die  Westküste 
Kleinasiens  gelangten,  also  die  lonier  der  Zeit  nach  das  zweite  seefahrende  Volk  des  Mittelmeeres 
geworden  sind.    Seit  den  ersten  Ansiedelungen  an  der  letzteren  Küste,   welche   chronologisch  aller- 
dings  nicht   zu   bestimmen  sind,   haben   die  oben  entwickelten  Verhältnisse  sich  Jahrhunderte  hin- 
durch als  dieselben  erhalten;   ein   reger   Seeverkehr   an   den   Küsten   und   zwischen  ihnen  und  den 
gegenüberhegenden  Inseln  hat  sich  ent\\'ickelt,  und  der  Grund  zu  den  oben  genannten  Wissenschaften, 
besonders   der   Astronomie   und   Mathematik  ist   gelegt  worden,   vorzugsweise   aber   hat  die  Poesie 
und  mit  ihr  die  Sprache  selbst  ihre  erste  Bildung  und  Fortgestaltung   erhaUen.     Unter  ihrem  Ein- 
fluss,  da  sie,  in  den  Nöthen  und  Gefahren  des  Lebens  Schutz  und  Schirm  sucheud,  ledighch  auf  die 
Allmacht  und  die  hülfreiche  Hand  der  Gottheit  ange^^esen  war,   hat  sich  die  ganze,  ewig  wirkende 
und  schaffende  Natur   in   eine   von  unzähhgen  Götterwesen  bewohnte   und  belebte  Götterwelt  ver- 
wandelt, welche,   von  dem  irdischen  Auge  nach  irdischen  Verhältnissen  bemessen,    alle  Gefühle  und 
Empfindungen  mit  dem  sterbhchen  Geschlecht  theilten;  es  beginnt  die  Zeit  der  werdenden  und  ge- 
wordenen Götter,  das  Zeitalter  der  Theogonien,  und  die  Träger  aller  dieser  Voi*stellungen  sind  jene 
Lieder  und  Gesänge,   die  wir  allgemein   Iczal  und   xnrGi.ioi   genannt   haben,   deren  Vorhandensein 
und  weiterer  Einfluss  sich  noch  in  der  spätem  Zeit  geltend  macht.    Sie  wurzelten  tief  im  Bewusstsein 
des  Volkes,   daher   noch  in   der  historischen  Zeit  das  ungewöhnhche  Ansehen  des  Onomacritas.    In 
jene  ältesten  Ideenkreise  di-angen  sicherhch  Jahrhunderte  hindurch  keine  neuen  Vorstellungen,   weil 
es  an  passender  Veranlassung  dazu  fehlte.    Der  Culturzustand  bheb  sich  stets  gleich  und  wui'de  stag- 
nirend,   und   auch   die   gewöhnliche  Beschäftigung   auf  dem  Meere  entwickelte  mehr  und  mehr  nur 
eine  Seite  und  gipfelte  zuletzt  in  dem  nicht  für  verwerflich  gehaltenen  Seeraub.    Die  berüchtigten 
Karer  waren  arge  Seeräuber  und  der  Hauptsitz  der  Piraterie  war  —  Ilion.     Da   endlich   erhoben 
sich  die  Bewohner  des  Festlands,   deren  Küstenorte  immer  und  ewig  gebrandschatzt  wurden,   gegen 
das   Unwesen;   Ihon    tallt   und    hiemit   dringt   in   die   alte  Stagnation  eine  neue  Bewegung  und  ein 
neues  Leben,  und  es  beginnt  mit  dem  Falle  des  Raubnestes  die  zweite  Periode  der  Griechischen  Cultur. 
Wer  demnach  Ihon  für  eine  Fabel  hält  und   glaubt,   dass  die  geistige   Aufrüttelung   eines   ganzen 
Volkes,  dass  ein  reges  Wirken  und  Schaff'en  auf  allen  Gebieten  der  menschlichen  Thätigkeit,  \sie  es 
in  den  Epen  Homers  sich  offenbart,  nur  durch  das  Phantasiegebilde  eines  müssigen  Kopfes  bewirkt 
worden  sei,  der  hat  kein  Verständniss  für  alte  Verhältnisse.     Die   obige  Bemerkung   aber,   dass   die 


I 


88    

Zeit  vor  Ihon  die  alten  Theogonien  angebahnt  und  geschaffen  habe,  dürfte  geeignet  sein,  den  alten 
Streit,  ob  Hesiod  oder  Homer  der  ältere  sei,  zu  Gunsten  des  ersteren  zu  entscheiden. 

Die  Zerstörung  Ihons   war   ein  Ereigniss  von  weittragender  Bedeutung  für  ganz  Griechen- 
land.    Es  ist  gewiss  nicht  zu  viel  behauptet,  wenn  gesagt  wird,    dass  die  endhche  Vernichtung  und 
Beseitigung  des  Troischen  Piraten-Unwesens  unter  den  Bewohnern  des  Festlands  und  besonders  der 
Küstenorte  den  allgemeinsten  Jubel  hervorgerufen  hat.     Die   heimkehrenden  Sieger,   mag  auch  den 
einzelnen  Führern  aus  dynastischen  Interessen   so  oder  so  schwere  Unbill  widerfahren   sein,   trugen 
die  Kunde  von  dem  glückhchen  Erfolg  zu  den  entlegensten  Punkten  des  Binnenlandes  und  die  aus 
dem  Brande  geflüchteten  Troer  fanden   unter   dem   frischen   Eindrucke   des  Ereignisses   an  keinem 
Orte   Griechenlands   weder   Aufnahme    noch    Niederlassung.     Indessen    die    nach    der   gemeinsamen 
Action  alsbald  wieder  eintretende  Spaltung  und  Zerrissenheit  der  Stämme,  auf  welche  schon  früher 
hingewiesen   worden   ist,   be>virkte,   dass   che  Erinnerung   an  den  gewaltigen  Kampf  sich  mehr  und 
mehr  auf  das  Bewusstsein  der  einzelnen  Stämme  und  Orte  selbst  beschränkte,  ohne  ein  National- 
Bewusstsein   zu   hinterlassen,   weil  es  an  einem  gemeinsamen  Vereinigungspunkt   fehlte,   den   erst 
Lycurg  durch  die  Anregung  der  Olympischen  Spiele  ins  Leben  rief    Nur  einen  Ort  gab 
es,  an  wekiiem  die  Erinnerung  an  Ilion  stets  lebendig  blieb  und  so  zu  sagen  stets  neue  Knospen  und 
neue  Blüthen  entfaltete,  die  Troische  Küste;  sie  war  es,  wo  die  beiden  Todtenhügel  des  Achilles 
und  des  Aiax  und  die  dazwischenhegende  Achaeerbucht   das  Andenken   an  Ihons   Grösse   und  Fall 
stets   wach   liielt   und   durch   die   geschäftige   Sage   fortpflanzte.     Allein   nicht  aus  dem  Innern  der 
Ebene,   nicht   aus   dem    Munde   derer,   welche   die  von  Agamemnon  einst  verfluchte  Stätte  dennoch 
wiederbewohnten,  ist  sie  entströmt :  höchstens  haben  die  Bewohner  am  Sigeum  oder  am  Strande  der 
Beschika-Bay  den  dort  anlegenden  Schiffern  einzelne  Namen   aus   dem   Innern   der  Ebene  genannt, 
z.  B.  die  beiden  Flüsse,  die  diof-iaia  ßaai/J^os,  den  Todtenhügel  des  Hector,  die  Anhöhe  des  Aesyetes, 
die  Buche   und  den  Feigenhügel,   und  bestätigende  Andeutungen   hinzugefügt;   doch   dieser   Namen 
und  Andeutungen  bedurfte  es  nicht.     Die  Kenntniss   derselben   kam   vielmehr  von  aussen  und  See- 
fahrer vorzugsweise   aus  lonien  sind  es  gewesen,  welche,   mit   Ihons  Fall   genugsam  vertraut,   nicht 
erst  nöthig  hatten  sich  über  diess  oder  das  genauer  unterrichten  zu   lassen,   sondern   beim  Anbhck 
des  Achilleshügels  sofort  ausriefen:   Sehet,  dort  ruht  Achilles,   fern  von  Argos!     Sie  wussten 
nicht  bloss,  was  mit  den  verschiedenen  Localitäten  wirklich  zusammenhing,    denn  sie  kannten  das 
historische  Factum,  sondern  sie  wussten  auch  zugleich  noch  vieles  Andere,  was  sie  von  anderswoher 
vernommen  hatten  und  nun  mit  jenen  Punkten  verbanden.     So   schufen   sie    eine   Fülle   von  Sagen, 
die  zwar  mit  den  Locahtäten   stets  in  engster  Verbindung    bheben   und   an   ihnen   halteten,   genau 
genonamen  aber  ihre  eigentliche  Heimath  im  fernen  lonien  hatten  und  allhier  wurzelten ;  das  Troische 
Gestade  hatte  nur  che  Veranlassung  dazu  gegeben.    Mit  diesem  Ergebnisse  löst  sich  nun  das  Räthsel, 
welches  bis  dahin  die  Forschung  gefangen   gehalten   hat,   und   es   erklärt   sich  jene    überraschende 
Erscheinung,   auf  welche  wir  als  Resultat   der   voraufgehenden  Untersuchung  §.  3  s.  f  hingewiesen 
haben.    Während  nämlich  Ihons  Zerstörung  an  allen  Orten  des  Festlandes  in  der  Erinnerung  mehr 
und  mehr  zurücktrat  und  zusammensclirumpfte,   um   erst  später  durch  Homer  gleichsam  zu  neuem 
Leben  wieder  erweckt  zu  werden,   entwickelte  sich  die  Troische  Sagenfülle  hoch  auf  dem 
Meere,   auf  den    Ruderbänken   der   vor   Troias  Küsten   vorübereilenden   lonier,   und 
liiodurch  wird  es  endlich  klar,   wesshalb  wir   über   das  Innere  der  Ebene  von  Troia 
durch  Homer  so  völlig  ununterrichtet  sind.    Von  der  Höhe  des  Hellespont  aus  gesehen,  stellte 
sich  vor  den  Augen  der  Seefahrer  die  Bucht  zwischen  Sigeum   und  Rhoeteum   selbstverständhch  so 
kk'in  und  unbedeutend  dar,   dass   sie  eben  nur  einem  Hafen  glich,   ausreichend  die  tausendschiß'ige 
Flotte  der  Griechen  aufzunehmen,   und   sogar   der   weisse   Dünenstrand   erschien   für   die  Zahl   der 
Schiffe    zu   klein,   um   allen,   wenn  sie  an  das  Land  gezogen  wären,   in  einer  Reihe  Raimi  zu  ge- 


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statten;  sie  mussten  daber  staff eiförmig  aufgestellt  gewesen  sein.  Hinter  dem  Strande  dehnte  sich  dann 
in  der  Phantasie  die  Ebene  aus,  gross  genug  sowohl  lur  die  gewaltigen  Schlachten  der  Griechen 
und  Troer,  als  auch  für  die  Wagenrennen  bei  den  Leichenspielen  des  Pati'oclus.  Es  folgte  Ilion  in 
der  Mitte  der  Ebene,  und  unmittelbar  an  die  Stadt  stiessen  in  Folge  des  Standpunktes  der  Schauen-  • 
den  die  grünbewaldeten  Yorberge  des  Idagebirges  und  gestatteten  somit,  wenn  es  sich  um  die  Be- 
erdigung der  beiderseitigen  Todten  handelte,  den  kämpfenden  Theilen  aus  nächster  Nähe  das  zum 
Verbrennen  der  Leichen  nöthige  Holz  herbeizuschaffen;  endhch  mussten,  da  man  doch  von  zwei 
Flüssen  der  Ebene  gehört  hatte,  aber  doch  nur  eine  Mündung  in  der  Bucht  wahrnahm,  beide  noch 
in  der  Ebene  zusammenfallen,  der  Simois  also  in  den  Xanthus  einmünden.  Mit  einem  Wort,  Alles, 
was  in  unserer  frühern  Untersuchung  mühsam  aus  den  geringsten  Andeutungen  Homer's  festgestellt 
worden  ist,  erhält  hiedurch  die  vollständigste  Bestätigung,  alles  Wunderbare  und  Ueberraschende 
im  Homer  findet  die  ausreichendste  Erklärung.  W^as  nui'  irgend  im  mündlichen  Verkehrswege  nach 
lonien  gelangte,  es  schilderte  die  Küste  und  was  hinter  ihr  hegt,  nur  nach  dem  i:uidruck  oder 
vielmehr  nach  dem  Bilde,  welches  die  vorübereilenden  Seefahrer  in  sich  aufgenommen  hatten,  und 
der  Einbildungskraft  war  es  vorbehalten,  das  Innere  der  Ebene  weiter  auszumalen  und  zu  ge- 
stalten. So  haben  es  die  Sagen  gethan,  so  sind  sie  von  Ilion  im  Seeverkehr  nach  lonien  gekommen, 
so  hat  sie  Homer  empfangen  und  nach  ihnen,  die  weitere  Ausführung  aus  der  eigenen  Phantasie 
schöpfend,  seine  Ihade  geschaffen. 

§.  5. 
Die  Aoeden.    Homer. 

Die  Troische  Sagenfülle  hat  unmittelbar  nach  ilu-er  Bildung  den  wesenthchsten  Einfluss  auf 
die  Fortentwicklung  der  Griechischen  Poesie  geübt  und  deren  zweite  Periode  hervorgerufen.    Zwar 
werden   die   älteren   Schiffsheder   durch   alternde    Rhabdoden   und   Ruderer   auch    Eingang   in    die 
Binnenlande  und  allhier  weitere  Verbreitung  gefunden  haben,  was  durch  die  früher  erwähnten  theo- 
gonischeu  Dichtungen  hinreichend  bezeugt  vdvd.    Auch  sind  sie  sicherlich  von  der  Menge  überall  gern 
gehört  worden,  haben  aber  eine  Stagnation  in  der  Ideenwelt  des  Volkes  und  in  der  Cultur  dennoch  nicht 
verhindern  können.    Ihr  ledighch  theologischer  und  prophetischer  und  daher  einförmiger  und  trockner 
Inhalt  hat  stets  wohl  mehr  einen  ernsten   und  düstern,   als   frohen   und   heitern   Eindruck   auf  die 
Hörer  ausgeübt,   weil   in   ihnen  Alles   fehlte,   wodurch   die  rein  menschhchen  Gefühle  und  Empfin- 
dungen zugleich  auch  freudig  erregt  und  angefacht  werden;  sie  haben  wohl  überall  mehr  ein  Bangen 
und  Beben  vor  dem  allmächtigen  Walten  der  Gottheit,   als   eüie   wohUhuende   Befriechgung  in   der 
Brust  der  Hörer  zurückgelassen.    Ganz   anders  wurde   es,   als  mit  einem  Male  der  Poesie  ein  ganz 
neuer  Stoff  zugeführt  wurde,   an  welchem  es  bis  dahin  gänzlich    gemangelt  hatte.     Denn  wer  hatte 
je  etwas  Aehnhches  vernommen?  wer  je  von  einem  Riesenkampfe  zweier  ergrimmten  Völker  gehört, 
deren  Führer  einander  an  Tapferkeit  übertrafen?  wem  war  je  eine  Heldengestalt  vorgekommen,  wie 
die  des  jugendlich  schönen  und  dabei  riesenstarken  Achilles?   wem  je  ein  Frauenbild,  an  hingeben- 
der Liebe  und  Milde  vergleichbar  der  Andromache?    Dieses  Stoffes  bemächtigte  sich  die  Poesie  mit 
Vorhebe,   mit  Ungestimi,   und   die   neuerstehenden  Lieder   von  Ihon   und  dessen  Zerstörung  ^\^lrden 
von  den  Massen  mit  um  so  grösserer  Begeisterung  aufgenommen,  je   nachhiiltiger   sie   alle    Gefühle 
und  Empfindungen  in  der  Menschenbrust  berührten  und  erregten,    von  denen  grossartige  Ereignisse 
und  Begebenheiten  begleitet   zu   sein   pflegen.     Sie  fanden  um  so  grösseren  Beifall,  je  mehr  sie  in 
erzählender   Form   zugleich  die  spannendste  Neugier  befriedigten.     Unter  ihrem  Eindrucke  hörte 
die    Stagnation   der   frühern   Periode   mit   einem  Male   auf,    und    auch   mit  den  Trägern  der  neuen 
poetischen  Schöpfungen  gmg  eine  bedeutsame  Veränderung  vor.    Der  Unterschied,  welcher  zwischen 


der  Aufuaiime  der  Inal  und  xC'/tf/fo/  von  Seiten  des  Volkes  und  zNvischen  den  Troischen  Liedern 
stattfand,  musste  sich  bald  bemerkbar  machen,  uamenthch  auch  durch  den  materiellen  Gewinn, 
welcher  dui'ch  letztere  erzielt  wurde.  Die  er  wer  bliche  Seite,  die  in  diesen  alten  Verhältnissen 
eine  bei  weitem  gi-össere  Rolle  spielt,  als  in  der  Regel  angenommen  wird,  reizte  zur  Nachahmung, 
und  Alle,  die  selbst  arbeitsunfähig  von  der  Mildthätigkeit  Anderer  ihren  Lebensunterhalt  zu  ent- 
nehmen hatten,  folgten  der  Wirkung  der  neuen  Gesänge  auf  die  Gemüther  der  Massen  mit  dem 
lebhaftesten  Interesse.  Sie  sahen,  wie  alternde  Rhabdoden  durch  die  in  hexametrische  Form  ge- 
brachten Lieder  von  Ilion  überall  die  willkommenste  Aufnahme  und  überdiess  reichhchen  Lohn 
fanden.  Es  ist  eine  l)ekannt(^  Ei-scheinung,  welche  sich  noch  heutigen  Tages  allerorts  wiederholt,  dass 
Gebrechliche  und  Blinde  sich  ihren  Lebensunterhalt  aus  dem  Mitleidsgefühl  Anderer  zu  erwerben 
pflegen.  Sie  besuchen  an  der  Hand  von  Führern  alle  unsere  Jahrmärkte  als  Clarinettenbläser,  als 
Flöten-  und  Geigenspieler,  als  Orgeldreher  u.  s.  w.  und  singen  namentlich  zum  Leierkasten  die  schauer- 
hchsten  Mord-  und  Räubergeschichten  zum  grössten  Ergötzen  der  Umstehenden.  Dieselbe  Erscheinung 
zeigt  sich  noch  jetzt  vorzugsweise  in  Griechenland,  wo  bei  allen  Festen  und  Paneghyris  besonders 
die  blinden  Volksliedersänger  sich  zahlreich  einfinden  und  ihre  Volksgesänge  vortragen  (cf  Fauriel 
chants  populaires  de  la  Grece  Moderne  und  dazu  Grote  Gr.  Gesch.  p.  504,  Anm.).  Die  Sitte  datirt 
aus  dem  grauesten  Alterthum,  wofür  die  Homerischen  Gesänge  genügendes  Zeugniss  ablegen.  Aber 
sie  ist  keine  menschliche  Einrichtung  oder  Satzung,  die  zu  einer  bestimmten  Zeit  getroffen  worden 
ist;  sie  entstammt  vielmehr  rein  menschlichen  Gefühlen  und  hat  zu  allen  Zeiten  gegolten,  und  wenn 
dennoch  von  ihrem  Eintreten  zu  bestimmter  Zeit  die  Rede  sein  soll,  so  kann  sie  nur  auf  die 
Erfindung  der  Mittel  zurückgeführt  werden,  deren  die  armen  Unglücklichen  sich  zur  Erreichung 
ihrer  Zwecke  zu  bedienen  pflegen.  Diess  ist  für  die  vorliegende  Untersuchung  von  Wichtigkeit. 
Nachdem  nämlich  alt  und  schwach  gewordene  Rliabdoden,  unter  Beibehaltung  des  Zeichens  ihres 
frühern  Berufs  und  ihrer  Würde,  des  Stabes,  durch  ihre  neuen  Lieder  den  Impuls  zur  freudigen 
Erregung  der  Massen  gegeben  und  selbst  reichen  Gewinn  daraus  gezogen  hatten,  so  bemächtigten 
sich  nach  und  nach  Alle,  welche  auf  gleichen  Erwerb  angewiesen  waren,  der  durch  den  Schiffs- 
verkehr vermittelten  neuen  Stoffe,  und  aus  ihnen  gingen  die  primitiven  Aoeden  hervor.  Auch 
sie  führten  den  Stab;  da  dieser  jedoch  die  Bedeutung,  die  er  in  der  Hand  der  Rhabdoden  ge- 
habt, verloren  hatte,  so  vertauschten  sie  ihn  mit  dem  Lorberzweige,  EQvog,  nach  gewöhnhcher  An- 
nahme als  Auszeichnung  vor  den  Zuhörern,    und  wurden   iQvcjdnl    genannt*).     Ob  jedoch  der  sQvog 


')  Diese  von  Welcker  Ep.  Cycl.  p.  561,  Anm.  590  vortretflich  begründete  und  von  Nitsch  Hist.  Hom.  p.  II.  119. 
angenommene  Form  ist  die  allein  richtige,  jedoch  mit  der  Beschränkung,  dass  sie,  wie  später  nachgewiesen  werden  wird,  von 
pa'-l^wSo?  gänzhch  getrennt  l)leibt.  Die  andere  Form  apvwSo?  ist  lediglich  aus  der  provinziellen  Gewohnheit,  e  vor  p  wie  i 
zu  sprechen,  entstanden  und  in  die  Schriftsprache  übergegangen,  gerade  wie  noch  heutigen  Tages  an  einzelnen  Mecklen- 
burgischen Orten  die  Eingeborenen  das  e  vor  r  wie  a  aussprechen  und  demnach  nicht  werden  oder  Erde,  sondern  warden 
und  Ar  de  sagen,  während  umgekehrt  die  eingeborenen  Insassen  einer  berühmten  Mecklenburgischen  Handelsstadt  weder  einen 
Garten  noch  Markt,  sondern  nur  einen  Gärten  und  Markt  kennen.  Dass  die  häufigen,  in  der  Griechischen  Sprache 
nachgewiesenen  Vocalvertauschungen  nur  eine  Folge  einer  abweichenden  provinziellen  Aussprache  gewesen  sind,  bedarf  keines 
Beweises.  Dass  aber  in  dem  vorliegenden  Falle  die  falsche  Form  ap'JwSo?  (Lammsänger)  mit  Leichtigkeit  Eingang  finden 
konnte,  dergestalt  dass  sogar  der  Scholiast  zu  Find.  Nem,  11,  1  bei  der  Deutung  des  Namens  pav|»w5o^  sagen  konnte:  ol  Si 
OTi  xara  \i(pt\  Trpotepov  tt^s  Trotr'jeto;  S'.aSiSojjLs'vT,^  rwv  aywvicjTwv  eV.a^TO^  o-i  ßouXo'.TO  T,Se,  toG  81  a^Xo'j  toi? 
'iixwatv  apvö;  oi7:o5tStiy\i.i'iO\)  ^po^ayopeu^Jiqva!.  rote  |X£V  apvwöou?,  auüi;  8i  x.  t.  X.  ist  nur  durch  die  Analogie 
des  naheliegenden  TpaYwSo'?,  Bocksänger,  möghch  geworden.  Indessen  abgesehen  von  der  durch  nichts  unterstützten 
Annahme,  dass  bei  tragischen  Darstellungen  ein  Bocksopfer  stattgefunden,  oder  dass  die  dabei  betheiligten  Tragöden  ur- 
sprunghch  mit  Bocks  feilen  bekleidet  gewesen  seien,  so  giebt  es  nichts,  wodurch  die  aus  dem  Alterthum  stammende  und 
noch  heut  in  der  Regel  gebilligte  Erklärung  (cf.  Horat.  A.  P.  v.  220),  dass  der  Preis  des  tragischen  Wettkampfs  in  einem 
Bock    bestanden   habe,    sich   irgendwie   rechtfertigen   Hesse.     Schon  Welcker  hat  a.  a.  0.  mit  Entschiedenheit   darauf  hinge- 


*f^jM'illBW>T''' 


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V 


26 


wirklich  ein  auszeichnendes  Symbol,  und  nicht  viehnehr  das  Zeichen  des  um  gasthchen  KnipiUng 
bittenden  Sängers  gewesen  sei,  der  Unterhalt  suchend  von  Ort  zu  Ort  zog,  bleibt  sehr  fraglich. 
Wenigstens,  legte  das  ganze  Alterthum  dem  Zweige  in  der  Hand  eines  Nahenden  nur  die  letztere 
Bedeutung  bei,  und  die  Stellen,  welche  man  zum  Belege  der  ersteren  Annahme  beigebracht  hat, 
nach  denen  z.  B.  die  Brabeuten  bei  den  Kampfspielen  u.  s.  w.  ebenfalls  den  Stab  trugen,  durften 
nicht  angezogen  werden.  Denn  hier  bezeichnete  der  Stab  die  amtliche  Würde  und  entsprach 
dem  axTjTtTQov  in  der  Hand  des  Gebietenden;  davon  aber  kann  bei  den  bittweis  nahenden  Aoeden 
keine  Rede  sein.  Dem  widerspricht  auch  nicht,  dass  Chryses  als  Bittender  das  axrTitQOv  statt  des 
Zweiges  trägt;  cf  lUad.  1,  init.  Er  erscheint  vor  Agamemnon  in  seiner  vollen  Würde  als  Priester 
des  Apollon  und  führt  als  solcher  absichtlich  das  ayS]7iTQ0v,  indem  sein  Bittgesuch  nur  durch  den 
mit  W^olle  umwickelten  Lorberkranz,  den  er  auf  dem  goldenen  Scepter  trägt,  ausgedrückt  wird. 
Aus  dem  Obigen  mm  ergiebt  sich,  dass  die  Aoeden  dem  Reichthum,  der  Wohlhabenheit,  kurz  Allen 
gegenüber,  die  durch  Besitz  und  Kraft  ihrer  Hände  eine  selbständige  Existenz  hatten,  eine  sehr 
untergeordnete  Stellung  einnahmen.  Sie  heissen  zwar  d-iioi  und  werden  noch  durch  viele  an- 
dere Beiwörter  geehrt,  doch  offenbar  nur,  weil  nach  allgemeiner  Ansicht  die  Dhnoa  in  ihnen  lebte 
und  Avebte  und  ihnen  den  götthchen  Gesang  eingab,  der  sodann  ihrem  Munde  entströmte.  Allein 
diess  änderte  nichts  an  ihrer  gesellschaftlichen  Stellung;  sie  standen,  aus  dem  angegebenen  Gnmde 
gerade  wie  die  Wahnsinnigen,  die  ebenfalls  von  einem  Gotte  besessen  gedacht  Avurden,  unter  dem 
allgemeinen  Schutz  Aller,  und  Jedermann  vermied  es  um  des  Gottes  willen  geflissenthch  sie  zu 
ki-änken.  Sie  Avurden  vielmehr  geachtet,  fanden  überall  gastliches  Entgegenkommen,  weilten  in  den 
Häusern  der  Edlen  und  Reiclien,  erhielten  hier  sogar  dauernden  Aufenthalt  und  erfreueten  sich  bei 
allen  öffenthchen  Festen  des  freundlichsten  Empfanges.  Allein  diess  Alles  galt  nur  der  in  ihnen 
wohnenden  Gottheit;  persönhch  traten  sie  völlig  in  den  Hintergi-und,  an  ihrem  Erwerb  haftete  in 
den  Augen  der  Menge  etwas  Gewöhnhches,  ein  Etwas,  das  sich  von  einem  Almosen  wenig  oder  gar 
nicht  unterschied;  mit  einem  Wort,  sie  assen  das  Brod  Anderer. 

Diese  Aoeden  waren  es,  welche  die  von  Troia  herül)ergekommenen  yJJu  avöqiZv  verarl)eiteten 
und  ihnen  die  feststehende  hexametrische  Form  gaben.     Aber   sie   thaten   es   nicht    etwa  als  opfer- 


>v. 


wiesen,  dass  bei  keinem  einzigen  summtlicher  Composita,  als  (XtAioS:?,  zpoowBo'?  u.  s.  w.  der  Preis  bezeichnet  werde, 
mn  den  gesungen  wurde.  Und  so  ist  es;  auch  TpaywSo's  kann  keine  Ausnahme  machen,  und  auch  die  Erkliirung,  dass  ein 
Bock  den  Siegespreis  gebildet,  ist  hinlUüig  und  verwerflich.  Das  richtige  Verstclndniss  des  Wortes  ist  nur  auf  historiscliem 
Wege  zu  gewinnen.  Es  ist  nämlich  nicht  zu  bezweifeln,  dass  die  Griechische  Tragödie  sich  in  ihren  Uranfungen  aus  der 
xwfjLCüÖia  entwickelt  hat,  wobei  es  ganz  dahin  gestellt  bleiben  kann,  ob  letztere  aus  xio|jio?  und  tp8t{  Lustgesang,  Lust- 
spiel, oder  aus  xwjjli^  und  ü)8i^  Dorfgesang,  üblich  bei  der  Feier  der  Weinlese  in  den  Dörfern,  entstanden  ist.  Jene  An- 
fange aber  sind  zu  suchen  in  dem  aus  den  alten  Dionysos-Festhchkeiten  her\orgegangenen  Dithyrambus,  als  dessen  Er- 
finder Herodot  I,  c.  23  den  Arion  nennt.  Von  dem  Dithyrambos  sonderte  sieh  sjiäter  das  Satyrspiel  ab,  in  beiden  aber 
ruhete  ein  mimisches  Element  (cf.  Aristot.  Probl.  19  Sto  xa\  ol  5ui-jpa|jLßoi,  £-ei5T^  p.i|jL-i^Tixol  i-^i^o^no  x.  x.  \.)\  und 
als  der  Dithyrambos  sich  zu  einem  Drama  mit  Acten  aus  der  CTeschichte  des  Dionysos  gestaltete,  so  tiel  dem  ans  Satyrn 
bestehenden  Chore  jener  mimische  Theil  zu.  Bei  dieser  ganzen,  von  Arion  zweifellos  herrührenden  Anordnung  (xpoTioc 
Tpayixo?  Suid.  s.  v.  Arion)  bestand  der  Hauptkern  der  Lustbarkeit  in  dem  mit  Bockschwänzen  etc.  ausgestalteten  und 
in  seinen  Bewegungen  phallische  Possen  treibenden  Satymchor.  Von  ihnen,  den  bockschwänzigen  und  später  auch 
bocksfüssigen  Satyrn  entstammt  die  Bezeichnung  ipay^xo!;  (von  xpoiYOC»  Bock),  welche  auch  später,  als  besonders  unter 
dem  gewaltigen  Eindruck  der  Perserkriege  aus  dem  Dithyrambos  die  ernste  Tragödie  hervorging,  für  diese  beibehalten 
wurde  und  zwar  uranfänghch,  dem  neckischen  Wesen  des  Dithyrambos  und  des  Satyrspiels  zufolge,  als  Spottname.  Denn 
wer  noch  heute  sich  nicht  allein  die  wunderhchen  und  possierUchen  Sprünge  der  Böcke  gegen  einander  vergegenwärtigt,  son- 
dern auch  zugleich  die  gravitätischen  Schritte  beobachtet,  mit  denen  sie  dummglotzenden  Auges  zum  Kampfe  auf  einander 
losgeben,  der  wird  begreifen,  wie  der  ernste  und  gravitätisch  gemessene  Schritt  des  Chors  in  der  Tragödie  mit  jenem  Namen 
und  zwar  als  Spottnamen  bezeichnet  werden  konnte,  jedoch  zu  dem  Erfolge,  dass  unter  dem  Ernste  der  Handlung  der  ur- 
sprünghche  Spott  allmälig  ganz  vergessen,  der  Name  selbst  aber  beibehalten  wurde. 


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freudige  Jünger  der  Musen  und  ohne  allen  Eigennutz,  ohne  alles  eigene  Interesse,  nur  im  Dienste 
der  Poesie  stehend ;  im  Gegentheil,  da  Dinge  vorhegender  Art  nur  nach  Maassgabe  der  Zeit,  in  der 
sie  hervorgehen,  zu  bemessen  sind  und  nicht  durch  die  trübe  Brille  einer  idealistischen  Anschauung 
betrachtet  werden  dürfen,  sie  bemächtigten  sich  der  neuen  Stoffe,  um  im  gegenseitigen  Wetteifer 
den  grösstmöglichsten  Gewinn  daraus  zu  ziehen,  und  gerade  dieser  Wetteifer,  dieses  Streben  theils 
durch  Neues,  theils  durdi  Umgeformtes  einander  zu  überbieten,  worin  die  Quelle  der  spätem 
Agonistik  zu  suchen  ist,  hat  die  Poesie  selbst  wunderbar  gefördert  und  die  Zeit  vorbereitet,  in 
welcher  —  Homer  den  Gipfelpunkt  ersteigen  sollte.  Auf  diese  Weise  ist  eine  Anzahl  theils  längerer 
theils  kürzerer  Gesänge  in  der  Form  des  Hexameters  entstanden,  welche  weit  über  unsere  Vor- 
stellung hinausgeht,  und  man  kann  dreist  behaupten,  dass  alle  Sagen  von  Ilion,  also  nicht  bloss 
die  in  den  Homerischen  Gesängen  befindlichen,  sondern  auch  die,  welche  ausserdem  mit  dem 
Troischen  lü'ieg  in  irgend  welcher  Verbindung  standen,  von  den  Aoeden  behandelt  worden  sind. 
Aber  eben  so  dreist  darf  man  behaupten,  dass  alle  Lieder  bunt  durcheinander  auf  der  Klein- 
asiatischen Küste  und  auf  den  Inseln  bald  liier  bald  dort  gesungen  worden  sind,  ohne  dass  sie  durch 
eine  gewisse  Ordnung  und  innern  Zusammenhang  mit  einander  verbunden  gewesen  wären  oder  ein 
fester  historischer  Faden  sich  durch  sie  hindurch  gezogen  hätte.  Alle  flatterten  so  zu  sagen  in 
buntem  Gewirrc  um  eiiien  Mittelpunkt  herum,  welcher  sie  anzog,  und  dieser  war  lUon  im  letzten 
verzweifelten  Todeskampfe.  Diesen  innern  Zusammenhang  für  einen  bestimmten  Abschnitt 
des  Krieges  herzustellen  und  die  Ereignisse  in  muti\irter  Aufeinanderfolge  gleichsam  an  einem 
Faden  fortzuführen,  war  dem  Dichtergenius  des  Homer  vorbehalten.  Hieraus  aber  leuchtet  ein,  dass 
der  Dichter  nicht  etwa,  wie  ein  überirdisches  Wesen,  plötzlich  in  eine  bis  dahin  inhaltleere  Wij-khch- 
keit  gleichsam  hineingesprungen  ist  und  begeistert  von  der  Gottheit  seine  Epen  geschaffen  hat:  auch 
er  war,  wie  alle  Dichter  aller  Zeiten,  ein  Kind  seiner  Zeit  und  hat  sich  grossgenährt  an  dem  Ma- 
terial, welches  sein  Zeitalter  ihm  in  Fülle  zu  Gebote  stellte. 

In  den  Aoeden  also,  schlichten  und  einfachen  Leuten,  die  aber  durch  die  Uebung  des  Vor- 
trags vollkommen  vertraut  mit  dem  Bau  des  Hexameters  waren,  sind  einzig  und  allein  die  Schöpfer 
neuer  Lieder  zu  suchen.  Zugleich  aber  waren  sie  auch  die  Autbewahrer  und  Fortpflanzer  der  älteren 
und  zwar  zunächst  wohl  im  Wege  der  Katechese,  wie  das  Beispiel  des  blinden  Demodokos  lehrt.  Denn 
entweder  war  dieser  wirklich  der  Dichter  der  Lieder,  welche  er  in  der  Odyssee  vorträgt  (und  man 
hat  desshalb  in  ihm  sogar  die  Person  des  Homer  vermuthet),  oder  er  hatte  sie  auf  gedachtem 
Wege  aufgenommen,  da  seine  Blindheit  jeden  andern  ausschloss.  Hiemit  soll  jedoch  nicht  gesagt 
sein,  dass  es  nicht  auch  schon  schriftliche  Aufzeichnungen  der  Lieder  gegeben  habe,  wovon  je- 
doch erst  später  genauer  die  Rede  sein  wird.  Der  Zauber  ihrer  Lieder  verschaft'te  den  Aoeden 
überall  die  herzlichste  Aufnahme.     Ob  auch  dem  Homer? 

Die  alten  Ueberheferungen  kommen  alle  dahin  überein,  dass  Homer  von  der  Nymphe  Kri- 
theis,  welche  mit  einem  Daemon  Umgang  gehabt,  am  Flusse  Meles  unfern  von  Smyrna  geboren  und 
daher  Melesigenes  genannt  worden  sei;  seine  Erziehung  habe  Maeon,  ein  Verwandter  der  Kritheis 
geleitet;  cf.  Welck.  Ep.  Cycl.  p.  142.  sqq.  Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  diese  Angaben  im  Einzelnen 
zu  prüfen;  es  genügt  darauf  hinzuweisen,  dass  in  ihnen  der  Glaube  des  ganzen  Alterthums  sich 
manifestirt,  nach  welchem  Homer  ein  vom  Weibe  Geborener,  ein  individueller  Älensch  mit  Fleisch 
und  Blut,  und  nicht  etwa,  wie  heute  meistentheils  geglaubt  wird,  ein  wesenloser  Eponymus,  ein 
göttlicher  Ahnherr  der  Homeridengens  war.  Die  letztere  Annahme,  an  welche  weder  im.  Alter- 
thum, noch  neuerdings  vor  Wolf  jemand  gedacht  hat,  ist  ledighch  als  weitere  Folge  aus  dessen  be- 
kannter Hypothese  hervorgegangen,  allein  von  Allen,  welche  sie  angenommen,  ist  die  richtige  Frage- 
stellung ausser  Acht  gelassen  worden.  Es  handelt  sich  nämlich  nicht  darum,  auf  Grund  einer  Ver- 
mutlmng    eine   durch  Einstimmigkeit   des  Alterthums   beglaubigte  Thatsache    über  Bord   zu  werfen, 

4* 


88    

sondern  vielmehr  auf  Grund  der  Thatsaclie  die  Zulässigkeit  der  Hypothese  zu  en\'eisen.  So  lange 
also  die  Rechtfertigungsgriinde  der  letzteren  selbst  nur  aus  Annahmen  und  Vermuthungen  bestehen, 
die  weder  durch  Vernunftsgründe  noch  durch  alte  Ueberlieferungen  hinreichend  unterstützt  werden, 
eben  so  lange  ist  auch  der  Endschluss,  dass  die  ganze  Anschauung  und  der  ausdrückhche  Bericht 
des  Alterthums  falsch  sei,  völlig  unzulässig  und  daher  abzuweisen.  Man  kann  mit  vollem  Hechte 
alle  Werke,  die  unter  Homers  Namen  gehen,  ihm  entweder  theilweise  oder  ganz  absprechen,  kann 
sie  einem  anderen  Verfasser  oder  mehreren  zuschreiben;  allein  hieraus  die  persönliche  Existenz  des 
Dichters,  der  als  Verfasser  genannt  wird,  abzuläugnen  und  ihn  zu  einem  luftigen  Wesen  zu  ver- 
flüchtigen, dazu  ist  die  Kritik  nicht  berechtigt.  Und  doch  hat  man  sich  nicht  gescheut,  um  jene 
Verflüchtigung  zu  beweisen,  vornehmhch  die  Seite  der  Ueberheferung  heranzuziehen,  dass  Kritheis 
den  Dichter  von  einem  Daemon  empfangen  und  geboren  habe;  gerade  als  wenn  jemand  aus  der 
bekannten  Perfidie  des  Macedonischen  Adels,  den  Alexander  für  einen  Bastard  auszugeben,  der  von 
einem  Drachen  im  Ehebruch  mit  der  Oljnnpias  erzeugt  worden  sei,  den  Schluss  ziehen  wollte,  dass 
Alexander  selbst  niemals  existirt  habe.  Wir  halten  also  die  Position,  welche  das  Alterthum 
uns  anweist,  unverrückt  fest  und  behaupten,  dass  Homer  nichts  mehr  und  nichts  weniger  als  einer 
jener  fahrenden  Aoeden  war,  der,  abgesehen  von  seiner  eminenten  Dichterbegabung,  sich  in  seinem 
übrigen  Leben  durch  Nichts  von  ihnen  unterschied.  Auch  er  suchte  und  fand  seine  Existenz  durch 
den  Vortrag  seiner  Lieder,  und  auch  von  ihm  gilt  die  Voraussetzung,  dass  er  zur  Zahl  jener  Armen 
gehört,  die  blind  und  gebrechlich  zu  allen  Zeiten  vom  grauesten  Alterthum  herab  bis  zum 
heutigen  Tage  aus  ihrer  Lebensbeschäftigung  ein  ernährendes  Gewerbe  gemacht  haben.  Und  diese 
Voraussetzung  wird  wiederum  durch  das  Zeugniss  des  ganzen  Alterthums  bestätigt,  Homer  war 
blind.  Es  giebt  nicht  ein  einziges  altes  Zeugniss,  von  dem  des  Spötters  Lucian  abgesehen  (Ver. 
Hist.  H,  26),  welches  die  Blindheit  des  Sängers  im  Entferntesten  je  angezweifelt  hätte,  und  nur  die 
heutige  Foi-schung  hat  die  Ueberheferung  so  vollständig  in  das  Reich  der  Fabel  verwiesen,  dass  in 
der  That  ein  gewisser  Muth  dazu  gehört,  anderer  Meinung  zu  sein.  Denn,  sagt  man,  wie  wäre 
es  wohl  möglich  gewesen,  dass  ein  blinder  Mann  die  ganze  ihn  umgebende  Natur  mit  solcher 
Treue,  mit  solcher  Wahi'heit  hätte  schildern  und  beschreiben  können,  wie  Homer  es  gethan?  und 
beruft  sich  dabei  auf  das  Urtheil  Ciceros,  der  Tusc.  V,  c.  39  also  sich  äussert:  Traditum  est,  Home- 
rum  caecum  fuisse.  At  eins  picturam,  non  poesin  videmus.  Quae  regio,  quae  ora, 
qui  locus  Graeciae,  quae  species  formaque  pugnae,  quae  aeies,  quod  remigium,  qui 
raotus  hominum,  qui  ferarum  non  ita  expictus  est,  ut,  quae  ipse  non  viderit,  nos 
ut  videremus,  effeceritV  Quid  ergo?  aut  Homero  delectationem  animi  ac  voluptatera 
aut  cuiquam  docto  umquam  defuisse  arbitramur?  Allein  Niemand  hat  bedacht,  dass  gerade 
Cicero  bei  unbedingter  Anerkennung  jener  naturgetreuen  Schilderungen  des  Dichters  dennoch  die 
allgemeine  Ansicht  des  Alterthums  von  dessen  Blindheit  vollständig  theilt,  indem  er,  wie  kurz  vorher 
den  blinden  Democrit,  so  hier  zum  Beweise  seines  Themas  Virtutem  ad  beate  vivendum  se 
ipsa  esse  contentam,  den  blinden  Homer  anführt,  um  zu  zeigen,  wie  derselbe  trotz  seiner 
Blindheit  dennoch  non  sine  summa  delectatione  animi  et  voluptate  die  Poesie  zu  einer 
solchen  Höhe  erhoben  habe,  dass  man  in  seinen  Beschreibungen  ein  vollstänthges  Gemälde  und 
kaum  noch  Dichtung  zu  erkennen  vermöge.  Auf  diese  völlig  missverstandene  Stelle  hin  hat  man 
Homers  Blindheit  fiir  eine  Sage  des  Alterthums  erklärt,  welche  dadurch  entstanden,  dass  dieses 
hochbegabte  Menschen,  che  sich  eines  höheren  geistigen  Lichts  erfreueten,  einer  nähern  Bekannt- 
schaft mit  den  Göttern  für  würdig  und  somit  des  körperlichen  Lichts  der  Augen  für  beraubt  er- 
achtet habe.  Allein  auch  diese  Schlussfolgerung  ist  falsch  und  darum  verwerflich,  we  schon  das 
Beispiel  des  Teiresias  lehrt.  Denn  niemals  hat  das  AUerthum  sehende  Menschen  für  körperhch 
blind   erklärt,   weil  sie  geistig   hochstehend   sich  gleichsam  den  Göttern   näherten,   sondern  es  hat 


29 


Blinde  für  den  Göttern  verwandt  erachtet,  weil  ihnen  als  Ersatz  für  das  mangelnde  Augen- 
hcht  gleichsam  die  Verwandtschaft  mit  den  Göttern  zu  Theil  geworden  sei.  Diess  besagt  ausdrück- 
lich Homer  bei  Erwähnung  des  blinden  Demodokos  Odyss.  VHI,  63:  Krqv^  d"  i'/yv^ev  rjl^ev, 
ayo)v  iQir^Qov  ooiöovy  rov  ti^ql  Mnm  i(fih;oe,  Sidou  d"  ayai^ov  je  (fikov  re-  'ocf^ak^uojv  ^lev 
ajuEQüe,' diöov  d'  t]ötTav  doidrv.  Auch  Homer  war  blind  und  seine  Blindheit  hat  ihn  ebensowenig 
verhindert  nur  gehörte,  nicht  gesehene  Naturscenen  poetisch  ebenso  treu  wiederzugeben,  wie  es  der 
Verfasser  des  Wilhelm  Teil  gethan,  der  in  seiner  Beschreibung  und  Ausmalung  des  Vierwaldstätter  Sees 
bis  zum  heutigen  Tage  noch  von  Niemand  übertroften  worden  ist,  wennschon  er  von  den  gross- 
artigen Scenerien  jenes  Sees  nur  gehört  oder  gelesen,  ihn  selbst  aber  niemals  mit  Augen 
gesehen  hat.  Sollte  aber  nach  dem  Allen  dennoch  jemand  Zweifel  hegen,  so  bleibt  immer  noch 
die  Annahme  übrig,  dass  der  Dichter  nicht  blind  geboren,  sondern  ei-st  später  auf  die  eine  oder 
die  andere  Weise  blind  geworden  sei;  diess  und  nichts  Anderes  besagt  auch  das  Zeugniss  des 
Velleius  Pat.,  welches  man  gegen  die  absolute  Bhndheit  des  Homer  filschhch  beigebracht  hat, 
hb.  I,  5:    Homerum  si   quis  caecum  ?eiiitiim   putat.   omnibus   sensibus   orbus  est.    Doch 

wir  gehen  weiter. 

Es  ist  am  Schlüsse  der  ersten  Abhandlung  die  Frage  aufgeworfen  worden,  ob  wohl  jemand 
zu  sagen  vermöge,  welcher  Stadt  Griechenlands  der  Dichter  angehört  habe,  und  der  Zweifel  wird 
für  alle  Zeit  fortbestehen.  Dessenungeachtet  erfordert  der  Gang  der  vorstehenden  Untersuchung, 
auch  hier  den  Versuch  zu  machen,  der  Wahrheit  möglichst  nahe  zu  kommen.  Ganz  bestimmte, 
von  Niemand  angefochtene  Zeugnisse  bestätigen  das  Vorhandensein  der  Homeriden  auf  Chios; 
(die  Stellen  sehe  man  bei  Grote  I,  p.  494);  in  ihnen  hat  man  einstimmig  eine  Art  von  Gens 
(Gilde,  Zunft)  anerkannt.  „Ihnen  war,  sagt  Grote  p.  493,  Homer  nicht  ein  blosser  Mensch, 
der  vor  ihnen  gelebt  hatte,  mit  ihnen  verwandter  Natur,  sondern  ein  götthcher  oder  halhgötthcher 
Eponym  oder  Vorsteher,  den  sie  mit  ihren  heidnischen  Opfern  verehrten  und  in  dessen  erhabenem 
Namen  und  Augen  die  Individualität  eines  jeden  Gliedes  der  Gens  versenkt  war.  Die  Werke 
jedes  besondern  Homeriden  oder  die  vereinten  Anstrengungen  Vieler  derselben  in 
Verbindung  stellten  die  Werke  des  Homer  dar."  Wir  haben  schon  oben  auf  das  Fehlsame 
dieser  Schlussfolgerung  hingewiesen  und  bekennen  nochmals,  dass,  mag  diese  Ansicht  auch  von  den 
namhaftesten  Forschern  z.  B.  Bernhardy  (cf.  L.  G.  pag.  299,  3.  A.)  getheilt  werden,  sie  bei 
ruhiger  Betrachtung  des  Wesens  jener  alten  Zeit  etwas  Fremdartiges  und  Unnatürliches  und  darum 
Unglaubliches  enthält,  Sie  führt  uns  die  aUen  Verhältnisse  gleichsam  im  Kaleidoscop  vor  und 
zeichnet  Menschen,  die,  „der  Gegenwart  entrückt,  in  einer  jenen  Zeiten  eigenthümlichen 
Begeisterung,  als  der  einzelne  Mensch  geneigt  war,  auf  seinen  Ruhm  zu  verzichten, 
alle  Kraft  zu  einer  gemeinsamen  Schöpfung  der  Kunst"  aufgeboten  hätten.  Solche 
Persönlichkeiten,  welche  sich  zu  einer  Sängerzunft  vereinigt  und  durch  ihre  Beiträge  den 
vom  Meister  entworfenen  Plan  in  treuer  Arbeit  ausgeführt  und  somit  auf  eignen 
Ruhm  und  Gewinn  aus  ihrer  Arbeit  verzichtet  hätten,  kennt  das  Alterthum  nicht,  eine 
solche  Entäusserung  des  eignen  Interesses  ist  dem  alten  Menschen  völlig  fremd;  der  ganze  Griechische 
Nationalcharacter,  der  noch  heute  sich  nicht  verläugnet,  steht  damit  in  Widerspruch,  als  dessen 
hauptsächlichstes  Merkmal  das  Streben  nach  Gewinn  und  Besitz,  gleichviel  ob  derselbe  auf 
rechthchem  oder  nicht  rechthchem  Wege  erworben  wird,  bezeichnet  werden  muss.  Unter  solchen 
Verhältnissen  an  eine  Hingebung  und  Opferfreudigkeit  zu  denken,  wie  jene  Auflassung  sie  uns  vor- 
führt, ist  geradezu  unmöglich,  und  an  eine  Sängergenossenschaft  im  modernen  Sinne,  die  sich  um 
des  gemeinsamen  Gewinnes  halber  zusammengethan,  haben  die  Urheber  jener  Ansicht  doch  wohl 
nicht  gedacht.  Endlich  steht  die  ganze  Ansicht  mit  der  alten  Agonistik,  mag  diese  sich  entwickelt 
haben,  wann  sie  will,   in  directestem  Gegensatz.     Man   muss  die  alten  Verhältnisse  nehmen,  wie  sie 


30 


waren;  kein  Aoede  wird  sich  je  entschlossen  haben,  die  Erzeugnisse  seines  Geistes  „auf  dem 
Altar  der  Poesie"  niederzulegen  oder  sie  einem  Anderen  zu  gewinnbringendem  Gebrauch  zu  Gebote 
zu  stellen.  Vielmehr  suchte  einer  den  anderen  zu  überbieten  und  gab  so  die  Veranlassung  zu  den 
dycijveg  fiovaixoi.  Den  Beweis  des  gegenseitigen  Wettkampfes  erbringen  die  Worte  des  blinden 
Mannes  von  Chios  Hymn.  ad  Apoll,  v.  160:  tu  xovQat-y  lig  d^  v(.ifxLv  dvrjQ  i^öiatoi;  doidfov  ^Ev&dde 
ntoXelzai  xal  TS(p  TSQTtea&a  (.laXiaxct; 

Die  Homeriden  auf  Chios  also  sind  auf  einen  persönlichen  Ahnherrn,  den  Dicht  er  Homeros 
zurückzufuhren  und  sind,  wenn  nicht  als  seine  leiblichen,  was  bedenklich  sein  dürfte,  sondern  als 
seine  geistigen  Nachkommen  anzusehen.  Berechtigt  diess  nun  zu  der  Annahme,  dass  auch 
Homer  in  Chios  ansässig  gewesen,  und  war  dieser,  wie  oben  nachgewiesen  ist,  blind,  so  steht  Nichts 
entgegen,  der  Aussage  des  Thucydides  III,  c.  104  beizupflichten,  welcher  in  dem  TV(flds  dvrJQ 
von  Chios  ausdrückhch  den  Homer  anerkennt.  Der  kundige  Athenäer  nämlich,  der  zugleich  hier- 
durch die  Blindheit  des  Dichters  vollständig  beglaubigt,  nennt  das  Prooemium  an  Apollon  nicht 
allein  ein  Werk  des  Homer  {öt]loT  dt  /ndliaia  ÖfiT^Qog^  o%v  Toiaira  r^v  iv  roTg  entai  zolgde,  d 
iativ  ix  TiQooifdov  \i7i6?Müvog\  sondern  fügt  eigens  hinzu,  Homer  habe  dort  auch  seiner  selbst 
gedacht  mit  den  Worten:  rav  yuQ  Jt-ltax6v  xoQOv  nZv  yviaixojv  ifivt]oag  ixeleira  rov  enahov  ig 
rdöe  Tci  eTir^,  iv  oig  xal  kaviov  iuvt'^aO-t;.  Hier  ist  Alles  von  Wichtigkeit.  Der  dy(juv  (.lovoixög, 
dessen  Nachweis  Thucydides  überall  durch  das  Citat  beabsichtigt,  liegt  in  den  oben  angeführten 
Worten  xig  6*  vfifdv  x,  r.  l.     Das  ganze  Citat   aber  (Hymn.  ad  Apoll,  v.  165,  sf^q.)  lautet: 

^A?.V  c(y€0^,  lI)]xoi  jtitv  ^At[6).X(')v  ^AoTtiiidi  ^vv 

XaiQcie  d'  {\ue7g  Tcaoai-  ifielo  i)t  xal  /iurc7iia&ev 

Mvi^aaaO^,  onnoze  xtv  rig  InixS^ovuov  drO^iio'mojv 

\Ev&ad'  dvHQrjat  talamioiog  d/.log  intld-on" 

fi  xoiQaif  Tig  d^  tfi/nw  dvt]^  'tjöiOTog  doidotv 

^EvS-ade  noiKtiTai  xal  ziot  ttQTiead'e  jud/.iora; 

7'fyAcs,'  dvt]Qj  oixat  öi  Xui»  in  7TaiTia).oi.oai]- 

Toü  Tcdaai  fiEvÖTuiaO^ev  dQiareiOvaiv  dniSai, 

'^H/iiaig  J'  Lftiienov  xling  o^iaofiev,  oaanv  In    alav 

^ Avd^Qv'miov  aiQECfö^iEö^a  noltig  iwauiaoioag' 

Ol  6"  ijil  di]  TieiaovTui,  intl  xal  iziiiviiov  iaiiv. 
Ferner  giebt  die  den  Delischen  Jungfrauen  untergelegte  Antwort  itcplog  dvt;n  etc.  deutlich  zu 
erkennen,  dass  der  blinde  Mann  sehie  Lieder  sammt  und  sonders  für  die  besten  hält,  oder  mit 
andern  Worten,  vorausgesetzt  dass  fiaioTiioO^ev  vor  dniOTainiaiv  richtig  verstanden  wird,  dass  alle 
seine  Vorträge  im  dyav  /unuoixog  den  Preis  davon  zu  tragen  pflegen,  sobald  sie  gehört  worden 
sind.  Denn  diess  liegt  in  dem  genannten  Adverb,  welches  mit  doiartioiaiv  nicht  in  dem  Sinne  zu  ver- 
binden ist,  dass  die  Gesänge  in  späterer  Zeit  vor  allen  übrigen  den  Vorrang  haben  werden,  in 
welchem  Falle  aus  2  Codd.  ^aQiazei  aovöiv  ' ;  (offenbar  eine  Conjectur  des  Abschreibers,  der  den 
letzteren  Sinn  verlangte)  geschrieben  werden  müsste,  sondern  dass  sie  hinterdrein,  wenn  der  dy(uv 
beendet  ist,  die  Gesänge  also  gehört  worden  sind,  den  Preis  zu  erhalten  pflegen.  Diess  stolze  Selbst- 
bewnsstsein  des  wandernden  blinden  Mannes,  den  seine  Gesänge  allerorten  zum  willkonmiensten 
Gaste  machen,  bezeichnet  trotz  der  Bescheidenheit,  mit  der  es  der  gesellschaftlichen  Stellung  des 
Sängers  gemäss  auftritt,  dennoch  deutUch  das  ganze  wahre  Sachverhältniss. 

Nichtsdestoweniger  ist  der  abweichenden  Nachricht  des  Scholiasten  zu  Pind.  Nem.  II,  1, 
Kinaethos   (oder  Kinaethon)   der  Chier   sei   der  Verfas^ser   jenes    Prooemium,    Erwähnung   zu  thun. 


>)  cf.  Welck.  p.  172,  Anm.  239. 


31 


AtioXImvu     ysyQafi^iävov     käyazai     nanoir^xivai^     orzog    oiv    6    Kivai&og     jiQioiog    ev 
2vQaxovaaig  i()(,a(f>(,')dt;o£  %d  'Ofir^QOv  tTi?]  xazd  rrv  t^axoaziv  ivrcir^v  c?.vfmidda,  wg'lrcnoazQazog 
(pr^air.     Indessen  Zeugniss  gegen  Zeugniss  gelialten,   dürfte  schon  an  und  für  sich  die  Meldung  des 
Scholiasten  der  des  Thucydides  gegenüber  kaum  in  Betracht  kommen,  ja  es  muss  mit  allen  Forschern 
geradezu    für  unmöglich  erklärt  werden,   dass,   wenn   die  Zeitangabe   des  Hippostratos   (Olymp.   69) 
richtig  ist,  Thucydides,    der  sich  kekanntlicli  überall  als  den  kundigsten  Forscher  und  Kenner  alter 
Zeiten  und  Verhältnisse  zu  erkennen  giebt  (cf.  I,  c.  20  sqq.),  den  Verfasser  eines  40  Jahre  vor  ihm  ent- 
standenen Werkes  nicht  nur  nicht  gekannt,  sondern,  was  noch  schlimmer  wäre,  das  Werk  selbst  dem 
alten  Homer  zugeschrieben  haben  sollte.    Im  Gegentlieil,  wenn  er  letzteres  dennoch  tlmt,  so  beweist 
diess  augenscheinhch,   dass    er   nur  den  alten  Hymnus,   welcher  nach   dem  Urtheile   auch  seiner 
Zeitgenossen  unbedingt    dem  Homer   angehörte,   weil   er  doch   niclit   etwas   behaupten   konnte,    was 
der  Ueberzeugung   jener  schnurstracks   entgegen   liei",    vor   sich   gehabt   hat,    neben   dem   noch    ein 
anderer  existirte,    von  welchem  jedoch  irgend  welche  Notiz  zu  nehmen  er  nicht  den  geringsten 
Grund  hatte;  und  dieser  letztere  kann  sehr  wohl  um  die  69.  Olympiade  von  Kinaethos   dem  Chier 
gedichtet  worden  sein.     Diess   wird   sogar   fast  zur  Gewissheit  erhoben,    wenn   wir  die   bereits   von 
G.  Hermann  in  seinem  Briefe  an  Ilgen   (cf.  Hymn.  Hom.  p.  XX  sqq.)    niedergelegten   Erörterungen 
in  Betracht  ziehen.     Jener  hat  mit  Ueberzeugung  dargethan,  dass  der  Hymnus  an  Apollon,  wie  wir 
ihn  heute  in  Händen  liaben,   aus   zwei   ganz  verschiedenen  Theilen   bestehe   und  somit  auch  zwei 
verschiedene  Verfasser  habe;    er  weist  ferner  nach  p.  XXIII  sqq.,    aus   welchen    einzelnen  Bestand- 
theilen  der  alte  Hymnus  an  den  Delischen  Apollon  zusammengesetzt  gewesen,  und  was  demnach 
durch  einen  späteren  Dichter  durch  Umdiclitung  oder   Interpolation    hinzugekommen  sei.     Hienach 
kann  es  nicht   zweifelhaft   sein,   dass   jener  spätere  kein  anderer,   als  der    vom  Schohasten  Pindars 
genannte  Kinaethos  ist,  welcher  die  Umdichtung  des  alten  Homerischen  Hymnus   vorgenommen  und 
unter  seinem  Namen  rhapsodirt  hat.     Diesen   letzteren    kannte   und   meinte  der  SchoUast,  während 
Thucydides  ton  ihm  gar  keine  Notiz  genommen  und  nur   den  ursprünglichen  Hymnus  im  Auge  ge- 
habt hat.     Iliemit   fällt  aber  die  Vermuthung  Welckers,   der   um   der  bedenklichen  Zeitbestimmung 
wegen  die  Zahlen  t^axoozrv  ivvdz7;v  in  txzi]v  Tj  zrjv  ivvdzt;v  (cf.  Ep.  Cycl.  p.  243)  verwandeln  will, 
in  sich  zusammen,  und  auch  die  Angabe  des  Hippostratos  hat  nichts  Auffälliges  mehr;  er  sagt  aus- 
drücklicli  za  'Oftr^Qov  tTii;.     Wenn  also  die  Aufzeichnung  der  Homerischen  Gesänge  durch  die  Pisi- 
stratiden  in  die  Zeit  540  —  530  a.  C.  gehört,   so  steht  der  Annahme  nichts   entgegen,   dass,   mochte 
man  in  Syracus  mit  einzelnen  Partien  schon  seit  einem  Jahrhunderte  und  länger   bekannt  sein, 
dennoch  die  Iliade   und  die  Odyssee  als  Ganze   erst  um  die  69.  Olj^np.  (ungefähr  um  500  a.  C.) 
dahin  gelangt  sind   und   zwar   durch  Kinaethos,   der    beide  Epen  zuerst   dort  rhapsodirte  und  so 
in  ihrem  ganzen  Zusammenhang  zur  allgemeinen  Kenntniss   brachte.     Aus  dem  Gesagten  aber  geht 
so  viel  hervor,  dass  die  Nennung  des  Kinaethos  der  Auctorität  des  Thucydides  nicht  den  geringsten 
Abbruch  tlmt,  und  dass  dessen  Angabe,   der   blinde  Mann   von  Chios   und  Homer  seien   ein 
und  dieselbe  Person,  unbedingt  Glauben  verdient. 

Die  Feststellung  dieses  Resultats  führt  mit  innerer  Nothwendigkeit  zu  einer  weiteren  Unter- 
suchung. Der  blinde  Mann  von  Chios  spricht  a.  a.  0.  es  aus,  er  wolle  den  Ruhm  der  Delischen 
Jungfrauen  verbreiten,  so  weit  er  über  den  Erdkreis  zu  den  schön  gelegenen  Städten  der  Menschen 
kommen  werde.  Aber  wie  sollte  der  Blinde  dahin  gelangen?  Wir  finden  bei  den  Alten  eine  Zahl  von 
Stellen,  in  denen  Homer  in  Verbindung  mit  einem  Manne  erwähnt  wird,  welcher  der  neuern  Forschung 


•3^ 


33 


Veranlassung   zu   ganz   besonderen  Folgerungen  gegeben  hat;  ^ir  meinen  Kreophylos  von  Sanws. 
ion  tn  und  semen  Nacbkommen  ist  besonders   d>e  Rede,  wenn   es  sich  um  d,o  \erpflan.ung  der 
Homenschen  Gedachte  durch  Lycurg  von  Jonien  nach  Sparta  und  Gnechenland  "''-''-1'     ''-« 
Cef  Plut   Lvc   c.  4.);  und  da  diese  nach  Heraclides  Ponticus  neQi  nolnuu.y  namentlich  tob  Samos 
aus  vor  sich  geganin  sei,  so  hat  man  neuerdings  neben  den  Homeriden  auf  Ch  os  auch  eme  e.gne 
Rraiodenschule  auf  Samos  angenommen  (cf.  Düntzer  Kp.  Cycl   p   30  sqq.)-     "^'^^^f^lZ^^'Z 
umsLdlicher   hierauf  zurückkom:nen ;   zunächst   handeU  es  s  c h   danun,  "-,  »"' .J^j^  J^^'^^^^'^/j 
Kreophylos  näher  bekannt  zu  machen.    Die  wichtigste  Nachricht  über  ihn  hnden  «ir  bei  Plato,  sie 
Sar     umsomehr  eiaer  sorgfältigen   Prüfung,  je   näher   das  Zeitalter  des  Philosophen  an  die  Zeit 
UnaiückT.  von  welcher  hier  zu  reden  ist.    Plato,  geb.  430  und  gest.  347  a.  C.   überragt  die  An- 
gaben de     späteren  Scholiasten.   aus   deren  Aussagen  so  Vieles  gefolgert  wird    um  mehrere  Jahr- 
hunderte  und   konnte   vermi.ge   seiner   genauen   Kenntniss   des   Homer,   welche   aus   allen   seinen 
sliS:  e'lhfhch  ist,  die  :.uf  den  Dichter   bezüglichen  Mittheilungen  viel  besser  wissen,   als  d.e 
späteren  Scribenten.  von  denen  gewöhnlich   der  Eine  auf  den  Schultern  des  Andern  steht     Er  ge- 
S    des  Kreophv los   in  Verbimlung  mit  Homer  de  Rep.  X.  p.  600   (nach  der  Uebersetzung  von 
ffieron   MüM-  Vol  V.  p.  631)  also:   Denn   Kreophylos.   lieber  Socrates,   der  Freund  des 
?omero      dürfte,   was   seine  Ausbildung  betrifft,   noch   lächerlicher   als  sein  Name 
frhern'en,  wenii.  was  von  Homeros   erzählt  wird,   wahr  ist.     Man   e-uM    namlich 
dass  eben   zu  Jenes  Lebzeiten   der   Dichter,   so   lange  Jenerlebte,   seh.    wenig   be 
achte    wurde.     Die  Bemerkung  legt  Plato  dem  Glaucon,   einem  der  Redenden,  in  den  Mund,  um 
L  biweisen,  dass  die  Geringschätzung,  welche  bei  Lebzeiten  des  Kreophylos  dem  Ho-ner  y.m  s^^^^^^^^^ 
Zeit-renossen   allgemein   zu  Theil  wurde,  zu   dem   allerungünst.gsten  Lrthe.lc   nber  die   Lnwnkung 
L  1~:  auF  die  geistige  Ausbildung   des  Kreophylos  berechtige.     Denn  «ocrate^;  w-  ^»^  ^^^- 
Glaucon  antwortet,  fügt  hinzu:   Glaubst  du  aber,   Freund  Glaucon     «l^-'  ;-"  f;;,'^"  ' 
indem  er  hier  nicht  bloss  nachzubilden,  sondern  auch  Einsicht  zu  erlangen  wusste 
Wirklich  die  Menschen  zu   bilde«   und  besser  zu  machen  nn  Stande  war,  nicht   Mcle 
Freunde  sich  erworben  hätte  und  von  diesen  geehrt  und  geliebt  worden  wäre?  P.o- 
ta.oras  wenigstens,   der  Abderit.   und  der  Keer  Prodikos,  so  wie   sehr  viele   andere 
Soi>h      en     v:rsteh;n   es,    ihren   Zeitgenossen   in    besonderem   Verkehr   en.zureden, 
dieselben  seien,   wollten   nicht  sie   ihre   Bildung   leiten,   weder   dem   -S-  »  «fu 
wesen  noch  dem  Staate  vorzustehen  im  Stande,  und  erwerben  sich  durch  diese  W  eis 
Lit   so   «rosse  Liebe,   dass    ihre  Freunde   sie   schier   auf   den   Händen   tragen;   den 
Holeros   abei-tar     r  vermögend,   den   Menschen  zur   Tugend    behülflicb    zu   sein. 
Sn     so   w       den    Hesiodos!  seine   Zeitgenossen   als   Bänkelsänger    umherzieheu 
lassen     und  nicht  vielmehr  sie  fester  gehalten  als  Gold,   und   bei   ihnen   daheim   zu 
bleibet   sie   genöthigt?    oder  ''ätten  sie  nicht,   vermochten  sie  nicht  dazu  sie  zu  b- 
reden,  wie  die  Knabenaufseher  sie  allerwärtsh.n  so  lange,  bis  sie  der  Bildung  zur  Ge 
nüge   theilhaftig   wurden,   begleitet?     Hieraus   geht    unwiderlegUch   hervor,  dass  P  ato,   der 
n^ema  s   In  der  Existenz  weder   des  historischen  Homer   noch  des  Kreophylos  Zweifel  gehegt  hat, 
ailhier   die   engste   langdauernde  Verbindung   zwischen  Beiden  im  Auge  h.at,  die   aber  nicht  dahin 
geS  t  habe   dass  der  Eine,  Homer,  irgend  welchen  Einfluss  auf  die  geistige  Ausbilduug  des  Andern 
™en;  velmehr  erscheine  des  Kreophylos  Ausbildung  beinahe  noch  lächerlicher   als  sein  Name. 
Die  letzte  Aeusserung  beweist,  dass  Plato  in  dem  Namen  Kreophylos  nur  einen  Spitznamen  gesehen 
und  für  Kreophilos  genommen  hat,  wofür  sich  die  vulgäre  Sclireibung,  welche  auch  w.r  der  Con- 
formität  wegen  beibehalten,  nur  irrthümlich  eingebürgert  hat;  cf.  Welck.  Ep.  Cycl.  P.  219,  Anm.  335 
Pkto   also   uennt   ihn   Bratenfreund   (Welck.)   oder   Fleischlieb   (H.eron.   Muller)   und   giebt 


dadurch  deutlich  zu  erkennen,  dass,  wahrend  der  Dichter  als  Bänkelsänger  umherzog  und  seine 
Lieder  sang,  der  mit  ihm  in  enger  Verbindung  stehende  Bratenlieb  sich  an  leiblichen  Genüssen 
ergötzte,  die  zunächst  wohl  nur  für  den  Sänger  als  Lohn  bestimmt  waren.  Nimmt  man  hinzu,  was 
Welcker  genügend  nachgewiesen,  dass  Beide  an  den  vei'schiedensten  Orten  Griechenlands  stets  zu- 
sammen erwähnt  werden  z.  B.  auf  Chios  (cf.  Strab.  XIV,  p.  172  Tauchn.),  auf  der  kleinen  Insel 
Jos  (Welck.  p.  225  sqq.),  ja  sogar  in  Arcadien  (Tzetz.  Chihad.  XIII,  638),  endlich  dass,  und  diess  ist  die 
Hauptsache,  die  Verbindung  Beider  bei  Plato  als  eine  den  redenden  Personen  allgemein  bekannte  be- 
handelt wird,  so  kann  es  keinen  Augenblick  zweifelhaft  sein,  dass  hiemit  ein  für  den  blinden 
Sänger  absolut  noth wendiges  Verhältniss  bezeichnet  wird,  demzufolge  jener  Bratenlieb  niemand 
anders  war,  als  der  Führer  des  hülflosen  und  in  jeder  Beziehung  abhängigen  blinden 
Mannes  von  Chios,  des  Homer.  Wenn  demnacli  der  Dichter  wie  ein  unmündiges  Kiud  der 
Obhut  des  Kreophylos  gänzhch  anheim  gegeben  war,  so  darf  man  sich  nicht  wundern,  dass  Spätere 
diesen  sogar  zum  Lehrer  des  Homer  und  selbst  zum  Dichter  (z.B.  der  Einnahme  von  Oechalia 
cf.  Strab.  1.  1.  Welck.  p.  224  sqq.)  gemacht  haben.  P'.bensowenig  aber  kann  es  befremden,  wenn 
die  Gesänge  Homers  auf  den  Kreophylos  und  dessen  Nachkommen  übergegangen  und  von  diesen 
fortgepflanzt  worden  sind,  worüber  später  mehi';  nur  das  Eine  möge  hervorgehoben  werden,  dass  die 
neben  den  Homei-iden  auf  Chios  angenommene  Rhapsodenschule  der  Kreophylier  auf  Samos  (cf. 
Welck.  1.  1.)  eitel  Täuschung  ist. 

Das  aufgefundene  Verhältniss  des  Dichters  zu  Kreophylos  setzt  uns  endlich  in  den  Stand, 
auch  über  den  Namen  Homer's  weitere  Aufschlüsse  zu  erlangen.  Zunächst  muss  so  viel  feststehen 
und  wird  auch  allgemein  zugegeben,  dass,  wie  Kreophylos  nur  ein  Spitzname  war,  den  die  Zu- 
hörer bei  dem  öffentUchen  Auftreten  des  Sängers  dem  sich  güthch  thuenden  Führer  desselben  ge- 
geben hatten  im  Gegensatz  zu  jenem,  welcher  mit  Allem,  was  dei-  Bratenliob  ihm  zukommen  liess, 
zufrieden  sein  musste,  so  aucli  Homeros  nicht  der  Eigenname  des  blinden  Mannes,  sondern 
in  Folge  eines  im  Alterthum  allgemein  verbreiteten  Gebrauchs  nur  eine  Bezeichnung  gewesen  sein 
kann,  die,  einer  Eigenthümlichkeit  desselben  entnommen,  ihn  für  seine  Zeit  und  Umgebung  aus- 
reichend kenntlich  machte.  Nach  der  von  Dav.  Ilgen  (cf.  Hom.  Hymn.  p.  X.  Welck.  p.  128, 
Anm.  1 4G)  zuerst  aufgestellten  und  nachher  fast  allgemein  angenommenen  Ableitung  ist  der  Name  von 
oi-iov  oder  o^iog  und  qqm  gebildet;  sie  ist  richtig  und  lässt  sich  nichts  dagegen  einwenden.  Wohl  aber 
ist  Vieles  oder  Alles  gegen  die  Behauptung  geltend  zu  machen,  dass  der  Name  den  Zusammenfüger 
bedeute,  wie  Welck.  p.  12.")  will,  und  wie  andere  nach  ihm  ohne  Widerrede  gebilhgt  haben.  Zwar 
ist  nicht  zu  läugnen,  dass  diese  Deutung,  auf  die  Iliade  angewandt,  insoweit  etwas  Verlockendes 
und  Vci-führerisches  hat,  als  hier  eine  Menge  von  Personen  und  Begebenheiten  wirkhch  zu  einem 
einheitlichen  Ganzen  zusammengefügt  werden;  indessen  wäre  dem  so,  so  liesse  sich  in  der  That 
nicht  absehen,  waruin  überhaupt  nicht  jeder,  der  lose  sich  berührende  Ereignisse  zu  einem  Ganzen 
zusammenfügt,  ebenfiiUs  ein  ofo^Qog  genannt  worden  wäre;  und  doch  kennt  die  ganze  Graecität 
eine  solche  Bedeutung  nicht.  Es  steht  im  Gegentheil  fest,  dass  ofu^Qog  niemals  im  activen,  sondern 
stets  nur  im  passiven  Sinne  (festzusammengefügt)  gebraucht  worden  ist.  So  wurde  z.  B.  die 
Gattin,  die  mit  ihrem  Ehemanne  zu  einer  Einheit  fest  verbunden  war,  (  ofir^Qog  genannt  (cf.  Pass. 
Lex.  s.  v.),  und  ebenso  war  der  aQiqQog  nicht  der  festverbindende,  sondern  der  fest  ver- 
bundene, der  treue  traute  Freund  und  Genosse.  Dasselbe  wird  bewiesen  durch  die  scheinbar  fern- 
liegende Bedeutung  des  Wortes  ofiT^Qog,  Geissei,  die  sich  von  der  obigen  durch  Nichts  unter- 
scheidet, sondern  sie  vielmehr  bestätigt.  Denn  diejenigen,  welche  von  dem  einen  Staate  dem  andern 
als  Geissein  übergeben  werden,  binden  nicht  diesen  an  jenen,  sondern  sie  selbst  werden  diesem  so 
unbedingt  überantwortet,  werden  mit  ihm  so  eng  verbunden  und  verknüpft,  dass  derselbe  vorkom- 
menden Falles  das  unbeschränkteste  Recht  hat,  über  sie  nach  freiem  Ermessen  zu  verfügen.    Ferner 

5 


34    

bedeutet,  was  von  entscheidender  Wichtigkeit  ist,  das  von  ou7;Qog  abgeleitete  v^u^quo  •=  c  fn^Qeuo)  mcht 
etwa   verbinden,    sondern    mit    jemand   verbunden    werden,    mit    ihm^  zusammentreffen; 
cf   Odyss   XVI    468:    'P.firQr^as    de  iioi  na()  tTaiQiov  cyyUog  oxcg,    x/^oi;,   cg  d»,  TiQiüTog  tnog  a/; 
ur^Ql  eeiTTSv.  '  Letzteres  hat  auch  Welcker  (p.  129)  sehr  gut  gesehen;  allein  er  hat  sieh  nicht  ent- 
schhessen  können,  diese  Spur  weiter  zu  verfolgen,  sondern  seinem  Zusammenfüger  zu  Liebe  alle 
möghchen   Stellen  p.   128   beigebracht,   die   geradezu  Nichts   beweisen.     Endhch   wird   die  passive 
Bedeutunc.   von   ö/urgko   durch   die   alten   Grammatiker  ausdrücklich   bestätigt;   cf.  Welck.   p.  120, 
Anm.  147:    Hesych.  6f,7;Qe7r,   d^wv   .;^/.oa^at.    Ebenso  Phot.  Lex.     Ferner  Etym.  M.  s.  v.^  oiirQog: 
r    oTto    TOr    aua    aQr^Qivac.      'Üg  olvog  oin^ocg    otnog    oitog    ofii-oog,      Bg    lo    io^t,,Qeiati: 
'Hoioöog'  (fcovr,  ofuoeLOvoai,  rovreOTiv   o//(h    e^looiaai.     Der   richtige   Zusammenhang,   wie   er  aus 
dem  Obi-en  bereits 'unzweideutig  hervorgeht,   ist  auch  Ephoros  nicht  entgangen,   wennschon  dieser, 
falls  wirVelcker  p.  130   richtig   verstehen,   darin   irrt,   dass   bei   den   Kymaeern   und   Joniern   die 
Blinden   mit  o>.;(?ot    bezeichnet  worden   seien,   weil   sie   der   Führer,   zwv  ofirQevovTcov    he- 
dürften     eine  Behauptung   die  Welcker   zu    einem   scharfen  Ausfall    veranlasst  hat.     Jedentalls  ist 
des  Ephoros   Angabe   erstens  in  so   fern    falscli,   als  nicht  die  Führer  an  die  Blinden,  sondern  um- 
gekehrt   diese   an   jene   gleichsam  gefesselt  sind,  und  also  nicht  füglich  jene  den  Bhnden  nach  sich 
den  Namen  geben  konnten,  weil  sonst  jeder  Kranke,  der  geführt  wurde,  auch  ein  bfu.Qog  gehcissen 
haben  würde;   und   zweitens,   weil,   wie   gezeigt  ist,    die   our^nelovieg  (=  ouroorvTeg)   mcht   als  die 
Führer  zu   nehmen  sind.     Die  Wahrheit  ist,   dass    die   hülflosen  Blinden  ihren  Führern   unbedingt 
zugesellt,   mit   ihnen   festzusammengefügt,   o^ir^QOi   sind,   woraus   hervorgeht,   dass   das  Wort 
zwar  an  und  für  sich  niemals  gleichbedeutend   mit  rvffXög  gewesen   ist,   dennoch  aber,   weil  alle 
Blinden    sich    in   derselben   traurigen    Lage   befanden,   an    einen    Führer   gekettet    zu    sein,    diese 
Bedeutuno-   im   Volksmunde   angenommen    hat,    indem    eben   Alle,    die   als   ofn;noi   zum   \orschem 
kamen    in  der  Regel  Blinde  waren.     Daher  erklärt  Hesychius  ganz  mit  Recht  o^^fjoag  als  ncflcg 
(.   V    L)     und  eben  daher  hat  die  wunderliche  Erklärung  des  Namens  Homer  im  Etym.  M.  ihren 
Ursprung  genommen:  ^Ö/.,;()Os^    nana   to  OQcn  x«/  to  ^n]    anayoQUTixov,    in^oQog.    Endlich    hatte 
Lykophron  (Cass.  v.  422)  ofu;Qog  niemals  geradezu  tiir  rviflog  gebrauchen  können,  ^^•enn  ihm  diese 
Bedeutung  nicht  völhg  gäng  und  gäbe  gewesen  wäre;    die  zur  Abschwächung  seines  Zeugnisses  von 
Welcker  p    131,   Anm.    151    vorgebrachten    Grimdc   sind   völhg  unhaltbar.     Hieinit   legt   sich    Alles 
zurecht-  die  bestimmten  Ueberlieferungen  des  Alterthums  kommen  sammt  und  sonders  zur  Geltung, 
zum  Beweise   dass   auch   die   umfassendste  Gelehrsamkeit   sich   nicht    überheben,   sondern    vielmehr 
sich  scheuen  soll,  positiv  überheferte  Thatsachen,  wofern  sie  an  sich  nicht  widersinnig  sind,  schlecht- 
hin zu  verwerfen  und  das  eigene  Dafürhalten  an  deren  Stelle  zu  setzen. 

Doch  wird  man  fragen,  wie  es  gekommen,  dass  die  allgemeine  Beibenennung  der  Blinden 
zum  Ei-ennamen  wurde?  An  und  tur  sich  hat  man  kein  Recht  zu  solcher  Frage:  es  ist  Sitte 
und  Gewohnheit  aller  Völker,  Adjectiva  zu  Eigennamen  zu  erheben,  ohne  einen  ausreichenden 
Grund  dazu  anzugeben:  dieser  ist  in  der  Regel  in  Zufilligkeiten  zu  suchen,  die  dann  vergessen 
worden  sind;  so  ei^urrg  und  Evt^er^g,  probus  und  Probus,  schön  und  Schön  Indessen  im 
vorhe-enden  Falle  ist  die  Frage  nicht  allein  berechtigt,  sondern  zugleich  von  solcher  W  ichtigkeit, 
dass  sie  allein  zur  richtigen  Einsicht  und  zur  endlichen  Wahrheit  führt.  Es  hat,  wie  zu  allen 
Zeiten  so  auch  im  Zeitalter  des  Homer  Hunderte  von  Blinden  gegeben  und  unter  ihnen  gewiss 
viele  Voeden  die  durch  den  Vortrag  eingelernter  Lieder  ihr  Brod  suchten  und  fanden:  aber  keiner 
von  ihnen  wd  über  das  Weichbild  des  Ortes,  wo  er  wohnte,  jemals  weit  hinausgekommen  sein;  sie 
hiessen  tvwIoI  ävSoeg.  Allein  von  Einem  wissen  ^vir  und  zwar  aus  dessen  eignem  Munde,  dass 
er  in  Delos  singend,  in  Chios  wohnt,  dass  er  über  den  Erdkreis  hin  zu  den  schon  gelegenen 
Städten  der  Menschen  wandert,  dass  endlich  seine  Gesänge  vor  allen  übrigen  stets  den  Preis  davon 


35    

tragen.  Aber  er  wanderte  nicht  allein,  was  eben  unmöglich  war.  An  der  Hand  des  Kreophylos 
zog  der  blinde  Mann  von  Chios  von  Insel  zu  Insel,  von  Stadt  zu  Stadt,  von  Land  zu  Land  und 
trat,  gewiss  nicht  ohne  Berechnung  des  schlauen  Führers,  überall  nur  an  grösseren  Festen  auf. 
Doch  wenn  er  hier  oder  dort  zum  ersten  Male  erschien,  wer  kannte  ihn,  den  wunderbaren  Sänger, 
der  durch  den  Inhalt  seiner  Lieder  die  Augen  Aller  auf  sich  zog?  wer  wusste  seinen  Namen?  wer, 
dass  er  aus  Chios  stammte?  Doch  diess  war  der  horchenden  Menge  gewiss  sehr  gleichgültig:  aber 
sie  staunte  ihn  an,  sie  nannte  ihn  nicht  einfach  den  Blinden,  wie  sie  solche  tagtäglich  vor  sich 
zu  sehen  gewohnt  war;  sie  wies  vielmehr  auf  ihn  hin  als  den  Ofi7;Qog  dessen,  welcher  für  ihn  die  Gaben 
der  Umstehenden  in  Empfang  nahm,  und  welchem  er  behufs  der  Befriedigung  aller  Bedürfnisse  des 
Lebens  völlig  anheim  gegeben  war.  Und  so  nannte  man  ihn,  der  durch  seine  umgedichteten  Lieder 
von  Troia  alle  Sänger  neben  sich  überragte,  überall  wo  er  zum  zweiten  und  zum  dritten  Male  sich 
zeigte,  und  so  wurde  der  Sänger  der  Ilias  und  Odyssee  zum  "OiiTjQog  xaz  i^oyj^v.  Und 
mit  Recht;  der  Winde  Mann  von  Chios  war  eine  eminente  poetische  Natur,  eine  jener  bahnbrechen- 
den Erscheinungen,  wie  sie  nur  in  langen  Zeiträumen  aufzutauchen  pflegen.  Seit  Jahrhunderten 
werden  vor  ihm  die  Sagen  von  Ilion  und  von  den  Heimfahrten  der  Griechen  gesagt  und  gesungen 
worden  sein,  aber  ihren  Homer  hatten  sie  noch  nicht  gefunden.  Da  war  es  jener  Dichtergenius 
ohne  Gleichen,  der  mit  seinem  geistigen  Auge  die  Fülle  jener  Sagen  überschauete,  sie  in  sich  sam- 
melte, sie  benutzte  und  umdichtete  und  ihnen  die  einheitliche  Form  gab,  in  der  sie  noch  heut  uns 
vorliegen. 

Aber  wird  im  Laufe  der  Zeit  die  Frage  niemals  aufgeworfen  worden  sein,  woher  der 
'Oiit,oog  stammte  und  wer  sein  Erzeuger  war?  Wusste  auch  niemand  hierauf  eine  befriedigende 
Antwort  zu  gel)en,  so  wusste  man  doch  das  Eine,  dass  er  der  Sohn  des  tönenden  Gesanges, 
dass  er  der  J\le).cGiyavt]g\)  sei;  ihn  konnte  nur  ein  Gott,  nur  ein  Daemon-;  erzeugt  haben  und  — 
hiemit  begann  die  bekannte  Art  der  Sagenbildung  aus  dem  Namen.    Auch  Smyrna,  w^as  den  Dichter 


*)  Von  jxeXo;  und  yi-to^,  wie  [xeXejtTTTepo;  von  |x.  und  rrtepov.  Die  heutige  Schreibung  MeXT.a'.yiivT];  entsprang 
aus  der  Nothwendigkeif,  die  Form  im  Hexameter  gebrauchen  zu  können,  und  sie  erleichterte  die  spätere  Sagenbildung. 

■-)  Die  Angabe,  dass  der  Flussgott  Meles  der  Vater  des  Dichters  sei,  findet  sich  bei  vielen  alten  Schriftstellern; 
cf.  I'ape  Lex.  .«  v.  M^Xr,;.  Irren  wir  nicht,  so  enthalten  auch  die  Verse  des  Asios  von  Sa  mos  (cf.  Athen.  IH,  p,  125, 
d.  cf.  Wfclck.  p.  144)  eine  auf  dea  besondern  Hergang  bezughche  Andeutung.     Sie  lauten. 

XuAo;,  aT'-Yl-i-^tTir,;,  -oXuyr.pao?,  ItJo?  aXiQTTf) 

Hä!3£<  xvtJoxo'XaS,  £'jt£  MeXr,;  iydiiz'.. 
Ay.Xr.TO?,  sW|jio'j  xexp^.M-^'^o?»  ^^  ^^  [JLe'ao'.j'.v 
"Hpu>;  eljTTjxet  ßopjio'pou  ^^avaSu'?. 

Dass  der  inpto;  der  Flus-'-gott  sei,  hat  Welcker  richtig  gesehen;  allein  wenn  er  den  xv.aoxoXot^  zum  Eigeunamea 
macht  und  ihn  in  Verbindung  setzt  mit  dem  Samischen  Dichter  Kreophylos  (siehe  oben),  so  lässt  sich,  gauz  davon 
abgesehen,  dass  diese  Annahme  von  unserer  Auflassung  des  Kreophylos  völlig  abweicht,  nicht  wohl  begreifen,  in  welchem 
Verhaltniss  Beide,  Knisokolax  und  Kreophylos,  zu  einander  gedacht  werden  sollen.  Es  will  uns  bedünken,  das;*  nur  die  ver- 
wandte Bedeutung  der  Wörter  WeKkor  zu  seiner  Vermuthung  veranlasst  hat.  Allein  offenbar  ist  xviC70xoXa|  kein  Eigen- 
name, -sondern  steht  mit  XwXo?  etc.  auf  gleicher  Linie,  und  der  geschilderte  Alte  und  der  Heros  sind  dieselbe  Person.  Hier 
also  waltete  der  bei  allen  Volkern  zu  allen  Zeiten  vorhandene  Glaube  ob,  dass  die  Götter,  wenn  sie  dem  Menschen  erscheinen, 
in  der  Gestalt  alter  Miinner  und  Frauen  aufzutreten  }>öegen.  Sehr  lebendig  war  derselbe  bei  den  Griechen,  und  schon 
Homer  legt  vielfach  Zeugnis>  davon  ab,  z.  ß.  wenn  er  die  Aphrodite  (Iliad.  HI,  386  sqq.)  in  der  Gestalt  einer  alten  WoU- 
ppinnerin  zur  Helena  treten  la^st,  um  diese  zu  mahnen,  nach  Hause  zu  kommen.  Dieselbe  Vorstellung  scheint  in  den  obigen 
Versen  enthalten  zu  sein.  Der  sterbliche  Vater  des  Melesigenes,  also  Meles  hält  Hochzeit;  da  erscheint  ein  alter  grämlicher 
Schmarotzer,  wie  sie  bei  Festgelagen  sich  einzustellen  pflegen,  aber  in  der  Mitte  (der  Hochzeitgäste)  steht  er  plötzhch  da  als 
der  aus  dem  Stromschlamm  entstiegene  Flussgott  und  zwar  in  der  äussern  Gestalt  des  Meles;  und  was  weiter  erfolgt  ist,  wird 
von  der  Sage,  die  den  Zeus  der  Alcmene  in  der  Gestalt  des  Amphitrj'on  erscheinen  lässt,  schwerlich  verschieden  gewesen  sein. 

5* 


3«    

•  •  ♦^    «Mvri    \hu    nft   <Tesehen   luicl  gehört  haben,   uiul  hier  wird  es  ge- 

"^""'^fr^^^LTl^wohl,   da.  n»t  diesen  Resultaten  diejenigen  Kenner  der  Homenscheu  (ie- 
diehte  nS    Tverstanden  s.;  werden,  die  der  Vermu-htigungstheorie  des  n*-^-    'S-   AUe, 
1    u       o^  fiiv  ^.1  ripr  Zeit    den  realen  Boden  wiederzn-ewnnien  und  aus  dem  Reicli  dei   lijpo 
ThLf^rm^^  len  eit^u^^^^^^^^^^^  Gelehrsamkeit  die  Homerische  Frap-   mehr   ..rdunke  t 

S^^ÄU  tS,   zu  den  fest  Lgepriigten  Ueberliefenmgen  des  Alterthums  zun^b^^^  ^^ 

Limiten  nichts  Unc^e^vöhnhches,  nichts  Unnatürhches.    Und  wenn  es  eme  ewige  Wahiheit  i.t    dass 
d^e  S^ck  1^^^^^  "^^^   unabanderüchen   Naturgesetzen   sich   gestaltet,   so 

die  hnt^\^ckelung   ae^  .uciibLii    ^  Vprh^iltnisse   fest   und  sicher   zurückzuschhessen ; 

sind   wir  berechtigt   aus   der   Gegenwart   auf  alte  Veihaitmsse   lesi 
die  Gegenwart  giebt  den  Schlüssel  zur  Yergangenheit. 


Schulnachrichten 

von  Ostern  1871  bis  dahin  1872. 


l  )ie  nachstehenden  Schulnachriclitcn,  Avelche  bestimmt  sind  nicht  allein  Zeugniss  abzulegen 
über  den  gegenwärtigen  Zustand  der  Anstalt,  sondern  aucli  die  weitere  Entwickelun.ü;  anzudeuten, 
deren  sie  noch  immer  bedürftig  ist,  sind  kürzer  abgefasst  worden,  als  nach  den  augenbhckhch  ob- 
waltenden Verliähnissen  erwartet  werden  durfte,  niclit  weil  es  an  Stoff  dazu  gefehlt  hätte,  sondern 
weil,  soweit  wir  unterrichtet  sind,  manclios  darauf  Bezügliche  zur  Zeit  noch  im  Werden  begriffen 
ist,  dem  vorzugreifen  für  unzweckmässj^^  erachtet  werden  musste.  Denn  für  Alle,  denen  die  Aus- 
bildung ihrer  Kinder  am  Herzen  liegt,  ist  es  kein  Geheimniss,  dass  sämmtKche  Unterrichts-Anstalten 
hiesiger  Stadt  von  den  ersten  Elementarschulen  aufwärts  bis  zum  Gymnasium  Fridericianum  an 
einer  ungewöhnlichen  UeberfüUung  leiden  und  ausserdem  mit  einem  weiteren  Andrang  zu  kämpfen 
haben,  welcher  die  Möghchkeit  den  Wünschen  Aller  sofort  nachzukommen,  geradezu  ausschhesst. 
Zwar  ist,  was  das  Gymnasium  anbetrifft,  die  Meinung  vorherrschend,  dass  mit  der  Herstellung  eines 
neuen  Gymnasial-Gebäudes  die  alte  Noth  beseitigt  sein  müsse;  allein  daran  denken  die  wenigsten, 
dass  mit  der  Vermehrung  der  Classenrilume  nicht  auch  zugleich  eine  Vennehrung  der  Classen 
selbst  gegeben  ist,  und  dass  dazu  noch  andere  Mittel  erforderlich  sind,  als  die  augenblicklich  zu 
(iebote  stehenden.  Ebensowenig  ist  die  Forderung  gerechtfertigt,  dass,  wenn  es  bei  der  UeberfüUung 
an  Classen  fehle,  es  Sache  des  lief,  sei,  dafür  Sorge  zu  tragen,  dass  neue  Classen  eingerichtet  wer- 
den, da  diess  gänzlich  ausser  dem  Bereich  sowohl  der  Befugnisse  als  auch  der  Verpflichtungen  des- 
selben lie^t.  Er  liat  vielmehr  nur  die  eine  Pflicht  anzuerkennen,  darauf  zu  haUen,  dass  unsere 
Sexta  die  eigentliche  Sammelclasse,  in  welcher  der  Grund  zu  einem  gedeihlichen  Fort- 
schreiten durch  die  nächstfolgenden  Classen  fest  und  sicher  gelegt  werden  muss.  nicht  über  die 
Normalzahl  von  40  bis  45  Ki)i)fen  anschwelle,  da  bei  einer  grössern  Zahl  die  Anstalt  kemerlei 
Garantie  für  eine  gründliche  Vorbereitung  zu  einer  glücklichen  Absolvirung  der  nächsthöheren 
Classen  übernehmen  kann.  Ref.  hat  in  dieser  Beziehung  eine  schwere  Verantworthchkeit  zu  tragen 
und  er  kann  und  wird  daher  nicht  zuge))en,  dass  durch  eine  übermässige  Frequenz  der  Sexta  das 
Gedeihen  der  ganzen  Anstalt  gefährdet  und  in  Frage  gestellt  werde.  Wenn  demnach  bei  den  Auf- 
nahme-Prüfungen der  Fall  eintreten  kann,  dass  sämmtliche  angemeldete  Knaben  zwar  für  reif  zur 
Aufnahme  befunden  werden,  dennoch  aber,  weil  obige  Zahl  nicht  überschritten  werdeii  darf,  mcht 
sofort  Alle  aufgenommen  werden  können,  so  ist  es  eben  nicht  Sache  des  Ref  den  dadurc^  hervor- 
gerufenen  Uebelstand   zu   beseitigen,   und   es   würde  in   solchem   Falle   als  nicht  gerechtfertigt  ei- 


3S 


39 


scheinen,  wenn,  was  freilich  schon  jetzt  bei  dein  blossen  AndrHnge  vielseitig  geschieht,  ihm  ohne 
Weiteres  die  Errichtung  einer  parallelen  Sexta  angesonnen  würde.  Classen  der  Art  haben  in 
einem  Gymnasium  überall  ihr  Bedenkliches;  sollte  es  aber  dahin  kommen,  dass  schon  jene  Sammel- 
classe  in  zwei  Coetus  zerlegt  werden  müsste,  so  würde  sich  bei  weiterem  Vorrücken  der  Knaben 
nach  oben  hin  das  Uebel  der  Ueberfüllung  bis  zum  Unerträghchen  steigern  und  es  wäre  sicherlich 
viel  zweckmässiger,  statt  zweier  so  zu  sagen  paralleler  Gymnasien  in  einem  (rebäudo  so- 
fort ein  gesondertes  zweites  Gynniasium  in  hiesiger  Stadt  einzurichten.  Auch  ist  der  Ansicht  der- 
jenigen Aelteru,  welche  den  (irund,  wesshalb  sie  bei  der  sofortigen  Aufnahme  ihrer  Söhne  Schwierig- 
keiten finden,  darin  erblicken,  weil  die  Sexta  durch  auswärtige  Knaben  überfiillt  werde,  mit  Be- 
stimmtheit entgegen  zu  treten.  Die  in  der  Sexta  zu  Anfang  eines  jeden  Semesters  sich  ansammeln- 
den Knaben  geben  den  Beweis,  dass,  wenn  auch  nicht  principiell,  doch  thatsächhch  jene  Classe 
nur  durch  einheimische,  d.  h.  entweder  in  Schwerin  geborene  Kna))on,  oder  deren  Aelteru 
gegenwärtig  in  hiesiger  Stadt  wohnhaft  sind,  gefüllt  wird,  nicht  aber  durch  auswärtige,  da 
auswärts  wohnende  Aelteru  nur  in  den  allerseltensten  Fällen  und  fast  innner  nur  bei  oftenbaren, 
durch  die  schwierige  Beschaffung  der  erforderlichen  Lehrer  herbeigefüiirten  Nothständen  sich  ent- 
schliessen,  ihre  Kindei*  in  dem  zarten  Alter  von  9  Jahren  bereits  von  Hause  zu  geben.  Vielmehr 
treten  die  auswärtigen  Knaben  fast  regelmässig  in  eine  der  mittleren  Classen  ein,  von  der  Tertia 
abwärts  bis  zur  Quinta,  und  haben  bei  dieser  Vereinzelung  bis  dahin  noch  Alle,  ohne  einem  einzigen 
hiesigen  Knaben  den  Platz  vorweg  zu  nehmen,  untergebracht  werden  können.  Es  ist  somit  eine 
ganz  ungerechtfertigte  Annahme,  welcher  viele  der  Ijetreffenden  Aeltern,  sobald  sich  der  geforderten 
Aufnahme  ihrer  Kinder  Bedingungen  und  Bedenken  entgegenstellen,  dem  Bef.  gegenüber  unverholen 
Ausdruck  geben,  dass  durch  die  vielen  auswärtigen  Schüler  die  Aufnahme  der  hiesigen 
erschwert  und  beeinträchtigt  werde,  und  sieht  Ref.  sich  veranlasst,  gegen  derartige  Be- 
hauptungen liiedurch  öft'entlich  Piotest  einzulegen.  Nur  in  zwei  Fällen,  einmal  zu  Michaelis  a.  p. 
und  das  zweite  Mal  zu  Ostern  a.  p.  sind  auswärtige  Knaben  in  die  Sexta  gesetzt  worden  und  zwar 
nur  desshalb,  weil  sie,  bereits  allhier  in  Pension  gegeben,  welche  nicht  augenblicklich  wieder  gelöst 
werden  konnte,  für  die  Quinta,  für  die  sie  angemeldet  worden  waren,  nicht  reif  befunden  wurden. 
Ref.  schreibt  diess  in  dem  beruhigenden  Bewusstsein,  die  Receptionen  stets  auf  das  Gewissenhafteste 
vorzunehmen,  und  i>>t  aus  Gründen  der  Billigkeit  bemühet,  den  Forderungen  der  hiesigen  Achtern  nach 
Möglichkeit  gerecht  zu  werden.  Noch  niemals  hat  er  einem  Bewohner  hiesiger  Stadt  die  .Vnnahme  einer 
Anmeldung  für  die  Sexta  versagt,  sondern,  wenn  bei  der  Ueberfüllung  dem  nächsten  Termin  Schwierig- 
keiten entgegenstanden,  dieselbe  auf  den  nächstfolgenden  verschoben.  Er  hat  damit  bei  billig 
denkenden  Aeltern  stets  ein  wilhges  Gehör  gefunden,  nicht  aber  bei  denen,  welche  in  dem  Aufschub  der 
Aufnahme  bis  zum  Diäten  Lebensjahr  bereits  eine  Gefährdung  der  Entwickelung  ihrer  Kinder  zu  sehen 
vermeinten.  Er  kann  jedoch  hierin  nicht  nur  keinerlei  Gefahr,  sondern  sogar  nur  einen  Vortheil 
für  die  Jugend  erblicken;  und  wenn  er  es  nochmals  rückhaltslos  betont,  dass  er  auch  auf  das  Ge- 
deihen der  Anstalt  gebieterische  Rücksichten  zu  nehmen  verpflichtet  ist,  für  welches  er  die  volle 
Verantwortlichkeit  zu  tragen  hat,  so  Nnrd  er  stets  darauf  halten,  dass  die  Knaben  mit  der  vollen 
Reife  in  das  Gymnasium  eintreten,  weil  sie  sonst  den  Gymnasial-Unterricht  zu  ertragen  völlig 
ausser  Stande  sind.  Wie  nun  aber  der  fortwährend  im  Zunehmen  begriffenen  Fre(iuenz  der  Anstalt 
Einhalt  zu  thun  sein  möchte,  darüber  enthält  sich  Ref  jeder  weiteren  Bemerkung  und  zwar  umso- 
mehr,  je  genauer  er  davon  unterrichtet  ist,  dass  die  Hohe  Behörde,  welche  unserer  Anstalt  schon 
so  viele  redende  Beweise  der  treuesten  Fürsorge  gegeben,  auch  die  Beseitigung  dieses  Uebelstandes 
bereits  fest  ins  Auge  gefasst  hat.  Nur  Eins  kann  er  sich  nicht  versagen,  noch  ausdrückhch  hervor- 
zuheben, was  mit  den  obigen  Bemerkungen  hinsichtlich  der  Aufnahme  in  Verbindung  steht.  Er 
pflegt  in  Fällen,   wo  er  die  Aufnahme   sofort    zuzusagen   sich  ausser  Stande  sieht,   in  der  Regel  die 


Entgegnung  zu  hören,  dass  der  Angemeldete  ein  Knabe  von  so  vorzüglicher  Begabung  sei, 
dass  für  Ref  hierin  gewissermassen  eine  moralische  Verpflichtung  liege,  einer  derartigen  Beanlagung 
sofort  die  gebührende  Rechnung  zu  tragen.  Für  solche  Gründe  hat  Ref  stets  taube  Ohren  und 
lehnt  sie  kurzweg  ab;  denn  noch  ist  ihm  kein  Fall  vorgekommen,  wo  bei  der  Anmeldung  gerade 
auf  den  genannten  Punkt  nicht  das  grösste  Gewicht  gelegt  worden  wäre,  wohl  aber  unzählige 
Fälle,  in  denen  die  einmal  in  die  Anstalt  eingetretenen  Knaben,  denen  eine  ganz  besondere  geistige 
Befäliigung  nachgerühmt  worden  war,  wo  nicht  völlig  untauglich  für  Gymnasial-Unterricht  waren, 
doch  mindestens  zu  den  schwächsten  Köpfen  gehörten,  und  Ref.  erkannte  mit  Bedauern,  dass  ganz 
andere  Beweggründe,  als  die  angegebenen,  bei  dem  Wunsche  ins  Gymnasium  zu  gelangen,  mass- 
gebend gewesen  waren,  deren  Erörterung  jedoch  hier  unterlassen  werden  mag. 

Bei  weitem  unangenehmer  ist  noch  eine  andere  Entgegnung,  dahin  lautend,  dass  der  Knabe 
in  seiner  bisherigen  Schule  nichts  mehr  lernen  könne:  er  habe  seinen  Cursus  absolvirt,  würde 
also,  länger  zurückgehalten,  nachlässig  und  träge  werden  und  das  Gelernte  wieder  verlernen. 
Und  diese  eigenthümliche  ganz  inhaltslose  Anschauung,  welche  Kern  und  Wesen  des  Elementar- 
unterrichts völlig  verkennt  und  den  neunjährigen  Knaben  mit  dem  bereits  geistig  entwickelten 
Jüngling  auf  gleiche  Stufe  stellt,  muss  Ref  so  oft  hören,  dass  er  anfängt  müde  zu  werden,  sie  stets 
von  Neuem  umständlich  zu  widerlegen.  Welche  Vorbedingungen  verlangt  denn  das  Gymnasium  zum 
Eintritt  in  seine  unterste  Classe?  Lesen,  Schreiben  und  Rechnen;  dazu  die  nöthige  Kenntniss 
von  der  Rechtschreibung  der  in  der  täglichen  Rede  und  Schrift  vorkommenden  Wörter.  Wir 
sind  überzeugt,  dass  alle  Leser  dieser  Zeilen  ein  gerechtes  Erstaunen  über  die  Geringfügigkeit  dieser 
Forderungen  nicht  unterdrücken  werden.  Indessen  Eins  fügt  Ref  hinzu,  dass  allerdings  in  den  ge- 
nannten Gegenständen  ein  ganz  bestimmter  Grad  von  Fertigkeit  gefordert  wird,  ohne  welche 
ein  gedeihliches  Fortschreiten  im  (iymnasium  geradezu  unmöglich  ist.  Es  handelt  sich  also  nicht 
um  ein  im  9ten  Lebensjahre  bereits  erlangtes  Wissen;  schon  der  "jährige  Knabe  weiss  recht  gut, 
wie  er  die  Buchstaben  zu  schreiben  hat,  weiss  wie  er  Zahlen  zusammenzählen  oder  von  einander 
abziehen  soll,  weiss  endlich,  wie  die  Silben  der  Wörter  hintereinander  ausgesprochen  und  mit  ein- 
ander verbunden  werden,  und  dennoch  kann  er  weder  schreiben  noch  rechnen  noch  lesen. 
Diess  kann  nur  durch  eine  anhaltende  und  sorgfältige  Uebung  erworben  werden  und  zwar  in  der 
Schule  durch  den  Lehrer  und  imter  den  Augen  desselben;  die  vielen  häuslichen  Arbeiten  sind  für 
kleine  Kinder  ungehörig  und  unnütz  und  müssen  geradezu  als  eine  Versündigung  an  dem  Kindes- 
alter bezeichnet  werden.  Ist  aber  jene  Fertigkeit  im  vollendeten  9ten  Lebensjahre  noch  nicht 
erreicht,  so  ist  der  Knabe,  mag  er  auch  das  ganze  deutsche  Verb  conjugiren,  die  Modi  hersagen, 
alle  Partikeln  aufzählen,  die  verschiedenen  Satzformen  herbeten  können,  doch  nicht  befähigt  in  das 
Gymnasium  einzutreten,  und  eine  weitere  Uebung  ist  nötliig.  In  dieser  Fertigkeit  liegt  der  eigent- 
hche  Schwerpunkt  der  Vorbereitung,  und  alles  oben  Genannte,  was  bis  dahin  nichts  weiter  ist,  als 
das  unverstandene  Product  von  (iedächtnissübungen,  kommt  erst  zum  wahren  Verständniss  und  wird 
wahres  geistiges  Eigenthum  mit  dem  Beginn  der  todten  Sprache,  mit  dem  Lateinischen.  Hiemit 
aber  lässt  sich  auch  erst  ein  richtiges  Urtheil  über  die  geistige  Befäliigung  des  Knaben  gewinnen; 
mit  dem  blossen  Vorhandensein  eines  guten  Gedächtnisses  ist  es  nicht  gethan.  Also  nicht  das  zu- 
rückgelegte 9te  Lebensjahr  ist  an  und  für  sich  normgebend,  noch  weniger  die  Erklärung,  dass  der 
Knabe  seinen  Cursus  in  einer  bestimmten  Classe  absolvirt  habe,  am  allerwenigsten  aber  dass  er 
nichts  mehr  lernen  könne.  Denn  angenommen,  dass  ein  Knabe  in  gedachtem  Lebensjahre 
wirkhch  die  geforderte  Reife  besitze,  aus  äussern  Gründen  aber  eine  Aufnahme  noch  nicht  finden 
könne,  so  wird  ihm  solches  bei  gewissenhafter  Fortsetzung  jener  Uebungen  niemals  zum  Nachtheil 
gereichen;   im  Gegentheil,    er  wird,   wie  Ref  aus  vielfacher  Erfahrung    bezeugt,   bei    wirkhcher   Be- 


40    

gabung  sich  geistig  um  so  sebueller  und  sicherer  entwickeln,  je  griindHcher  jene  vorbereitenden 
Uebungen  gewesen  sind.  Aus  diesem  Grunde  hat  Ref.  die  frühere  Praxis,  derzufolge  er  auf  das 
allgemeine  Wissen  des  Knaben  das  grössere  Gewicht  legte,  unbedingt  ziuücktreten  lassen  und  for- 
dert jene  Fertigkeit,  ohne  welche  ein  Fortschreiten  in  der  Sexta,  wie  noch  heute  die  Erfahrung 
lehrt,  geradezu  unmöglich  ist:  denn  das  Gymnasium  hat  keine  Zeit,  sich  mit  jenen  elementaren 
Dingen  noch  weiter  vorzugsweise  zu  befassen. 

Was  die  äusseren  ^erhiiltnisse  der  Anstalt  anbelangt,  so  ist  darüber  nur  Weniges  zu  be- 
richten. Die  Turnü])ungen  sind  im  Sonnner,  wie  gewöhnlich,  auf  dem  Schelfwerder,  im  Winter  in 
der  hiesigen  Turnhalle  vorgenommen  worden.  Vei*schiedene  dem  Ref.  zugekommene  Anträge,  auch 
das  Sommerturnen  in  letztere  zu  verlegen,  haben  sowohl  aus  andern  Gründen,  als  auch  vorzugs- 
weise weil  unsere  Turner  selbst  den  schönen  Werder  nicht  aufgeben  wollten,  unberücksichtigt  bleiben 
müssen.  Der  Schluss  des  Sommerturnens  ist  seit  einigen  Jahren,  statt  auf  den  18.  October,  auf  den 
Mittwoch  der  letzten  Schul woche  des  Sommersemesters  verlegt  worden.  Ein  passenderer  Abschluss 
würde  allerdings  der  Jahrestag  der  Kapitulation  von  Sedan  sein.  Indessen  da  dieser  zu  früh 
in  den  Monat  September  fällt,  so  hat  es  bei  dem  Herkommen  sein  Bewenden  behalten  müssen;  doch 
haben  die  Turner  das  Andenken  an  diess  ausserordentliche  Ereigniss  im  vorigen  Jahre  durch  einen 
ausserordent heben  Auszug  nach  dem  Werder  erneuert,  und  wird  es  auch  wohl  künftig  in  ähnlicher 
Weise  begangen  werden. 

Von  Bedeutung  war  der  Beginn  des  Wiutersemestei*s  durch  die  Theilung  einer  überfüllten 
Classe  und  durch  die  dadurch  nothwendig  gewordene  Berufung  eines  I6ten  Lehrers.  Die  auf  einen 
zweijährigen  Cursus  berechnete  Tertia  zählte  im  Sonnner  1S71  in  zwei  Classen  KMi  Schüler,  von 
denen  52  auf  die  Ober-,  54  auf  die  l'ntertertia  kamen.  Die  Versetzung  zu  Michaehs  1S71  erhöhete 
die  erstere  Zahl  nicht  unbedeutend,  und  nmsste  daher  die  Obertertia  in  zwei  parallele  Coetus  zer- 
legt und  ein  neuer  Stunden})lan  entworfen  werden.  Letzterer  hatte  seine  Schwierigkeiten,  da  für 
eme  neue  volle  Classe  nur  ein  neuer  Lehrer  bestellt  worden  war,  und  den  übrigen  Lehrern  nicht 
füghch  noch  mehr  Stunden  auferlegt  werden  koiuiten.  Demi  muss  man  auch  zugeben,  dass  der 
eine  oder  der  andere  von  ihnen,  was  die  Zahl  der  Stunden  anbetritlt,  noch  einige  Stunden 
mehr  ertheilen  konnte,  so  wurde  doch  diese  Möglichkeit  durch  die  ungewöhnliche  Frequenz  der 
Classen  völlig  wiccler  aufgehoben.  Die  Lehrer  haben  grösstentheils  durch  die  wöchentlichen  Correc- 
turen  (einige  haben  deren  3,  andere  sogar  4  zu  beschaffen)  eine  so  reichliche  Arbeitslast  zu  tragen, 
dass  ihnen  schon  aus  diesem  Grunde  eine  Mehrbelastung  nicht  tiighch  zugemuthet  werden  konnte. 
Dazu  kommt,  dass  bei  der  gegenwärtigen  Vertheuerung  aller  Lebensbedürfnisse  namentlich  in  hie- 
siger Stadt,  welche  unbestritten  zu  den  theuersten  Aufenthaltsorten  zählt,  den  massig  dotirten 
Lehrerstellen  unter  allen  Umständen  einige  freie  Stunden  zu  Nebenverdiensten  gewährt  werden 
müssen,  um  wenigstens  ihrem  Bildungsstande  gemäss  leben  zu  können.  Ref.  weiss  sehr  wohl,  dass 
er  im  Interesse  der  Anstalt  auf  letzteres  zwar  amtlich  keinerlei  Rücksicht  nehmen  darf;  allein  er 
weiss  auch  aus  eigner  Erfahrung,  namentlich  da  er  selbst  durch  seine  amtliche  Stellung  lediglich 
auf  sein  Einkommen  beschränkt  ist,  dass  wenigstens  für  die  Lehrer  eine  Berücksichtigung  gedachter 
Art  durch  die  Zeitverhältnisse  sich  so  zu  sagen  zur  Nothwendigkeit  gestaltet  hat.  So  hat  es  ge- 
schehen müssen,  dass  die  beiden  Coetus  der  Obertertia  in  einigen  Stunden  (Religion  und  Ge- 
schichte) combinirt  worden  sind,  eine  Einrichtung  die  an  einem  so  grossen  und  wohlorganisirten 
Gymnasium,  wie  das  unsrige  ist,  eigentlich  niemals  vorkommen  sollte.  Indessen  wie  in  allen 
Stücken,  so  vertrauen  wir  auch  hierin  der  treuen  Fürsorge  der  Hohen  Behörden,  welche  nöthigen- 
falls  kein  Bedenken  tragen  werden,  der  Anstalt  die  erforderlichen  Lehrkräfte  bereitwilligst  zu  ge* 
wähi-en. 


41 


Die  zu  Michaelis  a.  p.  vollzogene  Theilung  der  genannten  Classe  führte  uns  in  der  Person 
des  Herrn  Dr.  Meissner  i)  einen  neuen  Lehrer  zu,  welcher  bei  Eröffnung  des  Wintersemesters  am 
9.  October  von  dem  Ref.  ordnungsmässig  in  sein  neues  Amt  eingeführt  wurde;  wir  haben  den 
wackern  Mann  herzlich  unter  uns  willkommen  geheissen  und  hoffen,  dass  seine  amthche  Thätigkeit 
eine  recht  gesegnete  sein  werde. 

Am  20.  Deccmber  a.  p.  hatte  die  Anstalt  das  Glück  Seine  Königliche  Hoheit  den 
All  erdurchlauchtigsten  Gross  her  zog  zum  ersten  Male  in  ihren  Mauern  zu  sehen  und  ehr- 
furchtsvoll zu  begrüssen.  Allerhöchstderselbe  geruhete  unter  Führung  des  Ref.  sämmtliche 
Classen  zu  besuchen  und  dem  Unterricht  in  verschiedenen  Disciphnen  länger  beizuwohnen  und  so- 
dann auch  die  Bibliothek,  die  Aula  und  das  physicalische  Cabinet  in  Augenschein  zu  nehmen. 

Am  28.  Februar  beging  die  Anstalt  die  Allerhöchste  Geburtstagsfeier  durch  den  üblichen 
Redeactus,  zu  welchem  folgendes  Progranmi  ausgegeben  worden  war: 

Choral:  Ein  feste  Burg  ist  unser  (rott.  Vierstimmig  gesetzt  von  O.  Kade.  —  Otto  Rein- 
hardt: Socratis  laudes.  —  Chor:  Geboren  ist  Emanuel,  vcm  Michael  Praetorius.  —  Paul  Groth: 
Warum  ist  die  Bedingung  der  höchsten  Blüthe  der  Dichtkunst  nur  in  einem  wahrhaft  nationalen 
Volksleben  zu  finden?  —  Chor:  Gott  segne  Friedrich  Franz!  ~  Motette:  Salvum  fac  regem, 
von  M.  Hauptmann.  —  Otto  Schwetzky  und  Gustav  Niemann:  Scene  aus  Göthe's  Iphigenie 
auf  Tauris.  (Act  II,  Scene  1.)  —  Rudolph  Hobein:  Das  Märchen,  von  Uhland.  —  Chor: 
Integer  vitae,  von  Flemming.  —  Victor  von  Oertzen  und  Theodor  Bade:  Schlussscene  aus 
Ludwig  von  Bayern,  von  Uhland.  —  Hermann  Wachenhusen:  Der  Mohrenfürst,  von  Freilig- 
rath.  —  Chor:  Die  Kapelle,  von  Conradin  Kreutzer.  —  Friedrich  Degener:  Rede  des  Antonius 
aus  Shakesi)eare's  Juhus  Caesar.   —   Carl  Behncke:  Meister  P^rwins  Heerschau,  von  Otto  Hörth. 

• jjii,  Krieger:  Könii;-  Enzio's  Tod,  v<»u  Ziimnerniann.  —  Kleiner  Chor:  Andenken:  die  lUiume 

grünen  überall!  von  Mendelssohn-Bartholdy.  —  Carl  Flügge:  Humletreue,  von  A.  v.  Chamisso. — 
Ernst  Märker:  Wie  schön  leuchtet  der  Morgenstern!  von  Julius  Sturm.  —  Carl  Beut  in:  Der 
Räuber  und  das  Crucitix,  von  R.  Prutz.    ~    Quartett:  Mann!  Mann!  Mann!  was  hast  du  in  dem 
Köberchen?  von  Grell.  —  Paul   Pinkus:  Des  deutschen  Knaben  Tischgebet,  von  Carl  Gerok.  -— 
Gustav  Pfeiffer:  Der  Affe  und  die  Katzen,  von  Nicolai.  —  Chor:  Der  Abschied  vom  Walde,  von 
Felix  Mendelssohn-Bartholdy. 
Sogleich  nach  dieser  Feier  wurde,    um  den  Unterricht  nicht  fortwährenden  Unterbrechungen  auszu- 
setzen, die  mündliche  Prüfung  der  zur  Universität  abgehenden  Schüler  vorgenommen  und  1<)  Ober- 
primanern    das    Zeugniss     der    Reife     zuerkannt,    deren    Namen   unter    der   Schülerzahl     ange- 
geben sind. 

So  haben  wir  deiui  unter  Gottes  gnädigem  Schutze  wiederum  ein  Schuljahr  glücklich  zui'ück- 
gelegt,  und  wenn  wir  uns  auch  nicht  verhehlen  dürfen,  dass  während  desselben  hie  und  da  bedenk- 
liche Schwankungen  in  der  geistigen  Haltung  der  einzelnen  Classen  bemerklich  gewesen  sind,  so  ist 


>)  Hermann  Gotthold  Meissner.  Sohn  des  Pastor  Meissner  in  Langenwaldeu  bei  Liegnitz.  i&t  geboren  den  4.  No- 
Tember  1844  m  Steinseifersdorf  bei  Reichenbach  in  Schlesien.  Von  Michaelis  185S  bis  Michaelis  1864  besuchte  er  die  König- 
liche Ritterakademie  in  Liegnit/.  nnd  bezog  nach  be.Handenem  Abiturientenexamen  Michaelis  1864  die  Universität  Breslau,  um 
rhilologie  zu  Studiren.  Vom  1.  April  1865  bis  zum  1.  April  1866  genügte  er  seiner  Militärpflicht,  blieb  aber  noch  während 
des  Böhmisch-Oestreichischen  Krieges  als  Unteroffizier.  8i>äter  als  Offizier  beim  stehenden  Heer  und  nahm  Theil  au  der  Schlacht 
bei  Koniggratz.  Im  November  1866  nahm  er  in  Breslau  seine  Studien  wieder  auf  und  erlangte  nach  bestandenem  Examen 
im  August  1869  die  philosophische  Doctorwürde.  Im  März  1870  absolvirte  er  die  Staatsj)rüfung,  und  war  von  Ostern  1870 
bis  Michaelis  1871  am  Gvmna^ium  zu  St.  Maria  Magdalena  in  Breslau  thätig,  mit  Ausschluss  von  10  Monaten,  während 
welcher  er,  zu  einem  'schlesißchen  Landwehr-Regiment  einberufen,  Theil  nahm  an  den  Kämpfen  bei  Montbeliard  und  an  der 
Belagerung  von  Beifort.     Er  ist  Inhaber  der  Kriegsdenkraünze  von  1866  und  der  von  1870. 

6 


/ 


42    

es  doch  den  vereinten  Bemühungen  sämmtlicher  Lehrer  stets  gelungen,  solche  mit  Erfolg  zu  über- 
winden. Wir  hofifen  und  vertrauen,  dass  der  allgütige  Gott  auch  in  dem  kommenden  Jahre  unsere 
Anstalt  in  seine  allwaltende  Obhut  nehmen  werde. 


Lehrverfassung. 


[i 


I A.    Oberprima, 

Ordinarius  Director  Dr.  Büchner. 

1.  Lateinisch  9  St.  Ciceronis  Disputt.  Tusc.  Hb.  L  Tacit.  Annall.  bb.  1.  3  St.  Zweimonat- 
hche  Aulsätze,  wöchentbche  Exercitia  und  Extemporalia.  2  St.  Controle  der  Privatlectüre 
aus  Cicero,  Tacitus,  Livius  und  Horaz.  1  St.  Themata  zu  lateinischen  Arbeiten,  welche  von 
sämmtbchen  Schülern  der  Classe  bearbeitet  wurden,  sind  folgende  gestellt  worden:  I)  Quid 
coramovit  Phoebidam,  ut  clandestino  impetu  Cadmeani  occuparet?  2)  Num  verum  est,  M. 
TuUium  Ciceronem  sola  gloriae  cupiditate  adductum  esse,  ut  triumphare  vellet?  3)  Quibus 
rebus  Romani  interitum  urbis  suae  hello  punico  secundo  avertisse  putandi  sunt?  4)  Quid  meruit 
Demosthenes  de  patria  sua?  5)  Num  excusari  possunt  Athenienses,  quod  Socratem  capitis 
damnaverunt  y  6)  Clades  Chaeroneensis  imputari  non  potuit  Domostlieni.  Itin-ctor,  Horat. 
Satir.  Hb.  I,  1,  3,  4,  6,  9,  19,  II,  1,  2,  3,  6,  8.  Wiederholende  rasche  Leetüre  der  meisten 
Oden  des  ei'sten  und  dritten  Buchs  und  einzelner  Episteln.     2  St.     Dr.  Latendorf. 

2.  Griechisch  0  St.  Demosthenes  de  Corona  von  §  60  bis  zu  Ende.  2  St.  Controle  der 
Privatlectüre  aus  Plato,  Demosth.,  Homer,  Sophocles.  l  St.  Director.  Homer.  IHad.  Hb. 
XVIII  —  XXIV.  XI  — XIV.  2  St.  Correetur  der  griechischen  Exercitia.  Extemporalia  niit 
systematischer  Berücksichtigung  der  Granuiiatik.     l  St.     Dr.  Laiendorf. 

Deutsch  3  St.  Kepetition  der  Literaturgeschichte  vom  Beginn  des  siebeiijiilirigeu  Krieges 
l)is  zur  Sturm-  und  Drangperiode.  —  Schiller  und  Göthe.  Vorträge  und  Declamation.  Rück- 
gabe und  Besprechung  der  eingelieferten  Aufsätze;  1)  Wodurch  vermittelte  sich  in  Schiller 
der  Bruch  mit  der  Sturm-  imd  Drangperiode?  2)  Von  der  Gewalt,  die  alle  Wesen  bindet,  be- 
freiet der  Mensch  sich,  der  sich  überwindet.  3)  Nur  dem  Ernst,  den  keine  Mühe  bleichet, 
rauscht  der  Wahrheit  tief  versteckter  Born  (Classenarbeitl  4)  W^o  liegen  die  wahren  Quellen 
vom  Unglück  Tassos?  5)  Wer  etwas  Treffliches  leisten  will,  hätt  gern  etwas  Grosses  geboren, 
der  sammle  still  und  unerschlafft  im  kleinsten  Punkte  die  grösste  Kraft,  r.)  Die  tragischen 
Conflicte  im  Nibelungenlied.  7)  Welchen  Einfluss  übte  die  Weltstellung  Karls  V.  auf  das 
W^erk  der  Reformation?  8j  Ans  Vaterland  ans  theure  schliess  dich  an,  das  halte  fest  nüt 
deinem  ganzen  Herzen;  hier  sind  die  starken  Wurzeln  deiner  Kraft  (Classenarbeit).  9)  Thu, 
was  du  kannst  und  lass  den  Andern,  was  er  kann,  zu  jedem  ganzen  Werk  gehört  ein  ganzer 
Mann.     10)  Wie  malt  Homer?    Nach  Lessing.     Oberlehrer  Branzhw. 

4.  Französisch  2  St:  Leetüre  aus  Ideler  und  Nolte's  Lesebuch;  daneben  la  camaraderie  par 
Scribe  und  Fhonneur  et  l'argent  par  Ronsard.  Themes  aus  Plötz  Uebungen,  alle  14  Tage, 
ExtemporaHa.     Brauns. 

5.  Religion  2  St.  Glaubens-  und  Sittenlehre  nach  Petris  Lesebuch.  Leetüre  des  llömerbriefes. 
Oberlehrer  Brunzlow. 

ö.    Geschichte    3  St.     Neue   und   neueste   Geschichte.     Repetition   des   Mittelalters.     Oberlehrer 

Brunzlojr. 
7.    Mathematik  4  St.     Ebene  Trigonometrie  und   zweiter  Theil   der  Stereometrie.     Quadiatische 

Gleichungen  mit  mehreren  Unbekamiten  und  diophantische  Gleichungen.    Lösung  geometrischer 


\k 


43    

und  algebraischer  Aufgaben.     Durchschaittlich  alle  6  Wochen  eine  grössere  schriftliche  Arbeit. 
Dr.  Bastian. 
8.    Physik  2  St.    Statik   und  Mechanik  fester,   flüssiger   und  luftförmiger  Körper,  in  der  letzten 
Hälfte  des  W^interseraesters  Elemente  der  Chemie.     Brauns. 

I B.   Unterprima. 

Ordinarius  Dr.  Meyer. 

1.  Lateinisch  9  St.  Cicer.  Oratt.  de  provinciis  consularibus  und  pro  Murena.  Tacitus  Germania 
und  Histor.  IV,  11—77.  Horat.  Carni.  I,  III,  1 — 6;  30;  IV,  9;  Epod.  1,  2;  Carmen  seculare; 
Epist.  I,  14 — 18;  II,  1.  5  St.  Correetur  der  wöchentHchen  Exercitia  und  der  sechswöchent- 
bchen  Aufsätze.  Extemporalia  2  St.  Privatlectüre  1  St.  Zur  Bearbeitung  wurden  folgende 
Aufsätze  gegeben:  1j  Quibus  virtutibus  Romani  Graecos,  quibus  Graeci  Romanos  superaverint. 
2)  De  arte  et  compositione  libri  <iuinti  IHadis.  3)  Res  a  Cl.  Civili  gestae.  (Pars  prior). 
4)  Bellum  Trojanum  (Classenaufsatz).  5)  De  prima  Olynthiaca  Demosthenis.  6)  Tempora 
Demosthenis  comparata  cum  prioribus.  7)  Horatii  Hb.  I  carm.  I  argumentum  et  comentarius. 
Dr.  Meyer. 

2.  Griechisch  6  St.  Demosth.  Olynth.  1,  2.  3;  Philipp.  1.  Thucydides  I,  1-44.  Sophocles 
Electra  und  Antigone.  Ilom.  IHad.  I  —  VI.  5  St.  Correetur  der  zweiwöchentHchen  P^xercitia 
1   St.     Privatlectüre   1   St.     Dr.  Meyer. 

3.  Deutsch  3  St.  Literaturgeschichte  von  Luther  bis  auf  die  Zeit  Schillers  und  Göthes.  Ge- 
nauere Behandlung  einzelner  Schriften  von  Lessing  iLaokooni,  Herder  (Cid)  u.  s.  f.  Freie 
Vorträge.  Declamation  mit  P.  Themata  zu  den  Aufsätzen:  1)  Zusammenstellung  der  Gründe, 
die  es  wahrscheinHch  machen,  dass  die  (iruppe  des  Laokoon  nach  der  Beschreibung  des  Virgil, 
nicht  diese  nach  jener  gefertigt  worden.  2)  Die  Rede  des  ^lark  Anton  in  Shakespeare's  Julius 
Caesar.  3i  Nutzen  und  Schaden  des  Papiergeldes.  4)  Götz  v.  BerHchingen  in  der  Geschichte 
und  in  Göthes  Drama. 

.'))  „Welches  Volk  sich  selbst  empfunden. 
Ward  vom  Feind  nie  überwunden." 
6)  Die  Einheit  der  Handlung  in  Schillers  Teil. 

7)    Willst  du,  dass  wir  mit  hinein 
In  das  Haus  dich  bauen, 
Lass  es  dir  gefallen,  Stein, 
Dass  wir  dich  behauen. 
8)  Ein  Classenaufsatz.     Brauns. 

4.  Französisch  2  St.  Leetüre:  Ideler  und  Nolte,  Lesebuch;  daneben:  le  bourgeois  gentilhomme 
und  les  femmes  savantes  par  MoHere.  Exercitia  nach  Plötz  Uebungsbuch,  alle  14  Tage.  Ex- 
temporalia.    Brauns. 

5.  Religion  2  St.     Kirchengeschichte  und  Leetüre  des  Ev.  Johannis.     Oberlehrer  Brnnzlotv. 

6.  Geschichte  3  St.     Geschichte  des  Mittelalters   und  der  Reformation.     Oberlehrer  Brunzloir. 

7.  Mathematik  t  St.  (resp.  .">  .  Stereometrie  1.  und  2.  Theil.  1  St.  Lösung  von  geometrischen 
und  algebraischen  Aufgaben  und  1  St.  Repetition  der  Trigonometrie  nebst  Lösung  betreffender 
Aufgaben.     SechswöchentHch  eine  grössere  schriftHche  Arbeit.     Dr.  Bastian. 

-8.    Physik   2   St.     Statik   und   Mechanik   der   festen,   flüssigen   und   luftförmigen   Körper.     Dr. 

Bastian. 

6* 


/' 


14    

HA.    Obersecnnda. 

Ordinarius    Dr.    Latendorf. 

1.  Lateinisch  S  St.  Ciceronis  üratioiKs  pro  Milone  und  pro  Sulla.  Livius  lib.  IV,  1  —  34. 
3  St.  Elegien  des  Tibull,  Proporz  und  Catull  nach  der  Auswahl  von  Volz.  Horat.  Carni.  hb. 
I.  in  Auswahl.  2  St.  Correctur  tler  wöchentlichen  Exercitia.  Extemporalia.  t>  latein.  Auf- 
sätze.    2  St.     Controle  der  Privatlectüre.     l   St.     Dr.  Laiendorf. 

2.  Griechisch  7  St.  Plutarchs  Leben  des  Agis  und  Cleomenes  und  der  beiden  Gracchen.  3  St. 
Wöchenthche  Exercitia.  1  St.  Controle  der  Privatlectüre.  1  St.  Dr.  Latendorf.  Homer's 
Odyssee.    Lib.  XV— XIX.     2  St.     Oherhhrer  Dr.  Schiller. 

3.  Deutsch  2  St.  Epik  und  Lyrik  des  Mittelalters.  Bei  der  Behandlung  des  Nibelungenhede$ 
wurde  die  moderne  Dichtung  (Jordan,  Geibel  und  Hebbel)  zu  eingehender  Vergleichung  heran^ 
gezogen.  S  deutsche  Aufsätze,  zum  grösseren  Theile  im  Anschluss  an  die  deutsche  oder 
classische  Leetüre.  Für  schwierigere  Themata  wurde  Stotf  und  Disposition  durch  gemeinsame 
Besprechung  in  der  Classe  ermittelt.     Dr.  LfUendorf. 

4.  Französisch  2  St.  Emil  Souvestre,  Au  coin  du  feu  und  le  Mousse.  Melesville,  la  Berliiu»  de 
FEmigre.     Exercitia  nach  Plötz  Uebungen  alle   II  Tage.     Dr.  Metier. 

5.  Religion  2  St.  Die  Reisen  Pauli.  Die  Entstehung  der  nentestanienth<hen  Schriften.  Alte 
und  mittlere  Kirchengeschichte.     RiuHinr/. 

6.  Geschichte  3  St.     Piömische  Geschichte.     Dr.   Mef/er. 

7.  Mathematik  4  St.  (resp.  5).  Ebene  Trigonometrie,  (luadratische  (ileichungen ,  aritlimetisehe 
und  geometrische  Reihen.  Lösung  algebraischer  und  geometrischer  Aufgaben.  Sechswöchent- 
lich eine  grössere  schriftliche  Arbeit.     JJr.   Bastian. 

8.  Physik  2  St.     Lehre  vom  Schall  und  der  Wärme,  Electricität  und  Magnetismus.    Dr.  iiostian. 

II B.    Untersecunda . 

Ordinarius  Lr.  Reyel.   In  Folge  einer  Erkrankung  desselben  übernahm  seit  Neujahr  das  Ordinariat 

Dr.  Meissner. 
J.  Lateinisch  l()  St.  Virgil.  Acn.  IV  und  VI.  2  St.  Livius  II.  Cic-ero  lato  Maj.  Caesar  bell.  civ.  111 
von  Cap.  41  an.  3  St.  Wöchentliche  Exercitien  theils  aus  Schultz  Aufgabensammlung,  theils 
nach  Dictaten.  Extemporalia.  Grammatik:  Die  Moduslehre  im  Zusammenhang  mit  Hervor- 
hebung einzelner  Abschnitte,  als  der  hypothetischen  Sätze  und  der  Lehre  vom  Conjunctiv. 
Repetitionsweise :  die  Fragesätze,  Oratio  obliqua,  prononum  retlex.  3  St.  Controle  der  Privat- 
lectüre: Cicero  Oratt.  in  Catil.  III  und  IV  Livius  I  imd  II  mit  Auswahl.  2  St.  Dr.  HeyeU 
seit  Weihnachten  Dr.  Meissner. 

2.  Griechisch  0  St.  Xenoph.  Anab.  III.  IV.  V  bis  Cap.  2  incl.  3  St.  (Jrammatik:  Repetition 
der  Formenlehre.  Die  Hauptregeln  aus  der  Syntax:  die  Kasuslehre,  Artikel,  Pronomina,  die 
Attraction  des  pron.  relat.  Die  Tempora  und  Modi,  Die  gebräuchlichsten  Conjunctionen  in  ihren 
Verbindungen  mit  den  Modis.  Die  Intinitiv-  und  Participial-Construction  im  Anschluss  un  die 
Leetüre  und  an  wöchentliche  Exercitien.  1  St.  Privatlectüre  Xenoph.  Amil).  1  II  Hl  Homer's 
Odyssee  IX  und  XI.  Dr.  lieijel,  seit  Weihnachten  Dr.  Meissner.  Homers  Odyssee.  Lib. 
I  —  IV.     Einübung  der  Homerischen  Formen.     2  St.     Ohrrhlirvr  Dr.  Srftillrr. 

3.  Deutsch  2  St.  Das  Wesen  der  Hauptdichtungsarten  und  die  Unterschiede  der  meüischen 
Form.  Redetiguren  und  Tropen.  Leetüre  von  Hermann  und  Dorothea.  Shakespeare's  Julius 
Cäsar  und  Körners  Zriny.     Alle  4  Wochen  ein  Aufsatz.     Dämmet. 


\ 


45 


4.  Französisch  2  St.  Syntax  nach  Plötz  Schulgrammatik;  hauptsächhch  Tempora  und  Modi, 
Artikel,  Adjectivum.  l  St.  W^öchenthch  ein  Exercitium.  Extemporalia.  Leetüre:  In  Sommer, 
A.  Dumas:  Histoire  de  Napoleon;  im  Winter  Bouilly:  L'abbe  de  l'Epee.     1  St.     Dr.  Seüin. 

5.  Religion  2  St.  Geschichte  des  alten  Bundes.  Einleitung  in  die  neutestamentüchen  Schriften. 
Geschichte  des  Reformationszeitalters.  Lutherische  Glaubenslehre  in  ihren  Hauptgrundzügen. 
Hummel. 

6.  Geschichte  3  St.     Die  Geschichte  Griechenlands  bis  14(».     Dr.  Seitin. 

7.  Mathematik  4  St.  Gleichungen  1.  Grades  mit  einer  und  mehreren  Unbekannten;  Propor- 
tionen. Potenzen  und  Wurzeln.  Logarithmen.  Vervollständigung  der  Kreislehre.  Flächen- 
gleichheit; Theilung  und  Verwandlung  der  Figm-en.     Aehnlichkeit.     Brauns. 

8.  Physik  2  St.  Im  Sommer  Statik  und  Mechanik  fester,  flüssiger  und  luftförmiger  Körper;  im 
Winter  Chemie.     Brauns. 

III A.    Obertertia. 
Coi'tus  A. 

Ordinarius  Dr.  Schmidt. 

L  Lateinisch  10  St.  Caesar  bell.  (Jall.  lib.  V  von  c.  15  an,  VI.  3  St.  Ovid  Metam.  IX  134 
bis  272,  X  1-77,80—147,   155-219,  XI  1—220,  26G     302,  320— 748,  XII  1—188,210—579. 

2  St.     Grammatik:  Repetition  des  Pensums  von  HIB,  Fragesätze,  oratio  o))liqua,  Temporalsätze, 
Conditionalsätze,  Concessivsätze.    Wöchentliche  Exercitien.    P'.xtemporalien.    5  St,    Dr.  Schmidt. 

2.  Griechisch  0  St.  Xen.  Anab.  I  c.  1  —  9.  3  St.,  Hom.  Od.  1.  1—305.  l  St.  Grammatik: 
die  unregelmässigen  Verba.  Repetition  des  Pensums  von  IV  und  Hl  B.  Einiges  aus  der  Spitax, 
besonders  Casuslehre,  bei  der  Leetüre.  W'öchentliche  Exercitien.  Extemporalien.  2  St.  Dr. 
Schmidt. 

3.  D.eutsch.  3  St.  Eiklärnng  prosaischer  und  poetischer  Stücke  aus  dem  Lesebuche  von  Hopf 
und  Paulsiek.  Declamation  und  Uebung  im  freien  Vortrage.  Aufsätze  über  besprochene  und 
mündlich  disponirte  Themata  erzählenden  Inhaltes.     Hummel. 

4.  Französisch.  2  St.  Repetition  des  Pensums  von  III b.  Das  Hauptsächlichste  aus  der  Lehre  von  den 
temporibus  und  modis.    Alle  8  Tage  ein  Exercitium.    Leetüre  von  Voltaire's  Charles  XH.    Rummel. 

5.  Religion.  2  St.  Ausbreitung  der  christlichen  Kirche,  Missionsreisen  des  Apostel  Paulus.  Geschichte 
des  Zeitalters  der  Roformntion.  Repetition  von  Kirclienhedern  und  des  lutherischen  Catechismus 
Rummel. 

6.  Geschichte  und  Geographie,  l  St.  Combinirt  mit  C.  B.  deutsche  Geschichte  von  1648  bis 
in  die  neueste  Zeit.  Geograi)hie:  Repetition  von  Europa  eingehend  in  physischer  und  poli- 
tischer Hinsicht;  die  aussereuropäischen  Erdtheile  übersichthch.    Oberlehrer  ßrunzlojc. 

7.  Mathematik  I  St.  Repetition  des  Cursus  von  Illb;  Uebung  im  Rechnen  mit  Buchstaben, 
Radizierung  (2.  und  3.  Gr.):  Geichungen  ersten  Grades  mit  einer  Unbekannten:  Kreislehre. 
Brauns. 

in  A.    Obertertia, 
loetiis  B. 

Ordinarius   (von  Michaelis  bis  Weihnachten)  Dr.  Meissner. 

NB.    Von  Neujahr  bis  Oetem  wurde  der  Coetus  luit  dem  vongeu,  mit  Ausnahme  der  Matlieraatik,  combinirt. 

Also  bis  Weihnachten: 

1.    Lateinisch  10  St.     Ovid  Metam.  VH  v.   1—353.     2  St.     Caesar  bell.  Call.  lib.  YII  c.  1—31. 

3  St.     Grammatik:    Gründliche  Wiederholung   und  Erweiterung   des  Pensums  von  Illb.     Lehre 


O. 


5. 
6. 
7. 


J. 


3. 


o. 


6. 


7. 


— —    46    

von  der  Coiiginienz.  Infinitiv,  Participia,  Gerundium  und  Gerundivum,  Supina,  Tempora, 
Consecutio  temporum.  Wöchentliche  Exercitien  und  Extemporahen.  5  St.  (Bis  Weihnachten) 
Dr.  iVpissnrr. 

Griechisch  6  St.  Xeuoph.  Anab.  II  c.  I  und  2.  3  St.  Homer  Odyss.  I  v.  305-380.  1  St. 
Grammatik:  Ünregehnässigc  Verba.  GrUndhche  Wiederholung  der  übrigen  Formenlehre.  Die 
Hauptsachen  aus  der  Lehre  von  der  Rection  der  Casus  in  Anschluss  an  die  Leetüre  und  an 
wöchentliche  Exercitien  resp.  Extemporal.     2  St.     /)r.  Mrissttpr. 

Deutsch  3  St.  Erklärung  prosaischer  und  poetischer  Stücke  (Uhland,  Schiller)  aus  dem  Lese- 
buch von  Hopf  und  Paulsiek.  Uebungen  im  Declamiren  und  freien  Vortrag.  Alle  1  1  Tapjc  bis 
3  Wochen  ein  Aufsatz  über  ein  besprochenes  und  mündhch  dispouirtes  Thema.  J)r.  Jlrismcr. 
Französisch  2  St.  Repetition  der  unregelmässigen  Verben.  Das  Hauptsächlichste  aus  der 
Lehre  von  den  temporibus  und  modis.  Alle  S  Tage  ein  Exercitium;  dazu  Extem])oralia  und 
Uebungen  im  mündlichen  Uebersetzen.  1  St.  Leetüre:  Charles  XII.  I.  1  St.  /)r  !\Jrissnrr. 
Religion  2  St.    (Dauernd  comb,  mit  Coet.  A.  siehe  oben). 

(reographie  und  Geschichte.     \  St.     (Dauernd  comb,  mit  Coet.  A.  siehe  oben). 
Mathematik  3  St.     Repetition    und  Erweiterung   des  Cursus  von  HIB,   dann    die  Kreislehre. 
In  der  Arithmetik  Buchstabenrechnung  bis  zu  den  Wurzeln  excl.  und  Gleichungen  des  1 .  Grades 
mit  einer  Unbekannten.     Ih-.   Hast  hm. 

in  B.   Untertertia. 

Ordinarius  Dr.  Sfllin. 

Lateinisch  H)  St.  Caes.  bell.  Gall.  Hb.  I -III.  3  St.  Ovid.  Metamorphos. ,  ausgewählte  Ab- 
schnitte aus  den  ersten  4  Büchern.  2  St.  Grammatik  nach  Mülln  und  Lattmann:  Tempus 
und  Moduslehre.  Congruenz:  Accus,  c.  InHn.  3  St.  Wöchentlich  ein  Exercitium;  Extem- 
poralia.     Mündliches  Uebersetzen  aus  Schultz  Uebungsbuch.     Dr.  Arilin. 

Griechisch  6  St.  Das  regelmässige  Verbum  nach  Muller  und  Lattmanns  Formenlehre. 
WöchentHch  ein  Exercitium:  Extemporalia:  lebersetzen  aus  dem  2.  Theil  von  Jacobs  Lesebuch. 
Dr.   Srlliif. 

Deutsch  3  St.  Besprechung  prosaischer  und  poetischer  Stücke  aus  Hopf  und  Paulsiek. 
Uebungen  im  Declamiren.     Satzlehre.     Aufsätze.     Heckmnnu. 

Französisch  2  St.  Repetition  der  regelmässigen  Formenlehre;  die  unregelmässigen  Verben 
nach  Plötz  Schulgrammatik.  Lect.  1—23.  Alle  S  Tage  ein  Exercitium:  Extemporalia.  Leetüre: 
Ausgewählte  Stücke  aus  Lüdekings  Lesebuch.     Bnckmauii. 

Religion  2  St.  Das  Leben  des  Herrn  nach  dem  Evangelium  Marci.  Geschichte  des  Refor- 
mationszeitalters. Repetition  des  lutherischen  Catechismus  und  einer  Auswahl  von  Kirchen- 
liedern.    Rummel, 

Geschichte  und  Geographie.  4  St.  Geschichte:  Deutsche  Geschichte  des  Mittelalters  und  im 
Zeitalter  der  Reformation.  Geographie:  Deutschland  und  der  Oestreichische  Staat  physisch 
und  poHtisch.  Repetitionen  aus  den  Pensen  der  früh*^ren  Classen.  Ohrrlrhrrr  Brwnlorv. 
Mathematik  4  St.  Vorbegriffe:  Buchstabenrechnung  und  Einübung  der  4  Species  in  allge- 
meinen Zahlzeichen;  widerstreitende  Zahlen.  Parallelen,  allgem.  Eigenschaften  der  Figm-en. 
Congruenz;  einfachere  Constructionsaufgaben.     Hrauns, 


47 


3. 


IV,    Quarta. 

Coetus  A. 

Ordinarius  Dr.  Schiller. 

1.  Lateinisch  10  St.  Cornehus  Nepos.  Vita  des  Miltiades,  Themistocles,  Aristides,  Pausanias, 
Cimon  und  Lysander  5  St.  WöchentHch  wurden  zwei  Exercitien  aus  Ostermann's  Uebungsbuch 
III  gehefert.  Abtli.  1.  übersetzte  von  pag.  65  bis  97:  Abth.  II.  von  i)ag.  1  bis  50.  2  St.  Ein- 
übung der  leichtern  syntaktischen  Regeln.     2  St.     Extemporalien.     1   St.     Dr.  Srhillcr. 

2.  Griechisch  5  St.  Die  regelmässige  Formlehre  mit  Ausschluss  der  Verba  Hquida.  Leseübungen 
aus  dem  Jacobs.     WöchentHch  ein  kleines  Exercitium.     Bamberffcr. 

Deutsch  3  St.  Leetüre  und  Erklärung  prosaischer  und  poetischer  Stücke  aus  dem  Lesebuch 
von  llüpt  und  Paulsiek.  Declamationsübungen.  Alle  14  Tage  wurde  ein  Aufsatz  eingeHefert. 
Dr.   ^c/ti//rr. 

Französiscli.  R«'])etition  des  Pensums  von  \'.  und  Fortsetzung  der  Grammatik  nach  Plötz 
„Cursus  für  IV".     Wöchentliche  Exercitien.     Dr.  Schmidt. 

Religion  2  St.  Bibellesen:  Apostelgeschichte.  Biblische  Geschichte  des  alten  Testamentes  bis 
auf  Mose.  Katechismus:  Erklärung  des  2.  Hauptstücks.  Die  dazu  gehörigen  Sprüche  wurden 
auswendig  gelernt,  dazu  eine  Auswahl  von  Kirchenliedern.     Stahl. 

Geschichte  und  Geographie  3  St.  Griechische  Geschichte  von  Lycurg  bis  zum  Tode  Alexan- 
ders. Römische  Geschichte  von  Gründung  der  Stadt  bis  Augustus.  2  St.  Europa  l  St.  Dr.  Schmidt. 
Rechnen  3  St.  Im  Sommer:  Rechnung  mit  Decimalbrüchen  und  1  St.  Formenlehre.  Dr.  Bastian. 
Im  Winter:  Procent-,  Zins-  und  Rabattrech lumg  nach  dem  Bruchsatze.  2  St.  Zeichnen  und 
Erklären  geometrischer  Figuren.     1   St.     Brandt. 


5. 


0 


IV.    Quarta, 
(optiis  B. 

Ordinarius  Lidtrtr  Bainhvrfjer. 

1.  Lateinisch  10  St.  Miltiades,  Xerxes,  Themistocles,  Pausanias,  Cimon,  Bellum  Peloponnesiacum 
nach  dem  Lesebuche  von  Lattmann.  5  St.  Einübung  der  Casuslehre  und  einiger  andern 
leichten  syntaktischen  Regeln  nach  der  Grammatik  von  Müller  und  Lattmann  ( §.  1—91). 
Wöchentlich  2  kleine  Exercitien  und   l   Extemporale.     Bambrryer. 

2.  Griechisch  5  St.  Die  regelmässige  Formlehre  mit  Ausschluss  der  Verba  licjuida.  Leseübungen 
aus  dem  Jacobs.     WöchentHch  ein  kleines  Exercitium.     Bamhergvr. 

3.  Deutsch  3  St.  Lesen  und  Besprechen  poetischer  und  prosaischer  Stücke  aus  Hopt  und 
Paulsiek.  Declamiren.  Das  HanptsächHchste  aus  der  Satz-  und  Interpunctionslehre,  Alle  14 
Tage  ein  Aufsatz.     Brandt. 

4.  Französisch.  Repetition  des  Pensums  von  V.  Dazu:  Pronomina,  Zahlwörter,  Comparationen, 
Theilungsartikel,  der  einfache  Satz  in  der  Frage,  Verneinung,  fragendverneinenden  Form.  Die 
gebräuchlichsten  uni-egelmässigen  Verba.     Alle  8  Tage  ein  kurzes  Exercitium.    2  St.     Hununel. 

5.  Religion  2  St.  Bibellesen:  Apostelgeschichte.  Biblische  Geschichte  des  alten  Testamentes  bis 
auf  Mose.  Katechismus:  Erklärung  des  2.  Hauptstückes.  Die  dazu  gehörigen  Sprüche  wurden 
auswendig  gelernt,  dazu  eine  Auswahl  von  Kirchenliedern.     Stahl. 

6.  Geschichte  und  Geographie  3  St.  Griechische  Geschichte  von  Lycurg  bis  zum  Tode 
Alexanders.  Rtimische  Gescliichte  von  Gründung  der  Stadt  bis  Augustus.  2  St.  Europa.  1  St. 
Dr.   Beyel  iseit  Weihnachten   Dr.  Meissner). 


48 


7.  Eechnen  3  St.  Im  Sommer:  Deciraalbrüche  nach  Böhme  Heft  IX.  Im  Winter:  Procent-, 
Zins-  und  Rabattrechnuug.  2  St.  —  Ebene  Geometrie  bis  zur  Congruenz  der  Dreiecke  excl 
l  St.     Brandt. 

V.   Quinta, 


1 


(h'd'marius  Lphrer  Hrrkmanv. 


Lateinisch  10  St.  Repetition  der  regelmässigen  Formenlehre;  unregehniissige  Verha  und  die 
gebräuchhchsten  syntaktischen  Regeln;  Grammatik  von  Miillei-  und  Lattmann.  VVöchentHch  2 
Exercitien,  alle  8 — 1 J  Tage  ein  Extemporale.  Lectüre  aus  dem  Leschucli  von  Lattmann. 
Beckniauv. 
2.  Deutsch  \\  St.  Leetüre  prosaisclicr  und  poetischer  Stücke  aus  Hopf  und  Paulsiek.  Uebungen 
im  Wiedererzählen  des  Gelesenen  und  im  Declamiren.  Das  Wichtigste  aus  der  Satz-  und  In- 
terpunctionslehre.     Di(;tate.     Alle  1  \  Tage  ein  Aufsatz,     lirrknidun. 

0.  Französisch  \\  St.  Die  Auss})raLhe.  Leseübungen.  Die  regelmässige  Formenlehre  (DecH- 
nation,  Hülfszeitwörter.  Conjugation).  Uebungen  im  rebersetzen  aus  dem  Französischen  in's 
Deutsche  und  aus  dem  Deutschen  ins  Französische:  kurze  häusliche  Exercitia.  Flötz:  Cursus 
für  \ .     Stahl. 

4.  Religion  o  St.  Biblische  Geschichte  des  neuen  Testamentes  nach  Kurtz  (das  Leben  .lesu  bis 
zur  Auferstehung).  Katechismus:  Repetition  des  l.  Hauptstückes  nebst  den  gelernten  Sprüchen. 
Das  3.  Ilauptstück  wurde  erklärt,  die  beigefügten  Ribelsprüclie  a^'^^v(^ndig  gelernt.  Kirchen- 
liedei":  Repetitioji  der  in  VI  gelernten,  dazu  einige  neue.     Stuhl. 

5.  Geschichte  und  Geographie  l>  St.  Erzählungen  au^  der  deutschen  Sage  und  aus  der  Ge- 
schichte des  Alterthums.  1  St.  Geographie  von  Europa  (excl.  Deutschland  i  und  den  ausser- 
europäischcn  ErdtluMlen  nach  dem  Leitfaden  von  Daniel     1  St.     Hrrkmanji. 

6.  Rechnen  I»  St.  Die  4  Specie>  in  I)rüchen  nach  Hölnne  Heft  IX.  Kopfrechnen.  Hin  und 
wieder  häusliche  Autgaben,     liruitdt. 

1.  Naturgeschichte  2  St.  Im  Sommer:  Botamk.  ('lassiticatiou  der  Ptianzen  nach  dem  Linne- 
schen  System.  Im  Winter:  Säugethiere  und  Vögel  mit  Benutzung  der  Abbildungen  in  Brehm's 
4'lnerleben  u.  a.     lirandt. 

8.    Schreiben  2  St.      Lehrer  Folh. 


VI   Sexta. 

Ordinarius  Lehrer  Stahl. 

1.  Lateinisch  10  St.  Die  regelmässige  Formenlehre  (Declination  und  Conjugation  nlit  Einschlußs 
der  Deponentia),  nach  der  Grammatik  von  Müller  und  Lattmann.  Uebungen  im  Uebersetzen 
nach  dem  üebungsbuch  von  Lattmann.     Wöchentliche  Exercitia  und  Extemporalia.     ^itahl. 

2.  Deutsch  I>  St.  Leetüre  aus  dem  Lesebuche  von  Hopf  und  Paulsiek.  Uebungen  im  Nach- 
erzählen des  Gelesenen  und  im  Declamiren.  Granuuatik  im  Anschluss  an  die  Leetüre.  Wöchent- 
liche Dictate  oder  Aufsätze.     Stahl. 

3.  Religion  '^  St.  Biblische  (reschichte  des  alten  Testamentes  bis  zur  Theilung  des  Reichs,  nach 
Kurtz.  Erklärt  und  gelernt  wurden  1 1  Kirchenlieder,  ausgewählte  Sprüche  zum  I.  Hauptstück 
und  der  Katechismus  Luther's.     Brandt. 

4.  Geschichte  und  Geographie  3  St.  Sagen  aus  der  Griechischen,  Römischen  und  Deutschen 
Geschichte.     1   St.    —    (jnmdbegriflfe    aus    der    physischen    Geographie.     Genaueres    über    das 


49 


6. 


Heimathland  und  über  dessen  Zusammenhang  mit  den  umhegenden  Ländern.    Allgemeine  Ueber- 
sicht  über  Deutschland.     2  St.     Dr.  Reyel  (von  W^eihnachten  an  Dr.  ßleissner). 
Rechnen  3  St.     Repetition  der  4  Species  in  unbenannten  und  benannten  ganzen  Zahlen.    Das 
metrische  Maass  und  Gewicht.     Anfang  in  der  Bruchrechnung.    Kopfrechnen.    Hin  und  wieder 
häushche  Aufgaben.     Brandt. 

Naturgeschichte  2  St.  Im  Sommer  Botanik:  Gartengewächse  und  wildwachsende  Pflanzen. 
Im  Winter  Zoologie:  Schilderungen  aus  dem  Leben  der  Säugethiere  und  Vögel  mit  Benutzung 
der  Abbildungen  in  Brehm.     Brandt. 


7.    Schreiben  4  St.     Lehrer  Foth. 

Hebräiscil. 

I.    Prima. 

Die   Nominallehre   und   Leetüre   des    Isten   Buches   der  Könige   und   einzelner  Theile  aus  den 
Propheten  und  dem  Psalter.     2  St. 

n.  Secunda. 

Die  Verballehre  und  Leetüre  der  Genesis.     2  St.     Rummel. 

Der  Sin^unterricht 

wurde   in   3   wöchenthchen   Stunden   ertheilt;   in   2  St.  Uebungen  der  Altisten  und  Sopranisten,   in 
1   St.  der  ganze  Chor.     iVusikdirector  Kade. 

Die  Tiirnübiingen 

dauerten  im  Sommer  vom  21.  Mai  bis  zum  27.  September  unter  Leitung  des  Turnlehrers  La  uff  er; 
Turnwart  war  Paul  Groth  I.     Im  Winter  fanden  die  Uebungen  in  der  hiesigen  Turnhalle  statt. 


Lehrapparat. 


I.    Schulbibliothek. 
A.  Geschenke: 

1.  Aus  dem  Gross  herzoglichen  Gabi  n  et:  die  Fortsetzungen  des  Archivs  für  Landeskunde. 

2.  Aus  dem  statistischen  Bureau:  Fortsetzung  der  Beiträge  zur  Statistik  Mecklenburgs. 

3.  Von  'Äem  Verein  für  mecklenburgische  Geschichte:  Correspondenzblatt  des  Gesammt- 
vereins  der  deutschen  Geschichts-  und  Alterthumsvereine,  Jahrgang  1S71;  und  Jahrbücher  des 
Vereins;  36ster  Jahrgang. 

4.  Von  dem  Senate  der  Universität  Rostock:  die  im  Laufe  des  Jahres  erschienenen  aka- 
demischen Schriften. 

5.  Von  Herrn  Moritz  Müller  in  Pforzheim:  die  beiden  von  ihm  verfassten  Schriften:  1)  Ge- 
dankenmainhnien,  oder  durch  Nacht  zum  Licht.  Kein  Roman,  sondern  eine  Denkanrege.  2) 
Ueber  die  Freiheit  der  Arbeit  an  Sonn-  und  Festtagen. 

6.  Von  Herrn  Oberlehrer  Dr.  Schiller  hieselbst: 

1)  Zur  Gymnasialreform;  Theoretisches  und  Practisches  von  Dr.  Hermann  Köchly;  1846. 

2)  Giscke:  die  allmählige  Entstehung  der  Gesänge  der  Rias  aus  Unterschieden  im  Gebrauche 
der  Präpositionen;  Göttingen   1853. 

7 


50    

3)  J.  Kreuser:  Vorfragen  über  Homeros,  seine  Zeit  und  Gesänge.    Ister  Theil;  Frankfurt  a.  M. 

1828. 

4)  Bibliotheca  Godofredi  Hermanni. 

7.  Vom  Herrn  Canzleirath  Faull  hieselbst:  Staatskalender  für  1872. 

B.  Gekauft 
wurden  die  laufenden  Jahrgänge  der  Jahn' sehen  Jahrbücher,  des  Rheinischen  Museums,  der  Ber- 
liner Zeitschrift  für  das  Gymnasialwesen,  der  Poggendorff'schen  Annalen,  der  Forschungen  zur 
deutschen  Geschichte;  die  Fortsetzungen  von  Pierer:  Universallexicon,  Schraid  Encyclopadie, 
Grimm  Wörterbuch,  Wackernagel  Kirchenhed,  Bursian  Geographie  von  Gnechenland,  Fried- 
länder  Darstellungen  aus  der  Sittengeschichte  lloms.    III. 

Corpus  Inscriptionum  Latinarum  tom.  IV:   Inscriptiones  Parietariae  Pompejanae,  Herculanenses, 

Stabianae  edid.  Carolus  Zangemeister;  Berohni  1871. 
Poetarum  Scenicorum  Graecorum  Aeschyli,   Sophochs,  Euripidis  et  Aristophams  labulae  super- 
stites   et   perditarum   fragmenta  ex.   rec.   et   cum   prolegom.     Guilelmi   Dmdorfii   editio  \" 

Lipsiae  1869. 
Lexicon  Sophocleum  edid.     Guilelm.  Dindortius  Lipsiae   1870. 

Des  Aristophanes  Werke  übersetzt  von  Job.  Gust.  Droysen;  2.  Thl.   2te  Ausg.    Leipzig  1871. 
Der   epische   Cyclus   oder   die  homerischen  Dichter   von  F.  G.  Welcker;    2.  Thl.     Bonn  1835 

Geschichte  der  Hellenischen  Dichtkunst  von  Dr.  Hermann  Ulrici;  2.  Thl.    Berlin  1835. 
Geschichte  der  Hellenischen  Dichtkunst  von  Dr.  Georg  Heinrich  Bode;  5.  Thl.  Leipzig  1838. 
A    W   Zumpt:  Crinünalprocess  der  römischen  Republik;  Leipzig  1871. 
Joachim    Marquardt    und    Theodor    Mommsen:    Handbuch   der   römischen   Alterthümer. 

Erster  Band:  Römisches  Staatsrecht  von  Theod.  Mommsen.     i.  Bd.     Leipzig  1871. 
Tacitus  Geschichte  der  Regierung  des  Kaisers  Tiberius  (Annalen  Buch  I-VI).    Uebersetzt  und 

erklärt  von  Adolf  Stab r.     Berlin  1871. 
F.  W.  Schirr macher:  Kaiser  Friedrich  IL     4.  Bd.     Göttingen  1859-65. 
Derselbe:  Die  letzten  Hohenstaufen.     l.  Bd. 
H.  Prutz:  Kaiser  Friedi'ich  I.     2.  Bd. 

M   Lexer:  Mittelhochdeutsches  Wörterbuch  bis  Lieferung  6.    Leipzig  1871. 
Dr.   K.    Schiller    und    Dr.    A,   Lübben:    Mittelniederdeutsches    Wörterbuch.      Erstes    Heft. 

Bremen   IS 72. 

II.    Physikalisclies  Cabinet. 

A.  Geschenke: 

Ein  Krahn,  ein  Sprachrohr,  eine  Sirene,  ein  pneumatisches  Feuerzeug,  ein  magnetelectrischer 
Inductionsapparat,  eine  Bussole. 

B.  Angeschafft  aus  den  Mitteln  des  Cabinets: 

Zwei  Dechnations-  und  eine  Inclinationsnadel,  ein  Electrophor,  ein  Kuhlenspitzenapparat, 
ein  Morse'scher  Drucktelograph  nebst  Relais,  Galvanometer  und  zwei  Bunsen'schen  Elementen,  luv 
die  Lehre  vom  Schall  endlich  ein  Monochord  und  ein  Interferenzrohr. 


51    

Nekrologium. 

Julius  Bouchholtz,  Cassier  bei  der  Grossh.  Renterei,  abg.  Michaelis  1830,  f  d.  30.  März  1871. 


Christian  Dahl,  Rector  in  Lübz,  abg.  Michaehs  1864,  f  d. 

Gustav  Segnitz,  Cand.  der  Theol.  in  Schwerin,  abg.  Michaelis  1825,  f  d. 

Carl  Job.  Theod.  Harnack,  Dr.  jur.  in  Langenhorn  bei  Hamburg,  f  d. 
Einen  sehr  hoffnungsvollen  Schüler  verlor  die  Anstalt  durch  den  Tod:  Emil 

Wiencke,  Schüler  der  Quarta,  Coet.  A.,  starb  im  Yaterhause 
Carl  Adolf  Schmidt,  Dr.  jur.  und  Oberappellationsrath  in  Rostock,  abg. 

Michaelis  1832,  f  ^. 

Theodor  Fromm,  Pastor  in  Gielow,  abg.  Ostern  1S50,  f  d. 

Ernst  Gädcke,  Advocat  und  Senator  in  Lübz,  f  d. 

R  0  b  e  r  t  S  c  h  n  e  i  d  e  r ,  Dr.  jur.,  Kgl.  Sächsischer  Staatsminister  ^),  abg.  Mich.  1825,  f  d. 

Friedrich  El  fr  eich  aus  Neu-Kirchen,  Cand.  der  Theol.,  abg.  Mich.  1862,  f  d. 

Heinrich  Schumacher,  Buchdruckerei-Besitzer  in  Grevismühlen,  f  d. 

Otto  Bruns  aus  Hamburg,  Kaufmann,  f  d. 

Leo  von  Hammer  stein  aus  Schwerin,  Militär,  f  d. 

Roland  von  Müller,  St.  jur.,  abg.  Michaehs   1870,  f  d. 

F.  J.  C.  Bouchholtz,  Kammersecretair,  Hofrath  in  Schwerin,  abg.  Ostern  1827,  f  d. 

Carl  Fr.  Eugen  von  Storch,  früher  auf  Rubow,  f  d. 

Scliülerzalil. 


18.  April  1871. 

26.  April  1871. 

6.  Mai     1871. 


d.  28.  Mai     1871. 


8.  JuH 
11.  Aug. 
16.  Aug. 

4.  Sept. 

6.  Sept. 
13.  Nov. 
21.  Dec. 

15.  Jan. 

16.  Febr. 

17.  Febr. 
26.  Febr. 


1871. 
1871. 
1871. 
1871. 
1871. 
1871. 
1871. 
1872. 
1872. 
1872. 
1872. 


Das  Gymnasium  Fridericianum  wurde  im  Sommersemester  von  403,  im  Wintersemester  von 
406  Schülern  besucht,  und  zwar  sassen  a.  im  Sommersemester  in  Oberprima  23,  in  Unterprima  34, 
in  Obersecunda  30,  in  Untersecunda  36,  in  Obertertia  52,  in  Untertertia  54,  in  Quarta  Coetus  A. 
39,  Coetus  B.  40,  in  Quinta  54,  in  Sexta  41;  b.  im  Wintersemester  in  Oberprima  26,  Unterprima  32, 
Obersecunda  26,  Untersecunda  37,  Obertertia  Coetus  A.  30,  Coetus  B.  28,  Untertertia  56,  Quarta 
Coetus  A.  38,  Coetus  B.  38,  Quinta  48,  Sexta  47. 

Abgegangen  sind  im  Laufe  des  Schuljahres  56  Schüler. 
A.  Zur  Universität  mit  dem  Zeugniss  der  academischen  Reife: 
a.  Zu  Michaehs  1871 : 

Offo  Krasemnnn  aus  Neustadt.     Leij^zig.     Philologie. 

^Uolph  Brandt  aus  Klein-Rogahn.     Rostock.     Theologie. 

fjiuhriff  31au  aus  Holicnvicheln.     Leipzig.     Theologie. 

Richard  Barten  aus  Schwerin.     Greifswald.     Jurisprudenz. 

Birhard  ro?i  Sprrnitz  aus  Schwerin.     Polytechnicum  in  Aachen. 

Ludnifj  Thh'ssuuj  aus  Boitzenburg.     Leipzig.     Theologie. 

Caesar  Uocliow  aus  Zachun.     Leipzig.     Mediciu. 

IV  Hilf  Im  von  Berjistorff  aus  Schwerin.     München.     Jurisprudenz.       ^ 

Otto  Uvrrkht  aus  Schwerin.     Rostock.     Jurisprudenz. 

Meier  Colin  aus  Schwerin.     Breslau.     Jurisprudenz. 

Eduard  Ocsten  aus  Mandelshagen.     Landwirthschaft. 

lldus  Mulsoir  aus  Ludwigslust.     Rostock.     Theologie. 


•)  Vgl.  Nekrolog  und  Nachruf  im  Dresdener  Jonmal. 


7* 


5S 


53 


b.  Zu  Ostern  IS72: 

Otto  Rfinhardt  aus  Wittenburg.     Heidelberg.     Philologie. 
Emil  Lobedanz  aus  Schwerin.     Rostock.     Philologie. 
Carl  Foth  aus  Sternberg.     Rostock.     Theologie. 
Otto  Tapp  aus  Neese.     Heidelberg.     Medicin. 
Carl  Stt'lzner  aus  Schwerin.     Rostock.     Philologie. 
Albert  Oestfu  aus  Mandelshagen.     Postfach. 
Rudolph  Hohciu  aus  Schwerin.     Rostock.     Medicin. 
Hartn'ui  Brnsch  aus  Schwerin.     Rostock.     Theologie. 
Gustav  flfiuck  aus  Kützerhof.     Heidelberg.     Medicin. 
Otto  Sc/urn'dtfcfjer  aus  Schwerin.     Heidelberg.     Jurisprudenz 
B.  Zu  anderen  Bestimmungen  gingen  ab: 

Aus  Cl.  la.       Huf/o  Kücfvth  aus  Schwerin.     Privatstudium. 
Aus  Cl.  Ib.       Richard  Kurfztisrh  aus  Schwerin.     Postfach. 
Theodor  Schroeder  aus  Qualitz.     Telegraphit 
Paul  An  f/ er  stein  aus  Schwerin.     P'orstfach 


Schüler  -  Verzeichniss  *). 


Neujahr  IS72. 
Weihnachten   1S7I. 
Michaelis  lS7t. 
Ostern   J872. 


Michaelis  1871. 
Michaelis  1871. 


Aus  Cl.  Ha.     Friedrich  R ackert  aus  Ribnitz.     Steuerfach.     Ostern   1871. 

Gotlhilf  Pitschiur  aus  Neukloster,     (iynmas.  in  Piatzeburg.     Mich.   1871. 

Ernst  Brauer  aus  Ribnitz.     Steuerfach.     Michaelis  1871. 

Albert  Koop  aus  Schwerin.     Seemann.     Michaehs   1871. 
Aus  Cl.  IIb.     31ax  Teetz  aus  Rossewitz.     Apotheker.     Michaelis   1871. 

Paul  Abesser  aus  Schwerin.     Kaufmann.     Michaehs  1871. 

Gustav   ff'endt  aus  Schwerin.     Mihtär.     Michaehs  1871. 

Ludnif/  /lobein  aus  Schwerin.     Marine.     Michaelis  1871. 

Friedrich  von  Hintzenstern  aus  P^lmenhoi-st.     Kaufmann. 

Heinrich  Graf  von  Oef/nhausen  aus  Schwerin.     Militair. 

Eynil  Barca  aus  Schwerin.     Kaufmann.     Ostern  1S72. 

Auf/ust   IV  a  ff  euer  aus  Satow.     Forstfach.     Weihnachten   1871. 
Aus  Cl.  III  a.    Harr II  von  Boddicn  aus  Schwerin.     Militair.     Michaelis   1871. 

Bernhard  Schultz  aus  Gnoyen.     Gymnas.  in  Rostock.     Michaehs   1871. 
Aus  Cl.  nib.    Leopold  h'ues   aus   Schwerin.     Realgymnas.  in  Perleberg.     Johannis  1871. 

Friedrich  Lenthe  aus  Schwerin.     Kaufmann.     Michaehs  1871. 

Emil  Wiencke  aus  Schwerin.     Siehe  Necrolog. 

Friedrich   Dicrkitif/  aus  Schwerin.     Realschule.     Ostern   1871. 

Hans  Kehr  ha  hu  aus  Metein.     Gymnas.  in  Parchim.     Michaelis  1871. 

Carl  von  Koppel oiv  aus  Schwerin.     Gymnas.  in  Torgau.     Michaelis   1871. 

Felix  von  Slenf/lin  aus  Schwerin.     Militair.     Den   l  Dec.   1871. 

Martin  Romberg  aus  Perlin.     Ging  ins  Vaterhaus  zurück  Michaehs  1871. 

Alphons  von  Boddien  aus  Schwerin.    Privatunten'icht.     Ostern  1871. 

Adolph  Bru?nm  aus  PerUn.     Ging  ins  Vaterhaus  zurück  Michaehs  1871. 

Christian   H'alckhoff  aus  Schwerin.     Gymnas.  in  Rostock.     Michaehs  1871. 
Ausserdem  sind  zum  Abgang  pro  Ostern  1872  angemeldet: 
Aus  Cl.  IV.       Carl  Rcfnn  aus  Settin.     Realschule. 

Gustav   IValzberg  aus  Valparaiso.     Realschule. 

Paul  Martens  aus  Bakendorf.     Realschule. 

Victor  Peutz  aus  Volsrude.     Realschule. 

Carl  Börncke  aus  Schwerin.     Realschule. 


Aus  Cl.  IV. 


I 


Aus  Cl.  V. 
Aus  Cl.  VI. 


lA.  Ober -Prima. 
1. 

1.  Otto  Reinhardt  aus  Wittenburg. 

2.  Emil  Lobedanz  aus  Schwerin. 

3.  Carl  Foth  aus  Sternberg. 

4.  Otto  Tapp  aus  Neese. 

5.  Carl  Stelzner  aus  Wismar.* 

6.  Albert  Oesten  aus  Mandelshagen. 

7.  Rudolph  Hobein  aus  Schwerin. 

8.  Hartwig  Brasch  aus  Schwerin. 

9.  Gustav  Heuck  aus  Kützerhof. 

10.  Otto  Schwerdtfeger  aus  Schwerin. 

1 1 .  Hugo  Kliefoth  aus  Schwerin. 

2. 

12.  Heinrich  Ribtke  aus  Plau. 

13.  Paul  Groth  aus  Schwerin. 

14.  Hermann  Settier  aus  Wittenburg. 

15.  Friedrich  Burth  aus  Schwerin. 

16.  Willy  Dittmann  aus  Schwerin. 

17.  Carl  Buchka  aus  Rostock.* 

18.  August  Lachnumd  aus  Lilienthal  bei  Bremen.* 

19.  Felix  Löwenthal  aus  Schwerin. 

20.  Carl  Liith  aus  Brüel. 

21.  Louis  Mülfelmann  aus  Schwerin. 

22.  Adolph  Groth  aus  Schwerin. 

23.  Gustiiv  Niemann  aus  Hohen-Viecheln. 

24.  Otto  Schwetzky  aus  Rehna.* 

25.  Emil  Groth  aus  Kittendorf. 

26.  Otto  Petters  aus  Schwerin. 

IB.  Unter-Prima. 
1. 

1.  Heinrich  Lorenz  aus  Schwerin. 

2.  Hugo  W^olff'  aus  Schwerin. 

3.  Friedrich  Kerstenhann  aus  Zarrentin.  * 

4.  Carl  Woestenberg  aus  Dreibergen. 

5.  Johannes  Bauch  aus  Schwerin. 

6.  Wilhelm  Moeller  aus  Schwerin. 

7.  Paul  Müller  aus  Bützow. 

8.  Carl  Schlüter  aus  Bahlenhüschen. 


9.  Franz  Hurttig  aus  Ludwigslust. 

10.  Heinrich  Dittmann  aus  Schwerin. 

11.  Fritz  Neumann  aus  Warnemünde.* 

12.  Johannes  Moltmann  aus  Schwerin. 

13.  Louis  Klipphahn  aus  Schwerin. 

14.  Hermann  Studemund  aus  Gadebusch. 

15.  Paul  Angerstein  aus  Schwerin. 

16.  Gustav  Bolbrügge  aus  Grabow. 

17.  Friedrich  Lechler  aus  Crivitz. 

2. 

18.  Aby  Friedheim  aus  Grevismühlen.  * 

19.  Paul  Romberg  aus  Perhn. 

20.  Victor  v.  Oertzen  aus  Doberan. 

21.  Hermann  Rose  aus  Schwerin. 

22.  Max  Kliefoth  aus  Ludwigslust. 

23.  Friedrich  Graf  v.  Oeynhausen  aus  Schwerin. 

24.  Hugo  Unruh  aus  Sudenhof. 

25.  Hans  Eichbaum  aus  Plau. 

26.  Wilhelm  Eggerss  aus  Melusinenthal.  * 

27.  Hermann  Waclienhusen  aus  Schwerin. 

28.  Theodor  Bade  aus  Schwerin. 

29.  Franz  Berg  aus  Alt-Gaarz. 

30.  Adolph  Diestel  aus  Leezen. 

IIA.  Ober-Secunda. 
1. 

1.  Carl  Ladewig  aus  Crivitz. 

2.  Gustav  Brückner  aus  Schwerin. 

3.  Adolph  Hoppe  aus  Krakow. 

4.  Max  Wolff  aus  Schwerin. 

5.  Paul  Schhchting  aus  Prislich. 

6.  W^ilhelm  Pfähler  aus  Schwerin. 

7.  Carl  Pfaff  aus  Doberan.* 

8.  Otto  Oertzen  aus  Schwerin. 

9.  Bernhard  Voss  aus  Schwerin. 

10.  Haus  Sandrock  aus  Schwerin. 

11.  Johannes  Wittenburg  aus  Grevenhagen. 

12.  Hugo  Krüger  aus  Schwerin. 

13.  Friedrich  Wöhler  aus  Schwerin. 

14.  Hans  Bock  aus  Gross -Weltzien. 


*)  Der  Stern  bedeutet,  dass  die  Aeltern  jetzt  in  Schwerin  wohnen. 


S4 


2. 

15.  Walther  König  aus  Schwerin. 

16.  Carl  Willebrand  aus  Kladow. 

17.  Christian  Drechsler  aus  Boizenburg.* 

18.  Heinrich  Holtermann  aus  Schwerin. 

19.  Friedri':h  Lechler  aus  Schwerin. 

20.  Carl  Stamer  aus  Perduhl. 

21.  Hermann  Heuck  aus  Malchin. 

22.  Hermann  Seidel  aus  Schwerin. 

23.  Carl  Schäffer  aus  Schwerin. 

24.  Johannes  Piomberg  aus  Perlin. 

25.  Juhus  Weltzien  aus  Schwerin. 

26.  Wilhelm  Jahn  aus  Ludwigslust.* 


IIB.   Ünter-Secunda. 
1. 

1.  Carl  Kriel  aus  Dömitz. 

2.  Wilhelm  Behncke  aus  Ludwigslust. 

3.  Carl  Steinkopff  aus  Schwerin. 

4.  Friedrich  v,  Langermann  aus  Dambeck. 

5.  Fritz  Degner  aus  Dewitz. 

6.  Max  Schroeder  aus  Carlshof  in  Holstein.* 

7.  Carl  Ackermann  aus  Rubel.* 

8.  Arnold  Krieger  aus  Potsdam.* 

9.  Adolph  Seemann  aus  Schwerin. 

10.  Louis  Erhardt  aus  Gadebusch.* 

11.  Franz  Kraus  aus  Schwerin. 

12.  Gustav  Hesse  aus  Wittenburg. 

13.  Carl  Krull  aus  Crivitz. 

14.  Carl  Drews  aus  Ludwigslust.* 

15.  Louis  Wolff  aus  Schwerin. 

16.  Emil  Barca  aus  Dargun.* 

17.  Engelbert  Borgmann  aus  Schwerin. 


18.  Franz  Koenig  aus  Schwerin. 

19.  August  Beyer  aus  Schwerin. 

20.  August  xVlbrecht  aus  Klincken. 

21.  Heinrich  Ludwig  aus  Wittenburg. 

22.  Paul  Berwald  aus  Schwerin. 

23.  Otto  Schumacher  aus  Kröpehn. 

24.  Louis  Glaevecke  aus  Rostock. 

25.  Eduard  Range  aus  Schwerin. 

26.  Arnold  Eggerss  aus  Melusinenthal.  * 


27.  Gustav  Kerstenhann  aus  Zarrentin.* 

28.  Max  Schneider  aus  Bülowburg. 

29.  August  Piper  aus  Döbbersen. 

30.  Carl  Schulz  aus  Schwerin. 

3L  Claudius  Fischer  aus  Schwerin. 

32.  Heinrich  Peeck  aus  Barnerstück. 

33.  Otto  Riemcke  aus  Hagenow. 

34.  Paul  Moeller  aus  Schwerin. 

35.  Fritz  Krefft  aus  Schwerin. 

36.  Rudolph  Kleomann  aus  Schwerin. 

III A.  Ober-Tertia. 
Coetus   A. 

L 

1.  Wilhelm  Litzrodt  ans  Brüel. 

2.  Rudolph  Wagener  aus  Satow. 

3.  Adolph  Piper  L  aus  Döbbersen. 

4.  Arnold  Cohen  aus  Schwerin. 

5.  Gustav  Piper  H.  aus  Pinnowhof.* 

6.  Johannes  Brauns  aus  Vlotho. 

7.  Hermann  Melchert  aus  Zapel. 

8.  Ernst  Meinck  aus  ^lalchin.* 

9.  August  Witt  aus  Neustadt. 

10.  Friedrich  Heuck  aus  Kützerhof. 

11.  Friedrich  Walter  aus  Teterow. 
!-2.  Werner  Görbitz  aus  Dargun.* 

13.  Carl  Angerstein  aus  Warin.* 

14.  Friedrich  Schnappauff  aus  Kl.-Wockern. 

15.  Hermann  Erdmann  aus  Gr.-Tessin. 

2. 

16.  Hans  Wiencke  aus  Rcetz. 

17.  Paul  Stelzncr  aus  Wismar.* 

18.  Carl  Axel  Schmidt  aus  Parchim.* 

19.  Adolph  Stein  aus  Boitzenburg. 

20.  Carl  Wallmann  aus  Grabow. 

21.  Gustav  Schall  aus  Schwerin. 

22.  Otto  Brandt  aus  Neustadt. 

23.  Ernst  Weidemann  aus  Seehof. 

24.  Johannes  Petersen  aus  Boize.* 

25.  Carl  Rüst  aus  Kogel. 

26.  Ludwig  v.  Langermann  aus  Schwerin. 

27.  Eugen  Julius  aus  Rostock.* 

28.  Max  Hobein  aus  Schwerin. 


55 


29.  Hermann  Woestenberg  aus  Dreibergen. 

30.  Johannes  Spielhagen  aus  Berhn.* 

HIB.  Ober -Tertia. 
Coetus  B. 

1. 

1.  Otto  Koch  aus  Toddien. 

2.  Willielm  Speetzen  aus  Rampe. 

3.  Martin  Eberhard  aus  Laage. 

4.  John  Hepworth  aus  Güstrow.  * 

5.  Otto  Regenstein  aus  Schwerin. 

6.  Jan  Krieger  aus  Potsdam.  * 

7.  Albert  Hölk  aus  Fahren. 

8.  Louis  Bauch  aus  ScliAverin. 

9.  Richard  Abesser  aus  Schwerin. 
1(1.  Franz  Peters  aus  Schwerin. 

1 1 .  Gustav  Kleffel  aus  Suckow. 
\'2.  Bernhard  Gädkens  aus  Zarrentin. 
13.  Fricdricli  Flügge  aus  Schwerin. 
11.  Georg  Mau  aus  Schwerin. 

15.  Friedrich  v.  Scheve  aus  Schwerin. 

2. 

16.  Otto  Weltzien  aus  Schwerin. 

17.  Hermann  Buchka  aus  Rostock.* 

18.  W^ilhelm  FauU  aus  Schwerin. 

19.  Carl  Ehlers  L  aus  Kalk  hörst. 

20.  Albert  Schulz  aus  Schwerin. 

21.  August  Grieffenhagen  aus  Schwerin. 

22.  Wilhelm  v.  Amsberg  aus  Rostock.  * 

23.  Gustav  Ehlers  U.  aus  Kalkhorst. 

24.  Paul  Michaehs  aus  Starkow.  * 

25.  August  Vielhaak  aus  Rastow. 

26.  Ernst  Diestel  aus  Ahrensböck. 

27.  Theodor  Aarous  aus  Schwerin. 

28.  Ernst  Steinkopff  aus  Schwerin. 

III  B.    Unter -Tertia. 

1. 

1.  Ernst  Barnewitz  aus  Körchow.  * 

2.  Arthur  Francke  aus  Neukloster. 

3.  John  Jonas  aus  Schwerin. 

4.  Carl  Rugenstein  aus  Wittenförden. 


5.  Ludwig  Khefoth  aus  Plate. 

6.  Carl  Behncke  aus  Wismar.  * 

7.  Johannes  Schmidt  L  aus  Schwerin. 

8.  Jaspar  v.  Prollius  aus  Schwerin, 

9.  Hugo  Piper  L  aus  Wismar. 

10.  Ernst  August  v.  Müller  aus  Rankendorf.  * 

11.  Bernhard  Raven  aus  Celle.* 

12.  Georg  Sandrock  aus  Schwerin. 

13.  Pedro  Warncke  aus  Schwerin. 

14.  Walther  Schmidt  IL  aus  Parchim.  * 

15.  Paul  Fischer  L  aus  Wandrum. 

16.  Theodor  Wahl  aus  Goldberg. 

17.  Friedrich  Jahn  aus  Schwerin. 

18.  Paul  Krüger  L  aus  Schwerin. 

19.  Wilhelm  Wolff  L  aus  Schwerin. 

20.  Johannes  Thiel  aus  Schwerin, 

21.  Johannes  Engel  aus  Crivitz. 

22.  Hans  Albrecht  Lehmeyer  aus  Schwerin, 

23.  Paul  Seidel  aus  Schwerin. 

24.  Franz  Lindemann  aus  Schwerin. 

25.  Heinrich  Bock  aus  Gr,- Weltzien. 


20.  Louis  Detmering  aus  Schwerin, 

27.  Gustav  Jablonowsky  L  aus  Schwerin. 

28.  Emil  Liss  aus  Röbel.  * 

29.  Carl  Herbst  aus  Medingen, 

30.  Arnold  Meyer  aus  Schwerin. 

31.  Juhus  Rudolphi  aus  Schwerin. 

32.  Arnold  Kues  aus  Rostock,  * 

33.  Carl  Burmeister  aus  Schwerin. 

34.  Martin  Beltz  aus  Hagenow. 

35.  Gustav  Lange  aus  Schwerin. 

36.  Conrad  Tiede  aus  Schwerin, 

37.  Rudolph  Stargardt  aus  Kalkwerder. 

38.  Ernst  Brüssow  aus  Plan.  * 

39.  Franz  Jablonowsky  H,  aus  Schwerin. 

40.  Ernst  v,  Storch  aus  Rubow, 

41.  Georg  Pincus  aus  Schwerin. 

42.  Wilhelm  Kundt  aus  Schwerin. 

43.  Arthur  Wolff'  H,  aus  Schwerin 

44.  Hubert  v.  Stralendorff  aus  Golchen. 

45.  Rudolph  Eberhardt  aus  Schwerin. 

46.  Albert  Rollenhagen  aus  Schwerin, 

47.  Adolph  Klett  aus  Schwerin, 

48.  August  Fischer  H.  aus  Schwerin, 


56 


49.  Siegfried  Lilienthal  aus  Schwerin. 

50.  Heinrich  Keding  aus  Masslow. 

51.  Dirk  Krieger  aus  Potsdam.  * 

52.  Gustav  v.  Henckel  aus  Kleefeld. 

53.  Richard  Löwenthal  aus  Schwerin. 

54.  Rudolph  Piper  IL  aus  Pinuowhof.  * 

55.  Ernst  Krüger  IL  aus  Kniphof. 

56.  Hjalmar  Lübbert  aus  Nossentiner  Hütte. 

TV.    Quarta. 
Coetus  A. 

1. 

L  August  Fischer  aus  Bobzin. 

2.  Carl  V.  d.  Luhe  aus  Schabow. 

3.  Reinhard  Kade  aus  Dresden.  * 

4.  Adolph  V.  Prollius  aus  Schwerin. 

5.  Friedrich  Meyer  aus  Schwerin. 

6.  Ernst  Schnapaulf  aus  Kl.-Wockern. 

7.  Friedrich  Klett  aus  Schwerin. 

8.  Carl  Flügge  aus  Schwerin. 

9.  Carl  Ernst  Alban  aus  Schwerin. 

10.  Werner  v.  Brandenstein  aus  Balow.  * 

1 1 .  Friedrich  Buchka  aus  Rostock.  * 

12.  Carl  Behni  aus  Settin. 

13.  Gustav  Walzberg  aus  Valparaiso. 

14.  Johannes  Köhler  aus  Roggendorf.  * 

15.  Paul  Martens  aus  Bakendorf. 

16.  Paul  Bühmann  aus  Wittenburg. 

17.  Wilhelm  Teetz  aus  Jürgenshof. 

18.  Carl  Ullrich  aus  Parchira.  * 

19.  Theodor  Kliefoth  aus  Schwerin. 

20.  Victor  Pentz  aus  \'olzrade. 

21.  Justus  Sandrock  aus  Schwerin. 

22.  Wilhelm  Aarons  aus  Schwerin. 

2. 

23.  Friedrich  Friese  I.  aus  Schwerin. 

24.  Heinrich  Müller  aus  Schwerin. 

25.  Carl  Lühr  aus  Schwerin. 

26.  Rudolph  Bohn  aus  Schwerin. 

27.  Ernst  v.  Koppelow  aus  Schwerin. 

28.  August  Wilras  aus  Garhtz. 

29.  Otto  Oldach  aus  Flessenow. 

30.  Heinrich  Schmidt  aus  Wittenburg. 


31.  Ernst  Henning  v.  Bassewitz  aus  Schwerin. 

32.  Adolph  Poppe  aus  Schwerin. 

33.  Emil  Engel  aus  Crivitz. 

34.  Carl  Beste  aus  Schwerin. 

35.  Heinrich  Friese  IL  aus  Schwerin. 

36.  Otto  Karrig  aus  Kröpelin.  * 

37.  Hans  Hubert  v.  Bilguer  aus  Schwerin. 

IV.   Quarta. 

Coetus  B. 

L 

1.  Carl  V.  Abercron  aus  Grabow.  * 

2.  Carl  Beutin  aus  Kl.-Tessin.  * 

3.  Ludwig  Lüttmann  aus  Oertzenhof. 

4.  Friedrich  Thiesseng  aus  Rostock.  * 

5.  Richard  Modes  aus  Boitzenburg. 

6.  Gustav  Ahrenholz  aus  Schwerin. 

7.  Ernst  Maercker  aus  Pampien.  * 

8.  Franz  Mühlenbruch  aus  Trutzlatz.  * 

9.  Martin  Romberg  I.  aus  Perlin. 

10.  Wilhelm  Peters  aus  Schwerin. 

11.  Hermann  Schubart  aus  Gallentin.  * 

12.  Carl  Meinck  aus  Malchin.  * 

13.  Franz  Albrecht  aus  Schwerin. 

1 4.  Friedrich  Dalitz  aus  Malchow.  * 

15.  Eugen  Fahrenheim  aus  Schildfeld. 

16.  Hermann  Romberg  IL  aus  Perlin. 

17.  Theodor  Pinkus  aus  Schwerin. 

18.  Heinrich  Klenz  aus  Kröjjlin.  * 

19.  Carl  Börncke  aus  Schwerin. 

20.  Leopold  Sussmann  aus  Schwerin. 

21.  Alex  Grohmann  aus  Schwerin. 

2. 

22.  Carl  Ditz  aus  Ludwigslust.  * 

23.  Johannes  Wedemeyer  aus  Neu-Lübtheen. 

24.  Carl  Hannover  aus  Schwerin. 

25.  Hermaftn  Frenck  aus  Schwerin. 

26.  Paul  Sandrock  aus  Schwerin. 

27.  Ernst  Prüter  aus  Parchim.  * 

28.  Carl  Eichblatt  aus  Schwerin. 

'  29.  Alexander  Wessel  aus  Schwerin. 
I  30.  Martin  Rohrdantz  aus  Schwerin. 
i    31.  Arnold  Schlat  aus  Bützow. 


57 


32.  Carl  Stargardt  aus  Schwerin. 

33.  Carl  Dittmann  aus  Schwerin. 

34.  Rudolph  Liefmann  aus  Hagenow. 

35.  Bernhard  Abesser  aus  Lübeck.  * 

36.  Otto  Sclu-öder  aus  Qualitz. 

37.  Carl* Spielhii gen  aus  Berhn.  * 

V.   Quinta. 
1. 


Friedrich  Zickcrmann  aus  Sülze.  * 
Fritz  Krempien  aus  Diedrichshagen.  ' 
Otto  Pfeiffer  aus  Schwerin. 
Paul  Pincus  aus  Schwerin. 
Heinrich  Wasnuith  aus  Wittenburg. 
Theodor  Fischer  aus  Schwerin. 
Carl  v.  Zülow  aus  Schwerin. 
Alexander  ( )tto  aus  Mainz.  * 
Hans  Vollbrecht  aus  Schwerin. 
Otto  Herr  aus  Wittenburg. 
Ludwig  Herr  aus  Wittenburg. 
Victor  V.  Stenglin  aus  Schwerin. 
Gustav  liohde  aus  Neu-Dargun. 
Emil  Lindemann  aus  Schwerin. 
Otto  Mühlenbruch  aus  Schwerin. 
Franz  Leitmann  aus  Schwerin. 
Hermann  Eggerss  aus  Carle witz. 
Carl  Wünsch  aus  Schwerin. 
Cari  Kayser  aus  Schwerin. 
Hermann  Stern  aus  Schwerin. 
Theodor  Jahn  aus  Schwerin. 
Wilhelm  v.  Oeynhausen  aus  Dömitz. 
Albert  Kraus  aus  Rostock.  * 
Fritz  Wachenhusen  aus  Schwerin. 
.Vugust  Abesser  aus  Lübeck. 
Heinrich  Bosselmann  aus  Liessow. 

2. 

27.  Helmuth  Franck  aus  Wittenburg. 

28.  Carl  Wiegert  aus  Neustadt.  * 

20.  Martin  Overlach  aus  Petersburg.  * 
•M).  Martin  Rüst  aus  Kogel. 

31.  Ludwig  Behrens  aus  Zietlitz.  * 

32.  Adoli)h  Mnnmie  aus  Schwerin. 

33.  Hans  Schmidt  aus  Parchim. 

34.  Wilhelm  Masius  aus  Schwerin. 


2. 
3. 
I. 
5. 

8. 
9. 
10. 
I  1. 
12. 
13. 
14. 
15. 
16. 
17. 
18. 
19. 
20. 
21. 
22. 
2:5. 
24. 
25. 
26. 


* 


35.  Hermann  Sandrock  aus  Schwerin. 

36.  Peter  Gaettens  aus  Ober-Garzerhof.  * 

37.  Werner  Kues  aus  Rostock.  * 

38.  Emil  Dittmann  aus  Schwerin. 

39.  Friedrich  v.  Amsberg  aus  Schwerin. 

40.  Martin  Langenbeck  aus  Schönhof. 

41.  Franz  Mahncke  aus  Schwerin. 

42.  Carl  Oldach  aus  Hindeberg. 

43.  Georg  Chrysander  aus  Bergedorf. 

44.  Friedrich  Rinkel  aus  Boitzenburg. 

45.  Theodor  Schäffer  aus  Dassow. 

46.  Otto  Staak  aus  Gr.-Trebbow. 

47.  Hermann  Schultz  aus  Dalberg. 

48.  Carl  Schröder  aus  Kobande. 

VI.   Sexta. 

1. 

1.  Erwin  Stern  aus  Schwerin. 

2.  Wilhelm  Busch  aus  Schwerin. 

3.  Louis  Schneider  aus  Penkow. 

4.  Felix  Friedhehn  aus  Grevismühlen.  * 

5.  Edmund  Soltau  aus  Schwerin. 

6.  Franz  v.  Bülow  aus  Frankfurt  a.  M.  * 

7.  Magnus  v.  Abercron  aus  Grabow.  * 

8.  August  Burth  aus  Schwerin. 

9.  Reimar  v.  Koppelow  aus  Schwerin. 

10.  Otto  Wünsch  aus  Schwerin. 

1 1 .  Williem  Peo  aus  Schwerin. 

12.  Helmuth  Timm  aus  Hagenow. 

13.  Georg  v.  Blücher  aus  Finken. 

14.  Julius  Köhler  aus  Roggendorf. 

15.  Otto  Niendorf  aus  Rüting. 

16.  Carl  Peters  L  aus  Rolüb])e. 

17.  Theodor  Fromm  aus  Schwerin. 

18.  Carl  Klipphahn  aus  Schwerin. 

19.  Hugo  Piper  aus  Schwerin. 

20.  Wilhelm  Harnack  aus  Hagenow.  * 

2 1 .  Ernst  Stampe  aus  Rostock.  * 

22.  Wilhelm  Vollbrecht  aus  Schwerin. 

23.  Gustav  Wolff  aus  Schwerin. 

24.  Friedrich  Holst  aus  Schwerin. 


* 


* 


2. 


* 


25.  Hermann  Petersen  aus  Boize. 

26.  Ernst  Hugo  v.  Stenglin  aus  Schwerin. 

8 


38 


27.  Heliimth  v.  Prollius  aus  vSchwerin. 

28.  Paul  Detmering  aus  Schwerin. 

29.  Fritz  Peters  IL  aus  Plau.  * 

30.  Paul  Marcus  aus  Malchin.  * 

31.  Gustav  Adolph  Pfeiffer  aus  Schwerin. 

32.  Ludwig  Friese  aus  Schwerin. 

33.  August  Meyer  aus  Schwerin. 

34.  Wilhelm  T^bel  L  aus  Schildleid. 

35.  Johannes  Tabel  IL  aus  Schildfeld. 

36.  Otto  Löwenthal  aus  Schwerin. 

37.  Emil  Hill  aus  Frankfurt.  * 


38.  Louis  Jenz  aus  Schwerin. 

39.  Wilhelm  Peitzner  aus  Kl.-Vohlde. 

40.  Rudolph  W'iedow  aus  Rabensteinfeld. 
4L  August  Wasmuth  aus  Wittenburg. 

42.  Alfred  Brockmüller  aus  Wölschendorf.  * 

43.  Friedrich  Strömer  aus  Naudin.  * 

44.  Paul  Flatau  aus  Königsberg.  * 

45.  Walther  Alhnn  aus  Schwerin. 

46.  Eduard  Pincus  aus  Schwerin. 

47.  August  Plessmann  aus  Pernambuco.